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Wulf Gallert zu TOP 03: Zuwanderung fördern - Teilhabe möglich machen

In den letzten Monaten rückte - nicht nur in Ostdeutschland - das Thema Migration ins Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung, und zwar auf eine Art und Weise, die in dieser Schärfe doch viele überrascht hat. Überraschend ist dabei nicht das massive Auftreten von Ressentiments und xenophoben Einstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Die sind in den verschiedenen Studien seit langem dokumentiert, und wer sie zur Kenntnis nehmen wollte, konnte sie zur Kenntnis nehmen. Überraschend war vielmehr, dass die Auseinandersetzung um das Thema Migration alle anderen politischen Themen scheinbar an den Rand gedrängt hat, und dies insbesondere in Ostdeutschland.

Dokumentiert wurde das unter anderem auch durch die Wahlerfolge der AfD, die in Thüringen, Sachsen und Brandenburg mit den bekannten Parolen „Das Boot ist voll, wir sind nicht das Sozialamt der Welt“ beachtliche Wahlerfolge errungen hat. Offensichtlich irrational steigerte sich diese Form der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Auftreten der Bewegung „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“ erst in Dresden, dann in verschiedenen anderen Städten und seit einigen Wochen auch hier in Magdeburg.

All diesen Bewegungen ist ein Grundkonsens eigen, nämlich die Definition einer Bedrohung von außen, gegen die man sich aggressiv wehren müsse. Dahinter verbirgt sich letztlich das Konzept einer in sich in jedweder Weise homogenisierten geschlossenen Gesellschaft.

Dass die offensichtliche Irrationalität der Bedrohung der Attraktivität einer solchen These nichts nimmt,  mag im ersten Augenblick überraschen, ist aber etwas, was in der Geschichte wahrlich regelmäßig vorgekommen ist. Wir erinnern uns, an der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre waren die Juden schuld und nach einigen Jahren Missernten im sechzehnten Jahrhundert war die Hexenverfolgung auf ihrem Höhepunkt. Die offensichtliche Irrationalität solcher Schuldzuweisungen, solcher Suche nach Sündenböcken, war nie ein Garant dafür, dass solche Thesen nicht mehrheitsfähig wurden und damit grausame Realität für die Betroffenen. Insofern reicht es tatsächlich nicht, die massenhaft verbreitete Islamophobie als spezielle Form des Rassismus, als das Problem einiger Verirrter abzutun, nein, man muss sich mit dem Problem, das dahinter steht, auseinandersetzen, wie auch mit denjenigen, die solchen Thesen zustimmen.

Dazu gibt es eine breite gesellschaftliche Debatte. Soll man nun mit den Anhängern solcher Bewegungen reden oder nicht? Wann sollte man es tun und wie sollte man es tun? Das sind spannende Fragen, die auch wir uns hier zu stellen haben und bei denen es unterschiedliche, aber trotzdem akzeptable Antworten geben kann. Wichtiger erscheint uns, worüber man mit ihnen reden soll.

Und da ziehen wir als LINKE einen klaren Trennstrich. Worüber wir mit solchen Anhängern nicht reden werden ist, ob man mit ein bisschen Rassismus, mit ein bisschen Abgrenzung, mit etwas mehr Islamophobie als ohnehin schon vorhanden, mit noch schnellerer Abschiebung, mit noch etwas mehr Abschottung ihren Positionen entgegenkommt. Wer das als Politiker tut, verschärft rassistische Grundpositionen, verschärft Ausgrenzung und verschlechtert die Lage von Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - zu uns kommen und leben wollen. Möglicherweise kann man daraus politisches Kapital schlagen, wie es die AfD tut, oder auch ein Herr Seehofer, der ebenfalls meint, sich dagegen wehren zu müssen, dass Deutschland das Sozialamt der Welt werden würde.

Und ich sage Ihnen ganz klar, dieser Debatte werden wir uns verweigern, und wir werden das auch, wenn dies etwas subtiler versucht wird. Dazu gehört u. a. die permanente Forderung, dass die muslimischen Gemeinden hier bei uns sich doch nun endlich mal vom Terror distanzieren müssten, so wie es auch von der CDU im Land gefordert wird.

Warum ist eine solche Forderung fatal?

Zu allererst deshalb, weil sie eine stringente Verbindung zwischen den islamischen Gemeinden bei uns hier in Deutschland und dem Terror nahe legt, die erst einmal gekappt werden müsste. Und dabei muss man eben sagen, dass sich gerade die islamischen Gemeinden hier in Sachsen-Anhalt frühzeitig und ausdrücklich vom Terror distanziert haben und dass sie übrigens zum großen Teil aus Menschen bestehen, die Opfer von islamistischem Terror sind und deshalb hier herkommen.

Dieses Schema der generellen und pauschalen Unterstellung gegenüber Menschen, die hier herkommen, wiederholt sich übrigens an verschiedenen Stellen. Eine der beliebtesten Thesen ist, dass Menschen hier herkommen, um unsere Sozialkassen zu plündern. Dass genau das Gegenteil der Fall ist, dass nämlich unsere Sozialkassen durch Zuwanderung gestützt werden, interessiert im Zweifel nicht. Der nächste pauschale Vorwurf: Die wollen sich ja nicht integrieren und kein Deutsch lernen. Und nur, wer das Gegenteil glaubhaft nachweisen würde, bei dem könne man sich in der Perspektive ja vielleicht mal im Sinne eines Gnadenaktes überlegen, ob der- oder diejenige hierbleiben könne. Da interessiert es auch nicht, dass die Wahrheit eine völlig andere ist. Nämlich, dass für viele Ausländer Integration massiv erschwert wird, weil es Sonderrechte für sie gibt und dass Deutsch-Kurse für viele überhaupt nicht zugänglich sind.

Diese generellen Unterstellungen, die durchaus auch in der Bundesrepublik Deutschland im Asylverfahren die Form von Gesetzen angenommen haben, sind Dinge, die einer Willkommenskultur massiv entgegenstehen und die immer noch dem dominanten Abwehrgedanken folgen, anstatt die Entwicklungschancen für unser Land Sachsen-Anhalt bei der Zuwanderung in den Fokus zu nehmen.  

Natürlich wissen wir, dass die politische Debatte, übrigens auch die gesellschaftliche, ein Stück weiter ist als noch vor 20 Jahren, und sie beschränkt sich inzwischen nicht mehr allein auf ein JA oder NEIN zur Zuwanderung, sondern modifiziert sich in die Debatte um die guten und schlechten Zuwanderer. Dominante Grundposition hierbei ist die Unterscheidung zwischen für uns „nützliche und unnütze“ Menschen. Erstere müssen angeworben, die anderen abgeschoben werden. Letztlich ist diese Debatte nicht viel besser als die herkömmliche Abschottungsdebatte, denn auch hier werden Grundwerte unserer Gesellschaft in Frage gestellt, und auch hier werden Ressentiments und Rassismus bedient.

Vor einigen Tagen sagte ein ausländischer Mitarbeiter des Max-Planck-Institutes in Dresden in einem Beitrag des Kultursenders des MDR, sein Problem in dieser Stadt sei inzwischen, dass man ihm in der Straßenbahn nicht ansehen könne, ob er eine gesuchte Fachkraft oder ein verhasster Asylbewerber wäre, der nur die hiesige Sozialkasse plündern wolle. Und deswegen ist das Klima in dieser Stadt inzwischen so, dass er nun seinen Weggang plant. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine absolute Illusion zu glauben, dass, wenn man die schlechten Flüchtlinge nur schnell genug abschieben würde, man für die anderen eine erhöhte Akzeptanz bekäme. Derjenige, für den die gesuchte Fachkraft eine Konkurrenz am Arbeitsplatz darstellen könnte, würde gerade deshalb dessen  Ausweisung verlangen.
Und dagegen zu argumentieren, fällt verdammt schwer, wenn man vorher andere Menschen abgeschoben in eine sehr ungewisse Perspektive hat, die oftmals lebensgefährlich ist, nur weil sie nicht in das aktuelle Raster passten.

Wenn wir eine wirkliche Willkommenskultur wollen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel – weg von der Abwehr hin zu Einladung und Akzeptanz, und das ist genau das Gegenteil dessen, liebe KollegInnen der CDU, was Sie in Ihrem Positionspapier dargelegt haben.

Wir haben hier in den letzten Wochen gerade auch in Magdeburg gesehen, dass die gesellschaftliche Debatte nicht nur dadurch geprägt ist, dass Ängste und Hass geschürt werden, sondern auch dadurch, dass es einen wachsenden Teil der Bevölkerung gibt, der sich offensiv dagegen wehrt, weil er ein anderes Grundwerteverständnis hat, ein Grundwerteverständnis von Offenheit, Humanismus und Solidarität und weil die Menschen ahnen, dass Abschottung für unser Land Perspektiven vernichtet. Und deshalb ist es ein ermutigendes Zeichen, dass in unserer Landeshauptstadt 7.000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um für Weltoffenheit und Humanismus zu demonstrieren - in einer Stadt, die ansonsten eher nicht so für Demonstrationen bekannt ist. Und wir erleben tatsächlich eine Polarisierung dieser beiden Positionen zwischen Abschottung und Weltoffenheit, die uns auch in der Politik zwingt, Farbe zu bekennen. Das ist der Grund, warum wir diese Debatte beantragt haben und warum wir Ihre Positionen dazu hören möchten.

Bevor ich zu den Dingen im Einzelnen komme, noch einmal zurück zu der Frage: Sollte man mit den Menschen über ihre Ängste reden? Natürlich sollte man das. Zuerst einmal mit den Menschen, die Angst vor rassistischer Gewalt, vor Ausgrenzung und Verachtung haben. Mit ihnen wollen und sollen wir reden, um ihnen Mut zu machen, um unter Beweis zu stellen, dass sie nicht allein sind. Ja, und wir wollen auch mit den Menschen in Magdeburg-Neu Olvenstedt reden, die berechtigt davor Angst haben, dass rechtsradikale Gewalttäter Flüchtlinge angreifen und sie vielleicht selbst Opfer von Gewalt werden, wenn sie Flüchtlingen helfen.

Ja, und wir sollten auch mit Menschen reden, die aus einer gefühlten Bedrohung heraus dazu neigen, Sündenböcke für ihre Situation zu suchen. Dazu nur ein Beispiel: Schaut man sich die Demonstrationen mit xenophobem Hintergrund an, fällt auf, dass dort zumindest anfangs viele Menschen zwischen 55 und 65 Jahren mitgelaufen sind. Die haben berechtigt Angst vor einem massiven sozialen Abstieg auf Grund ihrer Renten-Erwartung, die für sehr, sehr viele nahe dem Grundsicherungssatz liegen wird. Es gibt auch viele Menschen in prekärer Beschäftigung, die Angst um ihre eigene Perspektive haben und Angst davor, durch eine billige Arbeitskraft überflüssig zu werden. Übrigens auch hier sehen wir, wie extrem wichtig ein wirklich funktionierender Mindestlohn ist. Und eben mit diesen Menschen müssen wir darüber reden, dass ihre Ängste durchaus berechtigt sind. Nur sind die Schuldigen dafür nicht Migranten, sondern eine sich zunehmend polarisierende Verteilung von Einkommen und Besitz in unserem Land. Soziale Konflikte müssen als soziale Konflikte benannt werden und dürfen nicht, wie in Deutschland seit langem üblich, ethnisiert werden. Aber daran haben natürlich nicht alle ein Interesse, wie jüngst die BILD-Überschrift „Wer ist für uns gefährlicher - die Griechen oder die Russen?“ eindeutig belegt.

Unsere Aufgabe als LINKE muss es aber sein, in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung soziale Konflikte in Form der sozialen Auseinandersetzung zu führen, auch um Rassismus zu verhindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist die Findung dieser Grundposition, um die es mir heute hier gehen soll. Und erst dann folgt ein zweiter, aber natürlich sehr wichtiger Schritt, nämlich die Umsetzung einer Willkommenskultur in konkreten politischen Maßnahmen. Aber um nur mal ein kleines Beispiel zu nennen, halten wir die Schließung des Studienkollegs in Halle für einen grundlegenden Fehler. Das ergibt sich aus unserer Position zur Willkommenskultur, diese Schließung ist eben nicht Kollateralschaden einer umstrittenen Hochschulstrukturreform, der akzeptiert werden darf.  

Lassen Sie mich am Ende nur noch auf zwei Fragestellungen zur Migrationspolitik in Sachsen-Anhalt eingehen, erstens die Frage der Unterstützung der Kommunen in diesem Prozess und zweitens der Arbeitsmarktpolitik.

Die Kommunen in unserem Land sind die wichtigsten Aufgabenträger für die Organisation einer Willkommenskultur. Dazu benötigen sie aber weitaus mehr Unterstützung als sie bisher von uns bekommen. Und natürlich beginnt es, wie fast überall in der Politik, auch beim Geld, vor allem deshalb, weil die kommunalen Ressourcen nach der letzten FAG-Novelle zusätzlich verknappt worden sind. Selbst nach den letzten Korrekturen im Landeshaushalt erwartet bspw. die Stadt Magdeburg, dass die sich abzeichnenden Kosten allein für die Flüchtlingsunterbringung um ein Drittel höher sein wird (in etwa 5 Mio. Euro) als die Zuweisungen des Landes. Es geht darüber hinaus aber auch um umfangreiche Angebote für Sprachkurse in Volkshochschulen, für sozialpädagogische Betreuung, für Deutsch als Fremdsprache in Schulen, für die Unterstützung von Migrantinnen und Migranten durch eine öffentliche Verwaltung mit fremdsprachlichen Kompetenzen. Auf der Flüchtlingskonferenz der Landesregierung wurde deutlich, dass - wie dort formuliert wurde - Probleme schon seit längerem bekannt sind, aber die Antworten fehlen. Die dort gebildeten Arbeitsgruppen müssen schnell Ergebnisse liefern, weil Probleme allein durch steigende Flüchtlingszahlen größer werden.

Lassen Sie mich abschließend noch kurz etwas zum Arbeitsmarkt sagen: Was wir von der Fachkräfteanwerbung als Zentrum in der Migrationsdebatte halten, habe ich schon gesagt. Aus unserer Sicht widersprechen sich in dieser Debatte übrigens zwei Argumente, die häufig von den gleichen Akteuren verwandt werden. Geht es um die Begründung, die Zahl der Flüchtlinge möglichst radikal einzudämmen, hört man häufig das Argument, dass es schon deshalb ein Fehler wäre, die Leute ins Land zu lassen, weil sie ja dann beim Aufbau ihrer eigenen Heimat fehlen würden. Gleichzeitig kommt dann aber das Argument, dass man für den Fachkräftebedarf die Klügsten und Besten anwerben müsste, ohne dass es irgendwie von Interesse wäre, was in deren Heimatländern fehlen würde.

Aber zurück zum zentralen Argument „die nehmen uns hier die Arbeitsplätze weg.“ Dieses Argument ist allein deshalb absurd, weil der Zu- oder Wegzug von Menschen weder Arbeit schafft noch wegnimmt. Ganz einfach, weil das Wachstum von Bevölkerung auch mit einem Wachstum von Produktivität und Nachfrage einhergeht. Nur diejenigen Migranten, die durch Arbeit Geld verdienen können, treten auf der anderen Seite als wichtige Nachfrager auf, die wiederum Arbeitsplätze schaffen. Schließe ich aber große Gruppen aus diesem Wirtschaftskreislauf aus, schaffen sie zum einen keine Werte, sind zum zweiten auf Transferzahlungen angewiesen und sind deshalb auch drittens nur beschränkt Nachfragende. Nicht nur im Interesse von Migrantinnen und Migranten, für die Arbeit und Einkommen extrem wichtig ist als Voraussetzung zur wirklichen Integration, sondern auch für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist die möglichst schnelle Integration in den Arbeitsmarkt deshalb von entscheidender Bedeutung.

Um aber einen befürchteten Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt durch Lohndumping zu verhindern, benötigen wir verlässliche Instrumente, die diesen ausschließen. Das ist zum einen der gesetzliche Mindestlohn, der aber nur dann hilft, wenn er wirkungsvoll kontrolliert wird und Versuche, ihn zu umgehen, hart bestraft werden.

Das sind aber auch Flächen-Tarifverträge, die über den Mindestlohn hinaus Lohndumping der Arbeitnehmer untereinander wirkungsvoll verhindern. Beide Elemente müssen zusammenkommen - schnelle Integration in den Arbeitsmarkt und wirkungsvolle Sicherung von ArbeiternehmerInnen-Rechten. Das ist das, was Migrantinnen und Migranten hilft, uns wirtschaftlich voranbringt und der rassistischen Argumentation von den gestohlenen Arbeitsplätzen den Wind aus den Segeln nimmt. Das ist die Strategie, die aus unserer Sicht Erfolg verspricht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns den heutigen Tag dafür nutzen, unsere Position als Parlament bzw. als Fraktionen in dieser gesellschaftlichen Debatte zwischen Abschottung und Weltoffenheit zu beschreiben. Denn dies ist Voraussetzung dafür, die großen Aufgaben, die mit der Migration im Zusammenhang stehen, zu bewältigen, vor allem aber die noch größeren Chancen, die sich daraus ergeben, wirklich zu nutzen.