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Wulf Gallert zu TOP 01: Umsteuern in der Personalpolitik sofort einleiten

Normalerweise ist es Sache der Opposition, sich mit den Vorhaben der Landesregierung auseinanderzusetzen, die nicht den gewünschten Effekt erzielt haben. Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es anders. Mit dem vorliegenden Antrag beschäftigen wir uns mit einem zentralen Projekt dieser Landesregierung der letzten beiden Legislaturperioden, dem massiven Personalabbau im Landesdienst in Sachsen-Anhalt.

Erinnern wir uns: Zu Beginn der Legislaturperiode 2006 wurde die Personalkostenentwicklung des Landes als das zentrale Risiko für die Perspektive dieses Landes definiert. Daraus folgten erste Konzepte, die einen strategischen Personalabbau definierten, dessen Zielzahlen sich im Wesentlichen aus einem prognostizierten Bevölkerungsrückgang errechneten, der so, wie wir inzwischen wissen, nicht eintritt. Darüber hinaus sollte die Zahl der Landesbediensteten auf eine wie auch immer errechnete Durchschnittszahl von Landesbediensteten pro 1.000 Einwohner ausgerichtet werden. Dabei orientierte man sich im Wesentlichen an finanzschwachen Ländern aus dem Westen. Die Legitimation für dieses Herangehen, so die Landesregierung und der Landesrechnungshof, zog man daraus, dass man in den jeweils zum Vergleich herangezogenen Ländern ja auch irgendwie klar käme und das sollte bei uns eben auch möglich sein.

Dieses strategische Herangehen erzwingt das Beschreiten eines unendlichen Abbaupfades, denn bei allen Prognosen ging man nicht nur von einer stark sinkenden Bevölkerung aus, sondern auch davon, dass die Vergleichswerte aus den anderen Bundesländern durch dort stattfindenden Personalabbau auch permanent sinken und es für diesen Prozess nie ein Ende geben würde. Letztlich bedeutet diese Strategie, den öffentlichen Bereich des Landes schneller als die Bevölkerung schrumpfen zu lassen.

In diesem Prozess hat weder die Qualität der Aufgabenerfüllung noch die gesellschaftlichen Wechselwirkungen, die dieses Schrumpfungsprojekt ausgelöst hat, ernsthaft eine Rolle gespielt. Allerdings gab es diesbezüglich schon immer warnende Stimmen. Die parlamentarischen Initiativen unserer Fraktion in den letzten beiden Legislaturperioden, wozu auch zwei Enquetekommissionen gehören, dürften knapp im Bereich der Dreistelligkeit liegen. Aber nicht nur wir haben auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Bereits in der Enquetekommission zur Personalentwicklung in der letzten Legislaturperiode hat der damalige Kultusminister Olbertz dezidiert prognostiziert, welche Auswirkungen bspw. der Abbau von Lehrerpersonal für das schulische Angebot haben wird. Das Problem bestand vor allem darin, dass, so lange diese Folgen nicht unmittelbar im Klassenraum sichtbar wurden, sie von Regierung und Koalition ignoriert wurden.

Allerdings wissen alle, die sich mit Personalentwicklung intensiv beschäftigen, dass die Wirkung einer solchen Personalpolitik nicht in dem Augenblick sichtbar wird, in dem sie umgesetzt wird, sondern erst mittelfristig, teilweise langfristig, zum Tragen kommt. Und so entsteht genau das Problem, vor dem wir nun in Sachsen-Anhalt stehen. Der Mangel, der bewusst geschaffen wurde, lässt sich nicht kurzfristig beheben. Das ist nur mittel- bis langfristig möglich.

Zugegebener weise war diese Strategie Ausdruck eines Zeitgeistes. Der Abbau des Öffentlichen in allen Bereichen, ob im Wohnungswesen, bei der Gesundheit, bei der Bildung, bei der Sicherheit, fast überall auf der Agenda neoliberaler Privatisierungsstrategen, auch hier in Sachsen-Anhalt.
Allerdings haben wir bereits seit geraumer Zeit einen gesellschaftlichen Stimmungswandel zu verzeichnen. Die Menschen haben an verschiedenen Stellen erlebt, dass die Formel „privat vor Staat“ in die Sackgasse führt und das die Erzielung von Gewinn im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in den meisten Fällen eben den Gewinn aber nicht die öffentliche Daseinsvorsorge sichert. Und dies gilt eben auch für die Bereiche, die in unserem Personalantrag insbesondere im Mittelpunkt stehen: Schulbildung und öffentliche Sicherheit.

Es mag Ironie der Geschichte sein, dass die Folgen dieser Abbaustrategie jetzt kurz vor den Wahlen für die Menschen im Land immer greifbarer werden. Dazu gehören die Absenkung pädagogischer Angebote, die Zunahme des Unterrichtsausfalls und die Unfähigkeit, auf neue Herausforderungen, wie die der Migration, zu reagieren. Und plötzlich hören wir, zumindest aus Teilen der Regierungskoalition, dass das so alles nicht gemeint war und man nun völlig erstaunt vor dieser Tatsache steht und nun natürlich aktiv gegensteuern will.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und Regierungsbank: Dieses Schauspiel eignet sich bestenfalls als Komödie. Die Engpässe gerade im Bereich von Schule und Polizei waren seit Jahren abseh- und berechenbar. Wer heute vom Personalmangel gerade in diesen beiden Bereichen überrascht ist, hat die Augen in sträflicher Weise vor den Realitäten verschlossen.

Eines der zentralen Probleme, das wir im Schulbereich bei der Personalplanung sehen, ist, dass das Instrument des Neueinstellungskorridors die Planung nach dem Bedarf ersetzt hat. Während es in Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge vernünftig ist zu definieren, welche Aufgabe zu erfüllen sind und welches Personal dafür benötigt wird, hat die Koalition in den letzten Jahren über einen vorher definierten Einstellungskorridor zwar festgelegt, wieviel Personal neu eingestellt werden soll, dabei aber weder die Aufgaben noch die wirklichen Personalabgänge im Blick gehabt, die auf dem Papier wie auch bei der Polizei immer viel zu tief angesetzt worden.

Heute haben wir eine bizarre Situation. Die jetzt erst beantwortete schriftliche Anfrage von Matthias Höhn belegt, dass die Landesregierung zwar weiß, wie viel Lehrer sie einstellen will, aber nicht weiß, wie viel aktiv wirklich vor der Klasse stehen. Das ist übrigens der Grund, warum wir heute keine Zahl für die noch sofort auszuschreibenden Stellen benennen, da nicht einmal klar ist, wie groß das vorhandene Arbeitskräftevolumen ist.

Allerdings haben wir uns festgelegt und zwar was den von uns definierten Bedarf an Lehrern in Sachsen-Anhalt anbelangt. Wir gehen davon aus, dass wir im öffentlichen Schuldienst 14.300 Lehrervollzeiteinheiten benötigen. Dies ist die Zahl, die im Schuljahr 2013/2014 zur Verfügung stand, in dem wir noch die notwendige Unterrichtsversorgung hatten. Seitdem ist die Schülerzahl im Land um etwa 5.000 gestiegen.

Vor dem Hintergrund der vielfältigen Schwierigkeiten bei der Personalbesetzung müssen wir jedoch einen Kompromiss machen. Und dieser Kompromiss lautet 14.300, deren Besetzung allerdings über Neueinstellungen ohnehin schwer genug sein wird.

Und an dieser Stelle kommen wir zu einem zweiten Problem. Die bisherige Personalplanung ist immer davon ausgegangen, dass man die Neueinstellungen dann problemlos hinbekommt, wenn man die Leute braucht. Wir sehen jetzt, dass das ein Trugschluss ist, und der war absehbar.
Weil andere Länder das Personalproblem viel früher als Sachsen-Anhalt erkannt haben und angegangen sind, muss jetzt das Kultusministerium konstatieren, dass „der Markt leer gefegt sei.“ Übrigens auch ein Fakt, auf den wir seit langem hingewiesen haben.
Unsere Forderung geht aber ganz klar dahin, Stellenausschreibungen weder schulspezifisch noch isoliert an der Personalplanung einer Schulstufe fest zu machen, deren Unterscheidung vor allem in der Lehrerausbildung ohnehin der Vergangenheit angehören sollte. Ein Gymnasiallehrer in der Sekundarschule ist definitiv besser als gar keiner vor der Klasse. In diesem Bereich gibt es aber noch Absolventen, die wir bekommen könnten und deswegen muss jetzt sofort ausgeschrieben werden.

Im Polizeibereich wiederholen sich alle Fehler und Probleme dieser Koalition und werden jetzt unübersehbar. Zur Erinnerung: Wenn wir über Vollzeitstellen im Polizeivollzugsdienst reden, sprach das Personalentwicklungskonzept (PEK) eine eindeutige Sprache. Zielzahlen bis in den Bereich 4.000 bis 4.500 standen zur Debatte. Zeitweise erschrak sich dann die Koalition, sprach von mindestens 6.000 und beschloss gleichzeitig 2011 einen Koalitionsvertrag, der für den gesamten Landesdienst 400 Neueinstellungen vorsah. Die für die Polizei anfangs vorgesehenen 150 Neueinstellungen pro Jahr führten zwingend dazu, dass wir uns jetzt schon bei den aktiven beschäftigten Vollzeitbeamten unter der 6.000er Marke befinden.

Mit dem Nachtragshaushalt soll nun eine Ausbildungskapazität von 250 pro Jahr beschlossen werden, die dann in drei Jahren ihren Dienst in der Polizei beginnen könnte. Diese Zahl reicht aber definitiv nicht aus, um in der Nähe von 6.000 Vollzugsbeamten zu bleiben, da zurzeit pro Jahr etwa 300 aus dem Vollzugsdienst ausscheiden und unsere Ausbildungsjahrgänge zurzeit nur mit 200 Anwärtern besetzt sind. Dies bedeutet, dass selbst dann, wenn wir jetzt sofort die jährliche Ausbildungskapazität auf 350 hochsetzen, wir frühestens zum Ende der nächsten Legislaturperiode uns in einem Bereich oberhalb der 6.000 bewegen würden, der für die Aufgaben unbedingt nötig ist. Natürlich wissen auch wir, dass unsere älteren Planungen solche zusätzlichen Anforderungen wie den Schutz von Migranten und ihren Helfern und das dafür notwendige Personal nicht vorsahen. Aber hier gilt das gleiche wie bei der Schule. Eine vernünftige Grundausstattung mit Personal muss in der Lage sein, mit solchen Herausforderungen fertig zu werden.

Die aktuelle Begründung, dass PEK des Landes bei der Polizei wird durch den Aufstieg des 1. FC Magdeburg in die 3. Liga substanziell in Frage gestellt, eignet sich für die „Heute-Show“ nicht aber für den Landtag und die Landesregierung.

Zwar akzeptieren wir in diesem Zusammenhang die Forderung der Polizeigewerkschaft (DPolG) nach 7.000 Stellen im Polizeivollzugsdienst, aber wir nehmen sie nicht an, weil sie vor dem Hintergrund der Möglichkeiten faktisch unrealistisch ist. Selbst die Erhöhung der Ausbildungskapazität auf 350 pro Jahr ist eine extreme Herausforderung, von der wir noch nicht wissen, ob sie wirklich innerhalb kürzester Zeit umgesetzt werden kann. Man braucht vor allem geeignetes Lehrpersonal, welches nicht so leicht zu finden ist. Hinzu kommen fehlende räumliche Kapazitäten an der Polizeifachhochschule. Aber selbst dann, wenn dies uns gelingt, kann jeder Grundschüler errechnen, dass die Zahl von 7.000 frühestens nach 10 oder 12 Jahren realistisch erreicht werden kann.

Und natürlich darf auch hier nach den notwendigen Ressourcen des Haushaltes gefragt werden, und ähnlich wie in der Schule gilt, dass es eine Differenz zwischen dem Optimalen und dem Machbaren gibt.

Wenn jetzt allerdings der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, der genauso wie der zuständige Innenminister bei jedem Personalabbaukonzept und den entsprechenden Landeshaushalten die Hand gehoben hat, plötzlich ein halbes Jahr vor den Wahlen eine erstaunliche Verdrängung einsetzt und er 7.000 Stellen im Vollzugsdienst fordert, ist das leider kein Ausdruck später Einsicht, sondern von gnadenlosem Populismus, weil nicht umsetzbar und ein Tritt gegen den Koalitionspartner, da wir natürlich alle wissen, dass am Ende der Debatte es nur noch einen geben wird, der schuld ist, nämlich der Finanzminister Jens Bullerjahn. Der hat allerdings viel dafür getan, diesen Eindruck in der Öffentlichkeit zu erwecken. Und deswegen verwundert es nicht wirklich, wenn der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion schon im letzten Jahr mitten in diesem Abbauprozess fordert, dass dieses Land mehr Lehrer einstellen muss, ohne gleichzeitig erkennbar dafür etwas zu tun.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn Sie wirklich mehr wollen als mit hektischen Absetzbewegungen der SPD die Schuld für ihre gemeinsame Politik der letzten Jahre in die Schuhe schieben zu wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu. Und liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es gibt inzwischen eine Reihe von Ländern, in denen die SPD bei der Frage des Personalabbaus vor allem bei Schule und Polizei ihre Position verändert hat. Ganz massiv übrigens im Land Brandenburg. Warum soll das nicht auch hier möglich sein? Ich bitte Sie darum, stimmen Sie unserem Antrag zu und lassen Sie uns bereits mit diesem Nachtragshaushalt eine substanzielle Kurskorrektur für Sachsen-Anhalt einleiten.