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Sabine Dirlich zu TOP 25: Öffentlich geförderte Beschäftigung neu gestalten

Am 23. November 2012 brachten die Länder  Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auf Initiative des Landes Baden-Württemberg einen Antrag mit dem Titel „Öffentlich geförderte Beschäftigung neu gestalten“ in den Bundesrat sein. Dieser Antrag wurde mehrheitlich in die Ausschüsse für Soziales, für Finanzen und für Wirtschaft überwiesen. Schon am 14. Dezember des gleichen Jahres war dieser Antrag zurück im Plenum und wurde dort abgelehnt. Ich habe mir  das, offen gesagt, mit den anstehenden Wahlen und den drohenden anderen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat erklärt.

Für uns gibt es zwei Gründe, den Antrag hier im Landtag aufzugreifen. Es wird Ihnen sicherlich schon aufgefallen sein, dass sich unser Antrag ziemlich streng an dem Antrag im Bundesrat orientiert. Das ist Absicht. Zu den Unterschieden komme ich noch.  
 
Der erste Grund ist: Wir halten den Inhalt dieses Antrags für einen erheblichen Schritt der SPD nach vorn, nachdem sie 2002 mit den Hartz-Gesetzen so viele Schritte rückwärts gemacht hat, auch wenn er uns  selbstverständlich nicht weit genug geht.
 
Der zweite Grund ist: Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat haben sich gerade geändert, sodass dieses Anliegen nun möglicherweise eine echte Chance hat.  
 
Eines gleich am Anfang: Ich bin erstaunt, aber ich bin vor allem erfreut über den Alternativantrag, weil er trotz aller Mängel, aller Lücken, auf die ich auch noch zu sprechen kommen werde, deutlich macht, dass die SPD und vor allen Dingen die CDU hier bereit sind, gemeinsam wirklich einen Schritt nach vorn zu machen. Das erkenne ich sehr wohl an.  
 
Zum Inhalt: Deutschland hat einen im europäischen Vergleich ungewöhnlich hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen. Das haben nicht wir festgestellt, sondern die OECD. Da ist von einem Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Arbeitslosen insgesamt von etwa 50 % die Rede. In Sachsen-Anhalt sind fast 75 %, also fast  drei Viertel, aller Arbeitslosen im SGB-II-Bezug.  
 
Vom Grundsatz des Förderns und Forderns ist nach den jüngsten Reformen am Arbeitsmarkt nahezu nur noch das Fordern übrig geblieben. Zumutbarkeitskriterien wurden verschärft. Sanktionen wurden massiv ausgedehnt. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind zusammengestrichen worden, und Einsparungen verhindern, dass quantitativ oder qualitativ ausreichende Angebote der Eingliederung an Arbeitslose gemacht werden können. Das irritiert, und zwar vor allem deshalb, weil eine Arbeitgeberumfrage der Bundesagentur für Arbeit den Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern gerade gute Noten bescheinigt hat. Zwei Drittel der Unternehmen waren mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zufrieden, die vorher Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger gewesen waren. 81 % bescheinigten ihnen Pünktlichkeit, 76 % Teamfähigkeit, 68 % Zuverlässigkeit und 64 % eine gute Motivation.  
 
Allein die Zufriedenheit mit der Qualifikation der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fällt mit 53 % ein Stückchen zurück, was aber natürlich gerade nicht den Rückgang der Angebote begründet. Allerdings  bleibt die Erkenntnis, dass es, um diese Ziele erreichen zu können, groß er Anstrengungen bedarf und dass sich die Arbeitsmarktpolitik dem auch stellen muss.  
 
Mit der Koalition einig sind wir uns inzwischen offensichtlich in der Frage, dass wir individuelle Integrationsstrategien brauchen, die sicherstellen, dass Menschen so lange Hilfe bekommen, wie sie Hilfe brauchen. Diesen Punkt haben Sie aufgegriffen. Einig sind wir uns darüber, dass es besser ist, Leistungen für die Aktivierung einzusetzen, anstatt sie für Inaktivität auszugeben. Aber Achtung! Hier beginnt ein entscheidender Dissens zwischen uns, weil wir sagen: Es muss sichergestellt sein, dass Arbeit zu mehr Einkommen führt als Nicht-Arbeit.   

Einig sind wir uns darüber, dass die Beschäftigung so weit wie möglich unter Bedingungen stattfinden muss, die denen am sogenannten regulär en Arbeitsmarkt gleichen. Schließlich soll die Beschäftigung dazu beitragen, dass Menschen auf dem Arbeitsmarkt wieder bestehen können. Und wir sind uns einig darüber, dass die örtliche Ebene in Entscheidungen über sinnvolle Maßnahmen, über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen und über ihre Auswirkungen in der Region einbezogen werden muss. Wie gesagt: Da gibt es immerhin einen Fortschritt.  
 
Dass wir dennoch an unserem Antrag festhalten und Sie bitten, über Ihre Zustimmung zu allen Punkten noch einmal  nachzudenken und mit uns zu diskutieren, liegt natürlich nicht an der Übereinstimmung, sondern an den doch erheblichen Unterschieden.  
 
Wir brauchen auch bei den Arbeitsmarktmaßnahmen Mechanismen, die verhindern, dass sich Niedriglohn immer weiter ausbreitet. Wir wollen die Entlohnung an tarifliche Regelungen oder an das ortsübliche Arbeitsentgelt anlehnen. Dass es hierzu stringentere Regeln braucht, meine Damen und Herren, wenn Sie mich jetzt auf das SGB III verweisen wollen, beweisen die immer wieder auftretenden schlimmen Auswüchse in Richtung Dumpinglohn, gerade auch in Arbeitsmarktmaßnahmen oder bei Arbeitsplätzen, auf die die Jobcenter die Arbeitslosen verweisen.  
 
Wir sagen, dass Beschäftigung vor allem, wenn sie länger dauert, voll sozialversichert sein muss, also auch arbeitslosenversichert. Wenn die Regeln nicht verändert werden, werden Menschen drei Jahre oder sogar noch länger arbeiten, ohne einen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder auf Leistungen aus dem SGB III zu erwerben. Ich finde, man kann Leuten einfach nicht zumuten, dass sie drei Jahre oder noch länger arbeiten, ohne den Anspruch zu erwerben, der ihnen nach dem Gesetz zusteht.  
 
Es gibt Menschen, die neben der Chance auf eine neue Beschäftigung weitere Hilfen benötigen. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen Begleitmaßnahmen zur Unterstützung der sozialen Stabilisierung. Dazu muss ich Ihnen sagen: Dass ausgerechnet dieser Punkt in dem Alternativantrag fehlt, ist für mich völlig unbegreiflich, vor allem auch deshalb, weil das arbeitsmarktpolitische Gesamtkonzept, das uns gerade zugänglich  gemacht worden ist, auf mehreren Seiten genau dazu eine Menge aussagt. Ich will einmal ein paar Sätze zitieren: „Dabei ist klar, „dass viele Arbeitslose aufgrund persönlicher und sozialer Probleme nicht ohne Unterstützung den Zugang in den regulären Arbeitsmarkt finden werden. … Aber auch die Vermittlungsbemühungen der  Arbeitsagenturen und Jobcenter bedürfen angesichts der individuell und sozial begründeten Arbeitsmarktferne von Langzeitarbeitlosen oftmals ergänzender bzw. flankierender Maßnahmen der Betreuung und Begleitung.“ „… Um diese Menschen für den Arbeitsmarkt nicht verloren zu geben, kommt es darauf an, zunächst deren verschiedene lebensbegleitende Probleme zu bearbeiten, bevor an Vermittlung und Integration überhaupt zu denken ist.“
 
Ganz genau. Warum fehlt dieser Punkt in Ihrem Alternativantrag? Rätsel über Rätsel.  
 
Vor allem die Regelungen zur Zusätzlichkeit und Wettbewerbsneutralität führen zurzeit zu geradezu absurden und albernen  Konflikten in den Regionen. Ich will Ihnen ein Beispiel aus Schönebeck erzählen, wo die Leute vor Ort wirklich die
Welt nicht mehr verstehen:  In Schönebeck gibt es mehrere Angebote für einen Seniorentreff bzw. einen Treff für Menschen mit Behinderungen. Denen sollten keine Ein-Euro-Jobber mehr zugewiesen werden, weil die Leute unter Umständen einmal in der Woche Kuchen backen, Kaffee kochen und ihn ausschenken. Genau das war ihnen ausdrücklich untersagt, weil sie damit die Kaffeehauskultur in Schönebeck - sie ist offenbar bekannt - gefährden. Lauter kann man überhaupt nicht lachen. Aber für die Leute vor Ort hat dies bedeutet, dass sie darüber nachgedacht haben, bestimmte Angebote sogar zuzumachen, weil sie keine Ein-Euro-Jobber mehr bekommen sollten. Es gehört natürlich zu der Begegnung von Seniorinnen und Senioren dazu, Kaffee zu trinken. Irgendeiner muss den Kaffee kochen. Ich finde es albern, was dabei zum Teil passiert.
 
An dieser Stelle wende ich mich ausdrücklich an die Kollegen der CDU. Ihre Kollegin Kramp-Karrenbauer hat, als sie noch Arbeitsministerin war, genau das beklagt, dass die neuen Regeln in der  Arbeitsmarktpolitik dazu führten, dass sinnvolle Projekte in den Kommunen verhindert würden und dass wichtige Arbeit nicht mehr geleistet werden könne. Die Bundesministerin Frau von der Leyen hat das mit dem Hinweis gekontert, dass es nicht die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik sei, soziale Strukturen in den Kommunen aufrechtzuerhalten oder freiwillige Leistungen der Kommunen zu ermöglichen. Darauf wären wir auch von selbst gekommen. Natürlich stimmt das.  
 
Aber selbst wenn es dreimal stimmt, weshalb sollte es nicht möglich sein, diese zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich auf der einen Seite die Arbeitslosen zu unterstützen, die sinnvolle Arbeit machen und einen Beitrag zum Funktionieren ihres Gemeinwesens leisten, und es gleichzeitig den Kommunen zu ermöglichen, bestimmte gute  soziale Angebote zu machen, die über die Pflichtaufgaben der Kommunen hinausgehen, und die Kommunen damit lebenswerter zu machen? Ich finde, das ist  kein Widerspruch. Es muss doch möglich sein, diese zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Wir haben bewusst auf weitere Forderungen verzichtet, beispielsweise nach der aus unserer Sicht notwendigen begleitenden Qualifizierung in den Arbeitsmarktmaßnahmen oder nach einem größeren Stellenwert der Weiterbildung. Ich erinnere an dieser Stelle an die Arbeitgeberumfrage, die deutlich gemacht hat, dass Qualifizierung und Weiterbildung genau das sind, was im Moment gebraucht wird. Das arbeitsmarktpolitische Gesamtkonzept enthält einen riesengroßen Komplex zum Fachkräftemangel und zum Fachkräftebedarf - vollkommen richtig. Der Alternativantrag enthält davon aber leider nichts.  
 
Auch wir haben im Moment darauf verzichtet, und zwar deshalb, weil der Bundesratsantrag es nicht enthielt und weil wir es Ihnen leichter machen wollten, unserem Antrag zuzustimmen. Ich hoffe, dass wir möglicherweise über beide Anträge, also über den Ursprungsantrag und über den Alternativantrag, noch einmal im Ausschuss beraten werden und es  nicht schon heute beschließen.  
 
Ich bitte Sie, diese beiden Anträge an den  Ausschuss zu überweisen, damit wir dort in Ruhe darüber nachdenken können, was in Ihrem Alternativantrag und möglicherweise auch in unserem Antrag noch fehlt, um ein geschlossenes Konzept für Sachsen-Anhalt beschließen zu können.