Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Sabine Dirlich zu TOP 21: Konzept zur Anerkennung von Qualifikationen in Werkstätten für behinderte Menschen

Zum Glück beginnen wir bei diesem Thema nicht bei null. Es gibt inzwischen Integrationsunternehmen, es gibt Integrationsabteilungen in Betrieben und es gibt in der Bundesrepublik flächendeckend Integrationsfachdienste, die Menschen ganz individuell begleiten und betreuen können. Das alles sind Versuche, Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu eröffnen, tatsächlich auf dem allgemeinen, auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Das alles dient dazu, der Forderung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen, also der UN-Behindertenrechtskonvention, gerecht zu werden.  

Trotzdem nimmt die Zahl der Beschäftigten in den Werkstätten immer mehr zu. Die Werkstätten platzen inzwischen förmlich aus allen Nähten. Die Mitglieder der Besuchskommissionen des Psychiatrieausschusses können sich davon regelmäßig überzeugen. Natürlich ist jeder Versuch lobenswert, diesen Zustand kritisch zu betrachten und Alternativen für die Arbeit der Menschen mit Behinderungen zu finden und zu befördern.

Die Zielgruppe sind Menschen, die mit der Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz überfordert sind, aber bei entsprechender Qualifizierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehen könnten. Die Vorteile sind schon genannt worden: Die Menschen erhalten ein Zeugnis. Ihre Ausbildung wird damit nicht nur bewertet, sondern sicherlich auch aufgewertet. Die Fähigkeiten des einzelnen Menschen mit Behinderung sind für potenzielle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen besser einschätzbar, sicherlich auch die Grenzen der behinderten Menschen und ihr Hilfebedarf. Aber man darf die Schwachpunkte nicht ganz außer Acht lassen. Das Modell könnte sich beispielsweise den Vorwurf der Behindertenverbände einhandeln, dass behinderte Menschen vor allem auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft reduziert werden könnten. Das findet in dieser Gesellschaft ohnehin schon viel zu oft und viel zu vordergründig statt. Viele wollen nicht, dass dieses Prinzip nunmehr auch noch konsequent auf Menschen mit Behinderungen angewendet wird.  

Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass die fehlenden Zeugnisse für die Betroffenen selbst nicht der Hauptgrund sind, den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu scheuen. Sie vermissen Regelungen für ihre Rückkehr. Eine Rückkehr ist möglich, wenn das Scheitern auf dem Arbeitsmarkt behinderungsbedingt ist. Wenn aber der Betrieb pleite macht oder Personalabbau betreibt und davon Menschen mit Behinderungen betroffen sind, dann haben die Betroffenen diese Rückkehrmöglichkeit nicht, sondern sind den ganz normalen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt unterworfen. Sie werden einfach arbeitslos.  

Das wäre kein so großes Problem, wenn der Arbeitsmarkt aufnahmefähiger wäre, als er es ist. Natürlich betrifft dieses Problem alle. Aber es ist ein wesentlicher Grund für Menschen mit Behinderungen, den geschützten Bereich, den sie derzeit noch haben, nicht zu verlassen.  

Ein weiteres Problem: Die Bedingungen in der Arbeitswelt sind nicht gerade und nicht überall barrierefrei. Dass der Arbeitsstress in der sogenannten normalen Arbeitswelt wesentlicher größer ist, ist bekannt. Insbesondere Menschen mit psychischen Behinderungen haben die meisten Probleme, übrigens auch in den Werkstätten. Der Mensch mit geistiger Behinderung ist „pflegeleicht“. Aber der Mensch mit einer psychischen Behinderung kommt jeden Tag mit einer anderen Stimmung zur Arbeit.  

Eine andere Frage ist, wie die Arbeit der Menschen mit Behinderungen bewertet, das heißt vergütet wird. Bekommen wir es mit einem neuen Niedriglohnsektor zu tun? Bekommen wir es mit einem neuen Kombilohn zu tun? Wir sind daran nicht interessiert.  

Eine weitere Hürde ist die Zielgruppe selbst, also die Leistungsfähigsten unter den Menschen in den Werkstätten. Die Werkstätten sind selbst einem hohen Kostendruck unterworfen und brauchen gerade diese leistungsfähigen Menschen sozusagen für ihr eigenes Überleben. Woher soll also ihr Interesse kommen, gerade die Leistungsfähigsten in den ersten Arbeitsmarkt hinaus zu entwickeln? Sie tun es übrigens trotzdem, aber die Prozentzahlen oder die Promillezahlen haben wir ja gehört.  

Wenn man die UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich ernst nehmen wollte, müsste man die Werkstätten von ihrem Werkstattcharakter befreien und sie zu Sozialbetrieben entwickeln, müsste man das Einkommen vom Taschengeldcharakter befreien und versicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse begründen, müsste man eine andere Arbeitsmarktpolitik machen, weil die Kürzungen im Arbeitsmarktbereich gerade für Menschen mit Behinderungen kontraproduktiv sind.  

Uns sind erste Schritte nicht unwichtig. Deshalb will ich Zustimmung zu diesem Antrag signalisieren. Aber ich sage Ihnen auch: Mit dem Thema sind wir noch lange nicht durch.