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Sabine Dirlich zu TOP 20 b): Drohende Altersarmut in Sachsen-Anhalt

Wie ist die Faktenlage? Zunächst will ich eine Binsenwahrheit wiederholen: Der Anteil der Personen über 65 Jahre steigt kontinuierlich an, 1990 bei 14,1 %, 2008 bei 23,7 %, für 2025 sind 31,2 % prognostiziert. Die Armutsgefährdungsquote in Sachsen-Anhalt liegt aktuell bei 21,8 %, damit liegt Sachsen-Anhalt an vierter Stelle unter den am meisten von Armut bedrohten Bundesländern.

Obwohl die Armutsgefährdungsquote insgesamt in den letzten Jahren zurückgegangen ist und im letzten Jahr in S-A nur um 0,7 % gestiegen ist, steigt sie bei den Älteren ab 65 Jahre an, war sie 2004 noch bei 3 % lag sie 2010 bereits bei 10 %. Die Armutsgefährdungsquote der Erwerbslosen liegt übrigens bei über 70 %. Ein Drittel der registrierten Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt sind älter als 50 Jahre, über deren Armutsgefährdungsquote möchte ich nicht nachdenken, sie dürfte bei 100 % liegen. Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen geht in den letzten Monaten kontinuierlich zurück, die Zahl der arbeitslosen Hilfeempfängerinnen über 50 Jahre stagniert bei etwa 45.400, davon sind 27.000 über 55 Jahre. Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfeempfängerinnen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind beträgt 40.400, das sind ca. 5 % mehr als im August des Vorjahres.

Die Rente erst ab 67 verlängert diesen Zustand weiter und verschärft die Situation der Betroffenen weiter, vom Armutsrisiko im Rentenalter ganz zu schweigen.
Deutschlandweit erhalten 1,33 Millionen Erwerbstätige zusätzlich Arbeitslosengeld II.
660 Tausend unter ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Deutschlandweit gehen knapp 770 Tausend Rentnerinnen und Rentner einem Minijob nach, über 100 Tausend von ihnen sind älter als 75 Jahre alt. Schaut man sich die Entwicklung an, muss man konstatieren, dass es im Jahr 2000 „nur“ etwa 480 Tausend waren. Auch das ist ein Zeichen für die Entwicklung der Altersarmut.

Gleichzeitig muss man feststellen, dass die Beschäftigungschancen von älteren Arbeitnehmerinnen nach wie vor denkbar schlecht sind. Noch immerhin 26,8 % der 60-Jährigen sind in Vollzeit beschäftigt, erwerben also auch noch einen vollen Rentenanspruch. Bei den 64-Jährigen arbeiten noch 9,3 % in Vollzeit. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 90 % der 64-Jährigen keine vollen Rentenansprüche mehr erwerben.

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sollte die Menschen, die im Alter auf Hilfe angewiesen sind besser als in der Sozialhilfe vor Altersarmut schützen. Dass sie dieses Ziel nicht erreicht, geht aus einer repräsentativen Befragung der Verteilungsforscherin Irene Becker hervor. Sie hat festgestellt, dass nur rund ein Drittel der Anspruchsberechtigten die Leistung in Anspruch nehmen. Die Dunkelziffer der Armut beziffert sie mit 68 Prozent. Für Sachsen-Anhalt bedeutet das, dass zwischen 40 und 50 Tausend Menschen von verdeckter Armut im Alter betroffen sind, Tendenz steigend.
Was tut nun die Bundesregierung, was schlagen die sogenannten großen Parteien vor.
Zunächst muss man über das reden, was die Bundesregierung genau nicht tut. Sie tut nichts zur Rentenangleichung zwischen Ost und West und bricht damit den eigenen Koalitionsvertrag. Von den vollmundigen Wahlversprechen zum Beispiel auf dem Seniorentag in Leipzig vor der Wahl will ich gar nicht erst anfangen.

Zwei Beispiele:

1.    Ein Mediziner, der zwischen 1951 und 1981 in der DDR bis zum Chefarzt aufgestiegen war erhält aus dieser Zeit einen Rentenanspruch von ca. 3,30 € im Monat. Zwischen 1985 und 1990 war er in der Bundesrepublik mit sehr reduzierten Tätigkeitsmerkmalen als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Diese Tätigkeit bringt ihm ca. 11 € pro Monat an Rentenanspruch ein.
2.    Der Enkel meines Lebensgefährten hat kürzlich eine Ausbildung begonnen und ist mit Beginn dieser Berufsausbildung Ostrentenanwärter. Wenn er irgendwann 2060 seine Berufszeit beendet wird er seinen Enkeln erklären müssen, was ein Ostrentner ist und weshalb er einer ist.

Zwei Beispiele, die einerseits noch immer vorhandene Ungerechtigkeiten und andererseits den Irrsinn der Nichtangleichung der Renten vor Augen führen.

Mit ihrer Zuschussrente will nun die Ministerin für Arbeit und Soziales Frau von der Leyen den Eindruck vermitteln, dass sie das Problem erkannt hat und energisch handeln will. Wie weit die Mogelpackung schon auseinandergenommen wurde, zeigt die Bundespressekonferenz vorgestern in Berlin. „“Ich glaube, dass die Zuschussrente … sicherlich Modifikationen bekommen wird.“, sagte die Kanzlerin höchstpersönlich, ließ aber an Details Interessierte im Dunkeln.

Wenige Punkte genügen, den Nachbesserungsbedarf dieses Konzepts vor Augen zu führen. Die Zuschussrente erfasst bei weitem nicht die von drohender Altersarmut Betroffenen, nicht die Langzeitarbeitslosen, nicht die Menschen mit Brüchen in ihren Erwerbsbiografien –  vor allem Frauen – nicht Selbständige in prekären Verhältnissen, nicht die Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Also alle diejenigen nicht, die keine 40 oder 45 Versicherungsjahre vorweisen können und nicht diejenigen, die sich von ihrem geringen Einkommen keine zusätzliche Vorsorge leisten können. Die Ursachen von Altersarmut werden nicht angegangen. Nicht die Hartz IV-Gesetzgebung, nicht der Niedriglohnbereich, nicht die Leiharbeit, nicht die Ausweitung der Minijobs.

Vor allem aber tut man nichts gegen die Aushöhlung der gesetzlichen Rente selbst. Ausgehöhlt durch den Ausstieg aus der Lebensstandardsicherung oder durch die Teilprivatisierung der Rente. Das Ganze „Lebensleistungsanerkennungsgesetz“ zu nennen kann man nur als zynisch bezeichnen.

Und was bietet die SPD an? Die große Koalition! Die SPD macht keinen Vorschlag zur Rücknahme falscher Entscheidungen, stellt keine der falschen Weichenstellungen in Frage. Das Rentenniveau soll auch nach dem Vorschlag der SPD auf 43 % sinken und setzt zur Kompensation auf allein von den Arbeitsnehmerinnen finanzierte kapitalgedeckte zusätzlich Altersvorsorge, diesmal in Form staatlich geförderter Betriebsrenten. Mit der Beibehaltung der Niveauabsenkung werden gute Vorschläge, wie die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente oder die bessere Bewertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit unwirksam. Die Solidarrente ist an hohe Voraussetzungen gebunden und sieht eher wie eine verbesserte Fürsorgeleistung aus. An der Rente erst ab 67 wird festgehalten. Wer genug Einkommen hat, kann sich mit Zusatzbeiträgen rauskaufen.
Politikwechsel, liebe SPD, sieht anders aus.

Wir wollen die Lebensstandardsicherung wieder zum Prinzip der gesetzlichen Rente machen, sie muss wieder auf 53 % angehoben werden. Die Rente erst ab 67 gehört abgeschafft. Die Angleichung der ostdeutschen Renten ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und soll  in den nächsten fünf Jahren erfolgen.
Gute Arbeit – Gute Rente! Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn und die Eindämmung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Alle Erwerbstätigen müssen in die gesetzliche Rente einbezogen werden und Höchstverdiener müssen einen Teil ihrer Ansprüche abgeben. Nur so ist Solidarität finanzierbar. Wir wollen eine solidarische Mindestrente einführen, die sicherstellt, dass kein Mensch im Alter ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze hat.

Und die Finanzierung?

Die solidarische Mindestrente ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weil sie Teilhabe sichert und Armut verhindert. Sie muss aus Steuermitteln finanziert werden. Die Maßnahmen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung müssen unter anderem durch die Verbreiterung der Beitragsbasis durch Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die Beitragspflicht finanziert werden. Der Beitrag soll steigen. Da wir aber zur konsequenten paritätischen Finanzierung zurückkehren wollen, werden die Arbeitnehmerinnen durch unsere Vorschläge weniger belastet als durch die geltende Gesetzeslage. Bei ihren 22 % müssen sie zwar nur 11 % übernehmen, sich aber mit 6 % ihres Einkommens zusätzlich versichern. Das sind 17 %. In unserem Modell zahlen sie von 28 % Beitrag die Hälfte, also 14 %.