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Sabine Dirlich zu TOP 19: Langzeitarbeitslosen Menschen eine Chance geben. Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes

Wer meine Tätigkeit im Landtag von Sachsen-Anhalt auch nur ansatzweise kennt wird wissen, dass ich mich seit über 20 Jahren für öffentlich geförderte Beschäftigung einsetze. Es könnte deshalb verwundern, dass wir dem Antrag der Grünen nicht vorbehaltlos einfach zustimmen und das auch noch durch einen Änderungsantrag bekräftigen. Auf diese Frage will ich mich in meiner Rede konzentrieren. Mal abgesehen davon, dass mir der Änderungsantrag die Möglichkeit gibt, noch einmal auf unser Konzept „Gemeinwohlarbeit“ hinzuweisen, enthält ihr Antrag Forderungen, denen wir nicht folgen wollen und Behauptungen, denen wir nicht folgen können.
Mit der Forderung, dass es darum geht einen dauerhaften Passiv-Aktiv-Transfer zu ermöglichen, der in BaWü und NRW modellhaft und zeitlich befristet erprobt wird, erwecken sie den Eindruck, als wäre ein Passiv-Aktiv-Transfer überhaupt schon jetzt möglich. Das untermauert ihre Begründung mit dem Satz: Langzeitarbeitslose Menschen werden dort (in BaWü) gezielt öffentlich gefördert und erhalten eine fair bezahlte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, für deren Finanzierung die Regelbedarfsleistungen gemäß SGB II herangezogen werden (Passiv-Aktiv-Transfer).

Ich weiß nicht, wie sie darauf kommen. Sie können sich vorstellen, dass mich diese Sätze geradezu elektrisiert haben. So lange fordern wir das schon – bisher ohne irgendeinen Erfolg – und BaWü macht das einfach schon seit 2012?
Ich habe mir alles Mögliche ausgedruckt, um hinter das Geheimnis von BaWü zu kommen und wurde fündig. Und das schon auf der zweiten Seite, die ich mir überhaupt angeguckt habe.

Aus einer Veröffentlichung des IAB geht eindeutig hervor, dass sich die Förderleistungen aus folgenden Komponenten zusammensetzen:

  1. aus einem Zuschuss des Jobcenters bis 75 % des Entgelts aus den Eingliederungsmitteln der Bundesagentur für Arbeit für zwei Jahre,
  2. aus einem pauschalen Zuschuss von Stadt oder Landkreis an Stelle der ersparten kommunalen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung und
  3. aus einer Betreuungsfachkraft.


Das Land BaWü gewährt dann noch Zuschüsse an die Kommunen zur Bewältigung der Aufgabe. Also, weit und breit kein einziger Cent aus der Regelleistung, weit und breit kein Passiv-Aktiv-Transfer. Das Modell ist genauso gestrickt wie schon lange vor ihm die GAP in Mecklenburg-Vorpommern, der ÖBS in Berlin und Brandenburg und das Modellprojekt PAT in Thüringen. Deshalb ist auch die Behauptung ein bundesweit einmaliges Modellprojekt in BaWü etabliert zu haben einigermaßen vermessen.

Immerhin: Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt, wobei offen bleibt, wie das dritte Jahr finanziert wird, wenn die Jobcenter nur zwei Jahre zuschießen. Das Projekt verzichtet auf die bei Ein-Euro-Jobs geforderten Voraussetzungen wie „Zusätzlichkeit“ und „Öffentliches Interesse“, wobei darin auch ein Kritikpunkt steckt.
Und das Projekt will nachweisen, dass der aktive Einsatz von bislang passiv eingesetzten Mitteln der anvisierten Zielgruppe besser gerecht wird. So weit so gut.
Allerdings: Sie würden mich schlecht kennen, wenn sie nicht damit rechnen würden, dass ich auch die Fußangeln entdecke, die in diesem Projekt stecken. Das Projekt wird vom Sozialministerium BaWü als besonders innovativ bezeichnet. Als einziger Grund dafür wird die Tatsache genannt, dass sich das Projekt vor allem an die Privatwirtschaft wendet. Dafür muss man natürlich den Grundsatz „öffentliches Interesse“ über den Haufen werfen. Darauf haben wir schon lange gewartet. Das ich-weiß-nicht-wievielte Förderprogramm für die Privatwirtschaft. Als gäbe es nicht den Lohnkostenzuschuss, den Eingliederungszuschuss, Zuschüsse für Fortbildung der Mitarbeiterinnen usw.

Nun ein Programm, bei dem sich die Arbeitgeberinnen, wenn ich das richtig interpretiere, überhaupt nicht mehr an den Lohnkosten beteiligen müssen. Ein solches Konzept können wir nur ablehnen. Was wir hingegen brauchen sind Projekte der Gemeinwohlarbeit in Bereichen, die von den Kommunen aus Finanzknappheit nicht angeboten werden und von denen die Wirtschaft nicht profitieren kann, weil sie einfach nicht genug Geld abwerfen. Das IAB hebt besonders lobend hervor, dass „bei diesem Passiv-Aktiv-Transfer lediglich Mittel aktiviert werden, die sonst passiv ausgegeben würden…“ Es soll insgesamt kein zusätzlicher Kostenaufwand entstehen. Auch das können wir nur ablehnen.

Wir haben immer deutlich gemacht, dass ein Arbeitseinkommen höher sein muss, als ein Transfereinkommen. Es kann doch nicht sein, dass das Argument, das stets benutzt wurde, die Transfereinkommen so gering wie möglich zu halten – wer arbeitet muss mehr haben als wer nicht arbeitet - nun in sein Gegenteil verkehrt wird – wer arbeitet darf nicht mehr haben als wer nicht arbeitet. Es darf nicht mehr kosten? Es muss mehr kosten!

Einig sind wir uns mit den Grünen in der Forderung, den Passiv-Aktiv-Transfer regelhaft zu ermöglichen. Größte Hürde scheint zu sein, dass der Bund bei der Regelleistung nachschusspflichtig ist, wenn die Mittel nicht ausreichen. Es wird wohl befürchtet, dass der Bedarf an Gemeinwohlarbeit oder an einem sozialen Arbeitsmarkt so groß ist, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Kay Senius, Chef der Regionalagentur für Arbeit hat dafür eine einfache Lösung parat. Man begrenze den Anteil, der aktiviert werden kann und behält die Kosten so im Auge. Zuletzt: Natürlich verzichten wir darauf, die Landesregierung zu was auch immer aufzufordern. Aber der Landtag, der soll sich bekennen.