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Sabine Dirlich zu TOP 17: Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zum Landtagsbeschluss erheben

Seit drei Jahren, genau seit dem 26. März 2009, ist in der Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention geltendes Recht. Das ist von vielen Menschen mit Behinderungen und von ihren Angehörigen und Freunden mit großer Genugtuung aufgenommen worden, aber vor allem auch mit großer Hoffnung.

Andererseits gab es von Anfang an viel Skepsis. Haben Betroffene doch jahrelang, jahrzehntelang Erfahrungen sammeln müssen mit Diskriminierung, mit Gedankenlosigkeit, mit Barrieren, die sie in allen Lebensbereichen einschränken. Dadurch werden Menschen mit Behinderungen, werden ältere, werden kranke Menschen, werden Mütter und Väter mit Kindern behindert.

Verantwortlich für diese Barrieren sind wir letztendlich alle. Deshalb sollten alle dazu beitragen, diese Barrieren und diese Einschränkungen zu überwinden, und Menschen mit Behinderungen eine umfassende, gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten. Dazu fordert die UN-Behindertenrechtskonvention, dass der Bund, die Länder und auch die Kommunen konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der in der Konvention vereinbarten Ziele vorlegen.

Nach langem Hin und Her und auch unter dem massiven Druck der Behindertenbewegung legte der Bund am 15. Juni - über zwei Jahre später - ein ca. 200 Seiten umfassendes Papier, „Nationaler Aktionsplan“ genannt, vor. Es wurde vom Bundeskabinett beschlossen und wird von der gesamten Behindertenszene ziemlich heftig kritisiert. Inklusionsbeirat, Weibernetzwerk, der Paritätische, die Lebenshilfe und andere im Nationalen Behindertenrat vereinte Verbände äußerten ihre Einwände: Der Nationale Aktionsplan enthält zu wenig konkret abrechenbare und aus der Sicht der Behindertenbewegung notwendige Umsetzungsmaßnahmen. Er bleibt zu oft bei der Beschreibung von seit Jahren laufenden Programmen stehen und enthält auch keine Angaben zur Finanzierung.  
Das klingt für Betroffene alles in allem nicht sehr verheißungsvoll, was die Stärkung von Menschenrechten betrifft.

Nun sind es zwar keine Vorwürfe an das Land oder an die Landesregierung, was den Nationalen Aktionsplan auf der Bundesebene betrifft, aber wir waren angesichts der Situation gespannt darauf, wie denn wohl unser Land an die Aufgabe herangeht, die Umsetzung der in der Landesverantwortung stehenden Maßnahmen zu planen.

Am 10. Dezember 2011 wurde der Vollversammlung des Runden Tisches der Menschen mit Behinderungen in Sachsen-Anhalt von einem Vertreter des Sozialministeriums ein Papier übergeben. Dieses Papier trägt fast den gleichen Titel wie der Nationale Aktionsplan - es heißt: „Einfach machen - unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“ -, aber die Herangehensweise ist doch etwas anders. Die Übergabe war mit der Aufforderung zur Diskussion und mit der Aufforderung zum Einreichen von Vorschlägen verbunden. Wie meine Kollegin Zoschke schon in der letzten Landtagssitzung zum Antrag der GRÜNEN, den Focal Point betreffend, anmerkte, ist das noch kein Aktionsplan, sondern mehr eine Gliederung, bestehend aus Grundsätzen und Zielstellungen - eine Art Problemaufriss. Der soll nun unter aktiver Beteiligung aller zu einem echten Aktionsplan werden.  

Im Vorwort heißt es dazu: „Sachsen-Anhalt sieht sich als Bundesland in der Verantwortung, die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Behindertenrechtskonvention aktiv voranzubringen, Maßnahmen zu entwickeln und im Land umzusetzen.“ An diesem Prozess sollen die Zivilgesellschaft, Menschen mit Behinderungen, die Verbände und Interessenvertretungen maßgeblich mitwirken.“ Also: Nichts über uns, nichts ohne uns, wie Betroffene es gern formulieren. Sie sollen stärker einbezogen werden.

Damit wurde am 10. Dezember begonnen. In den Arbeitsgruppen des Runden Tisches im Landesbehindertenbeirat oder auch in vielen Landesverbänden laufen, wie man so hört, die Debatten bereits auf Hochtouren. In diesen Debatten spielen solche Fragen eine Rolle, wie: Sind sechs Handlungsfelder ausreichend? Sind es die richtigen Handlungsfelder? Welche gesetzlichen Regelungen müssen in Sachsen-Anhalt verändert werden, um der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht zu werden? Zu welchem Zeitpunkt sind welche Maßnahmen einzuordnen? Wir sind auf die Ergebnisse gespannt.

Auf ein Problem, das im Zusammenhang mit der so genannten Behindertenpolitik immer wieder auftaucht und das von uns und auch von den Behindertenverbänden seit Jahren thematisiert wird, möchten wir noch hinweisen: Ist Behindertenpolitik tatsächlich allein Sozialpolitik? Ist es politisch gewollt, Behindertenpolitik ressortübergreifend zu gestalten?
Die Fragen müssen gestattet sein.

In den Grundsätzen des Aktionsplanes wird formuliert: „Der Landesaktionsplan ist ein Ziel- und Maßnahmenplan in einem und stellt eine sozialpolitische Richtschnur für die Weiterentwicklung der Landespolitik von und für Menschen mit Behinderungen dar.“

Sozialpolitische Richtschnur: Das ist nicht falsch, aber ausreichend ist es nicht. Wo bleibt zum Beispiel die menschenrechtliche Dimension, die dieser UN-Behindertenrechtskonvention auch innewohnt? Gerade in dieser Hinsicht ist unseres Erachtens im übergreifenden, bewusstseinsbildenden Kontext noch sehr viel zu tun.  

In den Grundsätzen heißt es weiter: „Der Landesaktionsplan soll die Forderungen der Behindertenrechtskonvention umsetzen. Zur Feststellung des Handlungsbedarfs werden die Forderungen der Konvention mit dem aktuellen Umsetzungsstand in Sachsen-Anhalt abgeglichen. Aus den Ergebnissen der Analyse des Umsetzungsstandes wird anschließend in einem gemeinsamen Diskussionsprozess mit Vertretern der Zivilgesellschaft ein Maßnahmenplan erstellt. Dieser soll in einem Zeitraum von zehn Jahren realisiert werden. Die Umsetzung des Landesaktionsplans soll begleitend evaluiert und kontinuierlich fortgeschrieben werden.“  

Bleibt die wichtige Frage, wie der Landtag und die Exekutive beteiligt werden. Uns als Landtagsmitglieder interessiert natürlich der Landtag besonders. Welche Rolle sollen die anderen Ministerien und welche Rollen sollen die nachgeordneten Behörden im Erarbeitungsprozess spielen? Werden wir aus den einzelnen Ressorts eigene Vorschläge zum Abbau von Barrieren jeglicher Art bekommen oder werden sie lediglich auf die Forderungen der Verbände, mehr oder weniger abwehrend oder fördernd, reagieren? Auch diese Fragen wurden in der letzten Sitzung bereits aufgeworfen.  

Wir haben heute nicht die Absicht, über den konkreten Inhalt, über den Aufbau des Entwurfs und über die Auswahl der Handlungsfelder zu diskutieren. Uns geht es darum, das Interesse aller Abgeordneten auf diesen Prozess zu lenken, sie zu motivieren, mit den Verbänden in Kontakt zu treten und deren Vorschläge für Maßnahmen, die ihren jeweiligen Politikbereich betreffen, schon einmal im Vorfeld zur Kenntnis zu nehmen.
Sicherlich werden nicht alle Vorschläge und Wünsche der Verbände von Menschen mit Behinderungen aufgenommen werden können. Einige werden zeitlich weiter nach hinten einzuordnen sein, andere könnten schon bald umgesetzt werden.  
Nicht alle Forderungen sind im Übrigen mit höheren Kosten verbunden. Oft genügt schon das genaue Hinhören, um Rechte besser umsetzen zu können.

Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass zum einen der Landtag über die Ergebnisse all dieser Diskussionen und auch über die Antworten auf die Fragen informiert wird. Zum anderen soll dann dem vorliegenden Aktionsplan ein entsprechendes politisches Gewicht gegeben werden. Also, der Landtag soll einen Beschluss dazu fassen und dem Aktionsplan Beschlusscharakter verleihen.