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Sabine Dirlich zu TOP 15: Änderung des Gesetzes zur Leistungssteigerung der arbeitsmarkt-politischen Instrumente (Instrumentenreform)

Der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Dr. Ralf Brauksiepe  begann seine Rede zur Einbringung des so genannten Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt mit den Worten: „An Erfolgsmeldungen vom Arbeitsmarkt haben wir uns gewöhnt.“

Sie wissen, dass wir die Erfolge am Arbeitsmarkt  sehr wohl anders bewerten als Sie. Wir haben in diesem Haus schon mehrfach über die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die Folgen dieser Entwicklung gesprochen.  An diesem Satz wird aber deutlich, dass der Irrglaube „der Markt wird’s schon richten“ inzwischen die Gesetzgebung zur Arbeitsförderung erreicht hat. Man berauscht sich an Zahlen, verbreitet den Eindruck, als würde sich das Problem nächstens von selbst lösen und blendet dabei die Probleme der Langzeitarbeitslosen genau so aus, wie die Strukturschwäche der ostdeutschen Bundesländer.

Der Anspruch, den die Bundesregierung an sich selbst stellt, ist hoch. Sie will Effektivität und Effizienz erreichen und verbessern. Sie will dezentrale Entscheidungskompetenzen gezielt stärken. Sie will die Arbeitsmarktinstrumente einfacher, transparenter und übersichtlicher machen. Sie will schneller und passgenauer unterstützen und zweckmäßig kontrollieren. Sie will das Instrumentarium flexibel und auf den individuellen Bedarf ausgerichtet einsetzen. Und morgen, liebe Kinder, erzähle ich Euch ein anderes altes Märchen.

Aber ein wenig Wahrheit ist im Gesetzentwurf auch zu finden, zumindest im Bearbeitungsstand vom 06.04.2011. Problem und Ziel sind in folgendem Satz beschrieben: „Nach dem von der Bundesregierung im Juni 2010 beschlossenen Zukunftspaket muss die Bundesagentur für Arbeit Effizienzsteigerungen und strukturelle Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2012 und von jeweils 3 Milliarden Euro ab dem Jahr 2013 haushaltswirksam werden lassen. Die Begrenzung der Haushaltsmittel für die aktive Arbeitsförderung erfordert innovative Ansätze, um … Ausbildungs- und Arbeitsuchende in angemessenem Umfang bei der raschen Integration in Ausbildung bzw. ungeförderte Erwerbstätigkeit unterstützen zu können. “

Diese Wahrheit wurde in der Sitzung des Bundestages am vergangenen Freitag vehement bestritten. Bestritten wurde sowohl der Sparzwang als Ausgangspunkt für das Gesetz, als auch die Tatsache, dass in der Arbeitsförderung offensichtlich dazu übergegangen werden soll, die Förderung von Menschen, die nicht kurzfristig in den so genannten ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, praktisch einzustellen. „Öffentlich geförderte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose wird faktisch abgeschafft.“, urteilt der Paritätische Gesamtverband in seiner Stellungnahme.
Brauksiepe dazu: „Im Rahmen der Instrumente, die sie einsetzen kann, bekennt sich die Bundesregierung - … - ausdrücklich zur öffentlich geförderten Beschäftigung.“ Mal abgesehen davon, dass der Satz mit einer Einschränkung beginnt, muss man sich die Ausgestaltung der Arbeitsgelegenheiten – im Volksmund 1-Euro-Jobs – genauer anschauen.

In Zukunft soll die Trägerpauschale, die gebraucht wird zur Organisation von Projekten, zur materiellen Absicherung der Projekte, für die Absicherung der Maßnahmeteilnehmerinnen und für anderes nur noch 30 Euro betragen. Für Teilnehmerinnen, die einen erhöhten Betreuungs- und Beratungsbedarf haben, kann der Zuschuss um bis zu 120 Euro erhöht werden.

Was heißt das für die Träger von Projekten?

Entweder können sie überhaupt keine Begleitung und Betreuung mehr anbieten, oder sie müssen für jede Teilnehmerin einen besonderen Anleitungsbedarf nachweisen. Im Grunde für jeden einzeln. Was das für ein Aufwand ist, brauche ich nicht zu erklären, Aber es wird offensichtlich vorausgesetzt, dass die Träger keinen Verwaltungsaufwand haben und das bisschen nebenbei für lau hinkriegen.
Dazu kommt, dass die Wettbewerbsneutralität, die bisher nur in den Ausführungsbestimmungen enthalten war, nun Gesetzeskraft erlangen soll. Das wird die Möglichkeiten für Projekte noch weiter einschränken. Kritikerinnen machen darauf aufmerksam, dass die Teilnehmerinnen an Maßnahmen so nah wie möglich an den Arbeitsmarkt geführt werden müssen. Durch diese Regelung wird aber die Arbeitsmarktferne von Projekten zementiert. Dann allerdings werden sie sich wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dass sie nicht in den ersten Arbeitsmarkt führen. Na prima! Wie denn bitte?

Und weiter: Auch längerfristige Beschäftigungsangebote, wie sie mit dem Beschäftigungszuschuss nach § 16 e SGB II möglich waren, sollen den arbeitsmarktfernsten Personen vorenthalten bleiben. Und: Die letzte Möglichkeit, durch eine Maßnahme der öffentlich geförderten Beschäftigung zu einem richtigen Arbeitsvertrag zu kommen, die Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante, werden abgeschafft.

Die Gutscheinlösung wird, wenn sie nicht mit Betreuung und Begleitung ergänzt wird, ebenfalls dazu führen, dass benachteiligte Personen an den Rand gedrängt werden. Das hat auch die Wirkungsforschung ergeben. Sie hat festgestellt, dass Gutscheine von diesem Personenkreis weitaus weniger in Anspruch genommen werden. Da das bekannt ist – wozu schließlich hat man Wirkungsforschung betrieben – darf ich davon ausgehen, dass diese Wirkung beabsichtigt ist.
Alles das macht deutlich, dass die Bundesregierung alle die Erwerbslosen abschreiben will, die nicht kurzfristig und kostengünstig in ungeförderte Arbeit zu vermitteln sind.

An dieser Stelle muss auf die gesellschaftliche Dimension aufmerksam gemacht werden, die mit dieser Entwicklung einhergeht. Wie Sie wissen, konnten wir den Hartz-Gesetzen noch nie viel abgewinnen. Zu den wenigen Vorteilen zählte aber immerhin, dass auch Sozialhilfeempfängerinnen Arbeitsmarktmaßnahmen angeboten werden konnten. Wenn mit dieser Reform auch noch dieser letzte Vorteil wegfällt, was bleibt dann noch von der angeblichen größten Arbeitsmarktreform übrig? Nur noch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe! Das hätte man billiger haben können
Immer mal wieder wird betont, dass es nicht Aufgabe des SGB II ist, Beschäftgungsgesellschaften zu finanzieren. Diese Binsenwahrheit vergisst, dass es ohne Betreuungsstrukturen aber eben auch keine Betreuung mehr gibt. Es geht nicht um den Bestand von Strukturen, sondern um den Bestand der Begleitung und Betreuung von erwerbslosen Hilfebedürftigen.

Immer mal wieder wird auch der Fachkräftemangel beschworen und wir wissen, dass er nicht erfunden ist. Der Gesetzentwurf tut allerdings nichts, um diesem Fachkräftemangel mit einer wirksamen Politik zur Umschulung und Weiterbildung zu begegnen. Im Gegenteil! Schon in diesem Jahr ist die Zahl der Neueintritte in solche Maßnahmen um etwa ein Drittel zurückgegangen. Auch angesichts des demografischen Wandels kann sich eine so hochqualifizierte und hochspezialisierte Gesellschaft wie die unsere einen so hohen Anteil unqualifizierter Arbeitskräfte nicht leisten, wie sie ihn zurzeit hat. Und das ist keineswegs nur ein Problem der älteren Arbeitslosen. Aber gerade für die Älteren, die auch oft ausreichend motiviert sind, ist Weiterbildung eigentlich die Möglichkeit für einen Neuanfang. Ein beredtes Beispiel ist die Altenpflegeausbildung, für die zwischenzeitlich eine Lösung zur vollständigen Finanzierung gefunden worden war. Nun ist die Finanzierung des dritten Jahres wieder offen und der bereits jetzt herrschende Mangel an Fachkräften in diesem Bereich wird unnötig verstärkt. Erfahrungen von Bildungsträgern haben gezeigt, dass die in diesem Bereich Weitergebildeten zu nahezu 100 % vermittelt werden konnten. Das ist effektive Arbeitsmarktpolitik.

Vehement kritisieren muss man auch die Tatsache, dass der Rechtsanspruch auf eine Förderung mittels einer Maßnahme zur Aktivierung oder einer beruflichen Eingliederung nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit abgeschafft wird. Es ist Augenauswischerei zu behaupten, man würde so die Flexibilität vor Ort und eine individuelle Betrachtung des Einzelnen ermöglichen und stärken. Wenn nämlich gleichzeitig die finanziellen Spielräume derart beschnitten werden, bleibt den Vermittlerinnen vor Ort letztlich nur noch der Spielraum, die Maßnahme abzulehnen. So sieht dann das Ermessen aus, das Fallmanager vor Ort haben.
Die Diakonie Mitteldeutschland stellt fest: „Arbeitsmarktpolitik soll einen aktiven Beitrag leisten zum Abbau der sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft. Arbeitsmarktpolitik ist somit auch immer Sozialpolitik mit dem Ziel der sozialen Integration und der Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe.“ Und ihr Urteil zum Gesetzentwurf lautet: „Hier verfehlt der Gesetzentwurf seinen politischen Auftrag einer gelingenden Arbeitsmarktpolitik.“

Dass diese weitreichenden Änderungen praktisch ohne Beteiligung, zumindest aber ohne die Zustimmung der Länder einholen zu müssen, verabschiedet werden soll, macht den Skandal aus unserer Sicht perfekt. Das können Sie nicht ernsthaft dulden. Und die pflaumenweiche Formulierung in ihrem Alternativantrag, die der Regierung Beifall klatschen möchte, wird den massiven Einwänden von Akteuren auf dem Arbeitsmarkt nicht gerecht. Wir sollten uns jedenfalls der Mühe unterziehen, die einzelnen Kritikpunkte im Ausschuss zu beraten und genau hinzuschauen, an welchen Stellen wir als Landtag in Sachsen-Anhalt weiteren Änderungsbedarf sehen. Aus unserer Sicht jedenfalls reichen die im Alternativantrag benannten Punkte bei Weitem nicht aus.