Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Sabine Dirlich zu TOP 14: Gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland

Wir haben am 3. Oktober 2011 den 21. Jahrestag der Deutschen Einheit gefeiert. Noch immer gilt in Ost und West ein unterschiedliches Rentenrecht. Auch 21 Jahre nach der Deutschen Einheit wird gleiche Lebensleistung in Ost und West nicht in gleicher Weise in der Rente anerkannt. Der Bundesverband der Volkssolidarität nennt das einen Anachronismus.

Damals in der Euphorie des Einheitsprozesses war man von einer relativ schnellen Angleichung der Lebensverhältnisse ausgegangen und hatte deshalb eine Übergangsregelung eingeführt, die schnell überflüssig werden sollte. Diese Annahme hat sich als Trugschluss erwiesen. Die Angleichung der Einkommensverhältnisse verläuft schleppend, er ist seit 1990 weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Einkommensunterschiede werden sogar wieder größer. Die Angleichung der Rentenwerte stagniert und die Differenz liegt immer noch bei elf Prozent. Der aktuelle Rentenwert beträgt zurzeit 24,37 Euro im Osten und 27,47 Euro im Westen. Die sogenannte Eckrente, also die Rente nach 45 Jahren Durchschnittsverdienst weist eine Differenz von 139 Euro auf. Das ist bei gleichen Preisen und Lebenshaltungskosten eine echte Einbuße an Lebensqualität.

Kaum jemand dürfte bestreiten, dass mit der Überführung der ostdeutschen Renten in das bundesdeutsche Rentenrecht für eine große Mehrheit der ostdeutschen Rentnerinnen ein bedeutender Schritt zur Verbesserung der materiellen Lebenssituation gelungen ist. Ebenso unbestritten haben wir es nach wie vor mit zwei Rechtsgebieten zu tun. Zweigeteiltes Rentenrecht ist Realität und wird als ungerecht empfunden. Das ist kein Phantomschmerz der LINKEN.

Zu welchen Anachronismen das führt wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Menschen, die weit nach der Wende geboren wurden und jetzt in das Erwerbsleben eintreten auf ihrem Rentenbescheid noch immer die Tatsache unter die Nase gerieben bekommen, dass sie Ossis waren.

Die Fortführung des jetzigen Angleichungsprozesses hätte zur Folge, dass die Angleichung des Rentenwertes Ost an West nicht vor dem Jahr 2030 und damit erst mehr als 40 Jahre nach der deutschen Einheit erreicht werden kann. Viele Rentnerinnen würden so die Vollendung der deutschen Einheit im Rentenrecht nicht mehr erleben.
Das Problem hat inzwischen auch die Bundespolitik begriffen. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP steht auf Seite 84 der Satz: „Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.“

Es war die Kanzlerin, die auf dem 9. Seniorinnentag im Juni 2009 – drei Monate vor der jüngsten Bundestagswahl – den dort Anwesenden eine Lösung für die Angleichung der Ostrenten noch in der ersten Hälfte der Legislaturperiode versprochen hat. Die haben wir nun erreicht. Mir liegt kein Vorschlag der Bundesregierung vor. Das war der Anlass für uns, vom Landtag ein Votum einzufordern und die Landesregierung zum Handeln aufzufordern. Und wir schlagen gleichzeitig einen Lösungsweg vor.

Aus unserer Sicht muss eine gerechte Lösung drei Kernforderungen erfüllen:

  • Sie muss erstens für die Bestandsrentnerinnen echte Verbesserungen mit der Perspektive einer gleichen Anerkennung ihrer Lebensleistung bringen und das ohne Verschlechterungen für die Rentnerinnen im Westen.
  • Sie muss zweitens sie der Tatsache Rechnung tragen, dass nach wie vor ein Ausgleich der Lohnunterschiede notwendig ist.
  • Sie muss drittens als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen und deshalb über Steuern finanziert werden.

Dazu greifen wie heute einen Vorschlag auf, der von einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften wie ver.di, GEW, transnet, der Gewerkschaft der Polizei und von Sozialverbänden wie der Volksolidarität, dem Sozialverband Deutschland und dem Bund der Ruhestandsbeamten, Rentnerinnen und Hinterbliebenen entwickelt worden ist und der in der Lage ist, diese Anforderungen zu erfüllen.

Wir wissen, dass es gegen diesen Vorschlag diverse Einwände gibt. Vor allem gegen die Beibehaltung der Höherwertung bis zur tatsächlichen Angleichung der Einkommensverhältnisse. Schauen wir uns die Fakten an. Die Höherwertung war richtigerweise eingeführt worden, um die enormen Einkommensunterschiede zwischen Ost und West auszugleichen. Wir übersehen nicht, dass es in tariflich geregelten Bereichen eine positive Lohnangleichung gibt. Die Tarifliche Grundvergütung lag schon Ende 2009 im Durchschnitt bei 96 % des Westniveaus. Aber etwa die Hälfte der Arbeitnehmerinnen im Osten profitieren davon überhaupt nicht, weil sie in Unternehmen ohne Tarifvertrag tätig sind. 40 % arbeiten im Niedriglohnbereich. Der Teilzeit- und Leiharbeitsbereich ist doppelt so hoch wie im Westen. Die durchschnittlichen Gehälter liegen im Osten nach wie vor ein Viertel unter denen im Westen.

Außerdem müssen die Leute im Osten für einen fast gleichen Lohn länger arbeiten und auf im Westen übliche Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld verzichten. Die Hinweise auf die Tarifangleichung sagen also nichts aus über die tatsächliche Ungleichbehandlung. Das einkommensstärkste Land im Osten – Brandenburg – liegt bei einem Vergleich immer noch weit abgeschlagen hinter dem  einkommensschwächsten Land im Westen – Schleswig-Holstein.

Verlierer eines Wegfalls der Höherwertung wären die Jüngeren, die zukünftigen Rentnerinnen, die heute in Branchen arbeiten, deren Löhne bei weitem noch nicht das Westniveau erreicht haben, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Die haben übrigens auch kein Geld über für den Aufbau einer privaten Altersvorsorge und sind auf die gesetzliche Rente angewiesen. Das bedeutet, dass dieses Problem auch vor dem Hintergrund drohender Altersarmut betrachtet werden muss.

Überhaupt nicht zielführend ist in diesem Zusammenhang übrigens der Hinweis auf die im Durchschnitt höheren Zahlbeträge im Osten. Sie beruhen in der Regel auf durchgehenden Erwerbsbiographien, vor allem auch bei Frauen, was im deutschen Rentenrecht mit seinem Äquivalenzprinzip positiv auf die Rentenhöhe wirkt. Vor allem aber verzerrt dieser Blick auf die gesetzliche Rente das tatsächliche Bild der Alterseinkünfte in Deutschland. Im Zuge der Einheit wurden alle Berufsgruppen der DDR, also auch die vergleichsweise hohen Einkommen in die gesetzliche Rente überführt.

In der Bundesrepublik sind besserverdienende Berufsgruppen häufig in anderen Versorgungssystemen abgesichert. Sie gehen mit ihrem Alterseinkommen nicht in die Statistik der gesetzlichen Rente ein. Über die Hälfte der Männer in den alten Ländern, die mit einer monatlichen Rente von 300 Euro in die Rentenstatistik eingehen, bezieht gleichzeitig eine Beamtenpension. Über 30 % der Männer haben eine betriebliche Altersversorgung.
Dazu kommen im Westen Einkünfte aus Vermögen, Vermietung und Verpachtung oder privaten Renten- und Lebensversicherungen. Die Rentnerinnen im Osten sind im Alter fast ausschließlich auf ihr Einkommen aus der gesetzlichen Rente angewiesen. Das kann also kein Argument sein, die verbliebenen Ungerechtigkeiten im Rentenrecht beizubehalten.

Eine Lösung muss natürlich auf zwei Ebenen erfolgen. Wir brauchen verstärkte Anstrengungen für die Lohnangleichung Ost und West. Ein Schritt dazu wäre der immer wieder eingeforderte gesetzliche Mindestlohn.

Und wir brauchen eine beschleunigte Angleichung des Rentenwertes Ost und West über zeitweise steuerfinanzierte Zuschläge. Je schneller die Lohnangleichung erfolgen würde, desto geringer werden die Kosten für einen befristeten steuerfinanzierten Zuschlag. Und desto eher würde sich eine spezielle Höherwertung der Einkommen in den neuen Ländern zumindest für die Zukunft erübrigen. Es würde also auch Druck auf eine schnellere Angleichung der Einkommensverhältnisse in Ost und West entstehen.