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Sabine Dirlich zu TOP 07: Zugang zur Arbeitslosenversicherung verbessern – Rahmenfristen und Anwartschaften im SGB III neu regeln

Gern und immer wieder wird in Deutschland das System der sozialen Sicherung gelobt. Das schein auf den ersten Blick zu stimmen und berechtigt zu sein. Denn das ist im Grunde genommen im Großen und Ganzen tatsächlich so. Ein Beispiel ist die Arbeitslosenversicherung, die Menschen absichern soll, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Schaut man allerdings genauer hin, dann stellt man fest, dass, der Teufel wie immer, im Detail steckt.  
 
In den letzten Jahren war der Fokus unserer Arbeit sehr stark auf das Hartz-IV-System gerichtet, das zurzeit die größeren Probleme hervorbringt. Wir haben uns vorgenommen, dass möglichst keine Landtagssitzung vergehen soll, ohne dass wir ein arbeitsmarktpolitisches Thema auf die Agenda  nehmen. Heute soll unser Blick aber mehr auf die Arbeitslosenversicherung gerichtet sein, die aus unserer Sicht weit weniger versichert, als landläufig angenommen wird. Es gibt nämlich in Deutschland eine große Zahl versicherungspflichtig Beschäftigter, die sehr wohl in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, aber trotzdem sofort in Hartz IV fallen, wenn sie arbeitslos werden. Die Gründe sind unterschiedlich. Vor allem passiert es, weil sie zu kurz beschäftigt sind, weil ihr Lohneinkommen zu gering ist oder weil beides der Fall ist.  

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rutscht inzwischen jeder vierte Erwerbslose - das sind 25 % - direkt, ohne Umweg in Hartz IV. Das heißt, die Menschen haben überwiegend ständig kurze Beschäftigungen oder sie sind Aufstocker.  
 
Nun könne man ja sagen: Das ist nun einmal so. Aber das Problem ist leider hausgemacht. Es ist leider politikgemacht. Ursache für diese Entwicklung sind maßgeblich die arbeitsmarktpolitischen Fehlentscheidungen im Rahmen der sogenannten Hartz-Gesetze, die ab dem Jahr 2002 unter der SPD und den GRÜNEN getroffen worden sind und von den nachfolgenden Regierungen fortgesetzt worden sind. Die Hartz-Gesetzgebung fördert nämlich auf der einen Seite prekäre und kurzfristige Beschäftigungen sowie einen wachsenden Niedriglohnsektor. Sie fördert Leiharbeit mit immer kürzeren Beschäftigungszeiten. Auf der anderen Seite wird die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung immer weiter eingeschränkt. Die sogenannte Rahmenfrist - das ist der Zeitraum, innerhalb dessen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Anspruch auf Arbeitslosengeld I erwerben können - wurde von ursprünglich drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt. Das heißt, dass man in den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein muss, um Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben.  
 
Das hat zur Folge, dass viele Betroffene gar keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld I erwerben, weil sie immer nur ganz kurzfristig beschäftigt sind. Das ist inzwischen nicht mehr nur ein Phänomen der Leiharbeit oder ein Phänomen in der Touristik- oder der Kulturbranche, auch wenn diese Branchen wegen der Saisonproblematik ganz besonders davon betroffen sind.  
 
Auch eine im Sommer 2009 beschlossene Sonderregelung hat sich als unzureichend erwiesen. Monitoringberichte der Bundesregierung zeigen, dass nur etwa jeder dritte entsprechende Antrag genehmigt wurde, weil die Antragstellerinnen die restriktiven Zugangsbedingungen, die an diese Sonderregelung geknüpft waren, nicht erfüllen konnten. Die Antragstellerinnen dürfen zum Beispiel überwiegend nicht länger als sechs Wochen beschäftigt gewesen sein. Sie dürfen immer nur Beschäftigungen gehabt haben, die nicht eine Woche oder einen Tag länger als sechs Wochen gedauert haben. Das heißt, wenn sie auch nur einmal eine Woche länger arbeiten, sind sie bereits aus der Sonderregelung herausgefallen.  
 
Folgerichtig hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit schon im Dezember 2009 in einem dpa-Interview gesagt: „In diesen Fällen müssen wir tatsächlich überprüfen, ob die bestehende Anwartschaftsregelung für das Arbeitslosengeld I noch passt.“  
 
„Noch“ bedeutet, sie hat irgendwann einmal gepasst, aber jetzt passt sie eben nicht mehr.  
 
Genau darauf zielt unser heutiger Antrag ab. Die jetzige zweijährige Rahmenfrist soll wieder auf drei Jahre angehoben werden, sodass die Leute einfach mehr Zeit haben, die Bedingungen zu erfüllen, und die restriktiven Zugangsbedingungen sollen gelockert werden. Da diese Regelungen nur auf der Bundesebene geändert werden können, soll die Landesregierung aufgefordert werden, sich genau dafür einzusetzen.
 
Noch einige Worte zum Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlieren. Ich kenne das Konzept der GRÜNEN nicht genau, aber ich habe beim Lesen beispielsweise festgestellt, dass wir zunächst über den Punkt 1 diskutieren müssten.  
 
Im Moment ist es so, dass jemand, der ein volles Jahr gearbeitet hat, Anspruch auf ein halbes Jahr Arbeitslosengeld I hat. Das ist die 2:1-Regelung, die in dem Antrag angesprochen wird. Darüber kann man, glaube ich, diskutieren. Man müsste es aber auch tun, damit wir uns darüber verständigen können, um was es dabei geht.  
 
Dem Punkt 2, dem Gründungszuschuss, kann ich vorbehaltlos zustimmen. Wir haben in diesem Antrag ausdrücklich nur einen beschränkten Fokus auf ein ganz bestimmtes Problem gelenkt. Das war Absicht. Aber man muss es so nicht lassen.  
 
Zu dem dritten Punkt ist ebenfalls eine Diskussion notwendig. Es klingt ganz gut zu sagen: Lasst doch einfach einmal alle Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur beiseite. Die Leute müssten keine Anstrengungen mehr unternehmen, um irgendwelche Dinge nachzuweisen, Mitwirkungs- und Nachweispflichten entfielen. Die rennen sich ja einen Wolf. In der Zeit kann sich die Bundesagentur für Arbeit um wichtigere Dinge kümmern. Das klingt alles gut und funktioniert im Übrigen auch jetzt schon bei Leuten, die allein klarkommen. Aber spätestens dann, wenn Hilfe notwendig ist, funktioniert es nicht mehr.  
 
Wir waren gestern gerade bei dem Chef einer solchen Agentur. Er sagte auch, dass das Problem im Moment auch darin besteht, den Unternehmerinnen zu helfen, bestimmte Regelungen zu treffen, damit die von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen gar nicht erst arbeitslos werden. Des Weiteren müsste man Menschen, die arbeitslos werden - die Leute werden immer älter, wenn sie von Arbeitslosigkeit betroffen sind -, Umschulungen und Beratungen anbieten, damit sie gar nicht erst in das tiefe Loch hineinfallen und gar nicht erst lange arbeitslos sind und sich vergeblich um Arbeit bemühen. Man sollte sie vielmehr gleich beraten, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln könnten. Aus meiner Sicht sind in jedem Fall von Anfang an Vermittlungsbemühungen notwendig. Deshalb müsste man erst einmal darüber diskutieren, ob man einen solchen Punkt tatsächlich fördern will.  
 
Wenn wir darüber diskutieren wollen, schlage ich vor, beide Anträge in den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen.