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Jan Wagner zu TOP 22: Netzneutralität gesetzlich festschreiben

Die „Drosselkom“ macht ernst. Was seit Jahren durch die Deutsche Telekom AG (DTAG) vorbereitet und im politischen Raum kommuniziert wurde, steht unmittelbar bevor: Das Ende der Flatrate-Tarife rückt nah, die „Güteklassen“ kommen. Viel Aufregung gab es um die Ankündigung anfangs der Woche, nachdem die DTAG eine neue Tarifstruktur etablieren möchte. Dabei will sie Datenvolumenbegrenzungen in die Tarifstruktur leitungsgebundener Internetversorgungsverträge aufbauen, wie wir sie von den Mobilfunktarifen bereits kennen. Das begründet sie mit einer sich abzeichnenden zu hohen Auslastung im Hintergrund des Netzes, dem Backbone.

Doch die Absicht ist selbstverständlich eine andere. Die DTAG will Kasse machen, indem sie sowohl den Zugang zu einem Medien - wie hier dem Internet - anbietet, als auch zu einem großen Inhalteanbieter aufsteigt oder exklusiv mit anderen Inhalteanbietern entsprechende Verträge abschließt. Als ich in der Begründung unseres Antrages den Telekom-Spotify-Deal als „einleuchtendes Indiz“ formulierte, wusste ich auch nicht, wie schnell das Thema nun mitten in der Gesellschaft angekommen ist.

Die Empörung über die Ankündigung der DTAG in der Bevölkerung ist groß – und das völlig zu Recht. Die Menschen im Land wissen, dass die Ankündigung zunächst für sie eine Einschränkung des bisherigen Netzverhaltens oder teurere Tarife bedeuten. Wenn das Internet, wie hier an dieser Stelle erst vor fünf Wochen von uns und vorher vom Bundesgerichtshof festgestellt, unerlässlich für die wirtschaftliche und soziokulturelle Existenz ist, so ist eine Drosselung ein Schlag ins Kontor all jener, die maßgeblich durch das Netz ihre soziale Teilhabe wiederentdecken und erhöhen und ein umfassendes Bildungsangebot wahrnehmen konnten. Dass die DTAG nun sowohl Netzzugänge und Inhalte anbietet, dies aber kausal verknüpft, muss auch kartellrechtlich geprüft werden.

Kommen die Tarife, fiele es anderen Internet Service Provider zusehend schwerer mit Flatratetarifen am Markt zu konkurrieren, da diese ohne eine weitere Monetarisierung durch Inhalteangebote funktionieren. Die Ansage von vodafone, selbst keine „Güteklassen“ einführen zu wollen, können vor diesem Hintergrund nur vorsichtig wahrgenommen werden, zumal der große Konkurrent der DTAG im leitungsgebundenen Internetversorgungsmarkt die 1&1 Internet AG ist. Zum Glück will auch diese die Netzneutralität wahren. Es bleibt unklar, ob ihr dies dann noch gelingen kann. Bestimmt sei auch 1&1 froh, wäre die Netzneutralität gesetzlich garantiert.

Wirtschaftlich macht die Netzneutralität Sinn. Ausnahme ist der bereits angesprochene DAX-Konzern. Dass im Netz sich neue Wirtschaftspotenziale bilden konnten und Innovation entstand, liegt an der diskriminierungsfreien Weiterleitung der Internetpakete.

Man stelle sich eine solche Regelung im Straßenverkehr vor. Auf den Autobahnen dürfen nur noch jene Transporte fahren, die sich die Finanzleistungen an den Autobahnbetreiber leisten können, also Großunternehmen, die klein- und mittelständigen Unternehmen müssten auf die Land- und Kreisstraßen ausweichen. Für wen wird hier der wirtschaftliche Vorteil geschaffen? Wem genommen? Es leuchtet ein, dass dadurch, dass jeder darf, auch gleichberechtigt gewirtschaftet werden kann. Und das ist im Netz nicht anders. Zumal, und das ist mir als LINKER wichtig, Netzverkehr eben nicht immer nur ein Wirtschaftsgut ist, sondern einen bedeutenden Anteil an sozialer und kultureller Teilhabe verwirklicht.

Für viele bedeutet die Ankündigung der „Güteklasse“-Tarife ein Ende des Internets, wie sie es kennen. Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien sehen kurze oder gern auch längere Lehrvideos auf Youtube, Professorinnen und Professoren stellen Material bei vimeo oder Slideshare parat. Beeindruckende hochauflösende Grafiken, die Bildung und Kultur niedrigschwellig der breiten Masse der Bevölkerung zur Verfügung stehen – all das benötigt Bandbreite ohne Volumenbegrenzung.

Ich will, dass die Menschen in unserem Land weiterhin ein breites kulturelles und Bildungsangebot genießen können. Ich will, dass der Zugang zu sozialen Medien und medialen Angeboten nicht noch mehr vom Klingelbeutel der Familien abhängt. Und ich will, dass nicht die Hardware- oder Softwareausstattung Gründe werden, den Zugang zu den Inhalten des Netzes einzuschränken.

Natürlich hat die politische Diskussion um die Netzneutralität noch eine ganz andere Dimension. Die DTAG hat schließlich nicht wirklich vor, Mehreinnahmen zum Breitbandausbau zu generieren. Sie will, dass auch mit Drosselung für einzelne Dienste und Inhalte die komplette Bandbreite weiterhin gelten solle. Das betrifft vor allem HD-Streaming, also einen der Dienste, der am höchsten in der nächsten Zeit das Netz belasten wird. So viel zum vorgeschobenen Argument der DTAG. Übrigens ist es ja auch bisher keinem gelungen den Engpass im Backbone konkret aufzuzeigen und vor allem, wie eine Volumenbegrenzung diesen entlasten würde.

Nein, das Problem mit den „Güteklassen“, der Drosselung und den Durchleiten bestimmter Inhalte ist der, dass der Internet Service Provider ja wissen muss, welcher Inhalt übertragen wird, um die Datenpakete entsprechend priorisieren oder minorisieren zu können. Einfache Portscans, ein schauen auf Metadaten also, reichen da natürlich nicht aus. Viel zu viele Internetinhalte wurden in letzter Zeit ins Web überführt – eine Entwicklung ich persönlich sehr bedauere, zugegeben politisch aber nicht weiter relevant ist.

Um die Inhalte zu klassifizieren, muss man weg von den Metadaten und „rein“ schauen. Sie hören richtig: Um in Güteklassen die gewünschten Dienste nach wie vor mit voller Bandbreite durch das Netz zu leiten, muss der Interne Service Provider hinein schauen. Nun ist in der Regel die Netzkommunikation nicht verschlüsselt und die Daten schon jetzt mitzulesen. Aber an jedem Knoten eines ISP alle Pakete direkt, live, mitzulesen und auf die Inhalte zu schauen, stellt eine nie dagewesene Qualität dar, die aus Sicht der LINKEN ein nicht zu rechtfertigender und unverhältnismäßiger Eingriff in unser aller Kommunikationsverhalten ist. Um das zu realisieren, ist ein erheblicher Aufwand notwendig, es müssen Strukturen geschaffen und eine entsprechende Technik flächendeckend implementiert werden. Die Technik steht zur Verfügung. In China und im Iran wird sie nachweislich erfolgreich eingesetzt, um Inhalte ganz zu sperren. In Deutschland hat das auch schon funktioniert: So erlaubte es die DTAG im Mobilfunk nicht, den Kommunikationsdienst Skype zu nutzen, z.B. auch bei UMTS-Surfsticks, die teilweise gar nicht zum Telefonieren taugen.

Egal, welche Technik, wie sie heißt oder wie gut sie ist, die Daten flächendeckend auf ihre Inhalte mitliest und diskriminiert, darf aus Sicht unserer Fraktion generell nicht eingesetzt werden. Aktuell reden wir über die Deep Package Inspection. Ja, hier passiert genau das. Diese DPI wird installiert, um „Güteklassen“ erst möglich zu machen. Technik ist jedoch nicht neutral. Und die Auswirkungen von Technik müssen mit Weitblick betrachtet werden. Nicht wenigen Sicherheitsbeamten läuft das Wasser im Mund zusammen mit Blick auf die Möglichkeiten, Telekommunikationsinhalte flächendeckend abgreifen zu können.

Nun schauen wir einen Blick auf die aktuelle Gesetzgebung. Da gibt es den § 41a im Telekommunikationsgesetz, der die Überschrift „Netzneutralität“ erhalten hat. Dieser regelt in Absatz 1 eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates gegenüber Unternehmen, die Telekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern; sie berücksichtigt hierbei die europäischen Vorgaben sowie die Ziele und Grundsätze des § 2.

§ 2 wiederum formuliert die Ziele der Telekommunikationsgesetzgebung, z.B:

  • die Wahrung der Nutzer-, insbesondere der Verbraucherinteressen auf dem Gebiet der Telekommunikation und die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses,
  • die Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs und die Förderung nachhaltig wettbewerbsorientierter Märkte der Telekommunikation im Bereich der Telekommunikationsdienste und -netze sowie der zugehörigen Einrichtungen und Dienste, auch in der Fläche,
  • die Sicherstellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen, auch unter Berücksichtigung der Belange des Rundfunks.

Sowohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk als auch die Landesmedienanstalten betrachten die Bestrebungen von Telekommunikationsdienstleistern durch die Verknüpfung von Netzzugang und Inhaltsangebot so, dass ein rechtsfreies Rundfunkangebot generiert wird.

Die Bundesregierung ist vom Bundesgesetzgeber bereits ermächtigt, mittels Rechtsverordnung die Ziele der Telekommunikation auch zur Beibehaltung der Netzneutralität zu wahren. Und was macht unsere Bundesregierung? Das, was sie am besten kann: Nix!

Die IT-Beauftragte des Bundes, Cornelia Rogall-Grothe, beklagt die Ansage der DTAG und fordert sie auf, „sich das noch mal zu überlegen“, wie sie in einem Interview im MDR Info verlautbaren lies. Der Bundeswirtschaftsminister schreibt einen Brief an den Vorstand der DTAG, von der Presse als Brandbrief tituliert. Was für ein schlechter Witz! Er, Rösler, hat es in der Hand, die Netzneutralität zu wahren.

Aber es zeigt: Eine Verordnungsermächtigung reicht eben nicht aus. Die Netzneutralität muss gesetzlich festgeschrieben werden. Nur so können wir unseren Anspruch an ein echtes und freies Netz wahren. Nur so sichern wir die Netzneutralität. Nur so bewahren wir uns unsere Zugänge zu Bildung, Kultur, sozialen Kreisen und wirtschaftlichen Potenzialen im Netz.

Aus Reihen der Koalition erhalten wir einen Alternativantrag, der diesmal ausnahmsweise tatsächlich eine Alternative und nicht nur eine Änderung ist. Schließlich geht es um die Frage: Machen wir was oder lassen wir es?

Die Koalitionsfraktionen wollen die Netzneutralität „stärken“. Netzneutralität besteht oder nicht. Ein bisschen Netzneutralität gibt es nicht. Insofern ist es sachfremd, wenn die Koalition vorschlägt, die Netzneutralität „stärken“ zu wollen.

Ja, die Netzneutralität reguliert den freien Wettbewerb für Internet Service Provider. Und zwei Gründe habe ich ausführlich dargelegt:

  • Es geht um eine kartellrechtlich neu zu bewertende Vermengung von Netzzugangsversorgung und der Bereitstellung von Inhalten.
  • Und dass alle Datenpakete auf Inhalte durchleuchtet werden müssen, damit dieser von ihnen als freier Wettbewerb titulierte Wettbewerb stattfinden kann, ist ein eben nicht hinnehmbarer Einschnitt in die Privatsphäre.

Ich habe schon angesprochen: Die Güteklassen rentieren sich nur, wenn man Inhalte mitlesen kann, was nur deswegen flächendeckend funktioniert, da bislang kaum verschlüsselt wird. Das soll aber zunehmen. Ich habe Thomas Grob, Senior Expert für Regulierungsfragen bei der DTAG, im letzten Jahr in unserer Landesvertretung in Berlin auf einer netzpolitischen Konferenz persönlich gefragt, wie die DTAG mit dem Durchleiten von verschlüsselten Daten umgehen, falls sie die Netzneutralität aufkündigten. Antwort: Keine Antwort!

Ich möchte daher, bevor wir in die Debatte einsteigen, die Landesregierung und die Fraktionen fragen, wie sie sich die Durchleitung verschlüsselter Daten unter der Aufkündigung der Netzneutralität vorstellen. Wir reden über Authentifizierungssysteme, DE-Mail, die DIE LINKE aus guten Gründen ablehnt, E-Government oder den neuen Personalausweis, der glücklicherweise einen bescheidenen Start erlebte, aber ja gerade z.B. zur Signatur und Verschlüsselung staatlichen Kommunikationsdokumente eingesetzt werden soll. Welche Güteklasse wird hier die verschlüsselte Kommunikation erhalten?

Wir müssen jetzt ganz schnell handeln und die Netzneutralität sichern. Es ist offensichtlich, dass dies nur gesetzlich geht. DIE LINKE fordert das echte und freie Internet. Als Partei der Freiheit können wir weitere Einschränkungen hier nicht mehr mitmachen und sind guten Mutes, dass auch die weiteren drei Fraktionen jene nicht gutheißen können.

Stimmen Sie für die gesetzliche Sicherstellung der Netzneutralität.