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Jan Wagner zu TOP 16: Vertrauliche Kommunikation fördern

Seit Mitte 2013 wissen wir: Geheimdienste über¬wachen systematisch und in einem von kaum jemand erahnten Ausmaß die Kommunikation des Internets. Wir verdanken die Erkenntnis, welche wir seitdem und bis heute andauernd über einzelne Programme erfahren, den Leaks des Whistleblowsers Edward Snowden. Er hat unter hohem persönlichen Risiko Beweise und Quellmaterial an Journalisten heraus¬gegeben und in Unkenntnis darüber, wie sich dies auf sein persönliches Leben auswirkt, den globalen Überwachungsskandal aufgedeckt. Vor wenigen Tagen erhielt er für diesen Mut die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Vor rund einem Monat wurde ihm der sog. „alternative Nobelpreis“ zugesprochen. DIE LINKE freut sich über diese Entscheidungen und und stellt fest, dass Edward Snowden den alternativen Nobelpreis verdient hat.

Sicherlich ist das größte mit den Leaks verbundene Problem das der Geheimdienste insgesamt. Da die Erkenntnis, dass in Geheimorganisationen die Gefahr der Eigendynamik ausufern kann, und ferner die Erkenntnis, dass eine wie auch immer implementierte anlasslose Überwachung der Bevölkerung keinen objektiven Sicherheitsgewinn bedeuten muss, wohl noch ein paar Erinnerungen aus der Opposition benötigen, bis diese sich auch im breiten parlamentarischen Raum durchsetzen, halten wir es daher für geboten auf anderen Wegen zu schauen, wie wir die Freiheitsgrundrechte als Land Sachsen-Anhalt und im Einklang mit den Bedarfen in der Bevölkerung bei unserer Internetkommunikation aufbauen und aufrecht erhalten.

Es geht also darum, welche schnellen und nicht allzu komplizierten Maßnahmen das Land unternehmen kann, die vertrauliche Kommunikation, hier über das Internet, zu fördern und zu gewährleisten. Der Staat als Adressat der Grundrechte, als Adressat für den Persönlichkeits- und Datenschutz sowie z.B. das Postgeheimnis muss auch in einer Situation wie der heutigen prinzipiell in der Lage sein, dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung „sicher“ zu kommunizieren, nachkommen. Deswegen stellt die Fraktion DIE LINKE heute den Antrag mit dem Titel „Vertrauliche Kommunikation fördern“.

Mit der Entschließung „Gewährleistung der Menschenrechte bei der elektronischen Kommuni¬kation“ der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder liegt ein 12-Punkte-Papier vor, welches kurz und knapp die wichtigsten Grundlagen darlegt, was der Staat und was die öffentliche Verwaltung auf technischer Ebene unternehmen kann, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Ich bin auch sehr froh, dass die Datenschutzbe-auftragten die Formulierung „Gewährleistung der Menschenrechte“ verwendet haben. Ja, es geht um nichts anderes. Wir wollen, dass die geltenden Grundrechte mit „ins Digitale gerettet werden“. De facto gibt es durch die Digitalisierung eben auch eine Schwächung von z.B. dem Postgeheimnis und dem Datenschutz.

Dem Mainstream, den Prozess der Digitalisierung zur Aufgabe oder Einschränken von Bürgerrechten zu nutzen, verwehren wir uns. Ganz im Gegenteil sagen wir: Rechte, die als zivilisatorische Errungen¬schaften offline gelten, müssen auch online fortbestehen.
Was ist nun im konkreteren mit vertraulicher Kommunikation gemeint? Zwei Personen, die miteinander rede, schreiben, chatten, mailen oder non-verbal interagieren, wollen häufig, dass besonders im privaten Raum sowohl die Inhalte von Gesprächen als auch das Stattfinden von Gesprächen nur jene „etwas angeht“, mit denen wir reden und schreiben.
Oder wir wollen, dass nur vertrauensvolle Institutionen Kenntnis erhalten und dann selbst für die weiterführende Vertraulichkeit verantwortlich sind.
In der Offline-Welt hinterfragt aufgrund dieser Trivialität kaum jemand die Existenz von Briefumschlägen, hoheitlichen Boten, notariellen Beglaubigungen. In der Online-Welt ist die Sache unheimlich komplizierter. Viel einfacher können Informationen und Inhalte abgefangen, eingesehen und u.U. sogar ohne augenscheinliche Sichtbarkeit verändert werden. Vertraulich zu kommunizieren heißt hier auch, sich der Authentizität der Inhalte gewiss sein zu können. Und hier kommen die technischen Methoden ins Spiel, die uns das institutionelle Vertrauen aus der Offline-Welt ins Digitale übertragen und die die Echtheit der Inhalte gewährleistet. Diese technischen Maßnahmen werden – bewusst oberflächlich betrachtet – unter den elektronischen Signaturen und der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung subsummiert.

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung heißt, dass nur Adressaten und Empfänger Inhalte von Kommunikationsvorgängen einsehen können. Das einfache Recht, dass zumindest private und intime Inhalte vor den Blicken Dritter geschützt werden, kann also heute bereits umgesetzt werden. Allein, es fehlt oft die politische Einsicht, manchmal auch das politische Know-How und gerade nach den Snowden-Leaks wohl auch die angemessene politische Priorität. Um die Priorität zu erhöhen, müssen wir a) ein Angebot unterbreiten, dass z.B. Bürgerinnen und Bürger mit den Landesministerien und -behörden vertraulich kommunizieren können und b) dafür werben und darin bilden. Es soll also eine kurze, aber erklärende Information auf der hoheitlichen Website des Landes entstehen und beworben werden, die erklärt, wie diese Kommunikation im Internet zustande kommen soll. Und es muss wohl noch Bildungsarbeit dafür geleistet werden.

Die Beschränkung auf behördlichen Verkehr ist sicherlich nur exemplarisch zu verstehen. Je nachdem wie, sollen durch die Systeme natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger so geschützter im Netz E-Mails verschicken und empfangen können. Diese Frage stand ja schon im Zentrum des ersten offenen Bürgernetz-Forums der Landeszentrale für politische Bildung im April diesen Jahres. Hier wurde uns noch einmal vor Augen geführt, dass es Ansprüche an das Land gibt, hier auch Bedingungen zu fördern, die die reine private Kommunikation im Netz als vertraulich schützt.

Wir haben als Fraktion überlegt, wie wir diesen Ansprüchen real entsprechen können. Als jenes technische Werkzeug, welches abgesicherte Kommunikation bewerkstelligen soll gilt die sog. PKI des Landes. Wir als Abgeordnete kennen dieses System durch unsere Anbindung an das SALSA-System. Inwiefern in der weiteren Entwicklung die landeseigene PKI dafür geeignet ist, wissen wir heute auch noch nicht, weswegen wir einen Prüfauftrag fordern, dies zu bewerten und ein ggf. Aufwuchs darzustellen.

Letztendlich gibt es Rahmenbedingungen, von denen der Erfolg der Förderung vertraulicher Kommunikation stark abhängt, die wir nicht als Land oder gar nur als Gesetzgeber beeinflussen können. Überhaupt handelt es sich also um eine Frage gesellschaftlicher Akzeptanz von eigenen Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung von Grundrechten. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück.

Die aus meiner Sicht größte gesetzliche Hürde, die zur Etablierung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung besteht, ist das De-Mail-Gesetz des Bundes. Das ist für mich eine wesentliche Erkenntnis, die sich in der Arbeit der aktuell einberufenen Enquete-Kommission bereits herauskristallisiert hat.
Mit diesem Gesetz soll unter Aufbau eines eigens dafür geschaffenen zusätzlichen Geschäftsmodells für Mailanbieter ein der E-Mail systemfremdes Kommunikationsmodell kostenpflichtig aufgebaut werden. In diesem System ist die Entschlüsselung und somit das automatisierte Einsehen der Kommunikationsinhalte systemisch vorgeschrieben.
Das ist schlimm genug dafür, dass es sich wahrscheinlich gesellschaftlich nicht durchsetzen wird. OK. Das nützt uns aber erst einmal wenig, wenn die Etablierung einer sicheren Kommunikation unser vorrangiges politisches Ziel ist. In der Konsequenz heißt das, dass die Forderung nach Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in der Bundesgesetzgebung eine Auflösung des De-Mail-Gesetz bedeutet. Wir beantragen dies so.

Und nun noch einmal zur Frage von Verantwortung und Eigenverantwortung:
Beim Bürgernetzforum vertrat der Wissenschafts-Staatssekretär, stellvertretend, aber im Namen der CDU-Fraktion, die These, dass die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger die Antwort auf die Herausforderung der Digitalisierung sei. Ich will die Frage eines Teilnehmers wiederholen. Wie soll eine Bürgerin oder ein Bürger denn seine Eigenverantwortung wahrnehmen, wenn supranationale Unternehmen oder der Staat auf Bundesebene technische Überwachungstechnologien anwenden?

Nein, ich finde, Eigenverantwortung, also, Verantwortung, hat eben auch der Staat, der diese nicht pauschal auf die Bürgerinnen und Bürger abgeben kann. Somit gilt die vorgetragene Bekundung zur Verantwortung eben auch und insbesondere für den öffentlichen Raum. Eigenverantwortung zu fordern und zu meinen, in diesen Begriff staatliche oder gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit zu stecken, ist nach Ansicht der LINKEN allenfalls der Wunsch selbst als staatliche Verantwortliche untätig zu bleiben.
Ein solche – eigene – Verantwortungslosigkeit des Staates können wir nicht mittragen. Das heißt, wir werden weiterhin darauf bauen, dass sich Bürgerinnen und Bürger selbst vor Überwachung schützen müssen, so blöd wir das finden. Wir werden weiterhin eine aktive Bürgergesellschaft brauchen, die von sich aus, ohne staatliche Bindung selbst Verantwortung übernimmt. Aber als Landtag müssen wir unsere Hausaufgaben schon selbst machen, weswegen der Hinweis auf die Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern nicht taugt.

Unser heutiger Antrag hat eine kleine Vorgeschichte. Jetzt muss ich Ihnen gestehen, dass diese Idee dieses Antrags nicht von uns allein kommt. Wir haben festgestellt, dass im alten Thüringer Landtag ein ähnlicher Antrag von meiner geschätzten Kollegin Katharina König eingebracht wurde und letztlich in einer Beschlussfassung des dortigen gesamten Plenums mündete. Es ist augenscheinlich legitim und geboten, dass die Länder sich nun von selbst auf den Weg machen, die vertrauliche Kommunikation zu fördern. Wir haben die ursprüngliche Antragsidee für das Land adaptiert. Insofern sehe ich in der Antragsbefassung in unserem Nachbarland ein gutes Omen für heute.

Als Land haben wir die Pflicht, unseren Handlungs¬spielraum zu nutzen, um – in Analogie zum Landesbeauftragten für den Datenschutz – die Menschenrechte bei der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten.