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Jan Wagner zu TOP 16: Überwachungssoftware stoppen – Freie Lehrmaterialien fördern

Es geht wieder einmal um das Urheberrecht. Der Tag endet, wie er angefangen hat. Ging es heute früh noch ein bisschen abstrakt zu, so machen wir es jetzt ein bisschen konkreter. Es lassen sich Parallelen zwischen den Debatten feststellen. Sie werden allerdings auf unterschiedlichen Ebenen geführt. Heute früh habe ich versucht auszuführen, dass die Vermanifestierung des Urheberrechts in ACTA festgeschrieben wurde. Nunmehr geht es um einen Vertrag. Es geht um den Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 des Urheberrechtsgesetzes. In diesem Vertrag ist ebenfalls eine Vermanifestierung des Urheberschutzes nach dem klassischen Modell enthalten. Es geht in diesem Vertrag um nichts anderes als um eine Monopolsicherung, in diesem Fall um eine Monopolsicherung von Schulbuchverlagen.
Das Resultat ist, dass nicht nur in diesen Vertrag eine Überwachungssoftware aufgenommen wurde, um die es hier hauptsächlich gehen soll. Vielmehr muss das prinzipielle Problem des Urheberrechts im Bildungsbereich an Schulen thematisiert werden.  

Wir alle wissen, dass Schulbücher teuer sind. Das hat unterschiedliche Gründe. Die Einführung einer Überwachung an Schulen kann aber nicht die Antwort sein auf die Probleme, die uns das Urheberrecht bereitet.

Kommen wir kurz zur Urheberrechtsproblematik konkret an den Schulen. Wie sieht das teilweise aus? Es gibt viele Sachen, die Lehrerinnen und Lehrer eigentlich nicht tun dürfen, nämlich zum Beispiel aus bestimmten Büchern einfach einmal eine Fotokopie erstellen und dann in der Klasse verteilen. Wir alle wissen aber, dass dies Alltag ist, und zwar nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern prinzipiell im Bildungswesen, aber nicht nur an Schulen. Es geht teilweise auch darum, dass digitale Werke in einem Rahmen in die Bildung einfließen, der nach den Lizenzmodellen eigentlich nicht erlaubt ist. Tagtäglich finden an Schulen Urheberrechtsverletzungen statt. Das meine ich nicht böswillig. Das liegt einfach daran, dass Unterricht einfach nicht anders zu machen ist. Genau das ist das Dilemma, vor dem viele Lehrerinnen und Lehrer stehen. Gerade auch die Nutzung multimedialer Elemente in der Schule, das Aufkommen optischer Datenträger und das Bereitstellen von Lehrmaterialen über das Internet haben die Urheberrechtsproblematik an Schulen weiter verschärft. Wenn man das Problem sieht, dann sucht man eventuell auch gern nach einer Lösung. Die Lösung, die den Schulbuchverlagen eingefallen ist, ist eine Überwachungssoftware. Das ist nichts anderes als wiederum ein restriktives Element zur Durchsetzung des klassischen Urheberrechts, was wir heute früh heftig kritisiert haben.  
Wie soll diese Überwachungssoftware denn funktionieren? Konkret hat die Landesregierung bereits auf eine Kleine Anfrage geantwortet: Konkrete Abwägungen zum Einsatz der Software können erst dann angestellt werden, wenn diese vorliegt.  
Normalerweise gebe ich eine Software aber erst dann in Auftrag, wenn ich weiß, was diese Software am Ende tun soll. Im Grunde genommen steht das aber fest. Diese Software wird auf Schulcomputern installiert, und im Hintergrund werden Daten, die sich ändern, analysiert, heuristisch oder auch durch Übertragung ins Internet. Dabei wird versucht festzustellen, ob Urheberrechtsdelikte tatsächlich auftauchen.  

Dass diese Software zwingend Daten analysieren und unter Umständen über das Internet vermitteln muss, welche keine Plagiate sind, unter Umständen E-Mails aus dem Geschäftsverkehr, vielleicht sogar private E-Mails, vielleicht Sachen, die das Schulwesen an sich überhaupt nicht betreffen, oder Lehrmaterialien, die tatsächlich frei sind, das ist im Allgemeinen durch diese Software nicht festzustellen, aber übermittelt wird erst einmal, und zwar an die Verlage. Das ist zumindest datenschutzrechtlich bedenklich. Deswegen formuliert die Landesregierung auch, dass die Software nur dann zum Einsatz komme, wenn sie technisch und datenschutzrechtlich unbedenklich ist. Unabhängig davon, wie die Landesregierung sich selbst in die Lage versetzen kann, das festzustellen, ist es immerhin ein gutes Zeichen, dass man sich diese hohe Hürde setzt.

Die Überwachungssoftware, von der ich rede, hatte Ende Oktober hohe Wellen geschlagen, damals unter dem Begriff Schultrojaner. Ich möchte diesen Begriff nur einmal gesagt haben und ihn sonst meiden, weil diese Software kein Trojaner ist. Ganz im Gegenteil, die Lehrerinnen und Lehrer werden vorher darüber informiert, dass diese Software auf den Rechnern läuft, an denen sie arbeiten müssen. Nichtsdestoweniger ist diese Überwachungsmaßnahme, auch wenn sie vielleicht gut gemeint ist und auch wenn sie weniger die privaten Rechner betrifft, anlasslos und ansatzlos. Anlasslose und ansatzlose Überwachung sollte aus unserer Sicht kein Element in der Arbeitswelt sein. Lehrer sind am Ende dafür da, in den Schulen Experten für Pädagogik zu sein, aber nicht für das Urheberrecht.

Der Vertrag regelt, dass 1 % der Schulen beim Einsatz dieser Software infrage kommen soll. Ich habe das einmal hochgerechnet. Ich glaube nicht, dass diese statistische Größe groß genug ist, um tatsächlich relevante Ergebnisse zu bekommen, um flächendeckend Urheberechtsverstöße an den Schulen eindämmen zu können, zumal die Kriterien zur Auswahl der Schulen nach wie vor nicht geklärt sind.  

Die Landesregierung hat - insbesondere in der Kultusministerkonferenz - aus unserer Sicht nicht immer gut agiert, denn dieser Vertrag ist in Hinterzimmern zustande gekommen. Mir erschließt sich nicht ganz, was die konkrete Motivation des Kultusministeriums war, einerseits prinzipiell auf diese Art und Weise den Vertrag zu schließen, aber andererseits relativ unkritisch diese Maßnahme der Überwachungssoftware mit in den Vertrag einfließen zu lassen. Vielleicht erfahren wir heute, was die Motivation war.

Mindestens aber hätten Schüler, Eltern und Lehrer vor Abschluss des Vertrages konsultiert und informiert werden müssen. Auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz hat im Vorfeld der Verhandlungen nicht von diesem Vertrag erfahren. In diesem Fall hat also das Kultusministerium gehandelt nach dem Motto: Wir werfen das Kind in den Brunnen und frühestens dann schauen wir, ob wir Hilfe anbieten können.  
Dabei ist eigentlich genau die gegenteilige Richtung die richtige Richtung, indem wir nämlich die Talisate (Originale in digitalisierter Form) erlauben und fördern und als Kontrapunkt dazu setzen, immer weiter restriktiv an den Schulen gegen Urheberrecht vorzugehen.  

Schauen wir uns auch einmal an, wie diese Überwachungssoftware finanziert wird. Wer gibt sie in Auftrag? Wie wird sie ausgeliefert? Alles wird vollständig von den Verlagen übernommen. Man kann die Frage stellen: Cui bono? Die Verlage geben also alles in Auftrag, bezahlen alles und liefern alles aus. Es ist offensichtlich, dass nur einseitig Interessen verfolgt werden können.  

Das Problem des Urheberrechts besteht im Bildungsbereich nicht nur an Schulen, sondern durchzieht den Bildungsbereich. Das liegt maßgeblich am Verwertungsproblem, über das wir heute früh auch schon diskutiert haben. Natürlich haben auch Schulbuchverlage oder ganz allgemein Produzenten von Lehrmaterialien ein Interesse daran, wirtschaftlich zu arbeiten und anhand ihrer Produkte eine Verwertung vorzunehmen. Das ist eine klassische wirtschaftliche Urheberargumentation, die auf den ersten Blick verständlich ist. Auf den zweiten Blick müssen wir uns aber die Frage stellen, ob wir das prinzipiell im Bildungsbereich wollen.  

Als ein weiteres Beispiel möchte ich die Kreismedienstellen nennen, die auch immer wieder Probleme mit dem Urheberrecht haben. Ferner möchte ich die Wissenschaft nennen. In der Wissenschaft rückt Open Access immer mehr in den Blickpunkt, weil gerade die restriktiven Elemente des klassischern Urheberrechts Wissenschaft tatsächlich auch blockieren kann.  

Eine Lösung sehen wir unter anderem in der Etablierung freier Lehrmaterialien. Hierzu gibt es einige gute Referenzen, wie zum Beispiel offene Bücher. Galileo bzw. Galileo Computing oder der O’Reilly-Verlag bieten mittlerweile offene und freie Bücher an. Wikis, teilweise spezifisch zusammengestellt für den Unterricht oder für den Einsatz an Universitäten, die Chemga Pedia für die Chemie, das Gutenberg-Projekt für Deutsch, Open Street Map für Geografie usw. bilden eine gute Grundlage, neue Medien mit freien Lizenzen in den Unterricht einfließen zu lassen. Folienpräsentationen von Lehrerinnen und Lehrern können in der Regel ohne Probleme von anderen Kolleginnen und Kollegen genutzt werden. Dies ist mittlerweile sehr beliebt in den Fächern Geschichte und Mathematik. Es gibt geradezu eine Börse für Präsentationen unter Lehrern, sodass man sich austauscht und beim Erstellen von Unterrichtsmaterialien einander hilft.  
Der Bildungsserver des Landes kann als Infrastruktur dienen, solche Lehrmaterialien bereitzustellen. Die Lizenzierung des ordentlichen Lehrmaterials ist im Allgemeinen kein Problem und kann mit dem Lisa abgestimmt werden.

Wir wollen als eine mögliche Alternative zu dem restriktiven Element der Überwachungssoftware freie Bildungsmaterialien anbieten. Ich bin mir allerdings gar nicht so sicher, ob das Wort „alternative“ an dieser Stelle das richtige Wort ist; denn mit freien Unterrichtsmaterialien findet lediglich eine Erweiterung der Möglichkeiten für die Gestaltung des Unterrichts statt.

Zu klären ist allerdings die Frage der Qualitätskontrolle derartiger Lehrmaterialien. Es ist die Frage, wie es Lehrerinnen und Lehrern und darüber hinaus den Produzenten von Unterrichtsmaterialien ermöglicht wird, kollaborativ derartige Produkte zu erstellen. Wird es eventuell möglich sein, ganze Schulbücher oder gar Kompendien auf diese Art und Weise zu produzieren? Das wissen wir heute noch nicht. Das hängt teilweise auch davon ab, welches Interesse Schulbuchverlage daran haben, meinetwegen auf Auftragsbasis an der Gestaltung von freien Lehrmaterialien mitzuwirken. Klar muss allerdings auch sein, dass selbst dann, wenn wir auf freie Lehrmaterialien setzen, den Produzenten dieser Materialien prinzipiell eine Urheberrechtsvergütung zusteht.  

Ich möchte eine Prognose wagen, was mit dem Gesamtvertrag passiert. Die Software ist im Moment noch nicht fertig. Den genauen Grund hierfür kenne ich nicht. Ich prognostiziere: Wenn die Software irgendwann fertig ist, dann wird sie floppen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die statistische Größe aus dem Vertrag ausreicht und dass es eine hinreichend große Akzeptanz unter den Lehrerinnen und Lehrern in Sachsen-Anhalt geben wird. Außerdem wird die Frage des Urheberrechts an Schulen unter Umständen leicht umgangen, wenn erst einmal das Bewusstsein für die Existenz einer solchen Software geschaffen wird.  

Die Diskussion über freie Lehrmaterialien sollten wir weiter führen, insbesondere dann, wenn dies Thema im Ausschuss für Bildung und Kultur werden sollte. Eine Anhörung im Ausschuss sollte unbedingt organisiert werden. Wer dazu eingeladen werden muss, steht in unserem Antrag. Wir haben heute lediglich einen kleinen Ausschnitt des Urheberrechts behandelt. Die Urheberrechtsproblematik im Bildungsbereich gehört grundlegend und fundiert erörtert. Deswegen sollte eine Anhörung durchgeführt werden.

Ich habe die Hoffnung, dass die in manchem Hinterkopf vorhandenen Überlegungen in Bezug auf Überwachung und Androhung, wenn es um das Urheberrecht geht, sowohl nach der Debatte von heute Morgen als auch nach der jetzigen Debatte endgültig verbannt werden können.