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Jan Wagner zu TOP 01: ACTA stoppen - Transparenz herstellen

ACTA zementiert ein novellierungsbedürftiges Urheberrecht. ACTA birgt die Gefahr von grundlegenden Einschränkungen der Bürgerrechte im Internet. ACTA ist undemokratisch, da es außerhalb der demokratischen Institutionen ausgehandelt wurde. ACTA ist das Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Eine Übersetzung 1:1 lautet: Handelsabkommen gegen Fälschungen. Es ist ein multilaterales Abkommen, unter anderem zwischen der EU, den USA und Japan, und dient dem vermeintlichen Zweck des Schutzes des geistigen Eigentums, besonders des Markenschutzes.

Allerdings gibt es einen ganz bestimmten Geist von ACTA. Das ist der Geist der Geheimpolitik. Bereits im November 2009 hat die Linksfraktion im Deutschen Bundestag die Bundesregierung gefragt, wie sie die Verhandlungen bewertet und wie sie es bewertet, dass die konkreten Ergebnisse der Geheimhaltung unterliegen, und das, obwohl das Abkommen vermeintlich weitreichende Folgen für die Politik der EU-Mitgliedstaaten zeigen wird. Die Bundesregierung antwortet kurz, sie begrüße es, dass die Europäische Kommission über den Fortgang der Verhandlungen auf ihrer Webseite informiert. Kein Wort darüber, wie sich die Bundesregierung dazu positioniert, dass diese Verhandlungen prinzipiell im geheimen Rahmen stattfinden.

Wenn ich also heute an dieser Stelle kritisiere, dass die Verhandlungen über ACTA geheime politische Verhandlungen sind, die nicht demokratisch legitimiert sind, dann geht diese Kritik insbesondere auch an die Bundesregierung.

Der Geist von ACTA ist auch getrieben durch die heftige Kritik an einem Zwischenentwurf, der 2010 herauskam und der deutlich restriktivere Maßnahmen als konkretes Beispiel benannte, zum Beispiel ein so genanntes Three-Strikes-Modell. Hierbei handelt es sich im Modell, welches besagt, dass nach drei vermeintlichen Urheberrechtsverletzungen das Internet abgekapselt wird. Wir sagen, Internet ist öffentliche Daseinsvorsorge. Es darf nicht abgekapselt werden. Es wurde jedoch erst einmal hineingeschrieben. Zudem gab es Erwähnungen von einer Vorratsdatenspeicherung und nach wie vor von Netzsperren. Dies hat zu einer breiteren öffentlichen Debatte geführt. Während der Debatte um ACTA wurde auch die Urheberrechtsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland fortgeführt.

Seit 2010 diskutieren wir über den dritten Korb der Urheberrechtsreform. Dabei sind die Maßnahmen aus dem zweiten Korb bereits sehr restriktiv mit großen Einschnitten bei Bürgerrechten verbunden gewesen. Ich erinnere an die Privatkopien und an ein Defacto-Verbot von Peer-to-peer-Technologien.

Hinter diesem ganzen Geist steht ein Desaster für die Demokratie. Demokratietheoretisch ist genau das der entscheidende Punkt unserer Ablehnung. Es gibt wahrscheinlich sehr viele Nebenvereinbarungen zum Thema ACTA, von denen wir alle keine Kenntnis haben.
Der TRIPS-Beirat bei der Welthandelsorganisation hat dazu formuliert, es sei misslich, dass die Diskussion von den Freihandelsaspekten weg zu den Grundrechten verschoben worden sei. Grundsätzlich, so der TRIPS-Beirat, müsse immer darauf verwiesen werde, dass ACTA Arbeitsplätze in ganz Europa sichere, weil mit ACTA die Errungenschaften des geistigen Eigentums gegen die Chinas dieser Welt verteidigt würden. Es ist nur dumm, dass China kein ACTA-Land ist und an diesem Abkommen gar nicht teilnimmt.

Besser formuliert es die EU-Justizkommissarin Viviane Reding, als sie am 13. Februar 2012 begründet, wieso sie die ACTA-Gesetzgebung, das heißt die Folgegesetzgebung, aufgrund des Vertrages vom Europäischen Gerichtshof prüfen lassen möchte. Sie sagt, der Schutz von Urheberrechten könne die Aufhebung von Meinungs- und Informationsfreiheit nie rechtfertigen und deshalb seien Netzsperren für sie niemals eine Option. Aber es ist manchmal so bei der Europäische Kommission: Liest du was von einem Kommissar und was von einem anderen Kommissar, dann stellst du fest, dass sie sich widersprechen. Der EU-Handelskommissar, ein Liberaler, rief die Europaabgeordneten dazu auf, sich - Zitat - nicht von der auf Unwissen und zum Teil bewusster Fehlinformation basierender Meinungsmache beeindrucken zu lassen und sich stattdessen in aller Ruhe ein eigenes Bild von ACTA zu machen.

Nun unterstelle ich einmal pauschal allen Europaabgeordneten, dass sie sich immer ernsthaft um ihre Themen kümmern. Aber diese Aussage ist an und für sich nicht nur ein Widerspruch zu der Aussage seiner Kommissionskollegin, sondern ein Skandal. Denn diese Aussage beinhaltet eine ungeheure Unterstellung, dass nämlich diejenigen, die niemals eine Chance haben, auch nur ein paar Informationen aus den Geheimverhandlungen zu bekommen, jetzt mit gezielter Desinformation konfrontiert werden sollen. Das geht gar nicht und ist einfach das Gegenteil von dem, was er hätte machen müssen. Er ist Handelskommissar. Seine Aufgabe ist es nicht, über ACTA-Kritiker zu lamentieren. Seine Aufgabe ist es, die zwingend notwendige Transparenz herzustellen.

Das ACTA-Abkommen ist teilweise eine Nachfolgeabkommen des TRIPS-Abkommens, welches bei der Welthandelsorganisation ausgehandelt wurde, und Vorgänger von
IPRED. IPRED ist ein weiteres Abkommen, welches wohl unter dem Deckmantel der
Weltorganisation für geistiges Eigentum, WIPO, ausgehandelt wird.

Sprache ist übrigens verräterisch. Die Begriffe TRIPS und IPRED sagen den meisten nichts. Vielleicht übersetzen wir es einmal. TRIPS heißt Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum. Es geht also um Handel.
Deswegen ist es auch bei der WTO angesiedelt. IPRED heißt Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Das heißt, dabei geht es lediglich um die Durchsetzung. Deswegen ist es bei der WIPO angesiedelt.

Wenn das so ist und wenn ACTA beides berührt, dann fällt auf, dass weder WTO noch WIPO bei den Verhandlungen um ACTA mit am Tisch saßen. Wir fragen: Wieso? Wenn es schon global agierende Institutionen gibt, die sich um genau diese Fragen kümmern, wieso werden diese nicht mit an den Tisch zu den ACTA-Verhandlungen geholt?

Eine mögliche Erklärung ist, dass ACTA das Thema Urheberecht ein wenig übergestülpt wurde. Denn eigentlich geht es um Produktpiraterie und um den Markenschutz. Das heißt, letztlich hatten wir einen Vertrag mit 30 Paragrafen und lediglich ein einziger Paragraf behandelt tatsächlich digitale Güter. Dieser musste in ein eigenes Kapitel gekleidet werden; da er ansonsten nicht in den Vertrag hinein gepasst hätte. Letztlich haben wir ein hybrides Abkommen.

Warum ist das so? Man kann eine Vermutung haben: Es wird wieder über die Bande Europa gespielt: Was auf der nationalen Ebene nicht durchsetzbar war, geht nach Europa und kommt dann als Pflichterfüllung in die nationalen Parlamente zurück. Auch das ist ein großes Manko am demokratischen Verfahren, wie wir es im Fall von ACTA erlebt haben.

Es gab keine Anhörung gesellschaftlicher Träger. Insbesondere Vertreter von Nutzern, von Verbrauchern, von Herstellern und von Urhebern wurden nicht gehört, von der Einbindung der Ausschüsse von WTO und WIPO ganz zu schweigen.

Neben diesem großen Demokratiedefizit beim Aushandeln dieses Vertrages geht es auch um konkrete Inhalte. Ich möchte zunächst auf Biopiraterie zu sprechen kommen. Geistiges Eigentum bezieht sich eben nicht nur auf das Urheberrecht. Es gibt zum Beispiel patentiertes Saatgut. Aber mittlerweile ist es so, dass diese Patente primär nicht darauf abzielen, Urheber tatsächlich zu schützen. Nein, diese Patente gelten der Verwertung und der Profitmaximierung. Insofern wird an dieser Stelle der Schutz des geistigen Eigentums gebraucht, in einigen Fällen, vielleicht sogar in mehreren, sogar missbraucht.

Die Reformierbarkeit von Urheberrecht und Patentrecht in der Wissenschaft ist das allgemeine Problem, über das man unabhängig davon einmal debattieren kann.

Die konkrete Folge, wenn man das im Verhältnis 1:1 umsetzt, ist zum Beispiel in Bezug auf Generika zu nennen. Hierbei handelt es sich um Stoffe, die eine bestimmte Wirkung haben. Gleichlautende Stoffe, die allerdings nicht ganz dieselbe Zusammensetzung aufweisen, aber dieselbe Wirkung haben, wiederum aber patentrechtlich geschützt sind, müssen an der Grenze vernichtet werden, obwohl sie Schmerzen lindern und obwohl sie eventuell Leben retten können. Da sage ich: Der Profit einzelner Großkonzerne darf uns nie wichtiger sein, als einer ganzen Welt medizinisch helfen zu können.

Das Problem mit ACTA ist: Es wird eine einseitige Lösung im Sinne des geistigen Eigentums gefunden. Das allgemeine Problem der Verwertung wird uns noch weiterhin beschäftigen, insbesondere wenn die Debatten um IPRED konkreter werden.

Ich möchte aber auch auf eines hinweisen: Wenn wir schon einmal bei Verwertung und Patenten sind, wenn wir demnächst wieder Urheberrechtsdebatten führen, dann werden wir unter Umständen auch mit Softwarepatenten konfrontiert. Dazu will ich jetzt schon präventiv sagen: Die LINKE lehnt auch Softwarepatente rigoros ab.

Beim Thema Netzpolitik hat ACTA allein deswegen einen ganz bestimmten Input, weil dort ein großer Einschnitt in die Bürgerrechte eventuell bevorsteht. „Eventuell” sage ich, weil auch ich die ganzen Geheimdokumente, die es wohl gibt, nicht kenne. Zunächst wurden die Privatsheriffs angeheuert. Es geht um die private Rechtsdurchsetzung durch Internet-Service-Provider für Urheberrechtsbelange, was bislang lediglich bei den tatsächlichen Verursachern von Urheberrechtsverstößen lag. Ich bin mir sicher, dass bei dieser Art der Rechtsdurchsetzung auch Artikel 10 des Grundgesetzes tangiert wird und dies unter Umständen verfassungswidrig ist. Wir werden sehen, was der Europäische Gerichtshof dazu zu bescheiden hat. Das Problem, wenn man das macht: Hierbei wird der Bote zum Täter erklärt. Damit begeht man im Grunde genommen die Umkehrung der Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung ist ein hohes Gut einer freiheitlichen Gesellschaft. Sie darf auf keinen Fall angefasst werden. Das ist keine Bagatelle.

Ich mache das einmal praktisch an einem Beispiel, weil auch immer gesagt wird, na ja, ACTA ist ein Vertrag, aber auf die deutsche Gesetzgebung hat dies wahrscheinlich keinen Einfluss.

Erstens wissen wir das nicht, wenn selbst der Europäische Gerichtshof sich jetzt erst einmal damit befassen muss.

Zweitens. Was ist mit zukünftigen Gesetzesänderungen? Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir irgendwann einmal das Telekommunikationsgesetz ändern wollen, um endlich das Problem der Störerhaftung zu beseitigen. Dieses Problem der Störerhaftung können wir nicht beseitigen, wenn ACTA in Kraft tritt. Insofern müssen wir genau aufpassen, wie wir mit der Argumentation bezüglich der
Gesetzesänderung umgehen. Ich hoffe, dass die Gerichte gut entscheiden.

ACTA ist im Übrigen, was die Netzpolitik anbelangt, kein Handelsabkommen. Ganz im Gegenteil, denn die Neuerungen, die darin enthalten sind, beinhalten im Allgemeinen die Rechtsdurchsetzung, insbesondere auch in den Binnenländern. Das geht nicht ganz explizit aus dem Vertragstext hervor. Das wird vom Europäischen Gerichtshof so ausgelegt. Es muss entschieden werden, ist aber insbesondere wichtig für die IT-Wirtschaft, auch in Sachsen-Anhalt. Deshalb Punkt 4 unseres Antrages, die Auswirkungen wohl zu sondieren.

Wir befinden uns im Allgemeinen in einer Debatte, in der es darum geht, prinzipiell erst einmal restriktiv vorzugehen. Ich erinnere an INDECT, das System für die Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern. Sie wissen, es ging darum, in städtischen Umgebungen mit Kameras die Sicherheit vermeintlich zu erhöhen. Was hat damals die Europäische Kommission gemacht? Sie hat das alles externalisiert. Es gab Geheimdokumente. Am Ende gab es Protest, damals eher auf der wissenschaftlichen Basis als aus der Breite der Bevölkerung. Seitdem hat die Europäische Kommission nicht dazugelernt, auch nicht in Fragen der Demokratie.

Im Allgemeinen muss man anmerken, dass in dem Vertrag mitschwingt, gesellschaftliche Probleme, wie hierbei die Novellierung des Urheberrechtes, rein technisch lösen zu können. Das geht nicht. Gesellschaftliche Probleme brauchen gesellschaftlich-politische Debatten. Das haben wir zuletzt auch in Deutschland bei der Diskussion um den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag oder um die Stoppschilder, die so genannten Netzsperren, gemerkt.

Wenn immer wieder versucht wird, das in die Diskussion einzubringen, haben wir das Problem, dass wir strukturell an den Eigenschaften, zum Beispiel des Urheberrechts, niemals feilen werden, was wir dringend machen müssen. Wie ist das denn beim Urheberrecht? Da sind wir in den letzten Jahrzehnten relativ gut gefahren. Mittlerweile sehen wir, wir befinden uns eigentlich in der Sachgasse. Mittlerweile ist es sogar so, die Mauer am Ende der Sackgasse wird langsam sichtbar. Und die ACTA-Befürworter machen was? Sie beschleunigen immer noch.

Sprache ist verräterisch. Das habe ich eben schon einmal gesagt. Counderfeiting heißt Fälschung. Beim Urheberrecht geht es ganz selten um Fälschung, dabei geht es sehr häufig um die Originale. Man merkt auch hieran, dass das Urheberrecht ACTA eher übergestülpt wurde, statt intensiv um eine Lösung für die Novellierung des Urheberrechts zu streiten. Das Problem, Piraterie mit Mitteln der Strafverfolgung unter Zuhilfenahme eines Generalverdachtes zu begegnen, ist wie mit dem Vorschlaghammer eine Nuss zu knacken. Am Ende hat man ein negatives gesamtgesellschaftliches Saldo. So werden vielleicht die ACTA-Befürworter in Richtung des geistigen Eigentums etwas hinbekommen. Vielleicht ist es sogar Konsens unter allen Parteien, dass dies in die richtige Richtung geht. Aber das, was bei den Bürgerrechten am Ende herunterfällt, ist überzogen, das ist nicht angebracht.

Dazu kommt interessanterweise Professor Malte Stieper. Er ist Inhaber der Grunlink-Professur für Bürgerliches Recht, Recht des gestrigen Eigentums und Wettbewerbsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ein ausgewiesener Urheberrechtsbefürworter. Er kommt in seiner Bilanz zu ACTA zu der Aussage: „Dies darf aber nicht dazu führen, dass der mit dem Urheberrecht getroffene Ausgleich zwischen dem Interesse der Rechteinhaber an effektiver Rechtsdurchsetzung und den Nutzungsinteressen der Allgemeinheit aus wirtschaftspolitischen Gründen verschoben und aus dem Gleichgewicht gebracht wird.”

Genau das ist aber mit ACTA der Fall.

Es geht auch um Meinungsfreiheit und Protestkultur. Das haben nicht zuletzt die Proteste, insbesondere in Osteuropa, bewiesen. Die GRÜNEN-Fraktion im Europaparlament hat auch noch ein Gutachten aufgegeben, das so genannte Korff-Brown-Gutachten. Es hat ACTA auf die Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta untersucht und kommt zum Schluss: Es besteht erheblicher Zweifel, ob Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, der Schutz personenbezogener Daten und sogar das Recht auf ein faires Verfahren durch ACTA noch gewährleistet werden kann.

Weil wir diese vier Positionen teilen oder zumindest diese Befürchtungen ebenfalls aussprechen, sagen wir hier und heute: Wir müssen die Bundesregierung auffordern, ACTA zu stoppen, und wir müssen die Bundesregierung auffordern, sich endlich für die zwingend notwendige Transparenz bei ACTA einzusetzen.