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Henriette Quade zu TOP 7: Bericht des 19. Parl. Untersuchungsausschusses

Sehr geehrte Damen und Herren,

Für meine Fraktion war von Beginn an klar: Dieser Untersuchungsauftrag ist grundsätzlich nicht geeignet, den Anschlag von Halle aufzuarbeiten. Einerseits weil Fragen der Arbeit der Sicherheitsbehörden, Strukturen, Analyseinstrumente und Schlussfolgerungen grundsätzlich im Innenausschuss zu bearbeiten sind. Andererseits weil der Untersuchungsauftrag die zentralen Fragen ausgeklammert: Die der Motivation des Täters und der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen rechten Terrors und natürlich ist es kein Zufall, dass die extrem rechte AfD aufgrund ideologischer Gemeinsamkeiten diesen wesentlichen Aspekt nicht untersuchen wollte.  Die AfD-Fraktion hat diesen Ausschuss benutzt, um sich in widerlicher Weise als Beschützerin von Jüdinnen und Juden zu inszenieren, während Teile der Fraktion dieselbe rechtsextreme Ideologie vom „großen Austausch“ verbreiten, wie der Attentäter, der versuchte die Betenden in der Synagoge in Halle zu ermorden.

Meine Fraktion hat die Arbeit im Ausschuss trotz der offensichtlichen Defizite und Fehlkonstruktionen sehr ernst genommen und aktiv mitgestaltet. Der eigentliche Erkenntnisgewinn fand für uns allerdings im Prozess statt. Es waren die Nebenkläger*innen, die diesen Prozess aktiv gestaltet haben. Die Tiefe ihrer Analysen, insbesondere auch der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von rechtem Terror, stehen im deutlichen Gegensatz zur Tiefe der Reflektion in den Behörden.

Festzustellen ist zudem ein erheblicher Darstellungsunterschied zwischen Polizei und Betroffenen in Bezug zum Umgang mit den Überlebenden des Anschlags. Dazu wäre viel zu sagen, zusammengefasst hat es Rabbiner Borovitz mit dem Satz „wir fühlten uns eher als Verdächtige behandelt, als als die Opfer, die wir waren“.  Die Einsatzleitung sprach indes von einem problemfreien Ablauf und  dass sie von Problemen erst durch Presseberichte erfahren habe. Das spricht für ein erhebliches Wahrnehmungs -und Kommunikationsdefizit, das bis heute nicht behoben ist.  Die Feststellungen im Bericht zur Opferarbeit des Innenministeriums konnten jedenfalls von den im Ausschuss gehörten Betroffenen nicht geteilt und nachvollzogen werden.

Auch die Frage, welche Schlussfolgerungen Sicherheitsbehörden eigentlich aus der Aufarbeitung des Anschlages und des Polizeieinsatzes gezogen haben und ob die Analyseinstrumente von BKA und LKA zur Einschätzung von Gefährdungen

tauglich sind, stand nicht im Mittelpunkt der Ausschussarbeit. Angesichts der Entwicklungen rechten Terrors weltweit, der Vernetzung und der Gamification von Terror hätten die Anschläge von Pittsburgh und Christchurch zu einem Umdenken beim BKA und auch in Sachsen-Anhalt führen müssen. Sie hätten zu einer Neubewertung der Gefährdungslage führen müssen und zur Entscheidung, dass jüdische Einrichtungen und Synagogen polizeilichen Schutz benötigen. Sie hätten zur Erkenntnis führen können und müssen, dass die Zahl antisemitischer Straftaten nicht das entscheidende Kriterium für die Notwendigkeit von Polizeischutz sein kann. Zu der Erkenntnis, dass die abstrakt hohe Gefahr jederzeit konkret werden kann, ohne dass die Voraussetzung ein Täter ist, der in einer analogen Gruppe organisiert ist und schon durch antisemitische Straftaten aufgefallen ist.

Offen – und im Bericht des Vorsitzenden unterrepräsentiert- bleibt die Frage, warum keiner der befragten Polizisten den Leitfaden zum Schutz jüdischer Gemeinden der OSZE aus dem Jahr 2017 kannte, der den Schutz jüdischer Gemeinden explizit empfiehlt. Dieser wurde zwar mit einer Veranstaltung im Innenministerium vorgestellt. In der Praxis polizeilicher Arbeit spielte er jedoch keine Rolle.

 

Meine Damen und Herren,

das Hauptproblem ist nicht, dass kein vom Ausschuss gehörter Beamter am Morgen des 9. Oktober wusste, dass Yom Kippur ist, sondern dass auch wenn das präsent gewesen wäre, keine besonderen Maßnahmen ergriffen worden wären. Dass dies keine Ignoranz einschlägiger Vorgaben ist, sondern eben gerade den Vorgaben routinemäßiger Polizeiarbeit in Sachsen-Anhalt entspricht. Es ist genau diese Routine, die auf den Prüfstand gehört.

Das Problem ist nicht, dass es konkrete Hinweise gab, die diesen Anschlag verhindern hätten können und die ignoriert wurden, sondern dass auch heute noch, die Bilanz von Polizei und Innenministerium ist „Niemand konnte das ahnen“ während Betroffene, Überlebende und nichtpolizeiliche Expert*innen auf genau diese Gefahr immer und immer wieder hingewiesen haben.

Von einem Schlussstrich kann also keine Rede sein. Die Beschäftigung mit notwendigen Konsequenzen in der Arbeit der Sicherheitsbehörden im Innenausschuss und die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen rechter, rassistischer, antisemitischer Terror entsteht und stattfindet, z.B. in einer Enquetekommission, sind zentrale Herausforderungen unserer Zeit – es ist die Verantwortung des Landtages der kommenden Legislatur, dieser Herausforderung gerecht zu werden – erst dann, können wir davon ausgehen, alles getan zu haben, was möglich und nötig ist, damit sich ein solcher Anschlag nicht wiederholen kann,.

Vielen Dank.