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Henriette Quade zu TOP 15: Für die Zukunft: Erinnern und Gedenken – 20 Jahre nach den rassistischen Angriffen in Quedlinburg und anderswo

Meine Fraktion hat der hier eben eingebrachten Beschlussempfehlung im Innenausschuss nicht zugestimmt, und wir werden auch heute hier gegen diese Beschlussempfehlung stimmen. Es geht uns dabei ausdrücklich nicht darum, die in der Beschlussempfehlung formulierte Würdigung von Aktivitäten und Engagement gegen Rechtsextremismus und für Demokratie nicht mit zu vollziehen. Natürlich nicht.

Was für meine Fraktion aber nicht tragbar ist, ist das Bild der Ereignisse, das diese Beschlussempfehlung zeichnet: Wenn es heißt "Durch den engagierten Einsatz der Polizei vor Ort konnte das verhindert werden, was beim Brandanschlag in Solingen oder bei der Hetzjagd in Guben geschehen ist", verzerrt das die Realität. Es wird der Eindruck erweckt, Polizei, vor allem aber ihrer politische Führung sei erstens völlig klar gewesen, womit sie es zu tun haben und sie hätte zweitens sofort die Situation im Griff gehabt. Das ist schlichtweg falsch.

Am Samstag den 6. September 1992 flogen die ersten Steine, etwa 30 Polizisten waren mit der immer größer werdenden Zahl von Angreifern und ihren Unterstützern und den immer brutaleren Angriffen völlig überfordert. Sie konnten weder die mit dem Tod bedrohten Asylbewerberinnen und Asylbewerber effektiv schützen, noch die wenigen, die sich im wörtlichen Sinne zu ihrer Verteidigung fanden und sich vor sie stellten. Polizei und Politik erkannten eben nicht die potentiell tödliche Dimension dieser Situation. Erst in der Nacht von Montag auf Dienstag nach den ersten Steinwürfen unterstützten weitere Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei die Beamten vor Ort. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Brandsätze auf das Heim geworfen worden und die Mahnwachenden und auch Polizisten angegriffen und verletzt worden. Erst weitere zwei Tage später wurde die Zahl der Einsatzkräfte erneut erhöht und auch das klärte die Lage noch nicht.

Was hier verhindert werden konnte, ist das Schlimmste, Mord, nicht aber die Pogromstimmung, nicht aber Gewalt und nicht die ganz reale Gefahr für Leib und Leben. Für meine Fraktion steht fest: Polizei, vor allem aber Politik hat hier versagt.

Die politische Konsequenz aus den Angriffen des rassistischen Mobs in Quedlinburg war die Räumung des Heimes, zumindest derjenigen, die nicht bereits während der Angriffe geflohen waren. Die Angreifer konnten damit ihre Forderung "Ausländer raus aus Quedlinburg" als erfüllt ansehen.

Erfüllt hat Politik ebenso die Erwartungshaltung eines Teils der Bevölkerung, die mit den Pogromen und rassistischen Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte stets verknüpft war: Mit der massiven Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl mit dem sogenannten Asylkompromiss Anfang der 90er Jahre sendete die politische Mehrheit in der Bundesrepublik das verheerende Signal „es sind zu viele Asylbewerber, und sie haben kein Recht darauf hier zu sein“. Exakt diese Einstellung war die Ausgangsbasis der Angreifer und Politik hat sie mit dieser Entscheidung bestätigt und verstärkt. Beides, sowohl die zwangsweise Räumung der Asylbewerberheime, wie auch die Einschränkungen des Asylrechtes waren eine Kapitulation des demokratischen Rechtsstaates. Das mögen Sie anders sehen, was wir aber von einem Beschluss zu diesem Thema erwarten, ist zumindest den politischen Kontext aufzurufen. Diese politische Kontextualisierung blendet die hier zur Debatte stehende Beschlussempfehlung völlig aus und auch deswegen kann sie unsere Zustimmung nicht finden.

Mit Blick auf die Zeit will ich zwei weitere Punkte nur nennen:

Wir teilen weder die These, dass es in erster Linie verwirrte Jugendliche und nur vereinzelt Nazis und andere Rassisten waren, die in Quedlinburg und andernorts Asylbewerber angriffen. Noch teilen wir die politische Schlussfolgerung, es gelte jetzt einen allgemeinen Extremismus zu bekämpfen. Und da bin ich noch einmal beim Sachsen-Anhalt-Monitor: Wenn nur 26 % der Bevölkerung die Aussage, dass Ausländer besonders häufig in Straftaten verwickelt sind, nicht teilen, zeigt das überdeutlich, dass rassistische und ausländerfeindliche Einstellungen eben nicht das Erkennungsmerkmal von pauschalen Extremisten sind, sondern in der Mitte der Gesellschaft tief verwurzelt.

Abschließend noch ein Wort zu den Bemühungen der Landesregierung: Dass wir hier unterschiedliche Einschätzungen treffen ist keine Überraschung. Und natürlich sind Bemühungen zur erleichterten Einbürgerung auch aus meiner Sicht zu begrüßen. Wer aber tatsächlich glaubt, mit einer Einbürgerungskampagne etwas an rassistischen und antidemokratischen Einstellungen zu ändern, der belügt sich selbst. Ein deutscher Pass, und das zeigen auch die jüngsten Übergriffe in Sachsen-Anhalt, schützt Menschen, die eine andere Hautfarbe haben, eine andere Sprache sprechen oder den Eindruck erwecken, einer anderen Religion anzugehören eben nicht vor rassistisch motivierten Gewalttaten.

Deswegen bleibt die hier zur Abstimmung stehende Beschlussempfehlung weit hinter dem zurück, was möglich und erst recht nötig wäre und deswegen kann meine Fraktion dem nicht zustimmen.