Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Henriette Quade zu TOP 07: Für eine menschenwürdige dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden in Sachsen-Anhalt

Wir haben in den letzten Stunden die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Sachsen-Anhalt von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Deswegen will ich mich tatsächlich auf die eigentliche Antragseinbringung konzentrieren.

Das Landesaufnahmegesetz legt fest: „Nach Möglichkeit soll der Unterbringung in kleineren Gemeinschaftsunterkünften der Vorzug gegeben werden. Personen nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 sollen vorrangig in Wohnungen untergebracht werden.“

Personen nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 sind Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, Asylberechtigte und Ausländerinnen und Ausländer mit Niederlassungserlaubnissen oder sogenannten beauflagten Aufenthaltsgestattungen.

Die Festlegung trifft das Landesaufnahmegesetz in Umsetzung des Asylverfahrensgesetzes des Bundes, das seit seiner Verabschiedung im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses zwar einige Änderungen, nicht aber eine grundlegende Erneuerung und Anpassung an die im Vergleich zum Beginn der 90er Jahre deutlich geringeren Zahlen von Asylsuchenden erfahren hat. Die Aussage der geringeren Zahlen gilt auch mit dem Blick auf die jetzt leichte Steigerung. Die Asylgesetze der Bundesrepublik entstammen vielmehr weiterhin und fortgesetzt der Logik der Notwendigkeit der Abschreckung und möglichst hoher Hürden für Asylsuchende. Das Grundrecht auf Asyl ist im Grundgesetz der Bundesrepublik verankert. Es ist eine historische Verpflichtung, die von den Vätern und Müttern - zugegebenermaßen waren es in der Mehrzahl Väter - des Grundgesetzes bewusst als Zeichen der Verantwortungsübernahme für die Verbrechen des Nationalsozialismus verfassungsrechtlichen Rang bekam.

Durch den sogenannten Asylkompromiss Anfang der 90er-Jahre wurde dieses Grundrecht jedoch massiv eingeschränkt. Seine Inanspruchnahme sollte im Zuge der in dieser Zeit angesichts der Weltlage rasant gestiegenen Flüchtlingszahlen erschwert werden, die Lebensbedingungen in der Bundesrepublik als nicht attraktiv, die Aussichten auf dauerhaftes Bleiberecht für möglichst wenige erfolgreich erscheinen. Die Politik begab sich mehrheitlich in ein Wechselspiel der gegenseitigen Verstärkung von gesellschaftlichen Ressentiments, offen artikuliertem Rassismus und Abstiegs- und Existenzängsten und schränkte jenes Grundrecht auf Asyl unter anderem auch mit dem Asylverfahrensgesetz ein. Das Asylverfahrensgesetz wäre daher aus der Sicht meiner Fraktion an vielen Stellen zu überarbeiten und neu zu fassen. In dem heute vorliegenden Antrag konzentrieren wir uns auf den § 53, der die Unterbringung der Asylsuchenden regelt. Es bestimmt in Satz 1: „Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht mehr oder nicht verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, sollen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Hierbei sind sowohl das öffentliche Interesse als auch Belange des Ausländers zu berücksichtigen.“

Insbesondere die damit in Bundes- und Landesgesetzgebung vorgesehene vorzugsweise Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften ist aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion nicht geeignet, eine menschenwürdige Unterbringung zu garantieren.

Lassen Sie uns noch einmal vergegenwärtigen, was Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft bedeutet. Ein dauerhafter Aufenthalt für viele Asylsuchende ist Realität, und ich bin davon überzeugt, dass jede und jeder von uns bereits nach wenigen Wochen ernsthafte psychosoziale Probleme hätte mit einem Leben gemeinsam mit anderen, zufällig bestimmten Menschen auf engstem Raum, zu dritt oder zu viert auf einem Zimmer, de facto nicht vorhandener Privatsphäre, Gemeinschaftstoiletten und -duschen, die oft nicht über adäquate Abtrennungen und Abgrenzungen verfügen und auf dem Stand der 70er Jahre sind, mit, wenn überhaupt, limitiertem Zugang zum Internet und damit Zugang zu gerade für diese Menschen so notwendigen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, mit Gemeinschaftsküchen, die eher den Charakter von Abstellräumen haben, abgelegen von Orts- und Stadtzentren, manchmal einfach mitten im Wald.

Asylsuchende - das zeigt auch die Auswertung der Großen Anfrage vorhin – sind auch in Sachsen-Anhalt gezwungen, über Jahre hinweg unter solchen Bedingungen zu leben. Natürlich gibt es bessere, natürlich gibt es schlechtere Gemeinschaftsunterkünfte, das ist nicht die Frage. Die Probleme, um die es uns geht, sind das Prinzip des Lebens unter Zwang zur Unselbständigkeit, das Prinzip der Isolation und das Prinzip des Lebens in der Warteschleife aufgrund eines verliehenen oder eben nicht zuerkannten Status und ohne Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben.

Unabhängig davon, welchen aufenthaltsrechtlichen Status ein Mensch hat, er bleibt immer ein Mensch, und er hat eine Würde, die zu schützen unser aller Auftrag ist. Ein Leben unter den Bedingungen der Gemeinschaftsunterkünfte als dauerhafte Unterbringungsform ist in den Augen meiner Fraktion nicht menschenwürdig und für niemanden zumutbar und, wenn überhaupt, nur für eine kurze Phase der Orientierung und als Übergangslösung denkbar.

Dem Grunde nach müsste jedoch die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber – so heißt sie - diese Aufgabe erfüllen, wenn sie ihrem Namen gerecht werden sollte. Um nicht missverstanden zu werden: Dies ist kein Plädoyer für einen längeren Aufenthalt in der ZASt, denn selbstverständlich würde eine andere Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Sachsen-Anhalt auch eine andere und eine angepasste soziale Betreuung erfordern, die im Rahmen einer Unterbringungskonzeption von allen Akteuren organisiert werden könnte. Hierbei sind Ministerien und Verwaltungen in der Pflicht, Kommunen, Trägerorganisationen, Flüchtlings- und Migrantenorganisationen und auch die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.

Deswegen beantragen wir nicht nur die Änderung des Landesaufnahmegesetzes, sondern auch die Schaffung aller notwendigen Voraussetzungen für ein Konzept der dezentralen Unterbringung. Die Frage der psychosozialen Betreuung und Begleitung ist darin selbstverständlich inbegriffen. Das hat natürlich immer etwas mit Geld zu tun. Ich will an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich davor warnen zu glauben, eine dezentrale Unterbringung wäre teurer. Wenn wir uns die Angaben im Bundesvergleich noch einmal anschauen, dann fällt interessanterweise das Land Bayern auf, welches zu den absoluten Hardlinern in Sachen Flüchtlingspolitik gehört, Asylsuchende fast ausschließlich in Sammelunterkünften unterbringt - in sehr großen im Übrigen -, nach wie vor das Prinzip „Sachleistungen statt Geldleistungen“ walten lässt und sogar Essensgutscheine ausgibt. Dieses Land Bayern gibt pro Leistungsberechtigen nach Asylbewerberleistungsgesetz 40 % mehr aus als der Bundesdurchschnitt. Das ist in der Tat eine sehr teure Abschreckung. Ein ähnliches Bild zeichnet sich übrigens im Land Berlin. Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion in Berlin geht hervor, dass die Unterbringung in Wohnungen - in Berlin wohlgemerkt - um fast 50 % billiger ist als die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften.

Dezentrale Unterbringung ist eben nicht automatisch die teurere Variante, und insofern ist durchaus damit zu rechnen, dass durch reduzierten Verwaltungs- und Bürokratieaufwand Mittel frei werden, die eine verbesserte Betreuung ermöglichen würden und die dort auch sehr viel besser eingesetzt wären. Eine mindestens aufgabenbezogene Finanzausstattung der Kommunen ist natürlich auch in diesem Fall die Voraussetzung für eine adäquate Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben.

Aus der Sicht meiner Fraktion gibt die im Asylverfahrensgesetz getroffene Regelung den Ländern die Möglichkeit, ein Konzept der dezentralen Unterbringung zu erarbeiten und umzusetzen. Es handelt sich – das ist die Aussage der Landesregierung selbst - um eine Sollbestimmung, die es den Ländern überträgt, das öffentliche Interesse und das Interesse des Ausländers, wie es im Gesetz heißt, abzuwägen und beide Belange zu berücksichtigen. Meine Fraktion ist davon überzeugt, dass auch eine teurere dezentrale Unterbringung in Wohnungen die richtige Entscheidung im Interesse von Menschenwürde und Grundrechten wäre.

Weil sich die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft immer auch am Umgang mit den Schwächsten zeigt - dies sind qua Gesetz Menschen, die als Flüchtlinge, Geduldete oder Asylsuchende hier leben -, wäre es im Interesse der Demokratie, auch im ureigensten öffentlichen Interesse, mit einer dezentralen Unterbringung einen Schritt in Richtung Normalität und Unterschiedlichkeit zu gehen und damit ein politisch - das werden wir in der Aktuellen Debatte morgen sehen - mehr als notwendiges Zeichen gegen Stigmatisierung, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zu setzen.

Natürlich ist dies nicht nur in Sachsen-Anhalt notwendig, sondern bundesweit. Deswegen beantragen wir neben der Änderung des Landesaufnahmegesetzes auch, eine entsprechende Initiative des Landes im Bundesrat zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, zu der lange überfälligen Anpassung an die im Vergleich zur Entstehungszeit des Gesetzes deutlich geringeren Asylbewerberzahlen und insbesondere zur Änderung des § 53 auf den Weg zu bringen. Mit dem Blick auf die Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes scheint dies ja dort durchaus diskutierbar. Ich verstehe durchaus den Impuls, wenn manche Menschen sagen, angesichts der geringen Zahl von Migrantinnen und Migranten sowie von Asylsuchenden in Sachsen-Anhalt könne die Frage der Unterbringung doch kein so wichtiges Thema sein. Abgesehen davon, dass es um Menschenwürde geht, die für jeden Einzelnen gilt, sagen wir: Im Gegenteil - eben weil es so wenige sind, ist es eine Frage des politischen Willens, hierfür eine gute Lösung zu finden.

Der politische Wille ist auch Ausdruck und Impetus der Äußerungen des Innenministers und des angekündigten Erlasses des Innenministers, den ich prinzipiell sehr begrüße. Es ist gut, dass Familien und Alleinerziehende mit Kindern aus den Gemeinschafsunterkünften herausgeholt werden sollen. Es ist gut, dass Standards definiert werden sollen. Es ist gut und es ist lange überfällig. Unter Berücksichtigung dessen, was ich vorhin zur Großen Anfrage der GRÜNEN sagte, habe ich aber erhebliche Zweifel daran, dass das mit Blick auf die zahlreichen Kann-Bestimmungen des Entwurfs tatsächlich stattfinden wird. Über diese Frage und zahlreiche andere Fragen würden wir mit Ihnen gern im Innenausschuss und im Sozialausschuss diskutieren.

Ist eine Erhöhung des Anspruchs auf eine Wohnfläche von 5 auf 6 m² pro Person tatsächlich der große Wurf? Sind 200 Menschen als Maximalgröße für eine Gemeinschaftsunterkunft angemessen? Ist ein Maximalaufenthalt von vier Jahren adäquat? Darüber würden wir vor allem gern mit Expertinnen und Experten diskutieren. Ich werbe deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.