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Henriette Quade zu TOP 07: Für ein neues Bleiberecht

Das Bleiberecht ist eine Angelegenheit des Bundes, und es ist eine Angelegenheit der EU. Und ja, die Problematik ist wahrlich nicht neu. Im Gegenteil, für die Politik der letzten Jahre ist kennzeichnend, dass die Probleme des Bleiberechts durch zahlreiche Stichtagsregelungen, durch immer neue Fristsetzungen, durch vorübergehende Lösungen und Regelungen für kleine Gruppen nur aufgeschoben werden, dass man sich einer dauerhaften Lösung im Sinne der Betroffenen nachhaltig verweigert und dass es eben dadurch immer wieder auf die politische Agenda gesetzt wird.  

Um die Crux der aktuellen Situation und die Notwendigkeit, sich auch heute hier im Landtag damit zu beschäftigen, zu verstehen, ist ein Blick auf die Genese der verschiedenen bleiberechtlichen Regelungen der vergangenen Jahre notwendig.

Im November 2006 beschlossen die Innenminister der Länder, dass langjährig Geduldete in der Bundesrepublik bleiben durften, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllten. Sie mussten per Stichtag eine Mindestaufenthaltsdauer von sechs Jahren im Falle von Familien bzw. von acht Jahren im Falle von Einzelpersonen nachweisen, sie mussten sozial integriert und straffrei sein. Vor allem aber mussten sie die eigenständige Sicherung ihres Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit nachweisen. Aus diesen Regelungen gingen zwar immerhin 24 000 Aufenthaltserlaubnisse hervor. Für die große Mehrheit der langjährig Geduldeten blieb diese Regelung jedoch unwirksam, lebten doch im Jahre 2006 mehr als 100 000 Menschen lediglich geduldet in Deutschland.

Offenkundig hat ein Jahr später auch die Bundesregierung erkannt, dass eine Regelung, die für 24 000 von 100 000 wirksam wird, nicht ausreichend ist, und verabschiedete eine gesetzliche Altfallregelung, die einmalig einen neuen Stichtag setzte. Wer als Nichtdeutscher zum 1. Juli 2007 sechs bzw. acht Jahre in Deutschland lebte, hinreichend Deutsch sprach, ausreichenden Wohnraum nachweisen konnte, keine sonstigen Ausschlussgründe aufwies und seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft sichern konnte, erhielt eine bis zum 31. Dezember 2009 befristete Aufenthaltserlaubnis. Langjährig Geduldete konnten zudem eine ebenfalls bis zum Jahr 2009 befristete so genannte Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten, auch wenn sie ihren Lebensunterhalt noch nicht oder nicht vollständig decken konnten, dies aber erreichbar erschien und sie alle anderen Bedingungen für ein Bleiberecht erfüllen konnten. Alte, Arbeitsunfähige und Kranke blieben also auch bei diesen Regelungen außen vor. Es ergingen weitere 37 000 Aufenthaltserlaubnisse, 15 000 davon galten aber wegen fehlender komplett eigenständiger Sicherung des Lebensunterhalts lediglich auf Probe.

Ende 2009 zeichnete sich nun ab, dass die vollständige Lebensunterhaltssicherung für den großen Teil der Betroffenen so schnell nicht realisierbar sein würde. Abermals wurde eine neue Frist gesetzt. Es gab einen Verlängerungsbeschluss der Innenminister der Länder. Abermals war jedoch eine wirkliche Lösung des Problems politisch nicht gewollt. Eine Lösung des Problems hätte eine grundsätzlich andere Herangehensweise erfordert. Die einmalige Festsetzung bestimmter Einreisestichtage, die verlangte komplett eigenständige Lebensunterhaltssicherung und restriktiv gefasste Ausschlussgründe ließen viele Geduldete von vornherein ohne Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht.  
Vor allem die Sicherung des Lebensunterhalts stellt für die Betroffenen eine große Hürde dar. Jahrelang sind sie bewusst und absichtlich vom Arbeitsmarkt ferngehalten worden und durften, wenn überhaupt, nur nachrangig beschäftigt werden. Und die Beschäftigungsverhältnisse, die ihnen offen stehen, sind zumeist nicht existenzsichernd. Die Forderung des Nachweises einer existenzsichernden Beschäftigung ist also schlichtweg unrealistisch, starten diese nun befristet Aufenthaltsberechtigten doch objektiv als Langzeitarbeitslose mit mehreren Vermittlungshemmnissen in den Arbeitsmarkt.

Wenn überhaupt, dann finden sich die Betroffenen oft im Niedriglohnsektor wieder, in dem das Aufstocken auch für weit mehr als 1 Million Bundesbürger tägliche Realität ist, die jedoch nicht zusätzlich mit jahrelanger systematischer gesellschaftlicher Desintegration, mit einem Leben in Sammelunterkünften, mit dem Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe, mit dem Sachleistungsprinzip und im Übrigen auch mit dem Ausschluss aus den Integrationskursen zu kämpfen hatten.

Die eigenständige Lebensunterhaltssicherung also wie bisher in das Zentrum der Anforderungen für ein Bleiberecht zu stellen, heißt deshalb nicht nur, an der Realität des Arbeitsmarktes meilenweit vorbeizugehen. Nein, im Fall von befristet Bleibeberechtigten kann das eben auch den Rückfall in die Duldung und schlimmstenfalls die Abschiebung bedeuten. Deswegen ist ein wesentliches Element einer neuen Bleiberechtsregelung, für die einzutreten wir die Landesregierung heute beauftragen wollen, die Erhebung realistischer Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung derjenigen, die ein dauerhaftes Bleiberecht in der Bundesrepublik begehren.

Ich freue mich ausdrücklich, dass auch die Fraktion der CDU dafür plädiert, Realismus bei der Einschätzung der Verdienstmöglichkeiten im Land Sachsen-Anhalt walten zu lassen.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis darf nicht von einer vollständigen Lebensunterhaltssicherung abhängig gemacht werden. In bestimmten Situationen müssen Abstriche gemacht werden. Im Zweifelsfall muss eben auch das nachgewiesene Bemühen um Arbeit ausreichen.

Ein eventueller Sozialhilfebezug darf einem Bleiberecht nicht grundsätzlich entgegenstehen, denn es ist schlichtweg inhuman, Menschen, die aufgrund ihres Alters oder einer Krankheit - nicht selten führt gerade bei Flüchtlingen eine Traumatisierung zur Arbeitsunfähigkeit - eines besonderen Schutzes bedürfen, von einem dauerhaften Bleiberecht auszuschließen.

Auch der Verzicht auf restriktive Ausschlussgründe, wie sie gegenwärtig gelten, muss für uns ein Grundbestandteil einer an humanen und demokratischen Werten orientierten Bleiberechtsregelung sein. Flüchtlingen und Asylsuchenden wird in Deutschland häufig vorgeworfen, sie wollten durch fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung einer möglichen Ausreise entgehen oder sie verzögern oder verhindern.

Passlosigkeit ist eines der Haupthindernisse für ein Bleiberecht. Genau das aber ignoriert die Realität von Geflüchteten völlig, es ist eben nicht der Regelfall, dass man auf der Flucht - der Begriff besagt: sie geschieht nicht freiwillig - seine Papiere wohlgeordnet und sortiert bei sich trägt, sie an der Grenze des Landes, aus dem man flieht, abstempeln lässt und dann einfach so weiterreist.  

Die aktive Mitwirkung an den Vorbereitungen zur eigenen Abschiebung zur Voraussetzung für ein dann doch mögliches befristetes Bleiberecht zu machen, ist für Menschen, die auf der Suche nach nichts anderem als einem Leben in Sicherheit und Würde sind, einfach unzumutbar.

Doch das ist nicht der einzige restriktive Ausschlussgrund. Mit den Bleiberechtsregelungen der vergangenen Jahre kann eine Verfehlung, das heißt das Straffälligwerden eines Familienmitgliedes, zum Ausschluss der gesamten Familie vom Bleiberecht führen. Das ist unter verfassungsrechtlichen Aspekten mehr als fragwürdig und muss dringend überwunden werden.

DIE LINKE gehört nun nicht zu den Parteien, auch nicht hier im Hohen Hause, die regelmäßig und vor allem normativ den Wert der Familie gegenüber anderen Lebensformen betonen will. Das tun andere mit zuweilen großer Emotionalität. Umso verwunderlicher finde ist es, dass Sie es auf der Bundesebene offenbar völlig richtig finden, gesetzliche Regelungen zu beschließen, denen zufolge 14-jährige Kinder dann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen können, wenn ihre Eltern ausreisen, und das dann auch noch freiwillige Ausreise zu nennen. Man muss wahrlich kein überhöhtes Bild von Familie haben, um das als Erpressung und als inhuman zu begreifen. Auch das ist also eine Regelung, die in unseren Augen in einem neu zu schaffenden Bleiberecht nicht tragbar ist. Sie gehört genauso abgeschafft wie die Spirale der Kettenduldungen und immer neue Stichtagsregelungen, die für das Gros der Betroffenen nicht wirksam werden.

Mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung beauftragen, sich auf der Bundesebene für ein grundsätzlich neues Bleiberecht einzusetzen, das sich an humanitären und demokratischen Kriterien statt an Nützlichkeitskriterien orientiert und das für die Betroffenen endlich eine dauerhafte und verlässliche gesetzliche Regelung schafft.

Das Resultat der Politik der letzten Jahre ist es aber eben explizit auch, immer wieder neu akuten Handlungsbedarf zu schaffen. Mit dem Ende des Jahres 2011 läuft die letzte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe und der Altfallregelung ab. Tausenden Menschen droht also, in den unsicheren Status der Duldung zurückzufallen. Sie sind dann von der Abschiebung bedroht, obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt mehr als zehn Jahre in Deutschland gelebt haben werden. Für diese Menschen muss schnell eine Übergangsregelung gefunden werden, die ihnen eine Perspektive gibt. Deshalb muss das Thema Bleiberecht auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz am 8. und 9. Dezember 2011 gesetzt werden. Aufgrund des selbst geschaffenen Drucks durch das Auslaufen der Frist und aufgrund des nahen Termins der Innenministerkonferenz ist für meine Fraktion eine Direktabstimmung über den Antrag hier im Plenum unabdingbar.

Die Tatsache, dass auch die Integrationsbeauftragten der Länder und auch die Integrationsbeauftragte der Landesregierung die Bemühungen für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung und für eine grundsätzliche Verbesserung des Bleiberechts unterstützen, dürfte auch Ihnen die Zustimmung zu unserem Antrag möglich machen, der im Übrigen keine anderen Forderungen erhebt als es die beiden großen christlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas auch tun.