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Henriette Quade zu TOP 05: Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten in Sachsen-Anhalt

Die Unterbringungssituation von Flüchtlingen und Asylsuchenden hat außer den Betroffenen selbst lange Zeit in der Tat nur wenige Menschen interessiert. Außerhalb der sogenannten Fachöffentlichkeit von Flüchtlingsräten, engagierten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der psychosozialen und psychologischen Beratungsprojekte, Traumazentren etc., Flüchtlings- und Migrantenorganisationen waren die konkreten Lebensbedingungen von Menschen, die in der Bundesrepublik Asyl und Zuflucht suchen, kaum präsent, obwohl diese Fachöffentlichkeit sehr intensiv auf existierende und entstehende Probleme aufmerksam zu machen versuchte.

Mit Blick auf uns Politikerinnen und Politiker sage ich auch: Man findet in allen Parlamenten, von den Kommunen über die Landtage bis hin zum Bundestag und über alle Parteigrenzen hinweg, Politikerinnen und Politiker, die nicht wissen, wie und wo Asylsuchende in ihrem Ort, in ihrer Stadt oder in ihrem Wahlkreis leben.

Ein Stück weit hat sich die Lage in der letzten Zeit allerdings geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat das geltende Asylbewerberleistungsgesetz als verfassungswidrig eingeschätzt und unmissverständlich festgestellt, dass es nicht zwei unterschiedliche Existenzminima für deutsche Staatsbürger und für Asylsuchende geben kann. Es gibt Initiativen der Bundesländer im Bundesrat, beispielsweise zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Im September 2012 startete ein Protestmarsch von Flüchtlingen aus Würzburg durch das gesamte Bundesgebiet nach Berlin, um auf die Situation von Flüchtlingen und Asylsuchenden aufmerksam zu machen und ihre Rechte einzufordern.

Das Innenministerium unseres Landes plant die Definition von Mindeststandards für die Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern per Erlass. Kurz: Die Lebensbedingungen und gerade auch die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland sind mit ganz unterschiedlichen Zugängen ein Thema in der gesellschaftlichen Debatte geworden, und es ist geboten, sich auch in Sachsen-Anhalt mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deswegen außerordentlich dankbar für die heute zur Debatte stehende Große Anfrage zur Unterbringung.

Wenn wir uns die Antworten anschauen, dann lässt sich im Wesentlichen zusammenfassen, dass in den Augen der Landesregierung allein die Landkreise und kreisfreien Städte für die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verantwortlich sind; diese haben einen gewissen Ermessensspielraum, dessen Nutzung oder Nichtnutzung allein in ihrer Verantwortung liegt. Ansonsten ist das ausschließlich durch die Bundesgesetzgebung bestimmt.

Die Landesregierung spielt in ihren Antworten auf die Große Anfrage im Grunde keine sehr aktive Rolle. Es gibt in den Antworten lediglich zwei Punkte, an denen auf das Handeln der Landesregierung Bezug genommen wird. Zum einen habe das Innenministerium im Jahre 2008 gegenüber den Kommunen die Bitte ausgesprochen, Familien und Alleinreisende mit Kindern in Wohnungen unterzubringen, weil dies Personengruppen seien, für die das Leben in Gemeinschaftsunterkünften mit besonderen Härten verbunden sei. Diese Einschätzung teile ich ausdrücklich. Ich frage Sie aber, für welche Personengruppe es keine besondere Härte sein soll, über Jahre hinweg auf engstem Raum - pro Person gilt derzeit ein Standard von 5 m² -, in einem Zimmer mit anderen erwachsenen Menschen, ohne Privatsphäre und zwangsweise unselbstständig leben zu müssen. Diese Beschreibung trifft im Übrigen auf alle Gemeinschaftsunterkünfte zu. Nicht alle, aber viele sind zudem in baulich marodem Zustand, oftmals auf alten Kasernengeländen gelegen, isoliert vom jeweiligen Ort, vor allem aber isoliert von der Gesellschaft gelegen. Sie sind schlecht angebunden an Kultur und ÖPNV. Es ist schwierig, Ämter und Behörden zu erreichen. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist kaum möglich. In den Augen meiner Fraktion ist das für niemanden zumutbar, geschweige denn menschenwürdig.

Aber darum und auch um die in der Antwort auf Frage 9 dargestellte Rechtsauffassung der Landesregierung wird es unter einem anderen Tagesordnungspunkt, dem Tagesordnungspunkt 7, gleich noch gehen. Deswegen spare ich das an dieser Stelle aus.

Der zweite Punkt, an dem die Landesregierung ihrer Antwort zufolge zumindest angedeutet eine Rolle spielt, ist die Antwort auf Frage 26. Dort heißt es: „Die Landkreise und kreisfreien Städte sind daher nicht nur für die Schaffung von geeigneten Unterkünften, sondern auch für die regelmäßige Überwachung des ordnungsgemäßen Zustands der Gemeinschaftsunterkünfte in ihrer Trägerschaft verantwortlich. Die Kontrolle der Einhaltung dieser kommunalen Pflichten obliegt dem Landesverwaltungsamt im Rahmen der Fachaufsicht. Eine fortlaufende Evaluation findet nicht statt.“

Das ist mir - jenseits aller unterschiedlichen politischen Auffassungen zur Unterbringung Asylsuchender, die wir hier im Hohen Hause vertreten mögen - nicht verständlich. Wie wird denn eine Fachaufsicht ausgeübt, wenn es keine fortlaufende Evaluation gibt? Warum wird der Gestaltungsspielraum, den das Land hat nicht genutzt? Es gibt das Landesaufnahmegesetz. Es gibt die Möglichkeit - der Minister ist doch gerade dabei -, Standards per Erlass zu definieren. Es gibt den Heim-TÜV in Sachsen. Warum wird die Wirkungsmächtigkeit der Landesregierung von ihr selbst derart kleingeredet?

Ich habe das Gefühl, hierbei soll politische Verantwortung allein auf die Kommunen abgewälzt werden, um von der eigenen abzulenken. Um nicht missverstanden zu werden: Wenn es in einer Kommune ein Problem mit einer Gemeinschaftsunterbringung gibt - diese gibt es zuhauf -, dann ist selbstverständlich der Betreiber in der Pflicht und dann ist selbstverständlich die Kommune, der Landkreis oder Stadt, in der Pflicht, sich darum zu kümmern. Tun sie das nicht, sind sie dafür zu kritisieren. Wenn es aber so sein soll, dass die Kommunen die alleinige politische Verantwortung haben und dass die Landesregierung nicht die Notwendigkeit quantitativer und qualitativer Vorgaben sieht, weil die Kommunen ihrer Verantwortung schließlich so gut nachkommen, dann frage ich Sie: Warum gibt es in allen Kommunen außer in Dessau und Halle Menschen, die länger als fünf Jahre in den Gemeinschaftsunterkünften leben? Warum leben trotz der Bitte des Innenministeriums in allen Gemeinschaftsunterkünften außer im Harz Familien mit Kindern?

In einigen Landkreisen ist hierbei im Übrigen sogar eine steigende Tendenz zu verzeichnen: Beispielsweise lebten in Stendal im Jahr 2008 19 Familien in der Gemeinschaftsunterkunft, im Jahr 2011 waren es 32. Ich frage Sie: Was bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich eine Bitte des Innenministeriums, wenn ihr nicht oder nur ungenügend nachgekommen wird und dies offenbar folgenlos bleibt? Und ich frage Sie: Warum müssen wir dann immer wieder von katastrophalen Zuständen in Gemeinschaftsunterkünften, insbesondere in Bezug auf die hygienischen und sanitären Bedingungen, hören und lesen, wie in Harbke, Burg oder auch Friedersdorf und zuletzt Bernburg?

Offenkundig ist eine Fachaufsicht ohne eine fortlaufende Evaluation nicht seriös zu führen. Hier ist ganz klar das Landesverwaltung und mit ihm die Landesregierung in der Pflicht, dies endlich zu ändern.