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Henriette Quade zu TOP 02: Demokratie verteidigen – Zivilgesellschaftliches Engagement unterstützen

Wir alle hier im Hohen Hause, und es ist Glück, dass wir dies so feststellen können, sind Demokraten. Doch die Einigkeit endet schnell, auch daran erkennt man eine Demokratie, und mit Blick auf die Verteidigung der Demokratie, wie es in unserem Antrag formuliert ist, noch schneller. Denn über die Feststellung einer Bedrohung der Demokratie, erst recht über die Wege und Möglichkeiten, über die Notwendigkeiten Demokratie zu verteidigen, wird hochkontrovers und nicht selten erbittert gestritten.

In den Augen meiner Fraktion gilt es, die Demokratie auf vielen, ganz unterschiedlichen Ebenen zu verteidigen. Wenn Mitspracherechte nicht genügend vorhanden sind oder eingeschränkt werden sollen, wenn die Kommunen kaum noch Entscheidungsspielräume haben, wenn der soziale Status über die Teilhabechancen bestimmt, wenn, die Debatte hatten wir eben, und in unseren Augen ist es so, wenn Bürgerrechte ausgehöhlt werden, oder wenn Menschenrechte nicht für jeden Einzelnen gelten sollen.  

Und es gilt Demokratie besonders dann zu verteidigen, wenn sie aktiv in Frage gestellt wird. Wenn der Ruf nach der starken Hand laut wird, die die unübersichtliche Weltlage ordnen soll. Wenn Minderheiten diskriminiert werden. Wenn die Gleichwertigkeit Menschen auf Grund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer angeblichen Rasse negiert wird.

Genau da ist regelmäßig der Fall, wenn Neonazis ihren Positionen Gehör zu verschaffen suchen. Das ist der Fall, wenn die Vertreter der NPD in Landtagen oder auch in den Kreistagen Sachsen-Anhalts reden. Es ist der Fall, wenn bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen Neonazis das Wort ergreifen und versuchen die Debatte an sich zu ziehen und zu dominieren. Es ist der Fall, wenn sie mit Mahnwachen für beispielsweise die „Todesstrafe für Kinderschänder“ oder mit Kampagnen gegen den Bau von Moscheen in Erscheinung treten. Und es ist ganz besonders der Fall, wenn Neonazis mit Demonstrationen und Aufmärschen versuchen, sich selbst ein Podium für ihre menschenverachtenden Positionen zu schaffen. So genannte Trauermärsche, wie der jährlich in Magdeburg stattfindende, oder auch der jährliche Aufmarsch in Dresden, haben dabei eine besondere Bedeutung.

Der Fachträger Miteinander, der hier im Land seit Jahren diese und andere Phänomene beobachtet und analysiert schätzt hierzu ein: „Anders als bei Kundgebungen und Demonstrationen aus Anlass tagesaktueller Themen ist im Falle von Aufmärschen zu rechten Identitätsthemen die Bevölkerung nicht der Hauptadressat der Neonazis. Diese Aufmärsche sind vielmehr geeignet, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren und die Binnenidentität rechtsextremer Gruppen zu stärken. Insbesondere geschichtspolitische Postulate tragen nicht zuletzt zur Legitimation des eigenen Handelns bei. Nach außen wird mit solchen Positionen ein klassischer Kampf um kulturelle Hegemonie gegen das vermeintliche Establishment geführt. Hinzu kommt das Motiv der Anhängerwerbung.“

Solche Trauermärsche dienen zu einem großen Teil der Selbstvergewisserung derjenigen, die sie organisieren und durchführen und haben eine identitätsstiftende und -prägende Funktion. Und natürlich soll es eine Demonstration von Stärke und Dominanz sein, wenn Neonazis, sich auch in der Formensprache ihrer historischen Vorlagen bedienend als letzte und einzige Wahrer des Gedenkens der deutschen Opfer des zweiten Weltkrieges inszenieren.

Beides, die Einbettung in eine Strategie und vielfältige Formen des Kampfes um die öffentliche Meinung  und zugleich die spezielle Rolle von Trauermärschen für die Selbstvergewisserung und -inszenierung ist wichtig, sich vor Augen zu halten, wenn wir darüber reden, wie mit den Positionierungen von Nazis und eben auch mit solchen Aufmärschen umzugehen ist.

Mit unserem Antrag versuchen wir genau das zu tun und wir finden, der Landtag von Sachsen-Anhalt sollte ein deutliches Zeichen an diejenigen senden, die mit ihrem Engagement, mit ihrem Mut und mit ihrer Kreativität der Wortergreifung der Nazis auch im historischen Kontext nicht tatenlos zusehen wollen.

Die wichtigste Empfehlung aller Beratungsstrukturen, die sich mit dem Thema Neonazismus befassen ist, den Äußerungen der Nazis zu widersprechen. Sei es im Kreistag, sei es bei der Podiumsdiskussion, sei es bei der rassistischen Tirade. Mit Demonstrationen und Kundgebungen beanspruchen Neonazis in besonderer Weise den öffentlichen Raum. Deswegen muss ihnen auch im öffentlichen Raum, von möglichst vielen Menschen getragen und deutlich zu vernehmen widersprochen werden.

Und es ist wichtig, in diesem Zusammenhang noch einmal darauf einzugehen, ob es eine Strafe für Neonazis ist, wenn sie mit „Missachtung gestraft“ werden, wie es der Innenminister im Vorfeld des 12. Januars 2013 empfohlen hat. Es ist mit Blick auf die Funktion historischer Aufmärsche, aber auch anderer Demonstrationen von Neonazis eben keine Strafe. Missachtung, so inbrünstig sie auch empfunden sein mag, und das will ich überhaupt nicht in Frage stellen, ist in der öffentlichen Wahrnehmung, in der Wahrnehmung der Nazis selbst und auch im Erleben ihrer potentiellen und tatsächlichen Opfer, von Ignoranz kaum zu unterscheiden. Und Ignoranz lässt unwidersprochen gewähren.

Deshalb ist es uns wichtig, festzuhalten: Der Landtag von Sachsen-Anhalt will Aufmärschen von Neonazis nicht durch Missachtung begegnen. Es ist notwendig, Nazis zu widersprechen und gegen ihre Hetze gegen all jene, die sich nicht in ihr Welt- und Menschenbild fügen wollen, Position zu beziehen. Und es ist notwendig, dass dieser Protest auch so artikulierbar ist, dass diejenigen, gegen die er sich richtet, ihn auch mitbekommen. Das ist Teil einer demokratischen Auseinandersetzungskultur. Es ist nicht ihr schönster, und ich glaube es existieren auch viele Mythen darüber, wie gern die Menschen, die protestieren, das eigentlich machen und aus welcher Motivation. Ich kann Ihnen versichern, spaßig ist das nur in Ausnahmefällen, aber ich halte es für notwendig.

Wir halten es für notwendig und nun erlebten wir im Vorfeld des 12. Januars 2013 auch eine Debatte darüber, was dabei legitim ist und was nicht. Und diese Debatte ist alt und Gegenstand zahlreicher politischer und auch juristischer Auseinandersetzungen. Im Kern steht und stand dabei die Frage, welche Aktionen und Aktionsformen vom grundgesetzlich verbrieften Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt sind. Nicht selten ist dabei das Bundesverfassungsgericht die letzte entscheidende Instanz.

Im Grundsatzbeschluss des Jahres 1985, besser bekannt als Brokdorf-Urteil, formulierten die Karlsruher Verfassungsrichter: „Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“ und weiter,  Demonstrationen enthielten "ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren". Sie betonten damit den hohen Wert des Rechtes auf freie Versammlung und legten die Hürden für das Verbot von Demonstrationen sehr hoch.  Die sind zudem verpflichtet, bei der Anwendung des Versammlungsgesetzes mit seinen unbestimmten Rechtsbegriffen grundsätzlich "versammlungsfreundlich" zu verfahren. Insbesondere sind Verbot oder Auflösung von Versammlungen bzw. Demonstrationen nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter zulässig und unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Nun ist natürlich festzustellen, dass die Versammlungsfreiheit und die eben beschriebene Rechtsprechung auch für Neonazis und ihre Versammlungen gilt. Hier haben wir keinen Dissens. Aber sie gilt eben auch für diejenigen, die ihnen aktiv widersprechen wollen.
Nun ist im Vorfeld des 12. Januar 2013 unter anderem durch den Innenminister geäußert wurden, dass 700 gewaltbereite Demonstranten und damit handfeste Auseinandersetzungen zu erwarten seien. In der öffentlichen Darstellung wurden die zu erwartenden Protestiererinnen und  Protestierer gerne auch als linksextreme Chaoten dargestellt. Das diente als zentraler Begründungsstrang für das strikt zu befolgende polizeiliche Trennungskonzept, das Protest und Sicht- und Hörweite eben nicht zulassen sollte.

Und auch hierzu ist der Brokdorf-Beschluss wichtig, denn er besagt auch: Abstrakte Gefahrenannahmen reichen für das Verbot oder Auflösung von Versammlungen nicht aus. Es muss eine konkrete und unmittelbare Gefahr vorhanden sein, die bloße Vermutung reicht hier nicht aus. Und so ist es auch folgerichtig, dass die versuchten Verbote von Versammlungen durch die PD Nord durch das OVG Magdeburg aufgehoben wurden.

Und auch die Unterscheidung zwischen friedlichen Demonstranten und potentiellen Blockierern als per se nicht friedlich und rechtwidrig ist juristisch nicht haltbar. Mit Urteil vom 7. März 2011 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch Sitzblockaden den Schutz der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG genießen, sofern von ihnen keine Gewalt ausgeht und sie einen politischen Zweck verfolgen. Der ist bei Antinaziprotesten prinzipiell gegeben. Diese Proteste sind nicht nur per se politisch- sie sind immer auch ein dringend notwendiger Schulterschluss und ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt und all jenen, denen Nazis die Menschenwürde absprechen.
Die zu erwartenden Demonstrierenden gegen den Naziaufmarsch schon im Vorfeld als potentielle Gewalttäter darzustellen, ist deswegen nicht nur juristisch nicht gerechtfertigt, es ist politisch verantwortungslos. Damit wird eine Stimmung erzeugt, die die Artikulation politischer Haltungen im Rahmen der Versammlungsfreiheit von vornherein als nicht nur polizeitaktisches, sondern als politisches Problem beschreibt. Das ist nicht im Sinne der Demokratie. Und es ist ebenfalls nicht im Sinne der Demokratie, wenn die Beobachtung eines solchen Demonstrationsgeschehens wie am 12. Januar durch gewählte Abgeordnete aller Fraktionen als unzulässig, als Sittenverfall und als Misstrauensakt diskreditiert wird. Es ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, dass öffentliches Geschehen von Öffentlichkeit beobachtet wird und es unsere Pflicht und unser verfassungsgemäßer Auftrag als Parlamentarier, uns ein Bild zu machen.

Die, an der Stelle dürften wir uns wieder einig sein, schwierige Aufgabe der Polizei ist es an Tagen wie dem 12. Januar die Verhältnisse abzuwägen und die angemessenen Entscheidungen zu treffen. Sie hat dazu einen notwendigen und wichtigen Ermessensspielraum. Für den 12. Januar sah die PD Nord in Magdeburg offenbar keine andere Möglichkeit, als mit einem Konzept der weiträumigen Trennung, mit einer Geheimhaltung des Aufmarschgebietes der Neonazis und mit massiver, wie wir finden, in Teilen ungerechtfertigter Präsenz und der Demonstration von Stärke durch Reiterstaffel und Wasserwerfer für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Dass dabei wohlgemerkt friedliche Protestierer über Stunden z.B. in der Hegelstraße festgehalten wurden, ohne dass es eine Begründung , ohne dass es eine polizeiliche Durchsage dazu gab, während die Nazis Kilometer entfernt ohne nennenswerten Widerspruch ihre Route laufen konnten, ist in unseren Augen eben nicht verhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt.

Nun ist die Argumentation, wenn die Leute näher an den Naziaufmarsch herangekommen wären, wäre es nicht friedlich geblieben. Das ist dann doch eine ziemlich abstrakte Gefahrenprognose. Hier wäre es durchaus möglich gewesen, und es wäre im Übrigen auch im Sinne der Deeskalation gewesen, diese Leute, zumindest symbolisch in Richtung der Nazis laufen zu lassen und damit ihren Protest zu artikulieren.

Und es gibt ja durchaus Beispiele, die belegen, dass es anders geht. In der letzten Woche, am Tag, an dem das neue SOG den Innenausschuss passierte, am 13. Februar 2013 demonstrierten Tausende Menschen gegen den einstmals größten jährlich stattfindenden Naziaufmarsch Europas. Nach Einschätzung der Polizei verlief der Tag überwiegend friedlich. Tausende Menschen stellten sich in bunter Vielfalt den ca. 900 Nazis in den Weg und verhinderten so den für die Nazis so wichtigen Trauermarsch. Die Konsequenz ist, dass der Naziaufmarsch in Dresden, der durch die enormen Proteste der letzten Jahre bereits mehrfach erheblich gestört wurde, für die Neonazis weiter an Bedeutung verlieren wird. Das Signal ist, in Dresden können Nazis nicht ungehindert marschieren. Und das ist ein wichtiges und ein gutes Signal.

Von Magdeburg ging am 12. Januar dieses Signal leider nicht aus. Es haben sehr viele Menschen auf sehr unterschiedliche Art und Weise, auf der Meile der Demokratie, mit verschiedenen Kunstaktionen und mit verschiedenen anderen Aktionsformen ihrem Protest Ausdruck verliehen. Das ist gut und es ist wichtig, dieses Engagement zu würdigen.

Über die Legalität der Einzelfälle haben nicht wir zu entscheiden. Die Frage der Legitimität ist aber eine politische.  In den Augen meiner Fraktion ist es wichtig, als Landtag und als politische Akteure dieses Landes festzuhalten, dass auch die Möglichkeit der gewaltfreien Blockade ein legitimes Mittel ist, seinem politischen Protest gegen die antidemokratischen und menschenfeindlichen Positionen der Nazis Ausdruck zu verleihen.

Und es ist eine Stärke der Demokraten, dass sie die Unterschiedlichkeit und das Nebeneinander der verschiedenen Aktionsformen nicht nur aushalten können, sondern auch anstreben. Denn genau diese Unterschiedlichkeit und die Vielfältigkeit ist der Gegensatz zu Gleichschaltung und Uniformität.