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Harry Czeke zu TOP 04: Welthandel fair statt a la TTIP und CETA

Am vergangenen Samstag haben 250.000 Menschen in Berlin unter dem Motto „Stopp TTIP und CETA – für einen gerechten Welthandel“ demonstriert. Eingeladen hatten zu dieser größten Demonstration der letzten Jahre zahlreiche Verbände, unter anderem aus dem Umwelt- und Verbraucherschutz-Bereich sowie Gewerkschaften und Kirchen. Sie alle wollten protestieren gegen zwei seit Jahren im Geheimen verhandelte Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA, kurz CETA und TTIP. Im Vorfeld hatte die europäische Bürgerinitiative „Stopp TTIP“ innerhalb eines Jahres über drei Millionen Unterschriften gegen das transatlantische Deregulierungsprojekt gesammelt. Dieses demokratische Aufbegehren können die Verhandlungspartner kaum ignorieren.

Die Partei DIE LINKE. teilt und unterstützt die Argumente der KritikerInnen von TTIP und CETA. Unseren vorliegenden Antrag könnte man unter dem vor einigen Jahren oft verwendeten Motto „Think global, act local – denke global, handle lokal” zusammenfassen. Heute heißt es wohl eher “Globales Lernen” und meint, jüngere und ältere Menschen für die globalisierte Welt zu sensibilisieren, damit sie eigene Werte und Haltungen zur nachhaltigen Entwicklung herausbilden – übrigens 2007 von allen KultusministerInnen als Orientierungsrahmen für den Lernbereich vereinbart.

Was hat das nun mit den Freihandelsabkommen TTIP und CETA zu tun? Diese bilateralen Abkommen zwischen den reichsten Wirtschaftsblöcken in Nordamerika und Europa werden nicht nur auf die lokalen und regionalen Ebenen der EU-Mitgliedstaaten und der Nordamerikas durchschlagen – schließlich geht es um die Marktöffnung in den Bereichen Ernährung, Kultur, Mobilität, Abfallentsorgung, Bildung oder Gesundheitsversorgung – ich komme noch ausführlicher dazu. Sondern diese transatlantische Standardsetzung und Abschottung wird als große Verlierer die sogenannten Entwicklungsländer haben, also die armen Länder hauptsächlich auf der Südhalbkugel. Zu diesem Urteil kam 2013 nicht nur das Ifo-Institut in seiner Studie, sondern wurde dezidiert auch beim letzten Treffen der EuropaministerInnen im Juni dieses Jahres erläutert. Frau Professor Dr. Narlikar, Präsidentin des „German Institute of Global and Area Studie“, (GIGA), erläuterte hier die negativen Auswirkungen von TTIP auf die Länder des Südens. USA und EU wirkten mit TTIP als „standardsetter“ und Drittländer hätten anders als bei multilateralen Ansätzen, wie etwa in der WTO, keine Möglichkeit mitzuarbeiten. Es bestehe somit ein System von „Exklusion und Dominanz“.

Der Welthandel kann Wohlstand und Entwicklung bringen – aber nicht so, wie er bisher organisiert wird. Welthandel ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument. Er muss die Vorteile gerecht verteilen und dafür braucht es Regeln, keinen Freifahrtschein zur Plünderung des Planeten. Seit Jahrzehnten ist der Welthandel zum Nutzen des Nordens und geht zu Lasten des Südens. Die Investitions- und Handelspolitik der Industriestaaten des Nordens ist auf Profit der großen Konzerne ausgerichtet: sie nehmen Rohstoffe und Land für Wachstum und Konsum in ihrer Sphäre, konkurrieren Kleinunternehmen und Kleinbauern vor Ort zu Grunde und überschwemmen die dortigen Märkte mit ihren subventionierten Exportgütern.

Beispiele dafür sind das Abholzen des Regenwaldes in Argentinien für Gensoja zum Fleischkonsum in Europa. Die Kleinfischer und FischhändlerInnen vor der westafrikanischen Küste verhungern, weil europäische Fangflotten das Meer hier überfischen. Ghana kann seine Baumwolle nicht gegen die subventioniert US-Baumwolle vermarkten. Diese Art Welthandel verursachte soziale und ökologische Probleme, Armut, Hunger, Flucht und Konflikte.

CETA und TTIP sind Ausdruck dieses Freihandels-Paradigmas. Mehr noch: sie verhindern das Entstehen regionaler und lokaler nachhaltiger Entwicklung und Wirtschaftskreisläufe, sowohl in der sogenannten Peripherie, aber auch in der EU, in Kanada und den USA.

Freihandel ist seit 1947 eine mächtige Ideologie, hervorgebracht von den USA nachdem sie ihre Wirtschaft durch Protektionismus fit für den Welthandel gemacht hatten. Im Rechtswesen gibt es das Prinzip des Schutzes des Schwächeren vor dem Stärkeren. Dieses kann meines Erachtens auch Protektionismus rechtfertigen. Solange, bis der Süden fit für den Welthandel ist. Real sinken die Anteile des Südens am Welthandel. „Freihandel ist der Protektionismus der Reichen“ sagt der Wiener Uniprofessor Christian Felber. Freihandel hat weder globales Wachstum gebracht noch den Hunger besiegt. In dieser reichen Welt hungern eine Milliarde Menschen. Klar, dass sie sich auf den Weg in den Norden machen, um zu überleben. Zur Ursachenbekämpfung bedarf es einer entwicklungsfördernden und solidarischen Handelspolitik und Entwicklungszusammenarbeit. Wie es hier um den politischen Willen der Landesregierung steht, zeigt auch das traurige Gezerre um das Promotorinnenprogramm. Die LINKE und GRÜNE Opposition im Hause versucht seit Jahren, diese Bildungsarbeit durch finanzielle Sicherung und Stärkung zu erhalten, was aber auch in diesem Doppelhaushalt von CDU und SPD wieder abgelehnt wurde.

Schaut man sich die „Eine-Welt-Politik“ der Landesregierung an, sieht man, dass sie stark am Eigeninteresse orientiert ist. Angesiedelt ist sie im Wirtschaftsministerium, inhaltlich fördert sie zu 95 Prozent Stipendien für StudentInnen aus Entwicklungsländern. Entwicklungsrelevante Projekte und Bildungsarbeit wurden kontinuierlich ausgedünnt, trotz der Bekenntnisse in den entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes von 2000. Die Entwicklungszusammenarbeit hat einen Anteil am Gesamthaushalt von etwa 0,003 Prozent, pro EinwohnerIn werden knapp zehn Cent jährlich dafür ausgegeben, ohne Studienplatzförderung. Damit liegt Sachsen-Anhalt im Länderranking wie so oft ganz hinten. Internationale Kontakte und Partnerschaften pflegt die Landesregierung hauptsächlich mit Frankreich und Polen, arme und ärmste Entwicklungsländer gehören nicht dazu.

Mit den USA und der EU schaffen die weltweit größten pro-Kopf-Produzenten von CO2 und Rohstoffverbraucher/innen den größten deregulierten Handelsraum, ohne Verantwortung und Ausgleich zu übernehmen für verursachten Klimawandel, Flucht, Hunger und Armut. Es braucht einen Neustart der Handels-, Rohstoff- und Investitionspolitik der EU. 2015 sollte ein Aufbruch werden: es ist nicht nur das von der EU ausgerufene „Europäischen Jahr für Entwicklung“. In diesem Jahr sollte auch die dritte Stufe der von der UNO 1970 festgelegten ODA-Ziele - der Entwicklungshilfeausgaben - von 0,7 Prozent des BIP der Industriestaaten, erreicht werden. Fehlanzeige. Es sind 0,35 Prozent in der Bundesrepublik.
Zugleich sollen in diesem Jahr die Milleniumsziele, MDG durch SDG, Substainable Development Goals, Nachhaltigkeitsziele verabschiedet werden.
All das wird konterkariert von bilateralen Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Es bedarf der Kooperation im Welthandel, statt Konkurrenz.

Die Organisation „Foodwatch“ bezeichnet TTIP als „Armutsprogramm für die ärmsten Länder“. Sie, die Kirchen und andere Verbände gehen davon aus, dass mit den Freihandelsabkommen Geistiges Eigentum stärker geschützt wird: Mindestlaufzeiten für Patente könnten festgelegt werden, Medikamente für Entwicklungsländer damit unbezahlbar. Privatisierungen werden befördert, weil Stromversorgung und Krankenhäuser, einmal liberalisiert, nicht rekommunalisierbar sein sollen.

Regionale Wirtschaftskreisläufe – im Norden und Süden - die die Produktion und den Konsum vor Ort nach sozialen und ökologischen Standards sichern, schonen die Umwelt und sind transparent für Verbraucher/innen. Dafür sind Rekommunalisierungen, Mindestlohn und Vergabegesetze auszuweiten, statt sie durch private Schiedsgerichte zum Klagegegenstand zu machen. Im Sinne kurzer Transportwege, Direktvermarktung und Schutz regionaler Produkte.

Kaum eine EU-Wirtschaftsinitiative hat in den vergangenen Jahren so viel Kritik hervorgerufen wie das Freihandelsabkommen TTIP. Ende Oktober 2015 beginnt in den USA die elfte Verhandlungsrunde seit Beginn der Initiative 2013. Je mehr Informationen aus den Geheimpapieren „geleakt“ und neuerdings in Leseräumen offenbar werden, desto größer wird der Widerstand. Die amerikanischen Vorschläge werden gar nicht öffentlich, die der EU nur nach größtem Druck aus der Öffentlichkeit. Frankreich hatte Ende September angekündigt, TTIP nicht zu ratifizieren, wenn die USA weiterhin intransparent bei Daseinsvorsorge und Agrarmarkt verhandeln. Trotz dieser Widerstände beteuern die TTIP-BefürworterInnen, dass das Abkommen ein reines Win-Win-Projekt ist, Standards erhalten bleiben. Und die CDU ist sich nicht zu schade zu phantasieren, dass in Deutschland durch TTIP 200.000 neue Jobs entstünden. Um 94 Prozent würde der deutsche Export in die USA zunehmen und jede Familie eines vierköpfigen Haushalts bekäme ein Zusatzeinkommen von 545 Euro jährlich. Paradiesische Zeiten brechen demnach für Unternehmen und BürgerInnen aus.

Diese Euphorie teilen indes nicht alle: laut Frankfurter Rundschau vom 5. Oktober 2015 haben sich über 1200 kleine und mittlere Unternehmen zur Initiative „KMU gegen TTIP“ zusammengeschlossen, weil sie um ihr Überleben bangen in der Konkurrenz mit Google, DHL und Co. Im Artikel wird eine Inititiatorin, Ulrike Saade, Geschäftsführerin einer Berliner Agentur für umweltfreundliche Mobilität so zitiert: „Die meisten KMU werden von TTIP nicht profitieren – im Gegenteil, gerade nachhaltige oder regionale Handwerksbetriebe werden die Verlierer sein.“
Und auch die Zahl der „TTIP-freien Kommunen“ steigt. Knapp 300 sind es inzwischen, mit dabei: Magdeburg, Dresden, Leipzig, Schwerin und Köln. Die StadträtInnen befürchten die privat-schiedsgerichtliche Auslegung ihrer Beschaffung und Vergabe als Handelshindernis. So steht es im fertiggeschriebenen CETA. Hier sind auch die Klausel der Unzurückholbarkeit von z.B. einmal liberalisierter Strom- und Gesundheitsversorgung enthalten. Regionale Steuerung ist damit obsolet, die Träume der FDP gehen in Erfüllung: Vergabegesetze, Mindestlohn und nachhaltige Beschaffung gehören dann der Vergangenheit an.

Nichtsdestotrotz ist die Landesregierung begeistert von CETA und TTIP. Auf welcher Grundlage wissen wir jedoch nicht. Eine Kleine Anfrage von uns (Drs. 6/2781) zur Exportorientierung sachsen-anhaltischer Unternehmen, zu Direktinvestitionen und nach hiesigen Unternehmen mit Hauptsitz in den USA brachte nur die lapidare Antwort, dass es dazu keine Daten und Erhebungen gäbe.

Die breite TTIP-Ablehnung ist hausgemacht. Warum verhandeln EU und USA geheim? Was soll verheimlicht werden? Und wenn TTIP so ein Segen ist, warum drängen dann besonders Deutschland und Frankreich darauf, den audiovisuellen Bereich, also Rundfunk und Filmförderung aus dem Abkommen zu halten? Hier werden wohl die zerstörerischen Folgen der nordamerikanischen Filmindustrie-Konkurrenz gesehen. Und wenn die Franzosen dann schon keine Überlebenschance sehen, wie sollen dann Filmproduktionen aus Libanon oder Kenia „mitspielen“?
US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton spricht bei TTIP von einer „Wirtschafts-NATO“. Das beschreibt die Übermacht und Legitimationsproblematik des Abkommens treffsicher. Über die privaten Schiedsgerichte, wie sie unter anderem auch im zur Ratifizierung vorbereiteten CETA-Abkommen enthalten sind, wurde schon viel berichtet und diskutiert – zu Recht. Sie schaffen eine Paralleljustiz und können ökologische oder soziale Regelungen als Handelshemmnisse verhindern. Die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall zum Atomausstieg ist eines der bekanntesten Beispiele. Ein anderes ist die laufende Klage des Tabakkonzerns Philip Morris, der Uruguay verklagt, weil es auf die Zigarettenpackungen einen Warnhinweis zur Schädlichkeit des Rauchens vorsieht. Die US-Kanzleien haben für ihre Millionen-Gagen auch noch nie eine Klage verloren.
TTIP ist der Sieg der Wirtschaftsinteressen über globale, regionale und lokale politische Regulierung.

Grenzüberschreitenden Handel gab es schon lange vor Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA. Bisher ist und war der Welthandel weder fair noch nachhaltig und entwicklungsfördernd. Das muss Ziel von Handelsabkommen werden und zwar in transparenten, multilateralen Verhandlungen. Und wenn die Automobilinteresse meint, amerikanische und europäische Fahrzeuge bräuchten gleiche Blinkerfarben, dann sollen sie es absprechen und einfach machen, dafür braucht es kein Deregulierungsabkommmen über sämtliche Politiken hinweg.

TTIP ist ein schlechtes Beispiel dafür, wie im Interesse der Unternehmen dereguliert wird. Politik und BürgerInnen haben keine Mitsprache in den Verhandlungen. Aber sie verlieren die Regulierungskompetenz und Kontrolle über regionale Standards und Kriterien bei der Vergabe und Beschaffung vor Ort. Wir befürchten, dass TTIP z.B. das Schulobstprogramm Makulatur werden lässt. Es könnte laut Verhandlungsmandat der EU ein „Hemmnissen für die Beschaffungsmärkte“ darstellen, ebenso wie Auflagen hinsichtlich lokaler Inhalte und Erzeugung, wie z.B. regionale Bioprodukte als Schulspeisung anzubieten.

Wir fordern Landesregierung daher auf, im Bundesrat die Ratifikation von CETA und TTIP abzulehnen. Und liebe SPD, euer Chef schlingert hin und her bei TTIP und CETA, aber im Europaparlament und im Bundestag können diese Abkommen nur mit euren Stimmen ratifiziert werden. Wenn ihr euch bei euren Mitgliedern und WählerInnen, von denen viele TTIP-kritisch sind, keine blutige Nase holen wollt, lehnt klar ab, wie eure StadträtInnen in Magdeburg und anderswo.