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Gudrun Tiedge zu TOP 4: Für die Zukunft: Erinnern und Gedenken – 20 Jahre nach den rassistischen Angriffen in Quedlinburg und anderswo

Im Juni 2009, also vor mehr als drei Jahren, hatte meine Fraktion einen Antrag in den Landtag eingebracht mit dem Titel „Verbesserung der länderübergreifenden Zusammenarbeit beim Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus“. Damals konnte wohl niemand von uns ahnen, wie hochaktuell und brisant leider gerade dieses Thema in den letzten Monaten werden sollte.
Ich sprach damals davon, dass angesichts der Ergebnisse rechtspopulistischer Parteien in Europa über ein europaweites Zusammenwirken aller demokratischen Parteien nachgedacht werden muss. Ich hob hervor, dass wir uns jedoch zunächst um eine Zusammenarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus zwischen Sachsen-Anhalt und den benachbarten Bundesländern bemühen sollten.

Und was müssen wir heute konstatieren: Prinzipiell Nichts hat sich auf diesem Gebiet getan. Ganz im Gegenteil! Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass die Sicherheitsbehörden, insbesondere die Verfassungsschutzämter der einzelnen Länder und des Bundes aufs Jämmerlichste versagt haben. Was wir an dieser Stelle tröpfchenweise fast täglich erfahren, macht nicht nur betroffen, sondern wütend. Und wir sind fest davon überzeugt, dass dies nicht nur Unfähigkeit ist. Hier wird bewusst verschleiert. Und wir stellen uns die Frage, warum?

Und die Neonazis in diesem Land lachen sich ins Fäustchen, vernetzen sich und agieren bundesweit, während die Arbeit der zuständigen staatlichen Behörden an der Landesgrenze endet, und nicht selten auch schon innerhalb. Dabei klingt es im Nachhinein schon fast makaber, wenn ich damals in der Einbringungsrede davon sprach, dass Polizei, Ordnungsbehörden und Verfassungsschutz der benachbarten Länder eng miteinander kooperieren und kommunizieren müssen.

Mit aller Deutlichkeit machen uns diese Ereignisse und Erkenntnisse klar, dass sich auch 20 Jahre nach den rassistischen Übergriffen auf ein Asylbewerberheim in Quedlinburg sowohl im staatlichen aber auch im gesamtbürgerschaftlichen Handeln nicht viel verändert hat.

Was wir jedoch auf jeden Fall positiv bewerten, ist die Tatsache, dass in vielen Kommunen bürgerschaftliche Bündnisse, Vereine, Verbände entstanden sind, die sich sehr aktiv gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren. Aber haben diese Bündnisse wirklich die breite Unterstützung der Bevölkerung? Wir bezweifeln das.

Was passiert, wenn Asylbewerberunterkünfte neu entstehen? Oft ein massiver Protest der Bevölkerung. Prinzipiell ja, aber auf keinem Fall vor meiner Haustür. Was ist, wenn Asylbewerber dezentral untergebracht werden sollen? Prinzipiell ja, aber nicht in unserem Haus.

Was ist, wenn Bürgerinnen und Bürger gegen NPD-Aufmärsche demonstrieren, oder wenn Antikriegsaktivisten friedlich gegen Aufrüstung eintreten? Schnell kommt hier der Vorwurf, linke Chaoten verschwenden Steuergelder. Täglich können sie in unserem Land solche und ähnliche Verunglimpfungen hören und lesen. Und wir sagen es mit aller Deutlichkeit: Nicht die Demonstranten verschwenden Steuergelder, sondern der Staat, wenn er  Millionen Euro dafür ausgibt, dass Menschen dafür ausgebildet werden, Kriege zu führen.
Und wir sagen auch mit aller Deutlichkeit: Demokratie und Bürgerrechte dürfen nicht unter dem Deckmantel der Rechtsextremismusbekämpfung aufgegeben werden.

Selbstverständlich erkennen auch wir an, dass insbesondere in den letzten Jahren ebenfalls in Sachsen-Anhalt einiges unternommen wurde, um dem Neofaschismus die Stirn zu bieten. Hier ist vor allem das „Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit“ zu nennen. Doch dieses muss nun endlich mit Leben erfüllt werden.

Rechtsextremismus stellt zuallererst die Frage nach der Verfassung der Zivilgesellschaft.
Er hat letztendlich vor allem dort eine Chance, wo Zivilgesellschaft schwach ist.
Lassen Sie uns deshalb alle gemeinsam für eine starke Zivilgesellschaft eintreten, damit die Ereignisse von Quedlinburg vor 20 Jahren sich nicht wiederholen.