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Gudrun Tiedge zu TOP 4: Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt

Insbesondere meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich kann Ihnen folgende einleitende Worte meiner Rede nicht ersparen, und ich will es an dieser Stelle auch nicht. Wir hätten heute nicht schon wieder über eine Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG) debattieren müssen, wenn Sie auf uns, wenn sie auf die klaren, kritischen und eindringlichen Worte der Opposition gehört hätten. Aber da muss man letztendlich bereit sein, über den eigenen Schatten der Ignoranz gegenüber den Positionen der Opposition springen zu wollen. Diese Hürde war Ihnen jedoch zu hoch.

Und wenn Sie uns schon nicht Glauben schenken wollten, dann hätten Sie den zahlreichen Bedenken und kritischen Äußerungen der vielen und vor allem kompetenten Fachleute in der zum Gesetzentwurf durchgeführten Anhörung Folge leisten sollen. Aber auch hier waren ihre Ohren taub. Hätten sie die dort vorgebrachten Warnungen, dass im Entwurf vorgesehene gesetzliche Regelungen verfassungswidrig sein könnten, doch ernst genommen und nicht ignoriert. Das Landesverfassungsgericht (LVG) von Sachsen-Anhalt hätte ein Verfahren zur Entscheidung weniger auf dem Tisch gehabt. Aber nein, wie so oft wurden die Bedenken vom Tisch gewischt und mit Ihrer Mehrheit so beschlossen. Das nennt man die „Ignoranz der Macht“ bzw. die „Arroganz der Macht“.
So haben Sie uns damit geradezu gedrängt, vor das Landesverfassungsgericht zu ziehen.

Also ich wäre peinlich berührt gewesen, wenn mir das Verfassungsgericht so viele Fehler grundlegender Natur im Urteil bescheinigt hätte, die einer Neuregelung, Bereinigung bzw. Klarstellung bedürfen. Und verkaufen Sie es bitte nicht als Erfolg, das bei einigen Regelungen „nur“ nachgebessert werden musste. Fakt ist, dass diese Regelungen ohne entsprechende Nachbesserungen verfassungswidrig und nichtig wären, und das ist wohl fatal genug.

Jetzt zu den beanstandeten Regelungen im Einzelnen:

Im § 16 Abs. 3 wurde seitens des LVG bemängelt, dass der Begriff der „Lageerkenntnis“ dahingehend nicht hinreichend bestimmt sei, wann das Instrumentarium der Bildaufnahmen bei Personen-und Fahrzeugkontrollen angewendet werden darf. Das haben Sie nunmehr mit der Formulierung „tatsächliche Anhaltspunkte“ gelöst und damit eine Forderung des LVG erfüllt. Hier muss ich jedoch für meine Fraktion deutlich sagen, nicht alles, was rechtlich machbar ist, ist auch politisch gewollt.

Der § 17b Abs. 4 des noch geltenden SOG unterstellt die Durchführung der Überwachungsmaßnahme grundsätzlich einem Richtervorbehalt, der jedoch dann in der weiteren Gesetzesfolge zugunsten einer Eilkompetenz der Polizei relativiert wird. Das hätte zur Folge, dass jeder Polizeibeamte diese Eilentscheidung treffen dürfte. Diese Regelung ist jedoch mit der Verfassung nicht vereinbar. Nunmehr darf diese Entscheidung ausschließlich der Behördenleiter oder eine von ihm benannte Person treffen.

Der § 17c wurde für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Und ich gehe davon aus, dass Sie das in ihrem Gesetzestext auch gemeint haben. Denn dort haben Sie den gesamten § 17 gestrichen. Nun gut, darüber können wir in den Ausschussberatungen natürlich gern reden.

Der § 41 Abs. 6 SOG regelt die Ermächtigung zur Untersuchungspflicht gegenüber Personen, durch die möglicherweise ein besonders gefährlicher Krankheitserreger auf andere Personen übertragen werden könnte. Diese Ermächtigung bedeutet einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und in das Datenschutzgrundrecht. Solche Eingriffe setzen aber zwingen einen Richtervorbehalt voraus. Auch das ist im Vorfeld der Diskussion zum Gesetz immer wieder gefordert worden. Jetzt gibt es die entsprechende Änderung.

Und abschließend zum § 94a Abs. 2 bis Abs. 4 SOG, die nunmehr gestrichen werden sollen, da vom LVG für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Schon in meiner ersten Rede zur Gesetzesänderung habe ich auf die Absurdität dieser Regelung hingewiesen. Denn zum einen bringt so ein Versuch, den Alkoholkonsum einzudämmen, rein gar nichts und zum anderen, wer sollte das kontrollieren, ob eine Person ein Glasgetränkebehältnis - das wiederum ausschließlich in einem geschlossenen Behältnis, also in einem zur Aufnahme von Sachen dienenden und sie umschließenden Raumgebilde - mit sich führen darf. Also, das muss man sich erst einmal einfallen lassen. Und ich hatte in der mündlichen Verhandlung vor dem LVG so ein wenig den Verdacht, dass auch das zuständige Ministerium diese Regelung nicht so richtig zu deuten wusste.

Nun habe ich aufgrund meiner schon einige Jahre währenden Zugehörigkeit zum Parlament immer noch die - vielleicht naive - Vorstellung, dass eine Landesregierung, wenn sie ein Gesetz oder eine Gesetzesänderung vorlegt, zu allererst prüft, ob die Regelungen verfassungskonform sind. Nun, ich wurde eines Besseren belehrt. Erst das Landesverfassungsgericht musste angerufen werden und musste entscheiden. Das halte ich gelinde gesagt für mehr als blamabel.

Meine Fraktion wird der Überweisung des Gesetzentwurfes heute zustimmen. Aber Eines muss man deutlich sagen: Der Gesetzentwurf ist jetzt rein formal, ausschließlich unter dem juristischen Aspekt betrachtet, korrekt. Dennoch, inhaltlich und politisch können wir auch heute und in Zukunft diesen Regelungen in keiner Weise zustimmen. Denn polizeiliche Befugnisse werden immer mehr auf Kosten der elementaren Grund- und Bürgerrechte erweitert. Und das lehnen wir entschieden ab.