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Gudrun Tiedge zu TOP 21: Einstellung von zusätzlichen PolizistInnen in Sachsen-Anhalt

Es gibt Problemlagen, bei denen man absolut nicht glücklich darüber ist, wenn man letztendlich feststellen muss, dass man mit seiner jahrelang geübten Kritik Recht behält. So ergeht es uns bei der Frage: Wie viele PolizeibeamtInnen braucht das Land? Ich kann es inzwischen nicht mehr nachvollziehen, seit wann und wie oft wir in diesem hohen Haus darüber diskutiert haben. Es begann bereits mit meinem Vorgänger in der Fraktion, Mattias Gärtner. Er hatte damals schon kritisiert, dass die Polizeistärke nur nach der Bevölkerungsdichte berechnet wird, ohne dass auch nur ansatzweise Belastungskriterien in die Berechnung mit einbezogen wurden. Vehement wurde das damals schon abgelehnt. Zum einen mit Blick auf die Erfahrungen der alten Bundesländer, zum anderen aber auch immer mit der Begründung, wir sind das Land mit den meisten PolizistInnen pro Einwohner.

Eigenartigerweise hört man dieses Resultat aber auch von den Finanz- und Innenministern der anderen Länder. Und da frage ich mich schon: Wer hat denn nun wirklich die meisten?

Aber, welch ein Wunder, in einer der letzten Pressemitteilungen der CDU-Fraktion las ich: „Die Bevölkerungszahl darf künftig nicht allein der Maßstab der Sollstärke bei der Polizei bleiben.“ Oh, hätte sich diese Erkenntnis doch schon früher in manchen Köpfen durchgesetzt. Vielleicht hätten wir die heutigen personellen Probleme in der ganzen Schärfe nicht.

Bereits vor 10 Jahren habe ich in einer Landtagsdebatte die Landesregierung aufgefordert: „... den geplanten Stellenabbau bei der Polizei zu überdenken. Die angedachte Streichung von Stellen bis zum Jahr 2010 und die damit zu erreichende Polizeidichte von 1 zu 365 wird die Flächenpräsenz der Polizei und damit die öffentliche Sicherheit des Landes ernsthaft gefährden. Ein bedarfsgerechtes PEK ist notwendig. Dabei muss der Polizeivollzugsdienst auch künftig von der Verwaltungsarbeit entlastet werden.“

Getan hat sich bis heute nichts. Im Gegenteil: Abbau, Abbau, Abbau war und ist die Devise.

Bei fast jeder Haushaltsberatung haben wir auf die personellen Engpässe hingewiesen, und Änderungsanträge gestellt. Den letzten bei der Beratung des Nachtragshaushaltes für das Jahr 2015. Das PEK wurde wie eine Monstranz vor sich hergeschoben. Darüber durfte nicht diskutiert werden. Personalabbau war oberstes Gebot.

Und nun? Wie ist die jetzige Situation?

Plötzlich werden unsere Argumente übernommen. Plötzlich war seitens der CDU davon die Rede, dass wir 7000 PolizeivollzugsbeamtInnen in Sachsen-Anhalt benötigen und ein Einstellungsbedarf von 350 Anwärtern besteht. Welch‘ seltsame Wandlung. Und wir fragen uns verwundert: Woher kommt dieser Sinneswandel?

Bis heute kann ich es nicht nachvollziehen, woher die Landesregierung die Gewissheit nahm, dass wir in den nächsten Jahren nicht mehr so viele PolizeibeamtInnen benötigen würden. Fachliche Erwägungen können es nicht gewesen sein. Denn nach wie vor haben wir einen gleichbleibend hohen Stand an Kriminalität, eine Aufklärungsquote mit der man sich nicht rühmen sollte, eine Arbeitsbelastung für die Polizistinnen und Polizisten, die weit über das normale Maß hinausgeht und einen Krankenstand, der das Ergebnis all dessen ist.

Ein bisschen erinnert mich die Diskussion an meine Studienzeit. Und bevor sie sich gleich zu Beginn aufregen, hören sie einfach bis zum Ende zu. Während meines Jurastudiums wurde uns StudentInnen erklärt, dass es in unserem Land, wenn die sozialistische Menschengemeinschaft erst einmal existiert, es auch keine Kriminalität mehr geben wird. Wir haben uns daraufhin schon Gedanken gemacht, was wir dann so machen könnten, da man ja Staatsanwälte dann auch nicht mehr bräuchte. Aber, nun wurde es ja nichts mit der sozialistischen Menschengemeinschaft und mit einer kriminalitätsfreien Gesellschaft schon gleich gar nicht. Und ich unterstelle den heute Verantwortlichen auch überhaupt nicht, auch so etwas im Blick gehabt zu haben. Also wirklich nicht.

Aber ich frage Sie allen Ernstes, was hat Sie dazu veranlasst, zu glauben bzw. davon auszugehen, wir würden hier in Sachsen-Anhalt nicht mehr so viele Polizisten benötigen? Vielleicht bekommen wir heute eine Antwort, die nicht nur fiskalische Gründe beinhaltet. Und kommen sie bitte nicht mit den Begründungen, die Flüchtlinge und die damit verbundene Asylpolitik seien schuld. Oder die Randale bei Fußballspielen oder Demonstrationen. Letztere gab es schon immer, also kein neuer Sachverhalt. Und, dass mehr Flüchtlinge den Weg nach Deutschland suchen würden aufgrund von Krieg, Hunger und Verfolgung, das  geschah auch nicht über Nacht. Auch darauf hätte man vorbereitet sein können, ja müssen.

Aber da zeigt sich die Gesamtmisere im öffentlichen Dienst, denn häufig werden PolizeivollzugsbeamtInnen zu Aufgaben herangezogen, die eigentlich von VerwaltungsbeamtInnen, bzw. Angestellten erledigt werden müssten. Aber auch da fehlt es an Personal. Und somit beißt sich die Katze in den Schwanz.

Und nun kommt der ganze große Wurf. Der Innenminister will HilfspolizistInnen per Minister-Verordnung einstellen. Und da sagen wir mit aller Entschiedenheit, das lehnen wir ab. Der durch den Innenminister vorgeschlagene Weg der Einstellung von bis zu 250 Hilfspolizistinnen und -polizisten im Angestelltenverhältnis, befristet für zwei Jahre, entbehrt jeglicher gesetzlicher Grundlage.

Nun wird seitens des Innenministeriums der § 83 des SOG herangezogen.
Dort ist geregelt, dass die zuständige Behörde Personen mit deren Einwilligung zur Unterstützung der Polizei bei Notfällen, die durch Naturereignisse, Seuchen, Brände, Explosionen, Unfälle oder ähnliche Vorkommnisse verursacht sind, zu Hilfspolizeibeamten bestellen kann. So weit so gut oder besser so schlecht. Um dem Gesetzestext halbwegs gerecht zu werden, benennt der Minister in seiner Verordnung die Hilfspolizisten im Angestelltenverhältnis um in Hilfspolizeibeamte, um dann gleichzeitig in der Begründung zu erklären, dass diese keine Beamten sein müssen.

Und da fragen wir uns, wo das rechtlich hergeleitet wurde. Beamte im Angestelltenverhältnis gibt es nun mal nicht. Ansonsten hätte man dies im SOG auch so festgeschrieben und die Personen Hilfspolizeiangestellte genannt.

Aber noch absurder wird dann die Begründung. Wir fragen uns, wie man den Notfall mit  § 83 Abs.1 Buchstabe b) SOG ernsthaft begründen will. Wie will man ernsthaft begründen, dass der Notfall durch Naturereignisse, Seuchen, Brände oder ähnliche Vorkommnisse eingetreten ist? Dieser Versuch eines rechtlichen Konstruktes auf der Grundlage des § 83 SOG kann nur scheitern.

Und ich zitiere aus der Stellungnahme des Justizministeriums, der wir uns vorbehaltlos anschließen: „Mit dieser Argumentation wird jedoch zumindest mittelbar die gegenwärtige Flüchtlingssituation als „Notfall“ definiert, um eine Bestellung von Hilfspolizeibeamten zur Unterstützung der Polizei zu begründen. Dabei wird jedoch übersehen, dass erstens kriegerische Auseinandersetzungen in Syrien/Irak, Afghanistan oder in Afrika nur schwerlich unter einen Notfall gem. § 83 Abs.1 Buchst. b) SOG LSA zu subsumieren sind, der ein plötzlich eintretendes Ereignis ist, welches zu erheblichen Schäden für Personen und/oder Sachen in Sachsen-Anhalt geführt hat oder unmittelbar und gegenwärtig zu führen droht. Und zweitens lösen die Ereignisse in Syrien/Irak, Afghanistan bzw. Afrika nicht ohne weiteres und unmittelbar einen Personalnotstand der Polizei in Sachsen-Anhalt aus.“ „Ein Notfall gem. § 83 SOG LSA, der eine Inanspruchnahme von Hilfspolizeibeamten zur Unterstützung der Polizei rechtfertigt, liegt gar nicht vor.“

Der einzige Grund für den Personalnotstand bei der Polizei in Sachsen-Anhalt ist die verfehlte Personalpolitik der Landesregierung. Und das seit vielen Jahren. Wenn allerdings jetzt abgezielt wird auf die Verantwortung Deutschlands für die kriegerischen Auseinandersetzungen in diesen Ländern, dann müssen wir mit aller Deutlichkeit sagen, dass Deutschland Schuld auf sich geladen hat, mit Waffenlieferungen und direkten Beteiligungen an diesen Kriegen. Das hat aber nun rein gar nichts mit der Personalsituation bei der Polizei in Sachsen-Anhalt zu tun.

Meine Fraktion legt Ihnen mit dem vorliegenden Antrag einen Lösungsansatz vor. Wir legen Ihnen hiermit einen konkreten Vorschlag vor, der aus unserer Sicht juristisch korrekt ist und unverzüglich für Entlastung sorgen könnte, indem einerseits kurzfristig die Personalstärke bei der Polizei für den aktiven Einsatz erhöht und andererseits auf Dauer eine angemessene personelle polizeiliche Ausstattung gewährleisten werden kann. Damit soll zugleich sichergestellt werden, dass die entsprechenden Zielzahlen von 6.000 VollzugsbeamtInnen mittelfristig garantiert werden können.

Um das zu realisieren, ist sicherzustellen, kurzfristig bis zu 300  verbamtete PolizistInnen als Polizeiwachtmeister/in in der Besoldungsgruppe A 5 einzustellen.
Hierzu sind die entsprechenden beamtenrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie dem jetzt vorliegenden Alternativantrag zugestimmt haben, lässt mich fast verstummen. Sie haben lediglich unseren Punkt 2 herausgenommen, der für sich allein genommen keine Abhilfe schaffen wird. Wo ist hier die Alternative? Die prekäre Personalsituation bei der Polizei soll somit weiter auf den Knochen der PolizistInnen ausgetragen werden.

Im November 2015 gab es eine DPA-Meldung ihres innenpolitischen Sprechers,  wonach die SPD durchsetzen will, dass die Einstellung neuer PolizistInnen ausschließlich im Beamtenverhältnis erfolgen soll. Und in der Volksstimme vom 23.1.2016  erklärte ebenfalls Herr Erben: „Die erhöhte Arbeitsbelastung der Polizei im Zusammenhang mit der Ankunft von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Sachsen- Anhalt selbst ist kein Vorkommnis im oben genannten Sinne.“ Oder blicken wir in die MZ vom 20.1.2016: „Erben legte Stahlknecht erneut nahe, seine Pläne zu beerdigen: Er sollte sie in die Schublade packen, in der bereits die Pläne für eine Reiterstaffel liegen.“

Am 11.11.2015 gab es gleichlautende Pressemitteilung ihrer Fraktionsvorsitzenden mit der Forderung 300 Wachtmeisterinnen und Wachtmeister einzustellen mit dem Ziel der Verbeamtung. Vielleicht lag es ja am Datum des „11.11.“ So kann man dann in aller Ruhe erklären, dass am Aschermittwoch alles vorbei ist. Und ich frage Sie: Wie weit wollen sie sich noch vor ihrem Koalitionspartner verbiegen? Der Beugungsgrad des Rückgrats ist endlich.

Aber nicht nur die Personalsituation macht der Polizei zu schaffen. Schlechte Arbeitsbedingungen - sie alle kennen die Zustände in vielen Polizeirevieren oder auch Polizeidirektionen -, eine Arbeitsbelastung, die an die Grenzen des Zumutbaren geht bei immer steigenden Anforderungen, dem daraus resultierenden hohen Krankenstand und eine Beförderungssituation, die dem allen nicht gerecht wird.

Aus einer Kleinen Anfrage von mir vom Dezember 2015 ergibt sich, dass 1601 Polizei- bzw. Verwaltungsbeamte und -beamtinnen  zwar die Voraussetzungen einer Beförderung erfüllen, aber bisher nicht befördert wurden. Wir finden, das ist ein Skandal.

Sie haben heute die Möglichkeit durch Zustimmung zu unserem Antrag dafür zu sorgen, dass zeitnah die nicht mehr hinzunehmende äußerst prekäre Situation bei der Polizei in Sachsen-Anhalt durch eine rechtlich saubere Lösung ein wenig  entschärft werden kann. Das sind Sie, das sind wir den Polizistinnen und Polizisten in diesem Land schuldig, die jeden Tag trotz widriger Bedingungen für unser aller Sicherheit sorgen.