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Gudrun Tiedge zu TOP 17: Unterstützung der Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Abschaffung Flughafenasylverfahrens nach § 18a Aufenthaltsgesetz

Die Asyl- und Aufenthaltsrechtlichen Gesetze der Bundesrepublik bilden wahrlich ein kompliziertes und komplexes Regelwerk. Der Alltag von Menschen, die Asyl suchen ist nur Wenigen wirklich präsent. Um deutlich zu machen, worum es meiner Fraktion mit dem vorliegenden Antrag geht, und gerade auch unter dem Eindruck der Debatte zu dem rassistischen Pogrom in Quedlinburg will ich daher zunächst etwas zur Entstehung und zur Praxis des Flughafenasylverfahrens sagen, weil die Kritik sich ohne diesen Kontext nicht vollständig erschließt.

Das Flughafenasylverfahren entspricht voll und ganz der Logik des sogenannten Asylkompromisses und wurde 1993 im Zuge der Änderungen des Grundgesetzes und der massiven Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl eingeführt.
Bereits 1991 feierten Nazis Hoyerswerda als "erste ausländerfreie Stadt Deutschlands", nachdem ehemalige Vertragsarbeiter nach tagelangen Angriffen auf ihre Unterkunft aus der Stadt evakuiert wurden. Zahlreiche andere Angriffe und Pogrome ereigneten sich als Fanale eines teilweise offen rassistisch geführten Diskurses über Zuwanderung und das Recht auf Asyl in Politik und Gesellschaft.

Bereits in den 80er Jahren wurden von konservativer Seite immer wieder Forderungen nach Verschärfungen des Asylrechts laut. Nach der Wiedervereinigung und mit steigenden Flüchtlingszahlen nahm die Auseinandersetzung um das Recht auf Asyl eine neue Dimension an. Die rassistischen Angriffe auf Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Jahr 1992 führten statt zu einer Solidarisierung mit den Opfern zu einer Radikalisierung der Politik und wirken in den Asylgesetzen bis heute fort: Mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und SPD wurde im Dezember 1992 mit dem sogenannten Nikolauspapier das Grundrecht auf Asyl de facto abgeschafft. Indem die sogenannte Drittstaatenregelung eingeführt wurde, mit deren Hilfe Asylsuchende, die auf dem Landweg über einen als sicher geltenden Drittstaat einreisen wollen, abgewiesen werden können, schottete Deutschland sich ab.
Als sicher gelten alle Staaten der Europäischen Union und viele weitere, durch Erlass der Bundesregierung geregelt. Da Deutschland von solchen als sicher geltenden Staaten umgeben ist, ist die legale Einreise auf dem Landweg mit dieser Regelung im Grunde nicht möglich.

Doch damit nicht genug. Da als Folge der Drittstaatenregelung eine stärkere Verlagerung der Einreise Asylsuchender auf den Luftweg befürchtet wurde, sollte für diese Fälle ein Verfahren gefunden werden, welches die Einreise kontrollierte, vor allem aber begrenzte.

Und damit sind wir beim Flughafenasylverfahren. Nach §18a des Asylverfahrensgesetzes können also Asylsuchende, auch Kinder und auch unbegleitete Minderjährige, für die Dauer ihres Asylverfahrens am Flughafen festgehalten und an der Einreise gehindert werden, wenn sie aus einem als sicher geltendem Herkunftsland kommen oder ohne gültige Papiere über den Luftweg einreisen wollen. Außerdem muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einschätzen, dass das Asylverfahren inklusive anschließendem Rechtsschutzverfahren innerhalb von 19 Tagen abgeschlossen werden kann.
Das gesamte Asylverfahren soll damit für die beschriebenen Personengruppen bereits vor der Einreise durchgeführt werden. Voraussetzung für die Durchführung solcher Verfahren ist, dass es eine angemessene Unterkunft im Transitbereich des Flughafens gibt, damit die Betroffenen an einem Ort in Verwahrung genommen werden können, an dem sie als noch nicht eingereist gelten.

Innerhalb von zwei Tagen nach Stellung des Asylantrags ergeht dann die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, ob der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt oder die Einreise erlaubt wird. Nur um keine Missverständnisse zu erzeugen: Der letzte Fall bedeutet nicht, dass diesen Menschen automatisch Asyl gewährt wird. Sie haben lediglich die Chance auf ein reguläres Asylverfahren, das für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen keineswegs zu einem sicheren und dauerhaften Aufenthaltstitel führt. Aber die Debatte um Bleiberechtsregelungen ist an dieser Stelle nicht unser Thema.
Im ersten Fall, also der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ bleiben den AsylbewerberInnen drei Tage Zeit, um Klage beim Verwaltungsgericht zu erheben sowie einen Eilrechtsschutzantrag einzureichen. Wenn dieser Eilantrag gegen die Verweigerung der Einreise innerhalb von zwei Wochen abgewiesen wird, bleiben die Asylbewerberinnen und Asylbewerber am Flughafen interniert, bis die Abschiebung möglich wird. Das kann monatelangen haftähnlichen Aufenthalt am Flughafen zur Folge haben.

Bereits bei seiner Einführung wurde das Flughafenasylverfahren verfassungsrechtlich scharf kritisiert. Insbesondere die extrem verkürzten Antrags- und Entscheidungsfristen für das gerichtliche Eilverfahren wurden, unter anderem auch bei der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages, von den Expertinnen und Experten als verfassungsrechtlich bedenklich bewertet, weil dadurch der effektive Rechtsschutz stark erschwert wird.

Diese Kritik ist nie abgerissen. Im Gegenteil wird von ganz unterschiedlichen Stellen auf dieses Problem immer wieder hingewiesen. Ich will den katholischen Erzbischof von Berlin, Rainer Maria Woelki zitieren, der gegenüber der BZ sagte: "„Das Flughafenverfahren bedeutet für die Flüchtlinge einen Verlust an Rechtsstaatlichkeit. Menschen, die bei uns Schutz suchen, müssen Zugang zu einem regulären Asylverfahren bekommen (wie es beispielsweise in Berlin-Tegel praktiziert wird.)“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied im Februar dieses Jahres einstimmig, dass die Prüfung eines Asylerstantrages in einem Schnellverfahren eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten kann.

Die Neue Richtervereinigung und der Deutsche Anwaltverein kritisieren das Verfahren ebenfalls scharf und detailliert. Letzterer kommt zu der Feststellung "Die grundsätzlichen Bedenken gegen dieses Verfahren und seine Folgen bestehen unverändert. Es bringt notwendigerweise Anomalien und Verwerfungen mit sich, die unserem Rechtssystem und dem internationalen Schutzsystem strukturell fremd sind."

Das Flughafenasylverfahren verstößt an vielen Stellen gegen die Aufnahme-, Verfahrens- und Rückführungsrichtlinien der Europäischen Union: darin vorgesehene Rechte wie Minderjährigenschutz, die Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit insbesondere aufgrund erlittener Folter und Misshandlung, Informationsrechte und der Zugang zu Beratung und Rechtsschutz, Kontaktaufnahme mit dem UNHCR, vor allem aber das Recht auf eine ordnungsgemäße Anhörung nach ausführlicher und unabhängiger Rechtsberatung  - alles Punkte die nicht nur ich mir wünsche, sondern die diese Richtlinien vorsehen- sind unter den besonderen Bedingungen eines Flughafenverfahrens nicht möglich, zum Teil auch gar nicht vorgesehen.

Das Flughafenasylverfahren ist damit rechtlich betrachtet mehr als fragwürdig. Es stellt zudem einen großen Nachteil für die Betroffenen gegenüber anderen Asylsuchenden und mithin einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Gleichheitsgrundsatz dar.

Vor allem aber wird es der besonderen Situation von Menschen, die Asyl suchen, nicht gerecht. Eine Entscheidung, die binnen zweier Tage herbeigeführt werden muss, und dazu braucht es nicht die Kenntnis der juristischen Details und Problemstellungen, kann einer gründliche Prüfung und Bewertung des Einzelfalls nicht angemessen sein. Zumal es an dieser Stelle nicht um irgendeine Kleinigkeit geht: Die Entscheidung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine Entscheidung über das weitere Leben dieser Menschen, ist eine Entscheidung über ihre Perspektive und es kann eine Entscheidung über Leben und Tod sein. Und - hier will ich der Debatte mal vorgreifen- der Hinweis, dass die Betroffenen ja klagen könnten ist wirklich obsolet. Eine Frist von 3 Tagen, fehlende Beratung und die in vielen Fällen ja durchaus anzunehmende fehlende Kenntnis des deutschen Rechtssystems stellen in den Augen meiner Fraktion keinen ernsthaft argumentierbaren Rechtsschutz dar. Diese Menschen finden sich ausgeliefert, in einer für sie nicht überschaubaren haftähnlichen Situation wieder. Für meine Fraktion ist das nicht hinnehmbar!

Weil ich aber ahne, dass humanitäre Argumente allein Ihnen nicht ausreichen werden, will ich auch noch die Praktikabilität des Flughafenasylverfahrens beleuchten. Die Zahlen der in Flughafenverfahren tatsächlich rechtskräftig entschiedenen Asylanträge sind laut Statistik des Bundesamtes seit Jahren deutlich rückläufig. Wenn wir uns den größten deutschen Flughafen an dem Flughafenasylverfahren praktiziert werden, Frankfurt Main, anschauen, sehen wir, dass vor 12 Jahren, im Jahr 2000, von 1092 an der Einreise gehinderten Menschen, in 416 Fällen eine Entscheidung im Flughafenverfahren herbeigeführt wurde. Im Jahr 2009 war das noch in 66 von 435 Anträgen der Fall und im Jahr 2010 wurden 57 (735) Anträge am Flughafen Frankfurt entschieden. Die anderen Anträge waren für das Bundesamt nicht in der vorgeschriebenen Zeit zu entscheiden. Die Betroffenen haben daraufhin ein normales Asylverfahren begonnen. Angesichts dieser wenigen Fälle, die in einem Flughafenverfahren entschieden werden können, ist in unseren Augen nicht zu erklären, warum der notwendige Aufwand, insbesondere für den Betrieb der Unterbringungsmöglichkeiten, für ein massiv in der Kritik stehendes, juristisch mindestens umstrittenes Verfahren, auch weiterhin betrieben werden soll.
Selbst wenn man sich also in die Logik der Notwendigkeit solcher Eilverfahren zur Begrenzung der Zuwanderung begeben will, was meine Fraktion ausdrücklich nicht tut, macht es keinen Sinn, am Instrument des Flughafenasylverfahrens fest zu halten.

Die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Brandenburg teilen diese Auffassung und haben eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die auf die Abschaffung des Flughafenverfahrens abzielt, so dass alle ankommenden Ausländerinnen und Ausländer, die bei der Grenzbehörde am Flughafen um Asyl nachsuchen, einreisen und das reguläre Asylverfahren durchlaufen können. Dieser Entschließungsantrag steht morgen auf der Tagesordnung des Bundesrates, weshalb eine Abstimmung zu unserem Antrag bereits jetzt notwendig ist.

Der Landesregierung stünde die Unterstützung dieser Initiative gut zu Gesicht. Vor allem aber wäre ein Erfolg der Initiative eine Stärkung des Rechtsstaates und eine konkrete Verbesserung der Situation von Asylsuchenden. Ich werbe um Ihre Zustimmung.