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Gudrun Tiedge zu TOP 16: Einwanderung als Chance nutzen

Gestern trafen sich die Chefs der Mitgliedsstaaten der EU um über die furchtbaren Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer und anderswo zu debattieren. Einmal davon abgesehen, dass das schon weit überfällig war, ist es ja erst einmal zu begrüßen.

Doch was war das Ergebnis?

7 von 10 beschlossenen Punkten zielen darauf ab die Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge zu verstärken. So z.B. bessere Finanzierung der Grenzüberwachungsprojekte „Triton“ und „Poseidon“, Flüchtlinge sollen mit Fingerabdrücken erfasst werden, Illegale sollen schneller zurückgeschickt werden, usw. Kein Wort wurde über die eigene Verantwortung verloren.

Wer hat denn eine Grenze nach der anderen geschlossen, um Europa abzuschotten? Die Europäische Union. Wer hat z.B. die Visavergabe an Syrier abgeschafft? Deutschland.
Wer hat mit Waffenlieferungen in all die Krisenstaaten mit dafür gesorgt, dass dort Bürgerkrieg, Elend und Vertreibung herrschen? Die europäischen Staaten und insbesondere auch Deutschland.

Und da wundert man sich, dass Schleuserbanden in diesen Ländern Menschen finden, die bereit sind, sich ihnen anzuvertrauen, wohl wissend, dass diesen ihr Leben völlig egal ist und sie nur an dem Geld interessiert sind.

Und wieder einmal sucht die EU nach Lösungen. Und wieder einmal ist man sich nicht einig darüber, was mit den geretteten Menschen passieren soll. Geld geben ja, aber Menschen aufnehmen nein, das hat z.B. der Premierminiester von Großbritannien unmissverständlich klar gemacht. Was für ein Armutszeugnis für dieses reiche Europa. Und ich sage es Ihnen ganz ehrlich, ich halte diese Debatten, die da geführt wurden, für verlogen.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Gut. Aber  diese Erkenntnis wird häufig lediglich unter dem Aspekt der Nützlichkeit für den Arbeitsmarkt diskutiert. Und der hier eingereichte Antrag plädiert dafür, Einwanderung als Chance zu sehen, die in einem neuen Einwanderungsgesetz geregelt werden soll.

Generell gilt jedoch, dass für die zu mehr als drei Vierteln aus Europa und insbesondere aus der Europäischen Union stammenden Migrantinnen und Migranten kein Einwanderungsgesetz greift, da für sie in Europa Freizügigkeit gilt und nichts zu steuern ist. Es geht also um so genannte “Drittstaatsangehörige”, um Menschen, die nicht aus anderen EU-Staaten kommen.

Tatsächlich bedarf es einer modernen und humanen Perspektive im Umgang mit Einwanderinnen und Einwanderern. DIE LINKE akzeptiert aber nicht, dass Menschen nach Qualifikation und Arbeitsmarktlage in “Nützliche” und “Unnütze” oder “Erwünschte” und “Unerwünschte” eingeteilt werden. Quoten, Kontingente und Punktesysteme, wie sie in der Diskussion um das sogenannte „kanadische Modell“ verbreitet wurden, sind Instrumente einer menschenverachtenden, selektiven Einwanderungspolitik. Vielmehr muss die Einbürgerung erleichtert werden, doppelte Staatsbürgerschaften müssen grundsätzlich möglich sein, und darüber hinaus sollten alle Kinder, die hier geboren werden und deren Eltern in Deutschland leben, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können. Der Familiennachzug muss sowohl Kindern als auch gleich- und andersgeschlechtlichen Lebenspartnerinnen und -partnern sowie Familienangehörigen zweiten Grades möglich sein. Ein Bleiberecht benötigen auch länger hier lebende, bislang jedoch nur geduldete Personen.

Wenn nun in dem vorliegenden Antrag der demografische Wandel und die damit verbundene sinkende Zahl von „Menschen, die in der Lage sind, Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten“ sowie der gleichzeitig wachsende Fachkräftebedarf als Begründung herangezogen werden, ist dies zwar formal nicht falsch, bedient aber eben genau diesen Blick auf die „Verwertbarkeit“ von Einwanderinnen und Einwanderer.

„Bei der Aufnahme von Flüchtlingen dürfen wirtschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle spielen“, heißt es in dem vorgelegten Antrag. Gleichzeitig wird in der Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz „Einwanderung gestalten - Einwanderungsgesetz schaffen“, auf die hier Bezug genommen und der sich angeschlossen werden soll, formuliert: „Für die Sicherung des Wohlstandes unseres Landes ist es unerlässlich, dass der Wirtschaft auch zukünftig die benötigten Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.“

Noch deutlicher wird die in der Bundesratsinitiative vorgenommene Einteilung in „erwünschte“ und „unerwünschte“ Einwanderinnen und Einwanderer, wenn es dort heißt: „Eine gesteuerte Einwanderung macht es aber auch erforderlich, [bei] abgelehnten Asylbewerber[n] eine konsequente Rückführung zu gewährleisten. Nur so können die erforderlichen Freiräume für humanitäre Aufnahmeaktionen aus den Krisengebieten dieser Welt erhalten bleiben.“

DIE LINKE jedoch will die Rechte und Chancen aller Migrantinnen und Migranten stärken. Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen, Kriegen und politischer Verfolgung geflohen sind, dürfen nicht abgewiesen oder abgeschoben werden. Ausgrenzung und Benachteiligungen im Schul-, Ausbildungs- und Arbeitsbereich müssen überwunden werden. Im Ausland erworbene Qualifikationen sind unkompliziert anzuerkennen und notwendige Zusatzausbildungen aktiv anzubieten. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen muss unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährt werden. Benachteiligende Regelungen und Gesetze, wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die Residenzpflicht und Arbeitsverbote müssen aufgehoben werden.

DIE LINKE richtet ihre Flüchtlingspolitik nach Humanität und Menschenrechten, so dass der Schutz von Menschen in Not im Vordergrund steht und nicht ordnungspolitische oder ökonomische Überlegungen. Auch wenn es grundsätzlich zu begrüßen ist, dass die Notwendigkeit einer breiter angelegten Debatte zu Migration und Einwanderung gesehen wird, greift der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen unter den genannten Gesichtspunkten letztlich zu kurz.

Und deshalb werden wir uns enthalten.