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Gudrun Tiedge zu TOP 14: Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchende aus Syrien

In Syrien herrscht Bürgerkrieg. Mehr als 26.000 Menschen sind gestorben. An der Grenze Syriens zur Türkei toben blutige Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungssoldaten.

Das Regime Assad terrorisiert die syrische Bevölkerung. Laut dem jüngsten Bericht von Amnesty International nehmen die Truppen Assads verstärkt die Zivilbevölkerung unter Beschuss, greifen mit Luftangriffen und massivem Artilleriebeschuss gezielt diejenigen an, die sie als Unterstützer oder auch nur Sympathisanten der Oppositionellen vermuten.

Durch die Regierungstruppen aufgegebenen Gebiete werden wahllos bombardiert, eine Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen findet nicht statt.
Der Tot der in den umkämpften Gebieten lebenden Menschen, auch der Kinder, wird nicht nur in Kauf genommen, sondern ist offenkundig beabsichtigt.

Menschenrechtsverletzungen, der Bruch des Völkerrechts und Kriegsverbrechen sind für uns alle offensichtlich an der Tagesordnung.
Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wie Human Rights Watch werfen auch den Aufständischen schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
Zudem spielen immer mehr und deutlicher andere Länder, beispielsweise Saudi-Arabien und Katar, beides Länder im Übrigen die von Deutschland mit Waffen beliefert werden, eine Rolle im Konflikt. Ausländische Kämpfer, unter ihnen offenkundig auch iranische Revolutionswächter, verfolgen ihre eigenen Interessen.
Die Gemengelage ist also, das ist weder überraschend noch ungewöhnlich, unübersichtlich.

Ohne Zweifel ist jedoch, dass die große Mehrheit der syrischen Bevölkerung kein Interesse an einem bewaffneten Konflikt hat. Wer kann, flieht.
Laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sind über eine viertel Million Menschen aus Syrien auf der Flucht. Die Zahl der Flüchtlinge innerhalb des Landes selbst ist um ein vielfaches höher.

Die Anrainerstaaten sind angesichts der Flüchtlingsströme überlastet. In Jordanien, der Türkei, dem Libanon und in den Grenzregionen Syriens leben die Menschen unter zum Teil katastrophalen Bedingungen.
Viele der durch Gewalt und Folter traumatisierten Flüchtlinge, die von den Nachbarländern Syriens aufgenommen wurden, können dort nicht die notwendige Hilfe erhalten.
Im Libanon und in den Flüchtlingslagern Jordaniens sind sie erneut mit Gewalt konfrontiert.
Teilweise stecken sie im Niemandsland fest und laufen Gefahr, erneut zwischen die Fronten von nachrückenden Einheiten der syrischen Armee und bewaffneten Oppositionskräften zu geraten.
Griechenland und die Türkei haben bereits Flüchtlinge abgewiesen.

Vor Beginn des Bürgerkriegs war Syrien selbst Zufluchtsort oder auch Durchgangsstation für Flüchtlinge aus anderen Ländern, wie dem Irak oder auch Afghanistan und für so genannte Staatenlose.
Für diese Gruppe ist die Situation besonders schwierig. Sicherheit wird für diese Menschen in der gesamten Region auf absehbare Zeit nicht zu finden sein.

Was kann nun die Bundesrepublik tun, was sollte und muss sie tun?
Die Bundesrepublik unterstützt Erstaufnahmestaaten, das THW beispielsweise hilft beim Aufbau von Flüchtlingslagern in Jordanien.
Das ist gut, das ist richtig, aber das reicht nicht.

Die Europäische Union und mit ihr die Bundesrepublik müssen endlich ein eigens Aufnahmeprogramm auf den Weg bringen und umsetzen.
Und um es deutlich zu sagen: Die Überlegung, Länder wie Griechenland oder Zypern zum Auffanglager für die Flüchtlinge einerseits, und damit gleichzeitig zur Abschirmzone für Mitteleuropa andererseits zu machen, ist damit explizit nicht gemeint.
Die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in diesen Ländern, im Übrigen auch mittlerweile mehrfach gerichtlich festgestellt in Italien, sind katastrophal und in weiten Teilen menschenunwürdig.

Der politische Wille, und in Teilen auch die staatliche Leistungsfähigkeit, um diesen Menschen zu helfen, ist mehr als fraglich: Griechenland schloss Anfang diesen Monats mit dem ausdrücklichen Ziel, die aus Syrien erwarteten Flüchtlinge abzuwehren, die Grenzen.
Diese massive Abschottung der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei wiederum zwingt mehr Flüchtlinge zu der gefährlichen Fahrt über das Meer zwischen der Türkei und Griechenland.
Dabei kommt es immer wieder zu schweren Unglücken, auch in den letzten Wochen erreichten uns die Nachrichten von gesunkenen Flüchtlingsbooten, sahen wir Bilder von Menschen in größter Not.

Das Abschieben der Verantwortung auf diese Länder könnte nicht ernsthaft die Hilfsleistung der Europäischen Union sein. Vielmehr sind die EU und alle ihre Mitgliedsstaaten gefordert, Aufnahmeprogramme aufzulegen, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und sich um den sicheren Transfer, vor allem von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen, also Menschen mit Traumatisierungen und Verletzungen, unbegleitete Kinder und allein stehende Frauen zu bemühen.

Der Blick auf die Presseberichterstattung hierzulande lässt politische Mehrheiten dafür zumindest denkbar erscheinen:

Auf Bundesebene forderten Ende August Außenpolitikerinnen und Außenpolitiker des Bundestages - über alle Parteigrenzen hinweg- die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien durch die Bundesrepublik.
Die Staatsministerin für Migration, Integration und Flüchtlinge, Maria Böhmer, erklärte ebenfalls, dass die Bundesrepublik Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen könne.
Der Bundesaußenminister erklärte Anfang September, er könne sich ein Aufnahmeprogramm der Bundesregierung vorstellen, sehe es aber nicht als prioritär an.

Da eine Regelung zur Aufnahme von Flüchtlingen nur im Benehmen des Bundesinnenministers mit den Innenministern der Länder realisierbar ist, scheint es unserer Fraktion dringend geboten, aus den Ländern den politischen Willen und die Bereitschaft zu einem solchen Programm zu bekunden.

Wir wollen die Landesregierung auffordern, ihrerseits aktiv zu werden und zum einen alle notwendigen Maßnahmen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien im Land zu treffen und dabei insbesondere die Zahl der zur Verfügung stehenden Aufnahmeplätze zu benennen und bereit zu stellen.
Zum anderen soll sie sich auf der Ebene des Bundes für ein Aufnahmeprogramm der Bundesregierung für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge einsetzen.
Sachsen-Anhalt könnte damit einen Beitrag dazu leisten, der Verantwortung der Bundesrepublik in Europa gerecht zu werden.

Es wäre zugleich ein Beitrag dazu, die Bemühungen der Landesregierung um die so oft beschworene so genannte Willkommenskultur authentisch und glaubhaft zu machen. Denn wenn Zuwanderungspolitik allein an wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet und von wirksamer Asyl- und Flüchtlingspolitik im Interesse der Betroffenen und als Gebot der Humanität entkoppelt wird, bleibt die Rede von Weltoffenheit und Willkommenskultur ein Lippenbekenntnis.

Eine Initiative Sachsen-Anhalts und insbesondere des Innenministers, ähnlich des Appells des schleswig-holsteinischen Innenministers an die Bundesregierung, hier schnell eine Regelung zu schaffen, die allen Beteiligten Handlungssicherheit gewährt, wäre in unseren Augen die richtige Entscheidung.

Wir begehen nächste Woche die alljährliche interkulturelle Woche, in der wir alle, so wir uns beteiligen, uns auch den Fragen der Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt stellen werden müssen. 
Auch in diesem Kontext wäre eine solche Entscheidung das richtige und auch das notwendige Signal.
Denn auch bei derzeitigem Abschiebestopp und Gewährung der im Übrigen nur leicht gestiegenen Asylanträge - die Menschen kommen nur im Ausnahmefall bis nach Deutschland - sollten wir nicht übersehen, dass Syrerinnen und Syrer über lange Jahre hinweg auch in der Bundesrepublik eben keinen angemessenen Schutz erhalten haben. Mehr als 3.400 Syrer leben deshalb  im unsicheren Status der Duldung in Deutschland, mehr als 2.000 bereits seit über 6 Jahren.
Neben dem Aufnahmeprogramm müsste also auch die aufenthaltsrechtliche Situation dieser Gruppe geregelt werden.
Ebenso ist es ein Gebot der Stunde, Verwandte von hier lebenden syrischen Staatsangehörigen in einem vereinfachten Visumsverfahren aufzunehmen und Familienzusammenführung zu ermöglichen. 

Der von den Kollegen von den Grünen beantragte Abschiebestopp ist prinzipiell richtig, allerdings gibt es ihn bereits.
Völlig an der Realität vorbei geht allerdings, dass er angesichts der aktuellen Lage in Syrien lediglich um ein halbes Jahr verlängert wurde.
Auch nach einem möglichen Sturz des Regimes Assads würden die Lebensbedingungen in Syrien, Abschiebungen oder Rückführungen, wie es ja bemäntelnd heißt, nicht rechtfertigen.

Die Forderung nach Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen statt Duldungen, wie es die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN in ihrem Antrag im Punkt 3 benennt, unterstützen wir daher ausdrücklich. 

Auch den 4. Punkt des Antrages von Bündnis 90/DIE GRÜNEN teilen wir.
Das deutsch-syrische Rücknahmeabkommen hat nachvollziehbar zu Abschiebungen von Menschen, die aus Syrien nach Deutschland geflohen sind, geführt, die zurück in Syrien, in Haft genommen und gefoltert wurden.
Ein Fortbestand des zwar ausgesetzten, aber formal noch immer bestehenden Abkommens, ist einfach nicht erklärlich. Seine Rücknahme ist in der Tat überfällig.

Zur Situation Syrischer Studierende in Sachsen-Anhalt hat meine Fraktion einen eigenen Antrag gestellt, der weiter gehend als der der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist. Zu ihm wird Herr Lange sprechen.

Sachsen-Anhalt ist in der Lage zu helfen. Die möglichen und die nötigen Ansatzpunkte sind meines Erachtens aufgezeigt. Ich werbe daher (kaum überraschend) um ihre Zustimmung zu unserem Antrag und will abschließend den Fachverband Pro Asyl zitieren, der in einer aktuellen Erklärung feststellt, "dass syrische Flüchtlinge vor verschlossenen Grenzen stehen, während sich die Staatengemeinschaft über die syrische Tragödie empört, ist nicht hinnehmbar."