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Gudrun Tiedge zu TOP 08: Für ein neues Bleiberecht

Ich beginne mit einem Zitat: „In Bezug auf die Vermeidung künftiger Kettenduldungen wird eine Regelung geschaffen, die keinen festen Stichtag enthält und die Anforderungen an die Lebensunterhaltungssicherung dahingehend absenkt, dass auch das ernsthafte Bemühen um Arbeit als ausreichend erachtet wird. Außerdem wird eine eigenständige Regelung für Minderjährige geschaffen, die bei günstiger Integrationsprognose bereits nach vier Jahren eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.“

Obwohl Sie die Urheberrechte sicherlich bei meiner Fraktion vermuten. Aber ich muss Sie enttäuschen, denn dieses Zitat stammt nicht aus der Begründung zum vorliegenden Antrag, obwohl es Inhalt derer hätte sein können. Dieses Zitat stammt aus der Begründung eines Gesetzentwurfes zur Schaffung einer aufenthaltsrechtlichen Bleiberechtsregelung, eingebracht im November 2011 von der Bundestagsfraktion der SPD.

Angesichts der Diskussion, oder soll ich besser sagen der Nichtdiskussion durch die Abgeordneten der SPD-Fraktion im Innenausschuss des Landtages, reibt man sich doch sehr verwundert die Augen. Im Innenausschuss wurde unser Antrag, der wie gesagt, die gleichen inhaltlichen Positionen wie der Gesetzentwurf vertritt, auch durch die Vertreter der SPD abgelehnt. Entweder kannten die Kolleginnen und Kollegen den Gesetzentwurf ihrer BT-Fraktion gar nicht, oder man entscheidet halt immer nach politischen Konstellationen. So ist man in der Oppositionsrolle dafür, in Regierungsverantwortung ist man dagegen.

Rein menschlich können wir es ja irgendwie nachvollziehen, Sie wollten nicht noch mehr Sand in das bereits schon sehr knirschende, hiesige Koalitionsgetriebe streuen. Aber unser Mitgefühl hält sich sehr in Grenzen.
Wir haben rechtzeitig im November des vergangenen Jahres, nur knapp einem Monat vor der im Dezember stattfindenden Innenministerkonferenz, den Antrag „Für ein neues Bleiberecht“ eingebracht. Eile war geboten, da aufgrund der zum Jahreswechsel 2011/2012 auslaufenden Regelung einer Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ vielen Menschen drohte, in den Status der Duldung zurückzufallen, obwohl sie dann bereits mehr als zehn Jahre in Deutschland gelebt haben. Eine grundlegende und vor allem dauerhafte Lösung fehlt seit Jahren; zahlreiche Stichtagsregelungen, neue Fristsetzungen, vorübergehende Regelungen prägten immer wieder die Politik des Bleiberechts der Bundesrepublik.

Aber auch die Landespolitik ist an dieser Stelle von „Halbherzigkeit“ und einem völlig fehlenden Reformwillen geprägt. Die von den Koalitionsfraktionen beantragte Überweisung des Antrages in den Innenausschuss war absolut nicht zielführend und stand von Anfang an konträr zu den Forderungen des Antrages in den Punkten 1 und 2. So hatte sich dieser Beratungsgegenstand bereits durch Zeitablauf erledigt.

Und, sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, dieser temporäre Fakt, dieses „Verfallsdatum“ war Ihnen bekannt und bewusst, dennoch haben Sie diese Entscheidung „sehenden Auges“ getroffen. Welch ein fauler Kompromiss, um sich an unmittelbaren Entscheidungen vorbei mogeln zu können.

Menschen können ihre Zukunft nur gestalten, wenn man ihnen eine wirkliche und sichere Perspektive eröffnet. Das heißt, dass nur mittels einer neuen, großzügigen und dauerhaften Bleiberechtsregelung, die auch humanitären Grundsätzen genügt, das Problem der Kettenduldungen endlich einer wirklichen Lösung zugeführt werden kann und den betroffenen Menschen eine Lebensperspektive eröffnet. Nur ein solches abgesichertes Bleiberecht ermöglicht letztendlich den Betroffenen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Das Zurückziehen auf Argumente, wie: „dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen völlig ausreichend seien und somit kein Handlungsbedarf bestehe“ oder „dass aufgrund der neuen Bleiberechtsregelungen in den Paragrafen 25a sowie 18a des Aufenthaltsgesetzes kein weiterer Regelungsbedarf bestehe“, war und ist dabei wenig hilfreich und kein wirklich dauerhafter Lösungsansatz. So „redet man sich die Welt nur schön und bunt“. Diese Neuregelungen im Bleiberecht stellen zwar Verbesserungen dar, sie sind jedoch erheblich nachbesserungsbedürftig.

Eine tatsächlich neue und moderne Bleiberechtsregelung zum Wohle der Betroffenen aber auch der Gesellschaft muss sich in wesentlichen Punkten von der bisherigen Regelung der letzten Jahre unterscheiden und darf insbesondere folgende Kriterien nicht außer Acht lassen:

  • Schaffung einer fortlaufenden Regelung ohne festen Stichtag.
  • Realistische Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung.
  • Verzicht auf restriktive Ausschlussgründe.
  • Keine Familientrennung.

Die fatale Reformunwilligkeit der Landesregierung zeigt sich insbesondere auch darin, dass Sachsen-Anhalt dem Gesetzentwurf zum Bleiberecht aus Schleswig-Holstein (einschließlich weitergehender Änderungsanträge) nicht zustimmen wird. Dabei handelt es sich hierbei lediglich um eine Minimalvariante von gesetzlichen Verbesserungen.

Man darf Menschen nicht dazu zwingen, ein Leben auf „Abruf“ und in Ungewissheit zu führen. Man darf Menschen nicht dazu zwingen, ein dauerhaftes, rechtlich unsicheres und perspektivloses Leben mit immer wieder verlängerten Duldungen, in ständiger Angst vor einer drohenden plötzlichen Abschiebung und unter sozial äußerst prekären Bedingungen zu führen. Doch gerade das jetzige Bleiberecht befördert diese Lebenssituation.

Deutschland benötigt eine neue Bleiberechtsregelung, welche menschen- und grundrechtlichen Erwägungen den Vorzug vor Nützlichkeitskriterien gibt. Für die Betroffenen muss endlich eine auf Dauer ausgerichtete, verlässliche und humanitäre Lösung geschaffen werden.