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Gudrun Tiedge zu TOP 07: Cannabiskonsum in Sachsen-Anhalt / Harte Drogen in Sachsen-Anhalt

Zunächst die Frage in die Runde: Wann haben Sie zum letzten Mal Drogen zu sich genommen und konsumiert? Vielleicht sollte ich Sie an dieser Stelle präziser fragen. Also, wann haben sie eine Zigarette geraucht oder ein Glas Bier oder ein Glas Wein getrunken?

Was das mit unseren beiden Großen Anfragen zu tun hat?

Nach wie vor sind Nikotin und Alkohol die Drogen Nr.1 in Deutschland. Nikotin und Alkohol sind legale Drogen, deren schädliche Wirkung hinlänglich bekannt ist. Alkohol ist die Gesellschaftsdroge schlechthin. In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Konsum bei 10 Litern reinem Alkohol. Geschätzte 1,3 Mill. Menschen sind abhängig.

Und wer fordert eigentlich für diesen genannten Genuss Verbote und damit einhergehende Bestrafungen bei Verstoß? Die Antwort liegt doch wohl und leider auf der Hand.

Nun aber zurück zu den hinterfragten Drogen „Cannabis“ und den sogenannten „harten Drogen“, wie Chrystal, Crack, Ecstasy, Heroin oder Kokain.

122 StrafrechtsprofessorInnen haben im November 2013 eine Resolution an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages unterschrieben. Sie fordern eine grundsätzliche Neuausrichtung der Drogenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Im Mittelpunkt ihres Anliegens steht die Forderung, die Wirksamkeit des derzeitigen Betäubungsmittelgesetzes zu überprüfen. Sowohl aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht als auch aufgrund empirischer Forschungsergebnisse besteht die dringende Notwendigkeit, die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittel-Strafrechts zu überprüfen. Sie sind der Auffassung, dass der Staat die BürgerInnen durch die Drogenpolitik nicht schädigen darf. Es ist deshalb aus ihrer Sicht notwendig, Schaden und Nutzen der Drogenpolitik unvoreingenommen wissenschaftlich zu überprüfen. Die Unterzeichnenden wollen lt. ihrer Resolution den Bundesgesetzgeber „auf die unbeabsichtigten schädlichen Nebenwirkungen und Folgen der Kriminalisierung bestimmter Drogen aufmerksam machen“.

Einer der Unterzeichner der Resolution, der Strafrechtler Prof. Lorenz Böllinger, sagte in einem Interview in der Frankfurter Rundschau vom 01. Februar 2014, „dass es im Grunde darum geht, das Verbot von Cannabis aufzuheben, da die Sinnhaftigkeit dieses Verbotes empirisch nie überprüft worden ist Das Verbot habe weder den Konsum zurückgedrängt noch die Konsumenten geschützt. Es hat nicht verhindert, dass Menschen Drogen nehmen. Es hat nicht dazu geführt, den Drogenkonsum zu vermindern oder gar zu eliminieren.“

Und dennoch halten der Staat (und damit auch die hiesige Landesregierung) vehement an diesem Verbot fest. Man beharrt an „Bisherigem“ ohne einen Gedanken an eine mögliche Evaluation zu verwenden frei nach dem Motto „Was man seit Jahrzehnten - das Betäubungsmittelgesetz in der jetzigen Fassung gilt seit dem Jahr 1971 - so gemacht hat, ist gut, hat sich etabliert und muss nicht verändert werden“.

Blickt man einmal über den eigenen Tellerrand in die US-Staaten Colorado und Washington sowie nach Uruguay, sieht man deutlich, dass man auch andere Wege im Umgang mit Drogen gehen kann. Dort ist man der festen, wissenschaftlich begründeten Überzeugung, dass man mit dem Strafrecht das Problem in keiner Weise lösen kann.

Die Verbotspolitik des deutschen Betäubungsmittel-Rechts ist aus unserer Sicht gescheitert. Auch die Resolution deutscher StrafrechtsprofessorInnen stellt folgende Thesen auf, deren Positionen von uns unterstützt werden: „Die strafrechtliche Drogenprohibition ist gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch. Nicht die Wirkung der Drogen ist das Problem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. Selbst abhängige Konsumenten bleiben oftmals sozial integriert. Menschen mit problematischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen. Der Zweck der Prohibition wird systematisch verfehlt. Das zeigen alle wissenschaftlich relevanten Studien. Sogar die Evaluation des 10-Jahres-Programms der UNO zur Drogenbekämpfung kommt im Jahr 2008 zu diesem Schluss. Prohibition schreckt zwar einige Menschen ab, verhindert aber Aufklärung und vergrößert gleichzeitig die gesundheitlichen und sozialen Schäden für diejenigen, die nicht abstinent leben wollen. Die Prohibition ist schädlich für die Gesellschaft. Sie fördert die organisierte Kriminalität und den Schwarzmarkt. Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig. Jedes Jahr werden Milliardenbeträge in der Bundesrepublik für die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden könnten. Die Prohibition ist schädlich für die Konsumenten. Sie werden diskriminiert und strafrechtlich verfolgt.“

Durch die Kriminalisierung der KonsumentInnen werden ein wirksamer VerbraucherInnenschutz und ebenso auch ein wirksamer Jugendschutz verhindert. Gleichzeitig steigt die Zahl der wegen des Besitzes und des Erwerbes von Cannabis verurteilten Menschen.

Die meistkonsumierte illegale Droge bundesweit ist Cannabis. 23,4 % der 18- bis 64-jährigen haben Erfahrungen mit dem Konsum von Cannabis. Cannabisdelikte nahmen im Jahr 2013 in Sachsen-Anhalt mit einem Anteil von 46 % den höchsten Umfang der polizeilichen Bearbeitung im Bereich der Rauschgiftkriminalität ein. Die Polizei ist rechtlich verpflichtet, den Besitz von Cannabis zu ahnden, doch auch heute schon werden 95 % der Verfahren als Bagatelldelikte wieder eingestellt. Aber zunächst einmal wird Personal in einem nicht unerheblichen Umfang gebunden, deren Einsatz an anderer Stelle weitaus wichtiger wäre.

Selbst Ökonomen fordern ein totales Umdenken in der Drogenpolitik. Stefan Bach, Finanzexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärte hierzu folgendes: „Wenn der Staat den illegalen Handel mit sanften Drogen wie Cannabis nicht in den Griff bekommt und den Konsum ohnehin toleriert, dann sollte er die dabei entstehenden Gewinne besser selber abschöpfen. Eine regulierte Freigabe von Cannabis würde bedeuten, dass der Staat Steuereinnahmen kassieren und den Schwarzmarkt austrocknen könnte.“

Experten schätzen ein, dass der Staat eine halbe Milliarde Euro durch die Besteuerung von Cannabis im Falle einer Freigabe einnehmen würde. Und darüber hinaus würde ein Milliardenbetrag wegfallen, den der Staat derzeit für die Strafverfolgung ausgibt.

Kommen wir nun zu den Fragen im Einzelnen. Bei näherer Betrachtung und Auswertung der vorliegenden Antworten der Landesregierung kam mir eine ganze Reihe von Nachfragen auf, die mir vielleicht heute beantwortet werden können. Ich habe mir zunächst die Mühe gemacht, die vorgelegten Statistiken etwas näher unter die Lupe zu nehmen und bei der Frage nach der Anzahl der Ermittlungsverfahren und deren rechtlichen Folgen einmal nachzurechnen. Und da fehlen mir in der Summe letztendlich dann immer eine ganze Reihe von Menschen/ Beschuldigten oder Delikten oder Verurteilungen. Vielleicht habe ich an dieser Stelle auch einen Denk- bzw. Rechenfehler, dann möge man mich korrigieren.

Betrachten wir einmal das Jahr 2013 im Detail. Hier wurden 2091 Beschuldigte in der Statistik registriert. 1022 Verfahren wurden insgesamt eingestellt. Bei 309 Beschuldigten wurde Strafbefehl beantragt bzw. Anklage erhoben. 5 Verfahren endeten mit Freispruch, 151 mit einer Verurteilung. Summa summarum komme ich auf 1482 abgeschlossene Verfahren. Und da frage ich mich schon, was ist mit 609 Beschuldigten passiert? Durch welches Raster sind diese gefallen? Für die anderen Jahre wird übrigens ähnliches sichtbar.

Aber wie gesagt, vielleicht gibt es eine ganz logische Erklärung hierfür. Und egal, wie die Erklärung ausfällt, eins ist aus diesen Zahlen ablesbar. Ein übergroßer Anteil der Verfahren wird eingestellt, bindet aber personelle und sächliche Ressourcen, die für andere Aufgaben dringender benötigt werden.

In einer aus meiner Sicht ganz wichtigen Sache, in einer Positionierung der Landesregierung stimme ich mit dieser völlig überein. Ich bin mir jedoch nicht völlig sicher, ob das von allen hier im Raum auch geteilt wird. Und zwar hinsichtlich der Thematik „Drogen und Straßenverkehr“ – wo auch ich die alternativlose Normierung eines absoluten Drogenverbotes im Straßenverkehrsgesetz für erforderlich halte. Und egal, um welche Droge es sich hierbei handelt. Und damit favorisiere ich auch ein absolutes Alkoholverbot im Straßenverkehr. Sieht man sich dazu die Statistiken an, dann wurden z.B. im Jahr 2013 69 Verkehrsunfälle unter Einfluss von Drogen verursacht und 1253 unter Einfluss von Alkohol. Präventionsmaßnahmen sind an dieser Stelle von ganz großer Bedeutung. Dabei gab und gibt es eine ganze Reihe von guten Beispielen, die hier auch genannt werden sollen. So z.B. das „PEER-Projekt“ oder die „fifty-fifty-Taxen“. Teilweise sind diese Maßnahmen inzwischen leider ausgelaufen oder werden nicht mehr finanziert. Derartige Maßnahmen der Prävention funktionieren aber nur, wenn sie kontinuierlich über einen langen Zeitraum praktiziert werden.

Eines ist aus der Beantwortung der Fragen aber auch ersichtlich geworden. Vorgaben, Dienstvorschriften, Richtlinien, Anweisungen gibt es zur Genüge. Aber wir müssen uns fragen, ob das das Allheilmittel sein soll? Sie führen oft nur dazu, dass eine ganze Maschinerie in Betrieb gesetzt wird, auch wenn der „Auslöser“ oft nur geringfügig oder auch nur „als harmlos in seiner rechtlichen Bedeutung“ einzuschätzen ist.                                                                             

So geschehen in jüngster Zeit, als in einem veröffentlichten Internetvideo im Hintergrund eine einsame Hanfpflanze in einem Blumentopf auf einem Balkon zu sehen war - tauglich zur Herstellung von Haschisch. Der Balkon gehört dem Grünen-Politiker Cem Özdemir, der nun mit den juristischen Folgen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Anbaus von Betäubungsmitteln, wie Aufhebung seiner Immunität, zu kämpfen hat. Wenn dies alles nicht so traurig wäre, könnte man glatt darüber lachen. Dass das Platzieren einer Hanfpflanze in einem Video umfangreiche Ermittlungen nach sich zieht, zeigt, wie widersinnig deutsche Drogenpolitik ist.

Auch wir sehen - und das möchte ich ausdrücklich betonen -, dass mit sogenannten harten Drogen anders umgegangen werden muss, als z.B. mit Cannabis. Die verheerenden Folgen von Crystal sind uns allen bekannt. Fallzahlen mit Crystal haben in den vergangenen Jahren landesweit zugenommen. Hier ist allein von 2011 bis 2013 eine Steigerung von rund 400 auf etwa 1.400 Ermittlungsverfahren zu verzeichnen.
Die Anzahl der Rauschgiftdelikte (gesamt) stieg laut PKS bereits im 4. Jahr in Folge an und erreichte mit 6.060 Delikten den höchsten Stand seit 2007.

Aber auch hier muss konstatiert werden, dass man ausschließlich mit Repression und Bestrafung nicht weiter kommt. Man muss weitaus eher ansetzen. Es gelingt ja noch nicht einmal in den Strafvollzugseinrichtungen des Landes, also hinter Gittern, unter dem wachsamen Auge der JustizvollzugsbeamtInnen, den Drogenschmuggel und somit auch den Drogenkonsum zu verhindern. So wird eingeschätzt, dass im Justizvollzug Sachsen-Anhalt ca. 25% der Inhaftierten während des Vollzuges illegale Drogen konsumieren.

Und so müssen wir letztendlich konstatieren, dass Drogen eine Alltagserscheinung sind und trotz konsequenter Verbote und Bestrafungen gehandelt und konsumiert werden. Drogenkonsumentinnen und -konsumenten schlichtweg als Kriminelle zu betrachten, verhindert jeden nachhaltigen Umgang mit den Betroffenen, verhindert aber auch jegliche Überlegungen in Richtung einer sinnvollen Drogenpolitik. Abhängige sind nicht kriminell, sondern krank. Wenn wir als Gesellschaft soweit sind, das zu akzeptieren, dann ist auch der Weg geebnet für eine Drogenpolitik, die gekennzeichnet ist von Prävention und Aufklärung, statt Strafe und Repression. Denn Strafe und Repression, die Dämonisierung und Kriminalisierung von Drogen haben bislang nicht dazu geführt, dass Jugendliche oder Erwachsene die Finger von Drogen lassen.

Drogenpolitik muss eine präventive, sachliche und glaubwürdige Aufklärung über die Wirkung und Risiken von Drogen ermöglichen. In der Drogenpolitik ist somit ein grundsätzliches Umdenken erforderlich. Die bisherige Kriminalisierung der Konsumierenden schränkt die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen nicht wirksam ein, sondern zwingt Konsumierende in den illegalen Markt.  Eine moderne Drogenpolitik muss durch Prävention Drogenmissbrauch vorbeugen, die gesundheitlichen Probleme von Konsumierenden minimieren und die organisierte Kriminalität effektiv bekämpfen. Die Gelder für tausende von Strafverfahren, für Polizeieinsätze, Razzien und Gerichtsverfahren wären in einer wirksamen Präventionspolitik besser angelegt. Der Gebrauch von Drogen, der Umgang mit ihnen ist nicht zuletzt ein Spiegel der Gesellschaft.

Lassen Sie uns gemeinsam offen und ohne Vorurteile über neue Wege in der Drogenpolitik nachdenken, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, die für menschliche Lebensbedingungen sorgt und ihnen ermöglicht, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten.