Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Gerald Grünert zu TOP 21: Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – (1BvR 2457/08) zur Festsetzung der Beitragserhebung auf das derzeitige Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anha

Kaum ein anderes Gesetz hat gravierenderen Einfluss auf die Einkommen der Grundstückseigentümer, wie das Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt. Seit seiner Inkraftsetzung am 21. Juni 1991hat es zahlreiche Änderungen der rechtlichen Normen gegeben. Ob das erste und zweite Heilungsgesetz oder  das erste und zweite Investitionserleichterungsgesetz, immer führten die Änderungen nicht zu einer höheren Transparenz und Rechtssicherheit seiner Anwendung.
Im Gegenteil, die Grundstückseigentümer wurden immer wieder mit neuen Varianten der Einnahmebeschaffung durch die handelnden Kommunen und Zweckverbände überzogen, die nicht zuletzt eine weitere Beteiligung an längst vergangene Baumaßnahmen ermöglichten.

Allein seit dem Jahr 1994 hat meine Fraktion mehrfach auf Probleme im Umgang und bei der Anwendung des Kommunalabgabengesetzes hingewiesen, zahlreiche Anträge und Gesetzesinitiativen unternommen, um eine für die Bürger nachvollziehbare und verlässliche Anwendung zu garantieren.

An dieser Stelle möchte ich auf einige parlamentarische Beratungsgegenstände der letzten Zeit verweisen:

  • Drs. 5/396 und Drs. 571624 Gesetzentwurf zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften, Artikel 4;
  • Dr. 5/1112 zur Grundsatzentscheidung des OVG Bautzen über die Kann-Regelung zum Erlass von Beitragssatzungen im Bereich Straßenausbau;
  • Drs. 5/1192  zur Problematik verlässliche und bestandskräftige Bescheidung;
  • Drs. 5/2026 zum Thema nachträglicher Beitragserhebungen für Verkehrsanlagen;
  • Drs. 5/2186 Umgang mit dem Beschluss des OVG Magdeburg – 1M62/04 zum Herstellungsbeitrag II;
  • sowie zahlreicher Stellungnahmen zu vorliegenden Petitionsverfahren in den Tätigkeitsberichten 2009 und 2011.

Das sind nur einige Aktivitäten, die auf Missstände in der Gesetznormierung und in der Rechtsanwendung hingewiesen haben.

Man kann diesen Aktivitäten zahlreiche Petitionsverfahren der letzten Legislaturen zu Grunde legen. Ob es die teilweise bis zum Jahr 1991 rückwirkend beschlossenen Satzungen betrifft, oder die erstmaligen Erschließungsbeiträge für Jahrhundert alte Straßen – wie die B1 - geht, die rückwirkende Beitragserhebung so genannter Herstellungsbeiträge II, die bis zur Gründung der DDR im Jahr 1949 zurückreichen, die beliebigen Satzungsänderungen in vielen Bereichen, da eine Heilung formell und materiell fehlerhafter Satzungen immer zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung und damit des Inkrafttreten ermöglicht wurde; folglich daraus abgeleitet wurde, dass eine Beitragsfestsetzung gar nicht möglich war. Oder die beliebten Praktiken, die auf der Grundlage einer noch nicht vollständigen Herstellung oder eines nicht vollzogenen Ausbaus – fehlende Straßenbeleuchtung – zu erheblichen Beitragsnacherhebungen geführt haben und somit das vom vorliegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.03.2013 zum Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit in Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips  für den Bürger vermissen ließ.

Bis zum heutigen Tag reißen die Petitionen, die diese Materie berühren, nicht ab. Letzte Petition 6-I/00147 betrifft eine bereits auf der Grundlage einer Straßenausbaubeitragssatzung getätigte, schlussgerechnete  und bezahlte Straßenausbaumaßnahme aus dem Jahr 2003 in der Ortslage Colbitz. Nunmehr stellt die Verwaltung fest, dass die ausgebaute Straße (Sackgasse) nach ihrer Sicht noch nie erschlossen war und fordert nunmehr einen weiteren Beitrag von den Grundstückseigentümern, jetzt deklariert als Erschließungsbeitrag. Eine Nachweisführung, ob diese Sackgasse tatsächlich nicht dem damaligen Ausbauzustand entsprach an Hand von verwertbaren Unterlagen? –Fehlanzeige.
Ähnlich verhält es sich mit der Praxis rückwirkend für im Zeitraum von 1991 bis 1999 getätigte Straßenausbaumaßnahmen Beiträge zu erheben. Oftmals von der Kommunalaufsicht im Rahmen der Prüfungen der Haushaltsausgleiche vorgeschlagene zusätzliche Einnahmemöglichkeiten. Dies vor dem Hintergrund, dass bis zum 21.04.1999 die Gemeindevertretung durch die Normierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 des KAG LSA als Kann-Regelung unter Berücksichtigung des § 91 Abs. 2 Satz 2 GO LSA das Recht hatte, keine Satzung zu erlassen oder geringere Beitragssätze festzulegen. Diese Praxis fand ihre inhaltliche und rechtliche Bestätigung durch den Grundsatzbeschluss des OVG Bautzen vom 31.01.2007. Eine Handlungsoption seitens des Landes Sachsen-Anhalt wurde damals weder durch die Regierungsfraktionen noch durch die Landesregierung gesehen. Man folgte den Kommentierungen des Professors Driehaus und dessen fast wörtliche Übernahme für das KAG Sachsen-Anhalt.

Mit dem Leitsatz des Beschlusses des Bundesverfassungs-gerichtes vom 5.03.2013 wird folgendes ausgeführt: „Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechts-sicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.“

Damit ergibt sich grundsätzlich die Pflicht auch für das Land Sachsen-Anhalt zur Prüfung, ob und wie der vom Bundesverfassungsgericht dargestellte Zusammenhang des zwischen dem Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit dem Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit vollumfänglich gewährleistet wird.

Das Bundesverfassungsgericht stützt sich in seiner Begründung auf folgende Grundaussagen, die ich auszugsweise zitiere:

  1. Der rechtstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen.
  2. Ähnlich wie in Bayern, ist auch in Sachsen-Anhalt die Verwaltungspraxis, dass der Gesetzgeber es erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Damit wird der Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.
  3. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dement-sprechend einrichten können. Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können.
  4. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten.
  5. Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können.
  6. Es ist den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.
  7. Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt – unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens – in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge.

Folgt man diesen grundsätzlichen Aussagen, dann ist der Gesetz-geber aufgefordert, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung der Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit jedoch verbietet es dem Gesetzgeber die berechtigten Interessen der Bürger völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung Abstand zu nehmen, die der Erhebung der Abgabe  eine bestimmt zeitliche Grenze setzt.

Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf darzustellen, ob, wie und mit welchen Regelungen sie die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Grundsatzentscheidung berücksichtigen will. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.