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Gerald Grünert zu TOP 14: Berichterstattung zur Sicherung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung

In der gestrigen Plenarsitzung haben wir uns zu einigen Auswirkungen der demografischen Entwicklung in unserem Land ausgesprochen und Bedarfe sowie politische Empfehlungen postuliert. Heute nun beantragt meine Fraktion, dass sich der Landtag über die Sicherstellung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Wasserver- und Abwasserbeseitigung von der Landesregierung Bericht erstatten lässt. Eingedenk der Hochwassersituation im Juni 2013 und der damit verbundenen erheblichen Einbindung des zuständigen Ministeriums, stellen wir nunmehr erst jetzt diesen Antrag.

Gebühren und Beiträge beschäftigen nicht nur kommunale Verwaltungen sondern maßgeblich auch die Bürgerinnen und Bürger, wirtschaftliche Unternehmen sowie kommunalen Vertretungen. Oftmals sind auch heute noch die wirtschaftlichen Ergebnisse der einzelnen Leistungserbringer durch Entscheidungen in den 90’er Jahren geprägt, sind die erhaltenen Sanierungs- und Teilentschuldungshilfen für in Not geratenen Zweckverbände im Rahmen der Kosten-Leistungs-Rechnung einbezogen und entsteht daraus ein erheblicher Druck auf die Gebühren- und Beitragsbelastung der Bürgerinnen und Bürger. Allein die Förderungen des Landes von Investitionen in diesem Bereich belaufen sich auf rund 1,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen die bereits erwähnten Hilfen in Höhe von weiteren 353 Millionen Euro.
Die Ursachen für diese Situation sind sehr differenziert. Zum einen sind dies Folgen falscher Einschätzungen der zukünftigen Verbräuche und der demografischen Entwicklung, der Dominanz zentraler Ver- und Entsorgungslösungen, aber zum anderen auch mangelhafte Betriebsführung, Fehlkalkulationen und das Aussitzen notwendiger Entscheidungen.
Nicht zu Unrecht bemängelt der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2012, zur Haushalts- und Wirtschaftsführung im Haushaltsjahr 2011 – Teil 2 gravierende Mängel in der Beitragserhebung sowie im Zusammenhang mit der Erhebung privatrechtlicher Entgelte.

Hier möchte ich nur auszugsweise folgende Tatbestände erwähnen:

  • die mangelhafte Beachtung der Auswirkungen von Beitragsfestsetzungen,
  • die fehlende Dokumentation und Kontrolle der Beitragserhebung und
  • die ungenügende Realisierung von Beitragseinnahmen.

Dies führte in der Vergangenheit und führt auch heute zu erheblichen Beitragsausfällen.

So sind rückwirkende Beitragsbescheide bis Juni 1991 gang und gebe, beträgt die Grundgebühr in vielen Fällen schon mehr als zwei Drittel der tatsächlichen Gebühr, werden Mindestverbräuche festgelegt, die dem ressourcensparendem Verhalten der Bürger entgegenstehen, wird der Grundsatz der Einnahmebeschaffung der noch geltenden Gemeindeordnung § 91 Abs. 2 Satz 2 - auf die Wirtschaftskraft der Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen - schlicht ignoriert bzw. spätestens im Rahmen der Haushaltskonsolidierung durch die Kommunalaufsicht kassiert. Aber auch politisch festgesetzte Gebührenhöhen, die Zweckverbandsversammlungen im guten Wollen beschlossen haben, sind nicht geeignet die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse zu verbessern. Das Kommunalabgabengesetz wird in einer Interpretationsweite angewendet, die dem eigentlichen Gesetzeswortlaut entgegensteht.

Nun müsste man eigentlich annehmen, dass auf Grund der weiteren Konsolidierung der Verbände eine wirtschaftliche Gesundung und eine Stabilisierung der Gebühren und Beiträge erreicht wurden, offensichtlich ist dies jedoch eine Fehlannahme.

Der im Jahr 1996 gefasste Beschluss des Landtages von Sachsen-Anhalt, dezentrale Lösungen der Abwasserbeseitigung gleichrangig zu zentralen Lösungen zuzulassen, trägt mittlerweile skurrile Züge. Ja, es werden dezentrale Anlagen ermöglicht, diese beziehen sich jedoch auf den einzelnen Haushalt, das einzelne Grundstück, nicht jedoch auf wirtschaftlichere Lösungen, wie u. a. Gruppenkläranlagen. Auf Grund des Verbrauchsverhaltens der Grundstückseigentümer und der technologisch festgesetzten Mindestabwassermengen führt dies in vielen Fällen zur Funktionsunfähigkeit der vollbiologischen Kleinkläranlagen, aber auch zu erheblichen Mehrbelastungen der Grundstückseigentümer.

Eine Ursache sehen wir in der ungenügenden Korrektur der Abwasserzielplanungen nach § 79 Wassergesetz des Landes Sachsen-Anhalt. Danach haben die Gemeinden die Möglichkeit und Pflicht bis zum 1. April 2014 für ihr gesamtes Gebiet schriftlich in getrennten Konzepten darzustellen, wie das im Gebiet anfallende Schmutz- und Niederschlagswasser beseitigt wird. Hierin sind auch die demografischen Entwicklungen, die technischen Lösungen für die Abwasserbeseitigung sowie die betriebswirtschaftlichen Ertüchtigungen der Verbände darzustellen. Die Option, das kilometerweite Rohranlagen, Druck- und Hebestationen gebaut werden, deren Bemessung oft nicht mehr dem tatsächlichen Verbrauch bzw. der demografischen Entwicklung entsprechen, sollten daher der Vergangenheit angehören. Um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherstellen zu können, sind aus unserer Sicht die teilweise gravierenden Gebührenunterschiede zwischen den Aufgabenträgern zu Grunde zu legen.

Die Zweckverbände versuchen durch viel Kreativität das Kommunalabgabengesetz immer wieder neu zu interpretieren. Neuerlich scheint es üblich und gängige Praxis zu sein, durch Dichtigkeitsprüfungen von Abwasserleitungen, die durch die Verbände zwar übernommen, nicht jedoch ertüchtigt wurden, weitere Einnahmen zu erzielen oder unter Umgehung geltender Rechtsvorschriften eine degressive Gebührenstaffelungen, besonders für Großverbraucher, durchzudrücken.

Natürlich haben die Verbände einen Ermessenspielraum bei der Festsetzung des Beitragssatzes und der Wahl des Beitragsmaßstabes. Dieser wird jedoch begrenzt durch den mit der Kalkulation festgestellten „höchstmöglichen“ Beitragssatz und der für unser Land geltenden „Beitragserhebungspflicht“.

Anpassungen können sich z. B. aus folgenden Gründen ergeben:

  • neue Kalkulationen und damit eine neue Kostenstruktur
  • Veränderungen der Beitragsgebiete
  • Änderungen rechtlicher Normen und
  • Änderungen durch aktuelle veränderte Rechtsnormen.

Im o.g. Prüfbericht führt der Landesrechnungshof aus, dass die durch ihn geprüften Aufgabenträger Veränderungen vorgenommen haben, die jedoch ihre Wirkungen nur auf die Zukunft entfalten. Nicht geprüft wurden die Wirkungen für bereits erfolgte Beitragsfestsetzungen und deren Folgen auf die Gebührenfestsetzungen. Diese Wirkungen sind von den Aufgabenträgern vorzunehmen und können Rückzahlungen überzahlter Beitragsanteile, aber auch eine Nacherhebung zum Ausgleich von zu geringen Beitragseinnahmen nach sich ziehen. Hierbei ist der Grundsatz des Doppelbelastungsverbotes zwingend zu berücksichtigen.

Von besonderer Bedeutung ist dabei ist auch die schier unbegrenzte Rückwirkung so genannter Herstellungsbeiträge II für bereits errichtete Anlagen (Gardelegen). Dies widerspricht dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 05. März 2013. Dieses Urteil – 1 BvR 2457/08 – zielt im Rahmen seines Leitsatzes darauf ab, „das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben (Beiträge und Gebühren) zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber (Landtag) obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners anderseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.“

Nunmehr soll nach den Verlautbarungen der Regierung eine Frist von max. 10 Jahren festgeschrieben werden. Dies würde bedeuten, dass für alle Maßnahmen bis zum 31.12.2004 eine rückwirkende Beitragserhebung nicht mehr zulässig ist, da eine Verfristung eingetreten ist. Aus der Sicht der LINKEN wäre und ist ein solcher Schritt zu begrüßen.

Gleichsam sind jedoch auch die Folgen für die Betriebswirtschaft der Aufgabenträger darzustellen. Diese sollen im Rahmen der Berichterstattung dargestellt werden.
Inwieweit jedoch die unsägliche Praxis der Erhebung von Herstellungsbeiträgen II für Altanschlüsse ebenfalls auszuschließen wäre, ist aus der Presse nicht zu ersehen gewesen. Herstellungsbeiträge II können bisher bis weit in die letzten „Jahrhunderte“ erhoben werden und deren Einforderung wird regelmäßig durch die Kommunalaufsichten im Rahmen von Haushaltskonsolidierungen angemahnt, obwohl der Anschluss nach dem damaligen Stand der Technik vollzogen wurde, die Zweckverbände jede Zeit der Welt hatten entsprechende Rückstellungen durch Abschreibungen zur Erneuerung der abgeschriebenen Leitungssysteme zu tätigen.

Auch hier erweist sich der Bericht des Landesrechnungshofes zu den geprüften 12 Aufgabenträgern und zwei Eigenbetrieben als durchaus hilfreich. Folgende Gründe sind dort u. a. nachlesbar:

  • fehlende Dokumentation und Kontrolle der Beitragserhebung, lückenlose Übersicht der beitragspflichtigen Grundstücke, festgesetzten Beiträge, Übersicht/Begründungen zu nicht festgesetzten Beiträgen, Übersicht/Begründungen für festgesetzte, aber nicht eingenommene Beiträge sowie Übersicht/Begründungen zu Beitragsausfällen.
  • gravierende Mängel bei der Kalkulation, der Festsetzung und der Erhebung der Ihnen zur Finanzierung ihrer Aufgaben zustehenden Beiträge
  • fehlender Ausgleich der Beitragsausfälle durch Umlagezahlungen der Mitgliedsgemeinden.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Im ehemaligen Abwasserzweckverband Biederitz, hier der Ortsteil Königborn, wurden durch eine unzulässige Verzinsung von zinslosen KfW-Krediten die Kalkulation von 2010 um rd. 36 T€ Fremdkapitalzinsen belastet, wurden Überzahlungen entgegen dem KAG nicht mit dem nächsten Kalkulationszeitraum ausgeglichen, wurde eine reduzierte Inanspruchnahme eines KfW-Kredites trotzdem zum vollen Kreditvolumen veranschlagt, wurden zusätzlich 98 T€ Bürgerbeiträge zu viel eingenommen, erfolgte trotz einer Rückzahlung von 200 T€ bei einem Zinssatz von 4 % nur eine kalkulatorische Berücksichtigung von 11 T€ bei einem Zinssatz von 2,85 %. Insgesamt wurde in 15 Klageverfahren beim Verwaltungsgericht Magdeburg die Kalkulation des Zweckverbandes beanstandet. Jedes Mal hat der Verband vor der Gerichtsentscheidung den beklagten Beitragsbescheid zurückgezogen und nachträglich die Kalkulation verändert, jedoch ohne die Wirkungen auf die bereits erhobenen Beiträge und Gebühren zu berücksichtigen. Neben der Nichtheranziehung aller Beitrags- und Gebührenpflichtigen sind weitere nennenswerte Ursachen im Betriebsführungsvertrag, den Abschreibungen, Doppelabrechnungen der Betriebsführung bis hin zu einer entgegen dem Verkehrswert dotierten Betriebsüberlassung an einen anderen Zweckverband zu Ungunsten der Gemeinde in Höhe von rd. 1 Mio. €. Beanstandungen des Rechnungsprüfungsamtes wurden nicht verfolgt, Hinweise an den Landesrechnungshof wurden unter der Begründung der Nichtzuständigkeit nicht verfolgt. Dies ist nur ein Beispiel der letzten Zeit.

In wie weit die Landesregierung ausgehend von der Rechtswirksamkeit des Kommunalabgabengesetzes vom 21. Juni 1991 eine Rückwirkung zu diesem Zeitpunkt vorsieht ist derzeit ebenfalls nicht erkennbar. Damit wäre eine Verjährung der Ansprüche bereits 2001 gegeben und gegebenenfalls auch das Groß der Betroffenen beitragsfrei zu stellen.
Im Übrigen sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass bei Beibehaltung der derzeitigen Regelung neben den Bürgern auch Unternehmen und öffentliche Einrichtungen mit erheblichen Nachzahlungen so genannter „Herstellungsbeiträge II“ zu rechnen haben.

Meine Fraktion hat auf Grund der bereits geschilderten Situation im Rahmen der Kommunalverfassungsänderung vorgeschlagen, die überörtlichen Prüfungen der Aufgabenträger in einem Zeitabstand von 5 Jahren durchzuführen. Damit würde auch den im Prüfbericht des Landesrechnungshofes dargestellten Sachverhalten Rechnung getragen.

Auch führen die Forderungen zu einer höheren Transparenz der Gebühren- und Beitragskalkulation, die eine aktive Bürgerbeteiligung, eine verlässliche und bestandskräftige Bescheidung sowie eine stärkere fachaufsichtliche und betriebswirtschaftliche Betreuung der Zweckverbände ermöglichen.

Im Rahmen zahlreicher Petitionen mussten wir immer wieder feststellen, dass die Transparenz der Entscheidungen und Berechnungsgrundlagen in vielen Fällen nicht gegeben ist, dass das Kommunalabgabengesetz nicht ein am Vorteil des Einzelnen ausgerichtetes Gesetz, sondern in erster Linie ein Einnahmebeschaffungsgesetz – man kann auch Steuergesetz sagen – zum Ausgleich fehlender Refinanzierung staatlicher Aufgaben durch das Land an die Kommunen ist. Die Liste der Beispiele könnte ich auf Grund meiner Kenntnisse und Erlebnisse vor Ort noch um ein Vielfältiges verlängern.

Nun zum Antrag auf Berichterstattung. Um die Fragen im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung betriebswirtschaftlich langfristig sicherzustellen und dabei dem Grundsatz des sparsamen Ressourcenverbrauchs und der Sicherung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, ist aus der Sicht der LINKEN neben dem bereits erreichten Stand auch für die kommenden Jahre eine klare Analyse des Ist-Zustandes vorzunehmen. Gegenstände dieser Analyse sollen u. a. sowohl die planungsrechtlichen, betriebswirtschaftlichen als auch die beitrags- und gebührenrechtlichen Belange sein. Diese sind im Kontext zur demografischen Entwicklung und der neuen Gemeinde- bzw. Kreisgebietsstruktur neu zu ordnen. Jedoch ist auch darzustellen, wie durch eine fach- sowie kommunalaufsichtliche Tätigkeit und verstärkte Rechnungsprüfung die Handlungsfähigkeit der Zweckverbände langfristig gesichert werden kann. Ein weiterer und für die Bürger unseres Landes wichtiger Schritt wäre eine Überarbeitung des Kommunalabgabengesetzes. Ich denke, dass der Landtag demnächst über einen sachsen-anhaltischen Gesetzentwurf zur Änderung dieses Gesetzes zu beraten haben wird. Für die Bürger und Eigentümer sind hierbei besonders Regelungen der aktiven Einflussnahme, der Transparenz der Planungs- und Gebührenunterlagen sowie der Bestandssicherheit von Bescheiden sehr wichtig. Und hierbei geht es nicht allein um die betroffenen Eigentümer sondern auch und besonders um zukünftige Entwicklungschancen für die Ansiedlungs- und Standortsicherheit.