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Gerald Grünert zu TOP 13: Arbeit der Task-Force Satzungsrecht für altangeschlossene Grundstückseigentümer (Herstellungsbeitrag II)

In der Plenarsitzung am 31.01.2014 beantragte meine Fraktion Berichterstattung zur Sicherung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bereich Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung. Eine Berichterstattung wurde mit der Mehrheit des Landtages abgelehnt, die Koalition hatte dazu keinerlei Informationsbedarf. Kaum war jedoch das Kommunalabgabengesetz im Dezember 2014 verabschiedet, stellte die SPD-Fraktion am 30.01.2015 einen Selbstbefassungsantrag im Innenausschuss zum Umsetzung der Änderungen im Kommunalabgabengesetz, insbesondere die Erhebung des Herstellungsbeitrages II. Wenigstens diese Fraktion als Teil der Koalition, hatte die Befürchtung geäußert, dass die Kommunalaufsichtsbehörden Aufgabenträger nachhaltig auffordern werden, Herstellungsbeiträge II zu erheben.

Gebühren und Beiträge beschäftigen nicht nur kommunale Verwaltungen sondern maßgeblich auch die Bürgerinnen und Bürger, wirtschaftliche Unternehmen sowie kommunalen Vertretungen. Oftmals sind auch heute noch die wirtschaftlichen Ergebnisse der einzelnen Leistungserbringer durch Entscheidungen in den 90’er Jahren geprägt, sind die erhaltenen Sanierungs- und Teilentschuldungshilfen für in Not geratenen Zweckverbände im Rahmen der Kosten-Leistungs-Rechnung einbezogen und entsteht daraus ein erheblicher Druck auf die Gebühren- und Beitragsbelastung der Bürgerinnen und Bürger.

Die Ursachen für diese Situation sind sehr differenziert. Zum einen sind dies Folgen falscher Einschätzungen der zukünftigen Verbräuche und der demografischen Entwicklung, der Dominanz zentraler Ver- und Entsorgungslösungen, aber zum anderen auch mangelhafte Betriebsführung, Fehlkalkulationen und das Aussitzen notwendiger Entscheidungen.

Daher bemängelt der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2012, zur Haushalts- und Wirtschaftsführung im Haushaltsjahr 2011 – Teil 2 gravierende Mängel in der Beitragserhebung sowie im Zusammenhang mit der Erhebung privatrechtlicher Entgelte.
Unter anderem:

•    die mangelhafte Beachtung der Auswirkungen von Beitragsfestsetzungen,
•    die fehlende Dokumentation und Kontrolle der Beitragserhebung und
•    die ungenügende Realisierung von Beitragseinnahmen.

Dies führte in der Vergangenheit und führt auch heute zu erheblichen Beitragsausfällen.

Nun müsste man eigentlich annehmen, dass auf Grund des Einwirkens der Kommunalaufsichtsbehörden und der Teilentschuldungen sowie Liquiditätshilfen der weiteren Konsolidierung der Verbände eine wirtschaftliche Gesundung und eine Stabilisierung der Gebühren und Beiträge erreicht wurden, offensichtlich ist dies jedoch eine Fehlannahme.

Die Zweckverbände versuchten und versuchen durch viel Kreativität das Kommunalabgabengesetz immer wieder neu zu interpretieren. Natürlich haben die Verbände einen Ermessenspielraum bei der Festsetzung des Beitragssatzes und der Wahl des Beitragsmaßstabes. Dieser wird jedoch begrenzt durch den mit der Kalkulation festgestellten „höchstmöglichen“ Beitragssatz und der für unser Land geltenden „Beitragserhebungspflicht“.

Anpassungen können sich z. B. aus folgenden Gründen ergeben:

•    neue Kalkulationen und damit eine neue Kostenstruktur
•    Veränderungen der Beitragsgebiete
•    Änderungen rechtlicher Normen und
•    Änderungen durch aktuelle veränderte Rechtsnormen.

Im o.g. Prüfbericht führt der Landesrechnungshof aus, dass die durch ihn geprüften Aufgabenträger Veränderungen vorgenommen haben, die jedoch ihre Wirkungen nur auf die Zukunft entfalten. Nicht geprüft wurden die Wirkungen für bereits erfolgte Beitragsfestsetzungen und deren Folgen auf die Gebührenfestsetzungen.

Diese Wirkungen sind von den Aufgabenträgern vorzunehmen und können Rückzahlungen überzahlter Beitragsanteile, aber auch eine Nacherhebung zum Ausgleich von zu geringen Beitragseinnahmen nach sich ziehen. Hierbei ist der Grundsatz des Doppelbelastungsverbotes zwingend zu berücksichtigen.

Von besonderer Bedeutung dabei ist auch die bisher geübte Praxis der schier unbegrenzten Rückwirkung so genannter Herstellungsbeiträge II für bereits errichtete Anlagen (Gardelegen). Dies widerspricht dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 05. März 2013. Dieses Urteil – 1 BvR 2457/08 – zielt im Rahmen seines Leitsatzes darauf ab, „das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben (Beiträge und Gebühren) zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber (Landtag) obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners anderseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.“

Nunmehr besteht nach der Änderung des Kommunalabgabengesetzes eine Rückwirkungsfrist von max. 10 Jahren. Dies heißt, dass für alle Maßnahmen bis zum 31.12.2004 eine rückwirkende Beitragserhebung nicht mehr zulässig ist, da eine Verfristung eingetreten ist. Um jedoch erhebliche, ich unterstelle virtuelle, Einnahmeausfälle noch generieren zu können, wurde ein Übergangszeitraum bis zum 31.12.2015 eingeräumt, um auf der Grundlage zu erarbeitender Satzungen diese Herstellungsbeiträge noch erheben zu können.

Herstellungsbeiträge II konnten bisher bis weit in das letzte „Jahrhundert“ erhoben werden. Deren Einforderung wurde regelmäßig durch die Kommunalaufsichtsbehörden im Rahmen von Haushaltskonsolidierungen angemahnt, obwohl der Anschluss nach dem damaligen Stand der Technik vollzogen wurde, die Zweckverbände jede Zeit der Welt hatten entsprechende Rückstellungen durch Abschreibungen zur Erneuerung der abgeschriebenen Leitungssysteme zu tätigen. Kommunen wurden nach OVG-Urteilen gezwungen, die Gebühren getragene Refinanzierung, wie sie sich aus dem § 5 des KAG LSA ergibt, durch die Erhebung einmaliger Beiträge für Investitionen zu ersetzen. Diese Aufgabenträger waren bisher davon ausgegangen, dass die über Gebühren refinanzierten Anlagen rechtskonform waren. Auch hier erweist sich der Bericht des Landesrechnungshofes zu den geprüften 12 Aufgabenträgern und zwei Eigenbetrieben als durchaus hilfreich.

Folgende Gründe sind dort u. a. nachlesbar:

  • fehlende Dokumentation und Kontrolle der Beitragserhebung, lückenlose Übersicht der beitragspflichtigen Grundstücke, festgesetzten Beiträge, Übersicht/Begründungen zu nicht festgesetzten Beiträgen, Übersicht/Begründungen für festgesetzte, aber nicht eingenommene Beiträge sowie Übersicht/Begründungen zu Beitragsausfällen.
  • gravierende Mängel bei der Kalkulation, der Festsetzung und der Erhebung der Ihnen zur Finanzierung ihrer Aufgaben zustehenden Beiträge
  • fehlender Ausgleich der Beitragsausfälle durch Umlagezahlungen der Mitgliedsgemeinden.


Wenn nunmehr die Forderung gestellt wird, Herstellungsbeiträge II rückwirkend zu erheben, stellt sich die Frage auf welcher Grundlage dies geschehen soll, ob die entsprechenden Unterlagen überhaupt noch vorhanden sind bzw. wie eine Verrechnung mit bereits getätigten Gebühren erfolgen soll. Es geht in diesem Zusammenhang um Forderungen von rund 110 Mio. Euro.

Im Rahmen der Selbstbefassung im Ausschuss für Inneres und Sport, erklärte der Staatssekretär, dass eine Nacherhebung mit Blick auf den Einnahmebeschaffungsgrundsatz  nach § 99 KVG LSA grundsätzlich notwendig sei. Er stellte klar, dass es durchaus Besonderheiten geben könne, welche die Durchsetzung dieses Grundsatzes ausschließen würde. Dies wäre gegeben, wenn die Einnahmen über Gebühren  eingeholt worden seien. Diese Aussage wurde jedoch auch wieder in Frage gestellt, wenn die Mehrheit der Einnahmen noch nicht über die Gebühren erzielt worden.  Wie denn nun, nacherhebungsfrei oder doch Nacherhebung? Was passiert mit den bereits gezogenen Gebühren? Er folgt dann eine Verrechnung und wenn ja auf welcher Grundlage? Überzahlung, Unterzahlung, Anrechnung umwelt- und Ressourcen sparendes Verhalten kontra Grundgebühr für die so genannten Fixkosten, die bereits in vielen Fällen zwischen 80 und 95 % der eigentlichen Gebühr ausmachen? Eine Rückwirkung gilt nur für einen zurückliegenden Kalkulationszeitraum von max. 3 Jahren, wie soll dann die Globalkalkulation überarbeitet werden und welche Folgen hat dies für die Gebührenhöhe?

Ist die Überarbeitung der Globalkalkulation überhaupt zulässig, wenn sie bis zum Zeitpunkt der In-Kraft-Setzung des neuen Kommunalabgabengesetzes keinerlei Herstellungsbeiträge II vorsah?

Das Innenministerium führte aus, dass seitens des Landes versucht werde, die Einnahmebeschaffung auf der kommunalen Ebene mit kommunalaufsichtsrechtlichen Mitteln massiv zu unterstützen. Hatte die Kommunalaufsicht, trotz der untergesetzlichen  Erlasslage von 2008 und 2010  dies bisher verabsäumt und warum?
Sind die Satzungen nicht anzeigepflichtig und wäre nach Anzeige nicht schon hier das kommunalaufsichtsrechtliche Einschreiten von Nöten gewesen? Kann es sein, dass die Ausnutzung der Regelungen des § 99 Abs. 2 Satz 2 KVG LSA durch Gemeinden und Zweckverbände von einigen Kommunalaufsichten toleriert wurde, weil geltendes Recht und kommunale Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze? Was unterscheidet die Arbeit der Task Force von dem Agieren der Kommunalaufsichtsbehörden und welche Befugnisse werden ihr eingeräumt? Heißt die unterstellt massive Unterstützung der kommunalen Ebene wie im Fall des Abwasserzweckverbandes Merseburg zur Erhebung von Schmutzwasserbeiträgen für Altanschlussnehmen, dass die Berechnung eines Vollgeschosses von 100 % und jedes weitere Vollgeschoss 60 %, bei bestehenden Kerngebieten oder durch Bebauungsplan ausgewiesenen Kerngebieten jetzt auf 200 % und für jedes weitere Vollgeschoss 120 % zu veranschlagen sind? Führt diese Art der Veranschlagung nicht zu einer wesentlich höheren Einnahme als beim Herstellungsbeitrag I? Sollte diese Art der massiven Unterstützung in Gardelegen angewandt werden, würde der gesamte Innenstadtbereich mit erheblichen Nacherhebungen zu rechnen haben, da die bisher vorhandene Abwasserbeseitigungsanlage bereits abgeschrieben war, Rückstellungen in Form von Abschreibungen nicht getätigt wurden und nunmehr die Erneuerung benutzt wird, um den besonderen Herstellungsbeitrag II von den Altanschlussnehmern einzufordern.

Es gibt derzeit mehr Fragen als Antworten. Wer ist eigentlich der Zahlungsverpflichtete, der zum Zeitpunkt der Herstellung Eigentümer war oder der jetzige Eigentümer? Musste der Alteigentümer damit rechnen, dass der veranlagt werden kann und wenn ja, auf welcher Grundlage? Was passiert mit dem Grundsatz des § 2 Abs. 2 Satz 4 Kommunalabgabengesetz Sachsen-Anhalt, wonach eine rückwirkend erlassene Satzung die Gesamtheit der Abgabepflichtigen nicht ungünstiger gestellt werden darf, als nach der ersetzten Satzung? Hier besonders vor dem Hintergrund der bisher nicht veranlagten altangeschlossenen Eigentümer der Altstadt der Stadt Gardelegen? Oder ist eine konkrete Berechnungsgrundlage für die Bestimmung der Höhe der Herstellungsbeiträge II überhaupt noch realisierbar, da die Aufbewahrungsvorschrift der maßgeblichen Daten, Verträge und Unterlagen nur 10 Jahre beträgt?

Am Beispiel von Osterweddingen wurde versucht nachzuvollziehen, wie und unter welchen Bedingungen die Erschließungsbeiträge für die Gewerbegrundstücke berechnet wurden, da für jedes Gebiet andere Grundsätze offensichtlich existiert haben. Trotz erheblicher Nachforschungen konnten weder die Berechnungsgrundlagen noch die Geltendmachung und Einziehung der Erschließungsbeiträge aufgeklärt werden. Wenn der Rechnungshof bei Kontrollen von 12 Abwasserzweckverbänden und zwei Eigenbetrieben nachgewiesen hat, dass oftmals fehlende Dokumentation und Kontrolle der Beitragserhebung, lückenlose Übersicht der beitragspflichtigen Grundstücke, festgesetzten Beiträge, Übersicht/Begründungen zu nicht festgesetzten Beiträgen, Übersicht/Begründungen für festgesetzte, aber nicht eingenommene Beiträge sowie Übersicht/Begründungen zu Beitragsausfällen führen, dann macht dies die Problematik mehr als deutlich.

Ein letztes Beispiel. Nehmen wir an, ein Zweckverband hat sich für eine gebührenfinanzierte Refinanzierung der Abwasserbeseitungsanlage ausgesprochen und entschieden, nach § 99 Abs. 2 Satz 2 KVG LSA von den Abgabepflichtigen keine Herstellungsbeiträge I und II abzufordern, da die Verbandsversammlung davon ausgegangen ist, dass mit den bereits getätigten Leistungen (Straßenausbau, Sanierung der Häuser usw.) die Wirtschaftskraft ausgeschöpft sei. Wie erfolgt jetzt die massive Unterstützung der Kommunalaufsichtsbehörden? Werden der Zweckverband und die ihn tragenden Gemeinden jetzt per Anordnungsverfügung zur Eintreibung der Herstellungsbeiträge I und II gezwungen, möglicherweise auch durch Ersatzvornahme?
Auch bei diesem Beispiel wird der Spagat deutlich zwischen der Gewährung der kommunalen Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze nach Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz und den gebotenen kommunalaufsichtsrechtlichen Mitteln.

Ich möchte Sie namens meiner Fraktion um Zustimmung zu unserem Antrag bitten, damit wir im Rahmen der Berichterstattung der Landesregierung in den Ausschüssen Inneres und Sport sowie im Umweltausschuss die aufgeworfenen Fragen erörtern können.