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Gerald Grünert zu TOP 01: Rückwirkende Beitragserhebung wirkungsvoll beschränken

Obwohl die Koalitionsfraktionen fast 1 ½ Jahre brauchten, um den Grundsatzbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.03.2013 , (1BvR 2457/08) in Form eines Gesetzentwurfes am 10.12.2014 zu beschließen, wird diese Art der Untersetzung durch zwei weitere Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. November 2015 (1BvR 2961/14 und 1BvR 3051/14) maßgeblich zu hinterfragen sein.

Bei der Diskussion über die Verfassungswidrigkeit der Änderung in Brandenburg spielen die gleichen Argumente, wie sie von den Befürwortern der Übergangsfrist in Sachsen-Anhalt benutzt werden, eine bedeutende Rolle. Alle Argumente, welche zur Rechtfertigung der Übergangsfrist in Sachsen-Anhalt vorgetragen wurden, hatten damals auch das Oberverwaltungsgericht und das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg zur Rechtfertigung der (rückwirkenden) Gesetzesänderung angeführt. Das Bundesverfassungsgericht ist dem entschieden entgegen getreten. Es hat den Vertrauensschutz der Eigentümer auf die geltende Rechtlage vor der Gesetzesänderung höher bewertet, als das Interesse des Staates an der Einnahmeerzielung.

Zitat: "Das allgemeine Ziel der Umgestaltung des Abgabenrechts sowie fiskalische Gründe - nämlich das öffentliche Interesse an der Refinanzierung der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage - rechtfertigen die rückwirkende Abgabenbelastung hier nicht. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, insbesondere den Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung, bei der Gründung von Zweckverbänden, der erstmaligen Schaffung von wirksamem Satzungsrecht und der Lösung des Altanschließerproblems (vgl. Verfassungsgericht für das Land Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2012 - VfGBbg 46/11)."

Diese verfassungsrechtlichen Überlegungen könnten nun dazu führen, dass das OVG in Sachsen-Anhalt seinen Standpunkt überdenken muss und unter dem Eindruck der sich nun verfestigenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei einer Abwägung zwischen den fiskalischen Interessen der Beitragserhebung und rechtsstaatlichen Grundsätzen zum Vertrauensschutz der Eigentümer zu dem Ergebnis kommt, dass die Übergangsfrist vom 01.01.2015 bis 31.12.2015 verfassungswidrig ist.

In meine Rede am 10.12.2014 bin ich detailliert auf die veränderten Grundlagen des Kommunalabgabenrechts eingegangen. Ich möchte daher nochmals hervorheben, das mit der Verabschiedung des KAG LSA, also seit 1991, für die Erhebung von Gebühren und Beiträge eine Satzung Voraussetzung war. Die Fälligkeit war ebenfalls klar geregelt: § 6 Abs. 6 des damaligen KAG sagte folgendes zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht aus, nämlich, dass sie „mit Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme, der Teilmaßnahme oder des Abschnittes" entstehen würde. Von einer Satzung, oder sogar von einer wirksamen Satzung war bis zur Neuregelung des KAG vom 09.10.1997 nicht die Rede. Durch das erste und zweite Heilungsgesetz wurde dieser Grundsatz für leitungsgebundene Einrichtungen verändert. Dies führte dazu, dass eine Beitragserhebung mit dem Anschluss, spätestens jedoch mit der erstmaligen, später rechtskräftigen, Satzung möglich war. Das war eine Abkehr vom kommunalabgaberechtlichen Satzungsgebot, dass im § 2 des KAG LSA klare Bestimmungen, die einer Gebühren- bzw. Betragsfestsetzung zu Grunde zu legen waren, vorschrieb.
Aber, das zeigt das Bundesverfassungsgerichtsurteil: „Es gibt eben kein Recht auf eine Unwirksamkeit von Satzungen seitens der Aufgabenträger.“

Wenn nunmehr das Ministerium für Inneres und Sport einen Runderlass zum Aussetzen der Beitragserhebung bis auf „Weiteres“, erlassen hat, dann ist dieser Schritt nicht nur geboten, sondern auch erforderlich. Noch in der Dezember-Sitzung des Innenausschusses bekräftigte der Staatssekretär, Prof. Dr. Gundlach, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes keinerlei Wirkungen auf die sachsen-anhaltische Regelungen ausüben würden. Die Vertreter der Task Force begründeten ihre Arbeit bei der „Hilfe“ zur Erstellung der entsprechenden Satzungen als rechtskonform. Dies hatte ich schon im April 2013 vom Minister erfahren, der damals auch eine Wirkung der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 05. März 2013 auf Sachsen-Anhalt ausschloss.

Nunmehr fordert meine Fraktion alle Fraktionen und die Landesregierung auf, eine gründliche rechtliche Prüfung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vorzunehmen. Hier gilt es, Gründlichkeit vor Schnelligkeit zu setzen und im zweiten Schritt klare Regelungen zu erlassen, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat wieder herstellen und zu den Grundsätzen des Abgabenrechts zurückführen.
Zu klären ist natürlich für diesen Zeitraum die spannende Frage, wann denn überhaupt für einen bereits 1991 angeschlossenen Eigentümer die sachlich Beitragspflicht und ein (wirtschaftlicher) Vorteil entstanden sein soll.
Das OVG LSA ist der Auffassung, dass es sich beim Herstellungsbeitrag II um einen "normalen" Beitrag handele und die Beitragspflicht entsprechend den allgemeinen Regeln entstehe (so OVG LSA 13.07.2006, 4 L 127/06). Der besondere Herstellungsbeitrag beinhaltet keinen von der gesetzlichen Regelung losgelösten und durch Richterrecht geschaffenen Beitragstatbestand, sondern findet seine Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 KAG LSA. Die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht wird daher - eingeschränkt für Altanschlussnehmer durch § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA - auch für diesen Beitrag durch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA geregelt.

Das in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts hinsichtlich der Vorteilslage der Altanschlussnehmer auch auf die mit der Erneuerung verschlissener Anlagenteile verbundene dauerhafte Sicherung der Anschlussmöglichkeit verwiesen wird, hat schon von vornherein nichts mit der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht zu tun.
Das Bestehen der Vorteilslage i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA hängt neben der tatsächlichen Möglichkeit der Anschlussnahme, auch von der rechtlichen Sicherung ab. Hat eine Kommune oder ein Zweckverband nach Inkrafttreten des KAG LSA eine vorhandene zentrale Niederschlagswasserbeseitigungsanlage übernommen und den bei der Übernahme an diese Anlage angeschlossenen Altanschlussnehmern zur Nutzung zur Verfügung gestellt, so wird den angeschlossenen Grundstücken eine dauerhaft gesicherte Anschlussmöglichkeit erst mit der Widmung der Anlage geboten, die nach § 8 Satz 1 Nr. 1 GO LSA grundsätzlich durch Erlass einer Satzung erfolgt, mit der die Benutzung der öffentlichen Einrichtung geregelt und der Zugang zu ihr eröffnet wird.

Wird den Anschlussnehmern kein Anschlussrecht und keine Befugnis zur Benutzung der öffentlichen Einrichtung eingeräumt, so fehlt es an der den Vorteil begründenden Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung (vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 22. November 2004 - 1 L 41/03 -). Daher entstand die Vorteilslage für die hier in Rede stehenden Grundstückseigentümer schon allein durch die Schaffung der öffentlichen Einrichtung im Rechtssinne, die mit der erstmaligen Widmung im Satzungsrecht des Beklagten erfolgte."

Aber auch vor In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes (am 9.10.1997) entstand die sachliche Beitragspflicht erst mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Beitragssatzung. Denn die Gesetzesänderung war eher klarstellend als konstitutiv. Eine nach der Neufassung des Absatzes 6 ... entstandene Beitragspflicht ... kann folglich nach "altem Recht" nicht verjährt sein.

Diese Auffassung dürfte nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom
05.03.2013 und vom 12.11.2015 nicht mehr zu halten sein. Denn sie führte zu einer verfassungswidrigen Auslegung des KAG LSA in der Fassung vor der Rechtsänderung vom 07.10.1997. Damit kann argumentiert werden, dass für Sachverhalte, die bis zum Oktober 1997 abgeschlossen waren, die normale Verjährungsfrist von 4 Jahren in vielen Fällen schon begonnen hatte oder sogar schon abgelaufen war und somit der Beitragsanspruch in der normalen Festsetzungsverjährungsfrist erloschen ist.

Seit seiner In-Kraft-Setzung am 21. Juni 1991hat es zahlreiche Änderungen der rechtlichen Normen gegeben. Ob das erste und zweite Heilungsgesetz oder das erste und zweite Investitionserleichterungsgesetz, immer führten die Änderungen nicht zu einer höheren Transparenz und Rechtssicherheit seiner Anwendung. Im Gegenteil, die Grundstückseigentümer wurden immer wieder mit neuen Varianten der Einnahmebeschaffung durch die handelnden Kommunen und Zweckverbände überzogen, die nicht zuletzt eine weitere Beteiligung an längst vergangene Baumaßnahmen ermöglichten. Allein seit dem Jahr 1994 hat meine Fraktion mehrfach auf Probleme im Umgang und bei der Anwendung des Kommunalabgabengesetzes hingewiesen, zahlreiche Anträge und Gesetzesinitiativen unternommen, um eine für die Bürger nachvollziehbare und verlässliche Anwendung zu garantieren.

Man kann diesen Aktivitäten zahlreiche Petitionsverfahren der letzten Legislaturen zu Grunde legen. Ob es die teilweise bis zum Jahr 1991 rückwirkend beschlossenen Satzungen betrifft, oder die erstmaligen Erschließungsbeiträge für Jahrhundert alte Straßen – wie die B1 - geht, die rückwirkende Beitragserhebung so genannter Herstellungsbeiträge II, die bis zur Gründung der DDR im Jahr 1949 und davor zurückreichen, die beliebigen Satzungsänderungen in vielen Bereichen, da eine Heilung formell und materiell fehlerhafter Satzungen immer zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung und damit des In-Kraft-Treten ermöglicht wurde; folglich daraus abgeleitet wurde, dass eine Beitragsfestsetzung gar nicht möglich war. Oder die beliebten Praktiken, die auf der Grundlage einer noch nicht vollständigen Herstellung oder eines nicht vollzogenen Ausbaus – fehlende Straßenbeleuchtung – zu erheblichen Beitragsnacherhebungen geführt haben und somit das vom vorliegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.03.2013 zum Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit in Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips  für den Bürger vermissen ließ.

Bis zum heutigen Tag reißen die Petitionen die diese Materie berühren nicht ab. Letzte Petition 6-I/00055 und 6-I/00285 zum Sachverhalt betrifft die Stadt Bad Lauchstädt, die bereits auf der Grundlage einer Straßenausbaubeitragssatzung getätigte, schlussgerechnete  und bezahlte Straßenausbaumaßnahme feststellte. Nunmehr stellt die Verwaltung fest, dass die ausgebauten Straßen nach ihrer Sicht noch nie erschlossen waren, es fehlte der zweite Fußweg oder die Straßenlaternen und ihre Leuchtweite waren nach dem heutigen Bedarf nicht vorhanden, es gab angeblich kein technisches Ausbauprogramm oder ortstypische Bauweise. Auf welchen Zeitpunkt und welche Satzung bezieht sich die Beurteilung der nicht vollständigen Herstellung der Straßenbeleuchtung? Auf das Ortsstatut vom 30. Mai 1853 über die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in der Stadt Lauchstädt, die Änderung der am 1.05.1895 erlassenen preußischen Polizeiordnung vom 07.04.1895, oder der Veröffentlichung der Satzung vom 1923 und die darauf fußenden Beitragserhebungen , oder auf welche satzungsrechtliche Verfügung oder Rechtsnorm der DDR bis zum 03.10.1990?

Ähnlich verhält es sich mit der Praxis rückwirkend für im Zeitraum von 1991 bis 1999 getätigte Straßenausbaumaßnahmen Beiträge zu erheben, oftmals von der Kommunalaufsicht im Rahmen der Prüfungen der Haushaltsausgleiche vorgeschlagene zusätzliche Einnahmemöglichkeiten. Dies vor dem Hintergrund, dass bis zum 21.04.1999 die Gemeindevertretung durch die Normierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 des KAG LSA als Kann-Regelung unter Berücksichtigung des § 91 Abs. 2 Satz 2 GO LSA das Recht hatte, keine Satzung zu erlassen oder geringere Beitragssätze festzulegen. Diese Praxis fand ihre inhaltliche und rechtliche Bestätigung durch den Grundsatzbeschluss des OVG Bautzen vom 31.01.2007. Eine Handlungsoption seitens des Landes Sachsen-Anhalt wurde damals weder durch die Regierungsfraktionen noch durch die Landesregierung gesehen.

Mit dem Leitsatz des Beschlusses des Bundesverfassungs-gerichtes vom 05.03.2013 wird folgendes ausgeführt, ich zitiere: „Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechts-sicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.“

Das Fazit ist, dass die Entstehung des Anspruchs - jedenfalls nur für Investitionsvorhaben nach dem 07.10.1997 - auch von einer wirksamen Satzung abhingen. Allerdings rückwirkend dürfte diese Änderung nicht anwendbar sein, weil sonst für den Zeitraum vor dem Stichtag eine verfassungswidrige (echte) Rückwirkung vorliegen würde. Die entsprechende Auslegung des OVG LSA ist im Lichte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. November 2015 und vom 05.03.2013 verfassungswidrig und somit unzulässig. Das bedeutet aber, dass die Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II zum Beginn der 90iger Jahre in vielen Fällen rechtlich entstanden war. Für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht war aber keine (wirksame) Beitragssatzung notwendig. Die Gemeinde oder der Zweckverband hätten aber eine Satzung erlassen und den Beitrag geltend machen können. Der Beitragsanspruch für den Herstellungsbeitrag II unterlag dann natürlich der Festsetzungsverjährung von 4 Jahren.

Er dürfte also bis zum Jahr 1997, als zusätzliches Merkmal für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht das Erfordernis einer (wirksamen) Satzung eingeführt wurde, in vielen Fällen bereits zu einem Zeitpunkt verjährt gewesen sein, als sich das OVG LSA zur Problematik der Erhebungsmöglichkeit noch gar nicht geäußert hatte.

Es kommt aber nicht darauf an, ob die Gemeinden und Verbände ein entsprechendes Rechtsbewusstsein hatten. Das OVG hat nach eigenem Bekunden nicht etwa eine neue Rechtslage geschaffen, sondern die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen lediglich ausgelegt, beschrieben und angewandt. Wenn Kommunen und Verbände diese Rechtslage nicht erkannt haben, so müssen sie sich dieses Versäumnis anrechnen lassen.