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Dr. Uwe-Volkmar Köck zu TOP 10 / 11: Konsequenzen aus dem Hochwassergeschehen ziehen - Aktionsplan auflegen / Prioritäten und Zeitplan für den Wiederaufbau nach dem Hochwasser festlegen

„Aus Katastrophen lernen – Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845“, lautet der Titel eines hoch interessanten Buches, in dem aus Historikersicht die Reaktionen auf wiederkehrende Hochwasserkatastrophen im vor- und frühindustriellen Sachsen studiert wurden.  Im Vordergrund standen dabei die gesellschaftlichen Reaktionsmuster auf Naturkatastrophen und die Frage nach den Lernprozessen, die sich auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen abspielten.

Aufschlussreich sind insbesondere alle vergleichenden Betrachtungen mit dem Jahrhunderthochwasser 2002. Die sächsische Gesellschaft erwies sich damals als fähig, unter hohem Problemdruck stehend, diese Extremereignisse nicht nur abzuwehren und sich anzupassen, sondern vorsorgend dagegen vorzugehen. Hierzu entwickelten die Akteure gemeinsame Ansichten und Strategien, um die durch die wiederkehrenden Fluten verursachten Probleme zu lösen. Es kam zu einer dauerhaften Adaptations- und Lernleistung. Die Akteure dachten künftige Entwicklungen voraus und handelten dementsprechend.

Wir, Landtag und Landesregierung, alle nachgeordnete staatliche Behörden, Kommunen, Wirtschaftsunternehmen, Flächennutzer und Bürger stehen aktuell in der Pflicht, zeitgemäße Lösungen für unsere heutigen Probleme zu finden. Und die bestehen darin, von einem technisch-nachsorgenden, letztendlich jedoch sehr starren und passiven zu einem vorsorgenden und steuerndem Hochwasserschutz zu gelangen. Theoretisch ist der Paradigmenwechsel bereits vollzogen, wie die erst wenige Tage alte Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe“ belegt. Aber Papier ist geduldig. Noch fehlt die breite praktische Umsetzung.  Private Interessen gehen vor Katastrophe, auch wenn man dann von dieser später selbst mit verschlungen wird.
Gelingt es uns nicht, das Tempo bei der Rückgewinnung von Retensionsräumen entscheidend zu erhöhen und die Netto-Neuversiegelung im Einzugsgebiet der Elbe entscheidend zu senken, brauchen wir einige Jahrhunderte bis eine spürbare Minderung der Hochwassergefahr auf dem Wege der Vorsorge erreicht worden ist.  
Die Ergebnisse der bisherigen Bemühungen zur Schaffung von Retentionsraum sind einfach nicht ausreichend. Lassen sie mich deshalb dazu einige Gedanken äußern, die mir im Krisengebiet bei Breitenhagen durch den Kopf gingen.

Die technischen Hochwasserschutzsysteme sind auf das Niveau des Jahrhunderthochwassers 2002 ausgelegt. Man kann sich deshalb darauf konzentrieren, Möglichkeiten zu schaffen, um die Hochwasserscheitel zu kappen und das Zusammentreffen mit denen der großen Nebenflüsse zu vermeiden. Deichrückverlegungen stellen zwar die ökologisch beste Lösung dar, sind aber hinsichtlich einer aktiven Steuerung ohne Bedeutung. Sie laufen bereits vor dem Scheitel voll. Deshalb sollten Polder Priorität haben. Um die notwendige Wirkung zu erzielen, bedarf es aber eines flussbegleitenden Systems steuerbarer Polderflächen. In den großen relativ flach überfluteten Niederungsgebieten kann ich mir ein in der Tiefe gestaffeltes, gekammertes steuerbares Poldessystem vorstellen, mit dem gezielt kritische Hochwasserscheitel gekappt werden können.  Das vorhandene, häufig bereits in leichter Dammlage verlaufende Straßennetz wird sukzessive mit Halterungen für die Befestigung mobiler Hochwasserschutzwände ausgerüstet. Vorhandene Sommerdeiche und die Orte schützende Ringdeiche müssten ertüchtigt werden. Voraussetzung ist, dass vertraglich Ersatzzahlungen für in Anspruch zu nehmende Flächen vereinbart werden.
Im Gegensatz zum technischen Hochwasserschutz, der weitere Millionen Euro verschlingen würde, ohne zu absoluter Sicherheit zu führen, wären allein durch Verhaltensänderungen, die Beachtung von Nutzungseinschränkungen und situationsangepasstes Bauen kostengünstig spürbare Effekte zu erzielen. Soll der Paradigmenwechsel im Hochwasserschutz gelingen, müssen  alle nachgeordneten Behörden, gesellschaftlichen Gruppen und Bürger auf diesem Weg mitgenommen werden. Uns sei es mit sanfter Gewalt. Aus dem top down im Hochwasserschutz muss ein gesamtgesellschaftliches Anliegen werden.

Entscheidende Voraussetzung dafür, dass nicht Sisyphos zum Paten des Hochwasserschutzes wird, sind Erfolge im Klimaschutz. Obwohl das Thema zunehmender Naturkatastrophen aufgrund des sich wandelnden Klimas in aller Munde ist und breit erforscht wird,  ist eine verbindliche Klimapolitik nicht in Sicht. Wer die Stellungnahme des BR aufmerksam liest, dem fällt auf, dass der Begriff „Naturkatastrophe“ fehlt. Unter den Katastrophenforschern ist inzwischen unstrittig, dass der Begriff der Naturkatastrophe ins Zentrum gesellschaftlicher und nicht naturwissenschaftlicher Bezüge gehört. Was eine Natur-Katastrophe ist, entscheidet sich erst anhand der Anpassungsstärke einer Gesellschaft oder Staates. Insofern gibt es keine Naturkatastrophen, sondern nur Kulturkatastrophen. „Tatsächlich entstehen sie, haben eine Genese, zumeist Schritt für Schritt, addiert aus lauter kleinen Abweichungen, Fehlern und Fehlentscheidungen, vielfach aus Wurstigkeit, Nachlässigkeit, Sorglosigkeit und Bedenkenlosigkeit.“  Diese Einschätzung  eines der Katastrophenforscher kann ich durch Beispiele aus der eigenen kommunalen Praxis untermauern. Sie betreffen alle den Bereich Gimritzer Damm, an dem sich vor vier Wochen das Schicksal Halles entschied. Da sei zuerst an die Entscheidung erinnert, den Grundwasserstand dauerhaft abzusenken, um Halle-Neustadt errichten zu können. Die 2011 noch gehaltene Eissporthalle, errichtet auf einer Aufschüttung im aktiven Hochwassergebiet, ging dieses Mal unter. Der Kunstrasenplatz des HFC auf dem Sandanger erlitt genau das ihm prophezeite Schicksal. Wenn es nach dem Willen der Tennisvereine gegangen wäre, hätten sie nach analog zur Eissporthalle eine Tennishalle errichtet. Ich habe noch den Satz in den Ohren: „Aber das Hochwasser steigt doch im Anstrombereich nur um 2 cm.“  Weitere kritische Vorhaben sind das MMZ, das Seniorenwohnprojekt im Gut Gimritz, die geplante Errichtung einer Altenwohneinrichtung in der Hafenstrasse und der Ausbau der alten Speicher im Sophienhafen zu exklusivem Wohnraum.  
 
Eine renommiertes Wissenschaftsjournal  fragte einmal sarkastisch; „Nach uns die Sintflut? Vielleicht erleben wir sie ja noch selber!“.  Auch der aus Magdeburg stammende und jahrelang für das Deutsche Komitee für Katastrophenvorsorge tätige Psychologe Volker Leineweber,  klang in seinem MZ-Interview vom 8.7. nicht gerade optimistisch bezüglich der Frage, ob nach den flächendeckenden Schäden diesmal ein Umdenken beginnt und Bürger wie Politiker bereit sind, nicht nur über Konsequenzen zu reden. Die Bereitschaft notwendige Veränderungen zu akzeptieren, sinkt in dem Masse, wie die Schadensbilder verblassen, so seine Antwort. Man sollte die Erkenntnisse nach einem Hochwasser in Bauordnungen und Flächennutzungsplänen rigoros und zugleich transparent  umsetzen.  dass wir dieser Forderung bei der Novelle der Landesbauordnung bereits entsprochen haben.   Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass wir uns als genauso lernfähig erweisen werden wie einst unsere sächsischen Vorfahren.

Das Deutsche Komitee für Katastrophenvorsorge (DKKV) konstatierte als wesentlichste Schwäche des Katastrophenmanagements 2002 den Mangel an Kooperation sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene. Obwohl sich diesbezüglich beträchtliche Verbesserungen ergeben haben,  gibt es noch beträchtliche Reserven.

Das Sommerhochwasser des Jahres 2002 avancierte als Jahrhunderthochwasser zum Standard für die Bemessung technischer Hochwasserschutzmaßnahmen.   2013 bringt nun die auf Jährlichkeiten basierenden  Hochwasserrisiko-Karten und Hochwasserschutzplanungen ins Wanken.

Egal welche Wiederholungswahrscheinlichkeit am Ende errechnet wird,  viele Bürgerinnen und Bürger können damit nichts anfangen.  Eine kurz nach der Jahrhundertflut  2002 durchgeführte Haushaltsbefragung erbrachte, dass  fast die Hälfte der Befragten mit den amtlichen Hochwasservorschriften nichts anzufangen wusste.  Auch hierbei waren die Sachsen vor 200 Jahren bereits weiter. Packen wir also die Aufgaben an, um den Wettlauf gegen das Vergessen zu gewinnen.