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Dr. Uwe-Volkmar Köck zu TOP 06: Intensivierung der militärischen Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide

Ganz unverhofft an einem Hügel
Sind sich begegnet Fuchs und Igel.
„Halt”, rief der Fuchs, „du Bösewicht!
Kennst du des Königs Ordre nicht?
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, dass jeder sündigt,
Der immer noch gerüstet geht?
Im Namen seiner Majestät,
Geh her und übergib dein Fell!”
Der Igel sprach: „Nur nicht so schnell!
Lass dir erst deine Zähne brechen,
Dann wollen wir uns weiter sprechen!”
Und allsogleich macht er sich rund,
Schließt seinen dichten Stachelbund
Und trotzt getrost der ganzen Welt,
Bewaffnet, doch als Friedensheld.

Diese aus der Feder von Wilhelm Busch stammende Fabel wurde bis vor kurzem den Grundschulen empfohlen, um eine erste altersgerechte Annäherung an die Problematik Krieg und Frieden zu versuchen. Die spontane Sympathie gilt dem Igel; sie prägt sich ein und kann den Aufwachsenden in Gewissenskonflikte stürzen, denn die deutsche Außen- und Militärpolitik ähnelt doch eher dem Fabel-Fuchs …  

Neben einem leibhaftigen Fuchs kann man in der Weite der Colbitz-Letzlinger Heide auch auf seinen Namensvetter aus Metall stoßen. Der hat in der Vergangenheit  international schon für  Furore gesorgt. Im Jahre 1991 wurden 36 gebrauchte ABC-Spürpanzer Fuchs für das Zehnfache des Neupreises nach Saudi-Arabien verkauft. Die Ereignisse um diesen Export bildeten dann schließlich eine Episode in der CDU-Spendenaffäre.
Im Herbst 2004 war die Bundesregierung drauf und dran, aus den Beständen der Bundeswehr 20 Fuchs-Transportpanzer an den Irak zu liefern. Deutschland wollte mit den Fahrzeugen den Wiederaufbau unterstützen, aber das Vorhaben scheiterte am nachlassenden Interesse der Gegenseite. 2011 schließlich genehmigte die Bundesregierung den Verkauf von 54 Transportpanzern vom Typ Fuchs  an Algerien, wo zudem  unmittelbar vor Ort weitere 1.200 Fahrzeuge gleichen Typs hergestellt werden sollten. Diese dürften dann im gesamten islamischen Raum Verbreitung finden und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch feindlich gegenüberstehen.   

Wenn es also um Waffen und Kriegsgerät geht, stößt man sogleich auf die Rheinmetall AG.  Sie war bereits die staatliche Waffenschmiede des 3. Reiches. In ihrem Imperium entstand auch „Dora“, das größte je gebaute Geschütz. Seine ersten Schüsse feuerte dieses in der Heeresversuchsanstalt Hillersleben ab.  

2008 kehrte Rheinmetall auf den TÜP Altmark zurück und betreibt seither dort in Form eines Public-Private Partnership das GÜZ. Das Rheinmetall-Dienstleistungszentrum Altmark (RDA) ist ein Tochterunternehmen von Rheinmetall Defence, der militärischen Sparte des heutigen Großkonzerns Rheinmetall AG. Das RDA liefert alle Dienstleistungen, die nicht zu den militärischen Kernaufgaben gehören, stellt die Ein- und Ausrüstung der Übungstruppen mit den Simulationsgeräten sowie den Betrieb der Datenverarbeitungsanlage sicher. Die Firma kümmert sich zudem um Ausbildungspersonal, wartet die Panzer und ist für den Nachschub an Material und Verpflegung zuständig. Rund 20 Millionen Euro im Jahr kostet das die Steuerzahler. Gratis gibt es die in der Colbitz-Letzlinger Heide gesammelten Praxiserfahrungen dazu. Das verschafft der Rheinmetall Defence erhebliche Konkurrenzvorteile beim Export von Waffensystemen in alle Welt. Kontaktbüros unterhält die Firma in u.a. in Abu Dhabi, in Malakka, Singapur, Südafrika sowie in Neu Delhi. In Indien  wurde versucht, hohe Regierungsbeamte zu bestechen. Bekanntermaßen ist das Verhältnis Indiens zu seinem Nachbar Pakistan nicht das Beste. Das hinderte nicht daran, dem Leiter des militärischen Ausbildungszentrums der islamischen Republik Pakistan das GÜZ zu präsentieren.
Die letzte Spitzenmeldung aus Rüstungskreisen lautet: Das russische Verteidigungsministerium habe Rheinmetall Defence den Auftrag erteilt, in Mulino in der Wolga-Region bis 2014 «die weltweit modernste Trainingsbasis mit simulationsgestützter Ausbildung» zu errichten. Dort sollen pro Jahr bis zu 30 000 Soldaten ausgebildet werden. Rheinmetall beziffert das Auftragsvolumen auf über 100 Millionen Euro. Gebaut wird das russische Ausbildungszentrum nach dem Vorbild «Schnöggersburg».  

Da die Mitarbeiter von Rheinmetall Defence im GÜZ alle Datenstränge kontrollieren, dürften sie mittlerweile über einen besseren Überblick über die Leistungsfähigkeit und Schwächen der in die Krisengebiete entsandten europäischen Kontingente haben, als die NATO oder die Bundeswehr. Das bereitet den Militärs offensichtlich weniger Probleme, als die von den Mitgliedern der Linksfraktion beantragte Einsichtnahme in die Antragsunterlagen und den Genehmigungsbescheid für den Ausbau des Truppenübungsplatzes in der Colbitz-Letzlinger Heide zum weltgrößten urbanen militärischen Übungsgelände. Nach mehr als 10 Wochen „Bedenkzeit“ erhielt der Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr des Landtages die Nachricht, dass der Bund der Weitergabe dieser Akten an den Landtag von Sachsen-Anhalt widersprochen habe, so Staatsminister Robra in seinem Schreiben an den Landtagspräsidenten unter stillschweigender Bezugnahme auf Artikel 53 Absatz 4 der Landesverfassung, „… weil zu befürchten ist, dass durch das Bekanntwerden von Tatsachen dem Wohle des Landes oder des Bundes Nachteile zugefügt … werden…“  

Ob den ökologischen Belangen in dem extrem verkürzten Genehmigungsverfahren überhaupt hinreichend Rechnung getragen wurde, kann jedenfalls so nicht beurteilt werden. Die Prüfung eines Bauantrages für die planmäßige Anlage einer Großstadt von der Dimension Halle-Neustadts binnen 10 Wochen lässt da arge Zweifel aufkommen. Man vergleiche nur das unmittelbar benachbarte Projekt Nordverlängerung der BAB A 14. Selbst wenn man berücksichtigt, dass alle Umweltgesetze Ausnahmeparagrafen zur Erleichterung der Durchsetzung von militärischen Projekten enthalten, die die öffentliche Beteiligung weitgehend ausschließt. Die Dimension des Eingriffes in das Ökosystem der Heide ist unvorstellbar.  6,25 km² Heidelandschaft werden umgewühlt und z. Z. versiegelt. Ein Ersatz der verloren gehenden Biotope ist rein flächenmäßig gar nicht möglich! Da können Sie auf meine einschlägige Branchenkenntnis vertrauen. Der sich bei den Unteren Naturschutzbehörden regende Unmut soll kurzerhand durch einen Ausschluss aus dem laufenden Verfahren ausgeschaltet worden sein. Gleichwohl sollen die Mitarbeiter des Bereiches Naturschutz  des Landesverwaltungsamtes den ganzen Sommer auf der Suche nach geeigneten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gewesen sein.  Sollte das tatsächlich der Fall gewesen sein,  könnte Schnöggersburg noch vor dem Kadi landen.

Der zentrale Teil der Altmark ist für Sachsen-Anhalt de facto zum Exterritorium geworden.  Das Militär hat die uneingeschränkte Verfügungsgewalt. Es kann üben was, mit wem und womit es will, ohne dass die Bevölkerung Sachsen-Anhalts etwas davon erfährt. So wollte die Landesregierung noch im Sommer 2004 keine Kenntnis davon haben, dass in Hillersleben der Häuserkampf geübt wird. Diesen hatte aber der damalige Verteidigungsminister Struck bei seinem Besuch des GÜZ am 23.08.2003 angekündigt. Seither durchlaufen  alle Kontingente für Auslandseinsätze der Bundeswehr ihre Ausbildung im GÜZ.

Wir werden noch so manche Überraschung erleben.  Insbesondere dann, wenn das Zusammenwirken mit USA-Einheiten geprobt werden sollte. Der regelmäßige Einsatz von Aufklärungs-Drohnen steht unmittelbar bevor, die mit Raketen oder Bomben bestückten größeren Schwestern mit 40 m Spannweite könnten dann noch folgen.  Erste Hinweise auf einen Einsatz dieser ebenfalls von Rheinmetall vertriebenen Flugkörper in der Colbitz-Letzlinger Heide stammen bereits aus dem Jahre 2009.

„Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“, zu dieser Erkenntnis sind bereits die alten Griechen gelangt. Die Amerikaner haben für die Kriegsberichterstattung mittlerweile ganze Heerscharen von Journalisten engagiert, denn insbesondere der Eintritt in einen Krieg oder dessen Beginn bedürfen der ständigen Rechtfertigung. Doch die Wahrheit vergeht schon lange zuvor auf vielfältige und subtile Art. Sie wird bearbeitet, geschönt, verschwiegen, interpretiert, hingebogen oder verdreht. Schließlich wird die Wahrheit zur geheimen Verschlusssache erklärt. Halbwahrheiten oder gar Lügen machen die Runde. Hinzu kommt die Zensur. Es bildet sich ein spezifischer semantisch auslegbarer Wortschatz heraus, ein Phänomen, das bereits Victor Klemperer beschrieb.

Die anfängliche Überraschung im Verteidigungsministerium ob des Ansinnen des Verzichts auf die zivile Nutzung des Südteils des TÜP läßt eine direkte Verbindung mit dem Besuch des Verteidigungsminister, dem ersten eines Bundesministers überhaupt, im Sommer 2003 unwahrscheinlich erscheinen.  Eine solche würde sich allerdings logisch in die Ereigniskette vom Heidekompromiss über den Heideverzicht bis zur Übungsstadt Schnöggersburg einfügen.  Er beflügelte aber offensichtlich den Juniorpartner FDP.  Während Frau Wernicke als Umweltministerin noch für den Naturpark warb, wechselten FDP und die Bürgermeister die Pferde. Die Front der Befürworter einer zivilen Nutzung brach endgültig zusammen.  Die Führung der Bundeswehr ergriff nach kurzem Überlegen die einmalige  Chance, das gigantische Vorhaben einer Übungsstadt in Angriff zu nehmen ohne auf nennenswerten Widerstand seitens der Politik und der Bevölkerung zu treffen.  Sorge bereitete all die Jahre eigentlich nur das Protestcamp im September. Wie kritische Infrastruktur geschützt wird, erlebten rund 200 junge Leute, die gegen den Ausbau des Truppenübungsplatzes demonstrierten. Ihnen standen rund 1000 Polizisten aus dem Bundesgebiet gegenüber, teilweise auch Feldjäger der Bundeswehr. Seitens der Polizei stand schweres Gerät im Hintergrund – Wasserwerfer, Gefängniswagen, Hubschrauber u. ä.

Die weitere Entwicklung der Übungstätigkeit, insbesondere der Flugverkehr wird zeigen, wie belastbar das mit besonderer Akribie zu den Gemeinden geknüpfte Beziehungsgeflecht ist.

Für DIE LINKE im Land- und im Bundestag ist die Übungsstadt ein Zeichen dafür, dass hier Kampfszenarien geübt werden sollen, die nicht den Gegebenheiten in den bisherigen Einsatzgebieten entsprechen. Auf eine kleine Anfrage räumt die Bundesregierung in ihrer Antwort ein, dass es auch um die Vorbereitung für Einsätze im Innern gehe. Dazu gehören «Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand».

Dass diese Szenarien tatsächlich in den Köpfen herumspuken belegen folgende Äußerungen von Oberst Sladecek in MDR – heute vom 20. Juni 2012: “Wenn Sie das nächste Mal durch Magdeburg gehen, versetzen sie sich bitte einmal in die Lage eines Panzergrenadier-Zugführers, der mit vier Schützenpanzern Marder egal welchen Auftrag zu erfüllen hat. Unter sich Kanalisation, vor sich enge Straßen, links und rechts Gebäude mit vielen Stockwerken, schwer zu übersehen. Mit ganz vielen Möglichkeiten eines Gegners in Stellung zu gehen, Sprengfallen zu legen.“ Das kann und will ich mir nicht vorstellen.