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Dr. Helga Paschke zu TOP 08 / 09: Stendal: Wahlfälschung aufarbeiten, Stadtrat neu wählen, Vertrauen wieder herstellen / Briefwahlverfahren prüfen

Wenn am Sonntag um 20.15 Uhr ein „Tatort“ gesendet werden würde, der die bis dahin bekannt gewordenen Vorgänge im Zusammenhang mit den Wahlpannen, Wahlverstößen, Wahlmanipulationen, Wahlfälschungen, das unverfrorene Treiben bei den Wahlfälschungen und dem Eintreiben von Stimmen, aber auch das Agieren einer nicht geringen Zahl politischer Verantwortungsträger im Rahmen der Stadt- und Kreistagswahl in Stendal zum Inhalt hätte, dann würde man sagen: Das gibt's doch nicht mal im Film. Aber, meine Damen und Herren: Wir sind in der bitteren Wirklichkeit und niemand kann den Schalter einfach umlegen.

Ich möchte auf zwei Problemkreise zu den Geschehnissen eingehen, die nach meinem Verständnis für die Beurteilung der Sachlage und für das weitere Verfahren, das wir anwenden, wichtig sind.

Der erste Problemkreis ist, dass aufgeklärt werden muss, welche Rolle die CDU gespielt hat. Ich stelle die CDU nicht unter Generalverdacht. Aber ich gehe davon aus, dass das Agieren von Verantwortungsträgern in der CDU auch bestimmte Vorgänge mit begünstigt hat.

Ich gehe davon aus, dass ein Bewerber der CDU - das ist mein Ausgangspunkt - zu den Stadtratswahlen bei der Briefwahl eine exorbitant hohe Stimmenzahl erhielt. Als sein Name spätabends auf der Tafel nach oben schnellt, fällt das auf. Diese Abweichung zwischen den Ergebnissen aus den Wahllokalen und den Briefwahlergebnissen ist nach meiner Kenntnis nahezu einmalig. Ein Journalist der „Volksstimme“ bleibt am Thema und deckt später den Wahlbetrug auf. Der Stadtwahlleiter, CDU, hingegen stellt dazu keine Fragen. Er verteidigt, verharmlost und versucht, das hohe Briefwahlergebnis von Herrn G. zu erklären. Dazu kann man sich einmal die Unterlagen der ersten Pressekonferenz anschauen. Erst bei der Mitteilung eines Briefwählers, dass seine Unterschrift auf der Vollmacht gefälscht wurde, muss der Stadtwahlleiter zurückrudern. Zunächst gibt er die Schuld seinen Mitarbeitern im Wahlbüro, weil sie gegen § 25 Abs. 6aKWO LSA verstoßen haben; dazu komme ich aber noch.

Fakt ist, dass ranghohe Verantwortungsträger weitgehend zu den Vorwürfen lange schwiegen - zum Teil auch jetzt noch schweigen -, ob das die Sparkasse oder den jetzt zur Diskussion stehenden Vorfall bei den Wahlen betrifft. Es werden politische Positionen vermisst - politische Positionen des Oberbürgermeisters der Stadt Stendal, CDU, des Kreisverbandes der CDU, längere Zeit auch des Landesvorsitzenden der CDU, der dann dazu auffordert, dass die Aufklärung der Vorfälle von seinen Parteifreunden in Stendal absolut unterstützt werden müsse.

Aber man stelle sich bitte vor: Laut Medienberichten wird gegen mindestens zehn Personen aus dem Umfeld der CDU wegen des Verdachts der Urkunden- und Wahlfälschung ermittelt. Trotz dieser Ermittlungen und der erhöhten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat es auch bei der Briefwahl wiederholt Pannen in der Verwaltung und Versuche der Wahlmanipulation gegeben.

Der Höhepunkt des Verschweigens und Beschönigens ist aus meiner Sicht die Erklärung des Vorstandes des Stadtverbandes der CDU vom 28.November 2014 vor dem Hintergrund, dass sehr viel ermittelt wird und Personen verdächtigt werden. Man muss nicht sagen, dass alles stimmt, was darin steht, aber dort wird erklärt: „Der sich erhärtende Verdacht auf Wahlmanipulation“ - das ist ein Zitat aus der CDU-Pressemitteilung - „bei der Briefwahl in Stendal hat die CDU tief erschüttert. Wir distanzieren uns nachdrücklich von den Vorgängen, die ein Einzelner verübt haben soll. Es handelt sich hierbei um das eigenmächtige Handeln einer Person, die die jahrzehntelange erfolgreiche, solide und verlässliche Arbeit der CDU und vieler ehrenamtlicher Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt in Misskredit gebracht hat.“

Aber jetzt kommt der zweite Absatz: „Wer hier beginnt, das Fehlverhalten eines Einzelnen als Fehlverhalten einer ganzen Partei darzustellen, stellt diese unter Generalverdacht, verhält sich undemokratisch und bedient durch populistische Stimmungsmache eventuell eigene parteipolitische Zwecke.“

Ähnlich hat sich auch der Oberbürgermeister der CDU in einem anderen Zusammenhang geäußert, der nämlich sagte, es sei ein Skandal, dass eine solche Debatte um diese Sache geführt werde. Was ist eigentlich der Skandal? Die Debatte darum oder die Wahlfälschung?

Außerdem stellt sich für mich noch eine Frage, die mich die ganze Zeit enorm umtreibt. Als Mitglied des Kreistags Stendal kann ich mich sehr gut daran erinnern, wie auf die Tube gedrückt wurde, dass die Kreistagswahlen anerkannt werden, sowohl vom CDU-Landrat, der auch Kreiswahlleiter war, als auch vom CDU-Kreistagsfraktionsvorsitzenden Kühnel. Es gab eine Abstimmung dazu, ob wir die Feststellung des Ergebnisses verschieben, bis wir mehr darüber wissen, was bei der Stadtratswahl passiert ist. Nein, es wurde auf die Tube gedrückt. Insbesondere mit den Stimmen der CDU gab es keine Verschiebung der Anerkenntnis oder Nichtanerkenntnis der Wahl. Zur Ehrlichkeit hätte auch gehört, dass Herr Kühnel nicht erst, als es die Zeitung sozusagen aufgeklärt hat, hätte sagen dürfen, dass er selbst zu denjenigen gehört hat, die mehr als vier Umschläge abgegeben haben. 18 Umschläge.

Wenn ich im Kreistag stehe und jene verteidige, die mehr als vier Umschläge abgegeben haben, dann kann ich das tun. Aber wenn ich gleichzeitig verschweige, dass ich einer derjenigen war, und sage, ich war nur der Bote, dann ist das schon ziemlich ernüchternd, was die Frage der schonungslosen Aufarbeitung betrifft.

Bei der Briefnachwahl stand auf einem Stimmzettel: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Bürger nach Ihrer Vetternwirtschaft an die Demokratie glauben. In dieser Bemerkung liegt das Drama für die Demokratie, liegt Verantwortung für jeden Politiker, vor allem aber für die CDU.

Ich komme zu den Briefwahlen bzw. zur Bewertung aller rechtlichen Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten. Ich behaupte, die Briefwahl ist löchrig wie ein Schweizer Käse und lädt an einigen Stellen direkt zur Manipulation ein. Mit der Vereinfachung der Briefwahlverfahren wollte man auf der Bundesebene im Jahr 1989 den Wählerinnen und Wählern die Stimmabgabe erleichtern, den bürokratischen Aufwand verringern und natürlich auch Kosten sparen. Diese Tendenz setzte sich nach meinem Wissen schrittweise bis zum Jahr 2005 immer weiter fort. Die entsprechenden Regelungen der Länder folgten sukzessive. Die Kommunalwahlgesetze und die Verordnungen ähneln sich sehr. Wer jedoch die Stichworte „Briefwahlen“ und „Fälschungen“ als Suchbegriffe im Internet eingibt, dem wird schnell klar, hier muss sich etwas tun. Die Liste der Manipulationen und der Fälschungen ist so lang wie die Dunkelziffer hoch ist.

Angesichts der Diskussionen, die zuvor stattfanden, möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen, dass diese Dinge vor nahezu keiner Partei oder Einzelkämpfern Halt macht. Schauen Sie sich diese Dinge an. In der Konsequenz heißt das, tatsächlich nachzuschauen, was hinter diesen angeblichen Einzelkämpfern und Manipulationen steckt.

Warum sage ich, dass diese Briefwahlen löchrig wie ein Schweizer Käse sind? Ich möchte dazu den IT-Spezialisten Arnim Rupp zurate ziehen, der sich seit Jahren intensiv mit der Fälschungsproblematik beschäftigt. Er hat auch schon vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und dazu Gutachten erstellt, mal gewonnen, mal verloren. Er hat betont, dass durch die Lockerungen und die jetzigen Möglichkeiten der Technik den Manipulationen immer stärker Tür und Tor geöffnet wird. Das sollte uns wirklich zu denken geben.

Was können wir tun, um es sicherer zu machen? Es wurde schon hervorgehoben, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Im Fall der Stendaler Wahl gab es keine Fälschung der Wahlscheine, was heutzutage kein Problem mehr darstellt. Im Fall der Stendaler Wahl kam es in erster Linie darauf an, dass es eine Trennung zwischen Wahlbenachrichtigung und Vollmacht gab, dass es sozusagen keinen persönlichen Kontakt zwischen dem Beauftragten, dem Bevollmächtigten und dem Wahlberechtigten gab. Hier müssen wir schauen, wie wir das verändern können. Das war schon einmal anders üblich.

Eine weitere Schlussfolgerung ist, dass - ich habe nicht verstanden, wie es war, und wusste nicht, dass es nur vier Vollmachten gibt - wir einheitliche Formulare sowohl für die Vollmacht als auch für die Vordrucke haben müssen, auf denen eindeutig vermerkt ist, dass nur vier Vollmachten möglich sind. Wir müssen überprüfen, wie wir es hinbekommen, dass Unterschriftenfälschungen nicht in diesem Ausmaß stattfinden können.

Auch wer sich zu welchem Zeitpunkt geäußert hat, Landeswahlleiter, Kreiswahlleiter und Gemeindewahlleiter, muss im Verfahren geklärt werden. Lassen Sie uns überprüfen, was ich bereits Herrn Staatsminister gefragt habe, wie die Ebenen miteinander kommunizieren. Dazu möchte ich ein Beispiel nennen. In der Presse wurde angekündigt, dass die Kreistagsfraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN auch die Kreistagswahl infrage stellen wollen, weil in der Begründung des Kreiswahlleiters gesagt wurde, dass der Wählerwille nicht verfälscht worden sei. Der Wählerwille ist aber gefälscht; denn die Unterlagen bekommt man sowohl für die Stadtratswahl als auch für die Kommunalwahl.

Wir hielten das für einen neuen Sachverhalt, hatten aber den kompletten Antrag noch nicht eingereicht, als sich schon die Landeswahlleiterin meldete und sagte, dass dies und jenes nicht gehe. Das empfanden wir als vorauseilenden Gehorsam, nämlich einen Antrag zu beurteilen, der bisher noch gar nicht eingereicht wurde.

Abschließend sei betont: Wir werden die kriminellen Energien, wie es alle schon gesagt haben, nicht 100-prozentig ausschließen können. Aber wer hier immer wieder sagt, dass wir schonungslos und schnell aufklären müssen, der hat keine Begründung dafür, unseren Antrag in den Ausschuss zu überweisen. Der Antrag ist seinem Wesen nach ein direkt abzustimmender Antrag. Wenn Sie sich distanzieren und bis zur nächsten Wahl schonungslos aufklären wollen, dann muss darüber direkt abgestimmt werden, oder Sie schieben das Problem, wie im Landkreis Stendal, im Land vor sich her.