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Dr. Frank Thiel zu TOP 24: Geheimhaltung beenden - Freihandelsabkommen (TTIP) stoppen

Bei der Erarbeitung dieser Rede bin ich immer wieder in Zweifel gekommen über die öffentlich propagierte Rolle von Politik in unserer globalisierten Welt. Das kulminiert in den Fragen: Ist Politik ohnmächtig geworden gegenüber globalen Entwicklungen? Oder ist diese Ohnmacht verbunden mit der schleichenden Entmachtung der Politik, wie sie bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EU-USA zum Tragen kommt?   

Berechtigterweise werden in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte  Beispiele genannt wie das Desinfizieren von Hühnerfleisch mit chlorhaltigen Chemikalien, die Verabreichung von Wachstumshormonen in der Fleischproduktion oder die Einfuhr gentechnischer Produkte. Bekanntermaßen hat ja die Europäische Kommission bereits jetzt schon auf die Kennzeichnungspflicht bei Honig verzichtet.
Damit werden unmittelbare Verbraucherinteressen angesprochen.

Aber es geht aber eigentlich um etwas anderes, was die Entmachtung von Politik betrifft: um die tatsächliche, strikte Geheimhaltung über Details der Verhandlungen, die künftige mögliche Aushebelung von Standards von Arbeitnehmerrechten, sozialer und Umweltstandards, die Beseitigung von rechtsstaatlichen Prinzipien beim so genannten Investorenschutz.

Aber diese eventuelle Ohnmacht schützt die Politik nicht vor dem Stellen der Frage: wem nützen eigentlich welche Vereinbarungen, außerhalb der Hochglanzbroschüren, Pressestatements und Talkshows? Und lohnt es sich, dafür „Brüssel Dank zu sagen“, wie wir gestern von der Koalition gehört haben?

USA und EU sind die weltweit am stärksten miteinander vernetzten Wirtschaftsregionen. Mit etwa 10% der Weltbevölkerung erwirtschaften sie 50% des Weltsozialprodukts. 2011 entfielen 4% des weltweiten Warenhandels auf den transatlantischen Warenhandels (etwa 640 Mrd. Dollar.) Beim Dienstleistungshandel lag der Anteil bei über 11%. EU-Mitgliedsstaaten hielten Ende 2011 ca. 1,6 Billionen Dollar an Investitionsbeständen in den USA, die US-Direktinvestitionen betrugen 2,1 Billionen Dollar.

Wie ist es also zu bewerten, wenn sich zwei starke Partner gleichzeitig stärker machen wollen, und dann noch einer davon, nämlich die USA zugleich geheime Verhandlungen mit einem anderen Partner im asiatischen Raum führt und die Staaten in der so genannten dritten Welt, die eigentlich dringend wirtschaftlicher Entwicklung bedürfen, werden außen vor gelassen und abgekoppelt? Da muss man sich wirklich nicht wundern, wenn führende Persönlichkeiten Deutschlands dann versuchen, mangelnde Sicherheit mit mehr militärischer Stärke herzustellen.

Freier und fairer Handel zum Nutzen aller Beteiligten sieht anders aus Viel wichtiger wäre ein globales Abkommen im Rahmen der WTO-Verhandlungen. Leider ist da in den letzten 20 Jahren unter den veränderten Bedingungen global wirkender Wirtschafts- und Finanzkrisen wenig passiert. Denn die Hauptfrage der Debatte sollte nicht das Chlorhühnchen sein, sondern wie sind alle Länder, insbesondere die Entwicklungsländer besser in den Welthandel einbezogen werden können, damit sie an der Wertschöpfung teilhaben. In diesem Sinne ist eine Forderung nach dem Stopp der Verhandlungen eine logische und folgerichtige Konsequenz.

Beteiligte werden zum Stillschweigen verpflichtet. Vertraulich bedeutet aber auch, dass die USA den 700 größten US-Firmen, von denen die meisten auch in der EU tätig sind, einen direkten Zugriff auf TTIP-Verhandlungstexte und Dokumente bietet, damit diese Firmen konkrete Rechtsformulierungsvorschläge direkt an die Verhandlungsführer geben können. Jedoch im Zeitalter von NSA und Wiki-Leaks ist Vertraulichkeit offenbar ein unmögliches Verlangen. Öffentliche Proteste sind ja dann entstanden, als zielgerichtet Informationen über Gegenstände bekannt gemacht wurden. Proteste zu Recht, weil am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher die Betroffenen im Guten wie im Bösen sind. Und so tritt die alte Wahrheit zutage, dass manche Politiker befürchten, dass es zu einem breiten Widerstand kommt, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Fakten kennen.

Der ehemalige US-Botschafter bei der EU, Stuart Eizenstat, hat es in einem Fernsehinterview die amerikanische Denkweise auf dem Punkt gebracht: „Was für amerikanische Familien gutes Essen ist, sollte auch für Europäer gutes Essen sein“.
Wobei wir im Hinterkopf behalten sollten, in den USA muss der Verbraucher nachweisen, dass ein Produkt für ihn schädlich ist. In Europa liegt demgegenüber die Produkthaftung beim Produzenten. Da ist es natürlich klar, dass für die Amerikaner die Standards hier viel zu hoch sind.

Die Bundesregierung versichert in ihren Statements immer wieder, dass die hohen Standards bei Verbraucher-, Umwelt- und Arbeitnehmerstandards nicht gefährdet seien. Dann bestünde auch in diesem Bereich keine Geheimhaltungspflicht. Was soll ansonsten verhandelt werden? In ihrer Broschüre „10 gute Gründe für ein Freihandelsabkommen“ schreibt die Bundesregierung als Beispiel für gegenseitige Anerkennung von Standards die Farbe der Blinker im Auto (rot USA, orange EU) oder das Polster im Autodach. Da sich Autofahrer in den USA ungern anschnallen, müssen dort die Autodächer besonders gepolstert sein. Mal abgesehen davon, dass das schon Realsatire ist oder für die Heute Show geeignet: im Allgemeinen fliegt man bei Unfällen vorrangig nach vorn oder hinten und weniger in die Höhe. Da wäre es ehrlicher zu schreiben, dass vor allem die Automobilindustrie, die pharmazeutische  Industrie oder der Agrarsektor in den USA Interesse haben, Standards abzusenken.

Und dann gibt es aktuelle kaum Zweifel an der  Unseriosität der begleitenden Studien, bei uns z.B. von  Bertelsmann:  Fakt 1: bei USA trägt Außenhandel  etwa 14% BIP, davon ein Fünftel auf EU also etwa 3% wie soll das zu einem vorausgesagten Wachstum von 14% in USA beitragen?

Fakt 2: Für LSA wird ein Zuwachs von etwa 2.000 Arbeitsplätzen vorausgesagt, 72 Millionen Euro Wertschöpfungszuwachs.
Das entspricht bei einem BIP von 50 Milliarden einem Anteil 0,1%
„Worüber redest du eigentlich beim TTIP, fragten die Bauern und lächelten finster“  könnte man frei nach Manfred Krug fragen.

Was sind die eigentlichen Knackpunkte, wo Intransparenz schützen soll?
Das sind zum ersten die Fragen der Regulatorische Kooperation.
Im durchgesickerten Verhandlungsmandat wird von einer „schrittweisen Verwirklichung der Kompatibilität der Regulierungssysteme“ gesprochen.
Das bezieht sich keineswegs nur auf bestehende Handelshemmnisse, sondern soll offensichtlich so weit gehen, dass die Art und Weise, wie zukünftig dies- und jenseits des Atlantiks Gesetze und Regulierungen mit Einfluss auf Handels- oder Investitionsbedingungen erlassen werden, verändert wird. US- und EU-Lobbyverbände wie die American Chamber of Commerce und Business Europe schreiben dazu: „Interessengruppen würden mit Regulierern zusammen an einem Tisch sitzen, um gemeinsam Gesetze zu schreiben.“

Auch wenn die formalen Gesetzgebungsprozeduren in der EU und den USA nicht verändert würden, besteht die Gefahr einer institutionalisierten frühzeitigen Einbindung demokratisch nicht legitimierter Interessenverbände
Interessant ist auch, wer im Vorfeld der Verhandlungen bereits angehört wurde: BDI, VCI, VDMA.

Da ist zum zweiten das Investor-Staat-Klageverfahren. Ausländischen Investoren werden damit weitgehende Schutzrechte zugesichert, die vor ungerechtfertigter Behandlung, Diskriminierung, Einschränkung des Kapitalverkehrs sowie direkter und indirekter Enteignung schützen sollen. Ursprünglich für Staaten mit mangelhafter Gerichtsbarkeit eingeführt, befinden sich diese Schiedsverfahren außerhalb der staatlichen Rechtsprechung. In der Regel treffen dabei drei von den Streitparteien benannte Schiedsrichter in nicht-öffentlichen Beratungen bindende und durchsetzbare Schiedssprüche; Berufungsmöglichkeiten existieren nicht. Geklagt wird immer auf Schadenersatzzahlungen; Klagemöglichkeiten von Staaten gegen Investoren enthalten diese Verträge nicht.

Bis Ende 2012 gab es 514 solcher Verfahren, wobei angesichts der Intransparenz der Verfahren noch mit einer Dunkelziffer zu rechnen ist, in rund 30 Prozent aller Fälle gewinnen die Kläger, in 30 Prozent aller Fälle wird ein Vergleich abgeschlossen und in 40 Prozent der Fälle gewinnt der beklagte Staat. Das bedeutet, dass der beklagte Staat in 60 Prozent aller Fälle ganz oder teilweise auf die Verliererstraße gerät.

Auch Deutschland ist jetzt ins Visier von ISDS-Klagen geraten, da der schwedische Energieriese Vattenfall sowohl gegen den deutschen Atomausstieg als auch gegen zu hohe Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg klagt. Meistens klagen jedoch Unternehmen aus den USA oder der EU gegen Entwicklungs- oder Schwellenländer, so sind beispielsweise Mexiko nach Inkrafttreten des NAFTA-Abkommens oder Argentinien aufgrund ihrer Reaktionen auf die Finanzkrise häufig zum Ziel solcher Klagen geworden.

Der geplante Investitionsschutz würde den demokratischen Rechtsstaat untergraben, da er Unternehmen die Möglichkeit bietet, über private Schiedsgerichte nationale Gesetze und Gerichte zu umgehen. Damit würde der Handlungsspielraum demokratischer Staaten eingeschränkt. Die Zeche hätten die Steuerzahler zu zahlen: Sie müssten den ausländischen Unternehmen für ihre entgangenen Gewinne Schadensersatz leisten.

Nun hat der Bundesrat mehrheitlich der Bundesregierung empfohlen, in Gesprächen mit Brüssel darauf hinzuwirken, dass diese Vereinbarungen aus den Verhandlungspapieren gestrichen werden.
Das sieht EU-Handelskommissar De Gucht jedoch anders. Zwar soll klargestellt werden, dass Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzauflagen keine Benachteiligung ausländischer Konzerne oder indirekte Enteignungen darstellen. Aber darauf verzichten will er nicht, da nationale Gerichte in den USA ausländischen Investoren oft keinen ausreichenden Schutz bieten sollen. Da wäre es doch zielführender zuerst über Rechtsstaatlichkeit in den USA zu verhandeln und dann über das weitere.

Auf zwei Zielgruppen möchte ich nochmals besonders verweisen. Das ist zum einen der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Gerade die kommunale Familie hat sehr deutlich auf die Gefahren hingewiesen. Das sind die Probleme mit der weiteren Liberalisierung von solchen Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Bildung oder Gesundheit. Zahlreiche Beispiele von Privatisierungen belegen, dass gerade die profitorientierte Vermarktung dieser  Dienstleistungen verbunden ist mit Preissteigerungen, Qualitätsverlusten oder Auszehrung der kommunalen Infrastruktur. Ähnliches soll auch für das öffentliche Beschaffungswesen gelten. Nicht umsonst legen die Amerikaner Wert, im öffentlichen Bereich „Made in America“ gelten zu lassen. Soweit gehen wir nicht, aber die Vergabepraxis schreibt schon heute ab bestimmten Losgrößen eine europaweite Ausschreibung vor. Dennoch ist die öffentliche Hand angehalten, durch Vergaberichtlinien und Gestaltung von Losgrößen vor allem regionalen Anbietern Chancen zu geben, die in ihren Angeboten auch soziale oder ökologische Faktoren berücksichtigen.

Aufgrund der Regelungen in NAFTA und allen weiteren Abkommen der USA ist davon auszugehen, dass ein sogenannter Negativlisten-Ansatz verfolgt wird. Das heißt es sind alle Dienstleistungssektoren von den Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens erfasst, wenn sie nicht ausdrücklich ausgenommen sind.
Die zweite Zielgruppe ist unser einheimischer Mittelstand, der zu 95% unsere Wirtschaft prägt. Was haben die von einem Freihandel auf dem amerikanischen Markt? Schließlich sind sie nicht alle Zulieferer von Automobilkonzernen oder Pharma- und Chemieunternehmen. Unsere Wirtschaft würde im eigenen Heimatmarkt in direkter Konkurrenz zu exportstarken Unternehmen mit niedrigeren Sozialstandards und damit niedrigerer Kostenstruktur stehen, ohne mit diesen im amerikanischen Markt konkurrieren zu können. Das gefährdet die Wirtschaftsentwicklung, wenn nicht alle Wettbewerber am lokalen Markt auch den lokal gültigen Standards unterworfen sind.

Wachstums- und Arbeitsplatzeffekte sind beim TTIP marginale Effekte, obwohl genau diese zur Begründung herhalten. Also muss es andere Prinzipien geben, deren Vereinbarung wesentlich wichtiger ist als diese „einleuchtenden“ Effekte, die immer ein Totschlagargument gegen kritisches Denken sind. Wieso soll die Hauptfrage beim TTIP“ wie wollen wir künftig leben, was wollen wir künftig konsumieren und unter welchen Bedingungen sollen unsere Produkte hergestellt werden“ nur noch reduziert werden auf die Definition „marktfähiger Produkte und Dienstleistungen“? Darauf  gibt der gegenwärtige Verhandlungsstand eine klare Antwort: „Das hat uns bei den bisherigen Verhandlungen nicht interessiert“.

Unsere politische Forderung ist deshalb „ Freihandel alternativ verhandeln als globales Konzept, wo nicht viele Verlierer sondern vor allem Gewinner sind“.

Wir wollen weltweit Lohn-, Sozial- und Umweltdumping verhindern. Wir wollen hohe Qualitätsstandards für Konsumgüter und Dienstleistungen in der EU und in den USA.
Wir wollen Unternehmen für Verstöße gegen diese Standards weiter zur Rechenschaft ziehen können. Deshalb sollten unsere Forderungen nach dem Stopp der Geheimgespräche und die Vereinbarung anderer Handlungsmandate verständlich sein.