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Dr. Frank Thiel zu TOP 24 a): Steuernachlass Schlossgruppe Neugattersleben

Wir beschäftigen uns erneut mit einem komplexen Sachverhalt, der mittlerweile den Koalitionsausschuss bewegt hatte und sogar den Ministerpräsidenten heute an das Rednerpult brachte. Es wird davon gesprochen, dass in einer noch nie vorher gezeigten Transparenz die Umstände um Firmenbeteiligungen und Steuerangelegenheiten offengelegt worden sind.

Nun lässt die Fülle des Papiers noch keine eindeutige Aussage über die Qualität der dabei getroffenen Feststellungen und Bewertungen zu. Wenn man sich zur aktuellen Situation verständigt, darf ihre Genese nicht vergessen werden.

Von September bis Dezember vergangenen Jahres hat Kollege Leimbach drei kleine Anfragen an die Landesregierung zur Frage von Steuerprüfungen bei Unternehmen gestellt, an denen die landeseigene IBG beteiligt war und die vom Ministerium der Finanzen beantwortet wurden. Nur sehr zögerlich und mit der Begründung eines hohen Aufwandes an der Ermittlung im Allgemeinen und der Wahrung des Steuergeheimnisses im Besonderen wurden Fakten zutage gefördert.

In der Kleinen Anfrage  6/3557 wurde die Frage gestellt: „Hat in einem der unter Ziffer 2. erfragten Fälle der Minister, einer der Staatssekretäre oder auf deren Anweisung oder Anregung ein Abteilungsleiter des MF per Weisung, Verfügung oder Erlass mitgewirkt, Einfluss genommen oder eine Entscheidung angewiesen? In welcher Form?“ Die Antwort im Oktober 2014 lautete: „In den unter Ziffer 2. erfragten Fällen haben weder der Minister, noch einer der Staatssekretäre oder auf deren Anweisung oder Anregung ein Abteilungsleiter des Ministeriums der Finanzen per Weisung, Verfügung oder Erlass mitgewirkt, Einfluss genommen oder eine Entscheidung angewiesen.“

Offenbar wurde diese Frage damals nicht wahrheitsgemäß beantwortet, wie die vorgelegte Dokumentation des Finanzministeriums aufzeigt. In der Volksstimme vom 30.März 2015 konnte man auch im Interview des Finanzministers lesen: „Ich habe meinen damaligen Staatssekretär Heiko Geue gebeten, dass er sich mit der Oberfinanzdirektion und Vertretern der Unternehmensgruppe trifft. Nach Geues Weggang hat Staatssekretär Jörg Felgner die Gespräche geführt. Die OFD, die zuständigen Finanzämter und die Steuerberater der Unternehmensgruppe haben dann gemeinsam eine Lösung gefunden.“ Tröpfchenweise kam die Wahrheit in dieser Frage an das Licht. Mit Transparenz hat das wenig zu tun, und wir wissen nicht, was alles noch kommt.

Jedoch, über die Konsequenz einer unwahren Behauptung in einem parlamentarischen Dokument muss man sich im Klaren sein, Herr Minister Bullerjahn. Deshalb sind Sie für die weitere Amtsführung nicht mehr geeignet.

Es fanden im bewussten Zeitraum offenbar sehr viele Gespräche auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt. Jedoch ist merkwürdig, je höher die Ebene war, desto dünner wurde die Dokumentation und Nachweisführung der sogenannten tatsächlichen Verständigung.

Rechtlich zu würdigen ist, ob ein Erlass von Zinsen rechtskonform ist. Strittig ist zum einen, ob der Erlass einer steuerlichen Nebenleistung, nämlich Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung rechtmäßig war. Zum anderen ist fraglich, wer an dieser Entscheidung mitgewirkt hat.

Eine tatsächliche Verständigung über den Erlass von Nachzahlungszinsen sieht die Abgabenordnung nicht vor. Eine tatsächliche Verständigung ist möglich wenn ein Sachverhalt nicht, nur erschwert oder unter erheblichem Aufwand ermittelbar ist. Zinsberechnung ist sicher für manchen Schüler bis zur Abiturprüfung schwer nachzuvollziehen, aber der Sachverhalt ist einfach, es gibt eine Bemessungsgrundlage, einen Zinssatz und einen Zinszeitraum. Ich habe mir sagen lassen, das machen im Finanzamt heutzutage Maschinen, so dass auch bei einer großen Anzahl von Steuerbescheiden der Ermittlungsaufwand gering ist und das Instrument der tatsächlichen Verständigung damit unzulässig ist.

Auch der Erlass von Nachzahlungszinsen ist nur unter der Voraussetzung des § 227 Abgabenordnung möglich. Diese Vorschrift fordert, das Vorliegen einer Unbilligkeit im Einzelfall. Die Verzinsung von Steuernachzahlungen hat den Zweck, den durch die verspätete Feststellung der tatsächlichen Steuer beim Unternehmer entstandenen Liquiditätsvorteil auszugleichen. Mag sein, dass das Verfahren lange gedauert hat, mag sein dass das auch dem Finanzamt zuzurechnen war. Das ändert nichts am Umstand, dass der Unternehmer solange über das Geld, was er als Steuer hätte zahlen müssen, verfügen konnte und damit gegenüber vergleichbaren, steuerehrlichen Unternehmern einen Liquiditätsvorteil erlangt hat. Eine Unbilligkeit war nicht zu erkennen. Die Argumentation auf den 22 Seiten des Finanzministeriums vermag nicht zu überzeugen, er ist - das ist festzuhalten - nicht der Regelfall für das Verfahren in der Finanzverwaltung.

Es bleibt also die Frage, warum die im Übrigen als korrekt anerkannte Finanzverwaltung in diesem Fall derart abweichend entschieden hat. Das geht auch aus dem Tenor der Presseveröffentlichungen zum Rechnungshofbericht hervor.
Es bleibt die Tatsache, dass am Sachverhalt, schon durch die in der kleinen Anfrage eingeräumte Berichterstattung die Hausspitze des Ministeriums der Finanzen mitgewirkt hat. Und es bleibt die unbestrittene Tatsache, dass der von der Amtshandlung begünstigte Unternehmer und der Minister der Finanzen befreundet sind.

Geradezu abenteuerlich sind die Aussagen des Ministeriums der Finanzen zur Begründung des Status der Schlossgruppe Neugattersleben hinsichtlich der Bewilligung von Beteiligungen an einzelne Unternehmen und der damit verbundenen Rettungsaktion vor der Insolvenz, die offenbar nur mit Finanzinstrumenten des Landes geführt worden sind, weil andere Geldgeber nicht mehr bereit waren, einen Euro zur Rettung beizutragen. Auch  mit dem Wissen aller im Aufsichtsrat und Beteiligungssauschuss wurden die geltenden Beteiligungsgrundsätze verletzt, nicht nur was den KMU-Status betrifft sondern auch den Verwendungszweck, Unternehmen in Schwierigkeiten dürfen keine staatlichen Mittel erhalten. Die damit verbundene Umleitung der Gelder - statt für innovative Firmenentwicklungen gingen sie in die Schuldenablösung – war allen (!) Beteiligten im Aufsichtsrat bekannt war. Das ist ein skandalöser Vorgang, der eigentlich auch disziplinarisch geahndet werden müsste. Auf Druck des IBG-Managements wurde dies zugelassen. Intern hieß es, dies erfolge auch aus wirtschaftspolitischen Gründen, um 600 Arbeitsplätze zu retten. Eine Information des Haushaltgesetzgebers Landtag wurde als unnötig erachtet, man hätte es dort nur zur Kenntnis nehmen können, und man wollte offenbar keine weitere Aufmerksamkeit erregen. Schließlich hatte wenige Tage zuvor das Unternehmen Q-Cells Insolvenz angemeldet, und 1.300 Mitarbeiter standen vor einer ungewissen Zukunft. Die Monstranz „Arbeitsplätze retten“ dient offenbar dazu, aber auch jedes und alles zu rechtfertigen.

Interessant war dazu die Aussage von Hans Hübner in der öffentlichen Zeugenvernehmung im April dieses Jahres. Auf die Fragen von Ausschussmitgliedern, ob das Land hätte eingreifen müssen, um die Firmengruppe zu retten, meinte der Zeuge beispielsweise, er kann das so nicht unterschreiben.
Die Antworten darauf veranlassten ein Ausschussmitglied zu der Bemerkung, dass Zweifel entstünden,  ob die Motive des Landes überhaupt etwas mit der wirtschaftlichen Notlage des Unternehmens zu tun haben oder ob es ein cooles Geschäft war.

Oder waren es rein finanztaktische Spielchen, die im Hintergrund stattfanden, und die die politischen Akteure völlig überforderten? Das wirft natürlich grundsätzliche Fragen in der Verteilung öffentlicher Fördermittel auf. Über Finanzströme innerhalb dieses Konzerns und über die Verflechtungen der Unternehmen untereinander war den meisten Verantwortlichen aus den Ministerien offenbar nicht viel bekannt. Die Gläubiger-Banken haben Verluste hinnehmen müssen, den betroffenen Unternehmen wurden die Gesamtschulden nicht erlassen. Und dennoch war man schon knapp drei Jahre später in der Lage, sich mit einem zweistelligen Millionenbetrag der lästig gewordenen IBG zu entledigen.

Abschließend möchte ich Namens meiner Fraktion erklären: Wir teilen die Auffassung des Landesrechnungshofes, dass die damalige Oberfinanzdirektion die geltenden Rechtsgrundlagen fehlerhaft angewendet hat. Demnach widerspricht die Anweisung der OFD zum Zinserlass dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, d.h. der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen, und ist mit geltendem Steuerrecht nicht zu begründen.

Das zu erkennen, ist offenbar die gesamte Landesregierung nicht in der Lage - gemäß der immer wieder in beiden Untersuchungsausschüssen vorgetragenen Meinung, „nun habt euch mal nicht so, läuft doch alles“. Die gestrige Pressemitteilung der beiden Finanzstaatsekretäre zur Übergabe der Aufklärungskompetenzen ihres Ministers an die Staatskanzlei spricht Bände.

Was muss denn an Pleiten-Pech und Pannen-Theaterstücken noch aufgeführt werden, bevor der zuständige Intendant geht? Woanders war man da schneller, Erfolgreiche aber Unliebsame loszuwerden.

Es bleibt bei unserer Einschätzung: Konsequenzen können nur diejenigen persönlich ziehen, die auch bereit sind, Verantwortung für Fehlentscheidungen zu übernehmen. Eigentlich haben wir hier nicht über die Methoden bei der Auflösung des Haftungsverbundes Schlossgruppe Neugattersleben zu verhandeln, sondern über den Haftungsverbund Haseloff-Bullerjahn. Und den können offenbar nur Mehrheiten außerhalb des Landtages auflösen.