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Dr. Frank Thiel zu TOP 23: Beendigung von würdeloser Arbeit – Begrenzung der Befristung von Arbeitsverträgen

Der Anteil der atypischen Beschäftigung in Sachsen-Anhalt, d. h. Teilzeitbeschäftigung, Befristung oder Leiharbeit liegt trotz eines schwachen Rückgangs in den letzten Jahren auf einem nicht hinnehmbaren hohen Niveau von 36 % aller Beschäftigungsverhältnisse.
Der zweitgrößte Teil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse nimmt in Sachsen-Anhalt der Bereich der befristeten Beschäftigungsverhältnisse ein. In 17 % aller Betriebe gab es befristete Beschäftigungsverhältnisse, dies betrifft rund 63.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur 33 % der befristeten Beschäftigungsverhältnisse endeten in einem unbefristeten Arbeitsvertrag.
Dieser seit Jahren anhaltend hohe Anteil von befristeten Beschäftigungsverhältnissen muss abgebaut werden.

Befristete Arbeitsverträge bedeuten für die Beschäftigten, dass sie ihre Zukunft nicht planen können und nur eine unsichere Einkommens- und Berufsperspektive haben. Ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht, das ist ein zentrales Merkmal für die Qualität der Arbeit und für die Motivation der Beschäftigten. Denn befristete Arbeitsverträge höhlen den Kündigungsschutz aus und disziplinieren die Beschäftigten. Allein im Jahr 2013 waren 31 % der befristeten Verträge ohne sachlichen Grund.

Befristete Arbeitsverhältnisse sind in den vergangenen Jahren immer mehr zur Regel geworden, in den letzten 20 Jahren hat sich ihre Zahl verdreifacht. Fast jede zweite Neueinstellung ist nur auf Zeit und soll den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Faktisch sind sie eine verlängerte Probezeit. Dabei sind die üblichen 6 Monate  völlig ausreichend, um zu prüfen, ob eine Person in den Betrieb passt.

Befristete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben fast keinen Anspruch auf tarifvertragliche Regelungen. Die Betroffenen werden schlechter bezahlt als Stammbeschäftigte und haben weniger Anspruch auf soziale Sicherungen. Und gerade junge Leute trifft es besonders häufig. Laut IAB Betriebspanel 2014 gehören fast 68%Frauen unter 25 Jahren zu dieser Kategorie, bei Männern sind dies 39 % unter 25 Jahren.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben bestätigt, befristet Beschäftigte schleppen sich krank zur Arbeit, nehmen seltener Urlaub und haben die Hoffnung, wer dem Leistungsdruck standhält, wird vielleicht weiterbeschäftigt. So wird eine Festanstellung zum Luxus, den man sich hart erkämpfen muss. Doch das ist es nicht allein. Befristungen dienen weiter als legales Instrument, um Arbeitsrechte gezielt zu umgehen. Unternehmen brauchen keinen Kündigungsgrund und sparen sich Prozesse und Kosten. Befristungen erschweren auch die betriebliche Interessenvertretung. Wer um den nächsten Vertrag bangt, wird sich seltener zu Wort melden, einen Betriebsrat nicht offen unterstützen und zögern, sich an Streiks zu beteiligen. Befristungen untergraben die Mitbestimmung, in Kombination mit schlechter Entlohnung sind sie Teil von Unternehmensstrategien vor allem bei denen, die hohe Renditen erwirtschaften wollen.

Lassen Sie mich die Tatsachen an konkreten Beispielen erläutern. Bei der Deutschen Post AG gibt es 14.000 Dauerbefristete und 10.000 Saisonkräfte. Gegen Dauerbefristungen zu klagen, fällt Betroffenen schwer, da das aktuelle Teilzeit- und Befristungsgesetz keine klare Rechtsprechung ermöglicht, da „Sachgründe“ nicht abschließend definiert sind. Die Chancen für Klagen stehen 50:50. Das führt dann zu solchen skurrilen Situationen wie in Magdeburg, wo es zwei Beschäftigte gab, die in 18 bzw. 15 Jahren Betriebszugehörigkeit 168 bzw. 106 Arbeitsverträge hatten. Seit Anfang des Jahres läuft die aktive Umstrukturierung bei der Post AG, am Sitz jeder Niederlassung wurde eine sogenannte Delivery GmbH gegründet, wo Arbeitskräfte ausgelagert worden sind mit dem Ziel, zu Lasten der Beschäftigten die Unternehmensgewinne zu optimieren. Geködert wurde diese Verlagerung mit der Übernahme in unbefristete Verträge, allerdings perspektivisch mit 25-30% weniger Einkommen im Vergleich zu den Post-AG-Angestellten. Unfassbar auch die Tatsache, dass diese Verträge mit Probezeit vereinbart wurden, obwohl alle schon bei der Post beschäftigt waren. Und viele trauten sich nicht, sich gegen den Zwang zum Lohnverzicht von Betriebsräten unterstützen zu lassen. 3,2 Mrd. Euro Gewinn erwartet die Post AG in diesem Jahr, aber mit diesem Vorgehen wurde die These „Wenn es dem Unternehmen gut geht, geht’s auch den Mitarbeitern gut“ aufgekündigt.

Deshalb stellen wir die Forderung an die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass folgende Änderungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vorgenommen werden:

  1. Streichung der Möglichkeiten zur sachgrundlosen Befristung,
  2. die Streichung des Befristungsgrundes zur Erprobung,
  3. die Festlegung, dass es sich bei den Sachgründen um einen abschließenden Katalog handelt. Und schließlich:
  4. Bei Vorliegen von sachlichen Gründen bei demselben Arbeitgeber ist höchstens zwei Mal aufeinanderfolgend der Abschluss eines mit Sachgrund versehenen befristeten Arbeitsvertrages zulässig  oder höchstens ist die einmalige Verlängerung eines sachlich befristeten Arbeitsvertrages möglich. Das regelt das Gesetz eindeutig und ist deshalb auch durchzusetzen. Kettenbefristungen sind zu verhindern und als gesetzwidrig zu betrachten.


Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und den in einigen Branchen massiv zunehmenden Fachkräftemangel müssen für Fachkräfte Perspektiven im Land geschaffen werden. Befristungen hingegen stellen eine Unsicherheit in Einkommen und der Perspektive dar. Wir wollen gute Arbeit, insbesondere durch unbefristete sichere Arbeitsverträge.

Es gibt berechtigte Sachgründe für einen befristeten Vertrag. Bei Krankheit, Erziehungszeit oder plötzlichem Ausfall eines Mitarbeiters muss der Arbeitgeber die Arbeitslücke schließen können. Doch das aktuelle Teilzeit- und Befristungsgesetz geht weit über diese berechtigten Gründe hinaus. Es bietet Arbeitgebern viel zu weit gehende Möglichkeiten, Dauerarbeitsplätze rechtlich legal durch Zeitverträge zu ersetzen. Das macht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Manövriermasse, es macht sie zu „marktgerechten Arbeitsbürgern“. Die Forderung nach unbegrenzter Flexibilität ist mit dem Schutzbedürfnis der Beschäftigten nicht vereinbar. Es ist daher dringend erforderlich, die gesetzlichen Möglichkeiten der Befristungen drastisch einzuengen.

Absatz 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes stellt übrigens klar, dass es sich bei den Bestimmungen um einseitig zwingende Arbeitnehmerschutz-vorschriften handelt. Abweichungen von den gesetzlichen Bestimmungen zu Lasten des Arbeitnehmers lässt das Gesetz in drei Fällen zu, nämlich

  • bei der Arbeit auf Abruf (§12 Abs.3),
  • bei der Arbeitsplatzteilung (§13 Abs. 4) und
  • bei den zeitlichen Grenzen einer sachgrundlosen Befristung (§14 Abs.2 S. 3und 4).

In allen drei Fällen muss die Abweichung durch Tarifvertrag zugelassen sein.  Wie sieht jedoch die Praxis dort aus, wo Unternehmen keinem Tarifvertrag unterliegen? Dort haben die Beschäftigten solche Rechte verloren. Deshalb muss das Teilzeit- und Befristungsgesetz auf Bundesebene geändert werden. Unterstützungen durch andere Länder im Bundesrat haben eine hohe Wahrscheinlichkeit.

Das eigene Leben planen können, sollte selbstverständlich sein. Aber für immer mehr Menschen ist das kaum noch möglich, weil sie in unsicheren Arbeitsverhältnissen stecken. Befristete Verträge schwächen den Kündigungsschutz und machen die Beschäftigten erpressbar – wer Angst hat, seine Arbeit zu verlieren, setzt sich seltener zur Wehr gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Die Arbeitgeber können so ihre wirtschaftlichen Risiken auf die Beschäftigten abwälzen. Eine unbefristete Stelle ist für alle Betroffenen wie ein Sechser im Lotto. Besonders junge Menschen und Berufseinsteigerinnen und -einsteiger landen in befristeten Jobs. Die Folge sind Existenzängste und Stress. Die Lebensplanung bleibt auf der Strecke. Geldnöte hindern viele Menschen daran, am sozialen Leben teilzunehmen. Zudem droht Altersarmut. Erwerbslose werden drangsaliert, jeden Job anzunehmen, auch Leiharbeit – das erhöht den Druck, auch ein niedriges Gehalt zu akzeptieren.

Vielfach wird das Märchen erzählt, dass Befristungen eine Chance für junge Menschen seien. Für viele junge Leute sind sie jedoch kein Sprungbrett, sondern eher eine bleierne Kugel, die sie daran hindert, ihre Zukunft planen zu können. Nur weniger als ein Drittel der befristet Beschäftigten wird irgendwann übernommen. Die Befristerei hat vor allem einen Sinn: Einseitige Flexibilität der Unternehmen auf Kosten der Beschäftigten durchzusetzen und sie durch die Angst vor Jobverlust erpressbar zu machen.

Aber es gibt positive Signale, sich der Ausnutzung als Manövriermasse zu widersetzen. Im Jahr 2014 stieg laut IAB-Betriebspanel Sachsen-Anhalt der Anteil von Arbeitnehmerkündigungen enorm gegenüber dem Vorjahr. Der Anteil arbeitnehmerbedingter Personalabgänge belief sich auf 41 %. Seit 2005 hat sich der Anteil somit mehr als verdreifacht, ein Warnsignal, dass sich der Wettbewerb um Fachkräfte verschärft.

Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag, denn Beschäftigte wollen ohne Dauerstress und Angst arbeiten, sie wollen eine planbare Zukunft. Das muss doch drin sein.