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Dr. Frank Thiel zu TOP 21: Untersuchungsbericht

Dr. Frank Thiel zu TOP 21: Untersuchungsbericht

Die Notwendigkeit der Einsetzung und der damit verbundene Untersuchungsauftrag des 13. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurden durch eine intensive dreijährige Arbeit des Untersuchungsausschusses belegt und umfänglich bestätigt. Dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit an der vollständigen Aufklärung von Sachverhalten, die in ursächlichem Zusammenhang mit öffentlich bekanntgewordenen Vorgängen hinsichtlich eines möglichen Fördermittelbetruges in Sachsen-Anhalt standen, wurde damit im Wesentlichen Rechnung getragen.

Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Fakten war zunächst ausschließlich über die Medien bzw. deren Recherchen öffentlich bekannt geworden. Die Landesregierung, ihre Ministerien und die ihnen nachgeordneten Behörden ließen zu diesem Zeitpunkt nur ein geringes Maß an Offenheit hinsichtlich der Aufklärung der Sachverhalte erkennen.
Im Ergebnis der Untersuchungen konnten die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im 13. PUA dem durch den Ausschussvorsitzenden vorgelegten Berichtsteil C zu den Ergebnissen der Untersuchung und zur Bewertung der Ergebnisse durch den Untersuchungsausschuss in keiner Weise zustimmen, weil die „Welt der Fördermittelvergaben eben nicht in Ordnung“ war, so wie dort auf netto 2 Seiten 58 Zeugenvernehmungen zusammengefasst oder treffender gesagt - zusammengeschrumpft -wurden. Das war schon für bisherige PUA-Verhältnisse eine singuläre Leistung, sich weder auf konkrete Zeugenaussagen sowie Aktenvorlagen zu beziehen, noch anhand bekannter Fakten sich zu einer Bewertung hinreißen zu lassen. Bis heute sind Sie, verehrte KollegInnen der Koalition, letztendlich den Beweis für Ihre Behauptungen in Ihrem Bewertungsteil schuldig geblieben.

Wir teilen somit die bewertenden Aussagen des vorliegenden Abschlussberichtes in keinem Punkt. Es gibt absolut keine Deckungsgleichheit, die vorliegenden Bewertungen gehen strikt auseinander.

Wir haben hier völlig andere Maßstäbe und Kriterien angesetzt, welche in unserem dem Abschlussbericht angefügten Sondervotum mehr als deutlich zur Geltung kommen. Und wir kommen letztendlich zu einem völlig anderen Ergebnis, zu einem völlig anderen Schluss, zu völlig anderen Konsequenzen und Schlussfolgerungen.
Und wir belegen diese mit Zeugenaussagen aus öffentlichen Sitzungen sowie den uns zur Verfügung gestandenen Akten.

Folgende Grundaussage wird unsererseits getroffen: Die im Einsetzungsbeschluss zum Ausdruck kommenden Vorwürfe und Behauptungen haben sich unserer Auffassung nach partiell als begründet erwiesen. Durch ungenügendes oder zögerliches Handeln oder Unterlassen der Landesregierung, insbesondere im Geschäftsbereich des Ministeriums für Wissenschaft und Wirtschaft (ehemals Ministerium für Wirtschaft und Arbeit) und der nachgeordneten Behörden, wurde - zumindest fahrlässig - ein über viele Jahre laufender Fördermittelmissbrauch begünstigt. Die schnelle Reaktion auf personelle Engpässe hätte erheblich dazu beitragen können, Fördermittelvergaben einschließlich deren Bewertungsverfahren sowie Fördermittel-verwendungen im Bereich der Arbeitsmarktförderung rechtmäßig und damit gesetzeskonform zu realisieren und einem Missbrauch langfristig vorzubeugen.

Vorhandene Kontroll- und Reaktionsmöglichkeiten hinsichtlich der Bewilligung und Verwendung von Fördermitteln sind somit als nicht hinreichend einzuschätzen. Ein Mitzeichnungsrecht des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit existierte nicht, ebenso wenig standardisierte Berichtspflichten an das Ministerium ab einem bestimmten Auftragsvolumen oder einer bestimmten Beschäftigungszahl.
Das Ministerium erhielt lediglich die Bearbeitungsliste und die Quartalsstatistiken zur Kenntnis, um einen Überblick über die Anträge und die Höhe der Fördermittel zu erhalten.
Mechanismen sowie auch Fehlstellen, die zu diesem Fördermittel-missbrauch und einem damit einhergehenden Schaden für das Land geführt haben, wurden nicht oder nur ungenügend erkannt und demzufolge auch nicht oder nur in einem geringen Ausmaß verändert bzw. beseitigt.

Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer „gepflegten Nicht-Verantwortung“ der jeweiligen politischen Hausspitzen. Übrigens nicht nur in einem Ministerium und nicht nur von einem Minister oder Staatssekretär, wie auch im Problemfall IBG sichtbar wurde. Reihenweise konnten sich Minister oder Staatssekretäre nicht erinnern, wenn es um konkrete Details ging, man war schließlich für das „Große Ganze“ zuständig und hatte unbegrenztes Vertrauen für das Tun handelnder Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen. Daraus erklärt sich auch die Weigerung, politische Konsequenzen zu ziehen.

Da steht schon die Frage im Raum, wer eigentlich in einem Ministerium den politischen Hut - das insbesondere auch mit Blick auf zu entscheidende Detailfragen sowie auf das Tun oder Unterlassen der MitarbeiterInnen - auf hatte und hat? Denn man konnte sich des Eindrucks öfters nicht erwehren, dass mancher Minister, mancher Staatssekretär sich lieber in den Windschatten der Entscheidungen seiner MitarbeiterInnen gestellt hatte, als selbst Verantwortung zu tragen und zu übernehmen. Dabei wurde gern vergessen, dass ein Minister die Gesamtverantwortung für sein Ressort trägt. Die lässt sich nicht delegieren.

Die Landesregierung war offensichtlich nicht in der Lage und auch nicht gewillt, alle notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um dem Missbrauch von Fördermitteln vorzubeugen, ihn einzugrenzen oder gar zu vermeiden. Vorhandene Kontroll- und Reaktionsmöglichkeiten hinsichtlich der Bewilligung und Verwendung von Fördermitteln sind somit als nicht hinreichend einzuschätzen.
Da hilft es auch nicht, wie Kollege Thomas jüngst bei mdr Sachsen-Anhalt erklärte, der heutige Ministerpräsident sei seiner Verantwortung nachgekommen, als festgestellt wurde, es gab kriminelle Vorgänge, er habe das sofort zur Anzeige gebracht und sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Da müssen wir zeitweise in unterschiedlichen Ausschüssen gesessen haben, denn es konnte sich keiner der Zeugen so recht erinnern, wer eigentlich wann Anzeige gestellt hätte, auch der Ministerpräsident nicht. Selbst der leitende Oberstaatsanwalt ging davon aus, dass von Amts wegen die Ermittlungen begannen, nach Gesprächen mit dem Privatermittler Jüngling und den Verantwortlichen der IHK in Dessau.

Mangelnde Sensibilität bezüglich der Korruptionsanfälligkeit, ungenügende Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen sowie ein fehlendes Berichtswesen haben die kriminellen Machenschaften in einzelnen Unternehmen und Firmen bei der Fördermittelbeantragung und -verwendung unwissentlich befördert.

Eine zumindest mittelbare Beeinflussung auf die durch das Landesverwaltungsamt zu realisierenden Fördermittelverfahren seitens der Landesregierung ist darin zu erkennen, dass sogenannte Bitten, Hinweise und Empfehlungen von Mitgliedern der Landesregierung allein schon aufgrund ihrer Stellung von den Betroffenen nicht als solche eingeordnet wurden. Nach deren Wahrnehmung trugen sie den Charakter verbindlicher Vollzugshandlungen, von Weisungen bzw. sogar Erlassen und wurden dementsprechend nicht in Frage gestellt, sondern nahezu bedingungslos unterstützt und umgesetzt.
Eine gewisse Verwunderung gab es in der öffentlichen Wahrnehmung, dass wir bei der Bewertung eine möglichen CDU-Parteispendenskandals eher zurückhaltend reagiert haben. Nun, das ist kein Wunder. Maßgebliche Zeugen haben von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, so dass die Spendenpraxis nicht vollständig aufgeklärt wurde und die Vermutungen nicht widerlegt werden konnten. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir wollen ja hier seriös die Tatsachen und nicht die Vermutungen bewerten.

Abschließend muss festgestellt werden, dass es durch die Versetzung des ehemals leitenden Staatsanwaltes an das Finanzgericht Sachsen-Anhalt zu einer - wenn auch nicht erheblichen - zeitlichen Verzögerung in den Ermittlungen des gegenständlichen Verfahrens gekommen ist. Dies haben Zeugen innerhalb dieses Komplexes nicht völlig ausräumen können bzw. teilweise sogar bestätigt. Jedoch liegen keine direkten Anhaltspunkte bzw. Beweise dafür vor, dass es sich um unübliche Verfahrensabläufe im Ministerium für Justiz und Gleichstellung und den ihm nachgeordneten Behörden gehandelt hat, die im Rahmen der gängigen Praxis bzw. innerhalb der üblich zu realisierenden Veränderungen beim Personal zu erheblichen Verzögerungen im Verfahren bzw. der Ermittlungen geführt oder gar die Ermittlungen in einem nicht unerheblichen Maße erschwert haben.

Folglich ist festzustellen, dass die Landesregierung, insbesondere das Ministerium für Justiz und Gleichstellung, keinen zielgerichteten Einfluss darauf genommen hat, um eine zügige und umfassende Aufklärung möglicher Fördermittelbetrugsfälle mittels einer unzureichenden personellen Ausstattung zu verhindern.

Dennoch bleibt anzuzweifeln, dass die Landesregierung, insbesondere das Ministerium für Justiz und Gleichstellung, alles getan hat, um mittels ausreichender personeller Ausstattung die Ermittlungen zügig und vor allem zeitnah abschließen zu können.
Ähnliches lässt sich für den Verantwortungsbereich des Ministeriums für Inneres und Sport - einschließlich des Landeskriminalamtes und der Ermittlungsgruppe „Sponsor“ - konstatieren.

Personalknappheit bestand seit jeher in jedem Ermittlungsverfahren. Jedoch aufgrund des durch die Landesregierung in den zurückliegenden Jahren praktizierten ersatzlosen Personalabbaus hatte sich die Personalsituation auch in den genannten Bereichen des Ministeriums für Inneres und Sport noch erheblich zugespitzt.
Dieser Zustand führte unweigerlich auch zu Abstrichen in der zu realisierenden Ermittlungsarbeit. Es wurde infolgedessen in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Schwerpunkte und Ermittlungsrichtungen festgelegt, nicht jedem Tatvorwurf bis ins Detail nachgegangen, Ressourcen gebündelt und an Hand dessen die notwendige
Ermittlungsarbeit durchgeführt.

Welche Schlussfolgerungen sind aus dem Fördermittelskandal zu ziehen, der übrigens kein Alleinstellungsmerkmal von Dessau war, sondern Firmen aus ganz Sachsen-Anhalt einsog, so dass schließlich sogar drei Ermittlergruppen gebildet werden mussten.

1.    Hinsichtlich des Einsatzes von öffentlichen Fördermitteln ist ein radikales Umsteuern erforderlich, Nachhaltigkeit und Messbarkeit der Ergebnisse sind dabei ins Zentrum zu rücken. Dabei sind mehr qualitative Indikatoren in den Mittelpunkt einzubeziehen, nicht nur BIP-Wachstum und Beschäftigtenquote.
2.    Die Förderung der Wirtschaft ist auf die Kriterien wie Transparenz, Innovation und Nachhaltigkeit auszurichten. Der schnelle Aufbau einer Fördermitteldatenbank zur Herstellung von Transparenz bei der Fördermittelvergabe ist voranzutreiben.
3.    Unumgänglich ist eine vorurteilsfreie Evaluierung der Förderpolitik, verbunden mit der Ausrichtung auf verbindliche Ziele: Schaffung und Sicherung „Guter Arbeit“, Gewährleistung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen sowie Erreichung eines sparsamen und ökonomischen Ressourcenverbrauchs als nachhaltiges Ziel.
4.    Die InteressenvertreterInnen der Beschäftigten (Betriebs- und Personalräte, GewerkschaftsvertreterInnen als Tarifpartner) sind in den gesamten Prozess von Vergabe, Kontrolle und Zielanalyse durchgängig einzubeziehen.
5.    Die bisherigen Kontrollmechanismen für Antragsüberprüfung, Zwischenauswertung oder Verwendungsnachweisprüfung sind nach verbindlichen Kriterien zu evaluieren. Es bedarf konkreter Mechanismen, die eine schnelle und wirksame Reaktion auf sich offenbarende Unregelmäßigkeiten oder Auffälligkeiten ermöglichen. Die vorhandenen personellen Ressourcen in den jeweiligen Fachabteilungen und Vergabestellen wie Landesverwaltungsamt oder Investitionsbank sind in diese Evaluation hinsichtlich der Quantität (notwendige Anzahl von Stellen) und der Qualität ihrer Arbeit einzubeziehen. Es bedarf konkreter Mechanismen, die eine schnelle und wirksame Reaktion auf sich offenbarende Unregelmäßigkeiten oder Auffälligkeiten ermöglichen.Notwendig sind klare und verbindliche Transparenzregeln, die den politisch und fachlich Verantwortlichen ebenso wie der Öffentlichkeit den Umgang mit öffentlicher Mittel nachvollziehbar machen.
6.    In allen Fachressorts sind jährlich Auswertungen hinsichtlich der Effektivität des Einsatzes von Fördermitteln bzw. der Auswertung von Antragsverfahren und Kontrollmechanismen zu realisieren.

Die 23 durchgeführten Sitzungen und die aus den Zeugenbefragungen und den vorgelegten Akten resultierenden Ergebnisse belegen, dass die Förderpolitik des Landes grundlegend neu und auf Ziele auszurichten ist, die den Interessen des Landes dienen. Es darf nicht länger darum gehen, nach formalen Kriterien möglichst viele Mittel möglichst schnell zu verteilen, es bedarf vielmehr einer verbindlichen Strategie für den Einsatz öffentlicher Fördermittel.