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Dr. Frank Thiel zu TOP 12: Zwei-Klassen-Streikrecht bedroht Tarifautonomie

Der Freistaat Bayern hat im Bundesrat den Entwurf einer Entschließung eingebracht, in der die Einschränkung des Streikrechtes im Bereich der Daseinsvorsorge gefordert wird.  Dieser Antrag ist bisher in den Ausschüssen des Bundesrates teilweise behandelt worden. Wir fordern aber eine zügige Ablehnung durch den Bundesrat. Das wäre ein wichtiges politisches Signal im Hinblick auf die Zukunft des Streikrechtes und der Tarifautonomie in Deutschland.

Worum geht es?

Ziel des eingebrachten Entschließungsentwurfs ist, dass für die Beschäftigten in öffentlichen Einrichtungen und in Betrieben der Daseinsvorsorge das Streikrecht in zwei Punkten ganz wesentlich beschränkt werden soll:

  1. Es darf nur noch, gestreikt werden, wenn „die Tarifparteien vor einem Tarifkonflikt eine Notdienstvereinbarung treffen und einen konkreten Streikfahrplan vorlegen.“ Aber, meine Damen und Herren, es ist nun mal so, ein Streik lebt vom Überraschungseffekt!
  2. Soll es nach Ansicht der bayrischen Staatsregierung vor jedem Streik eine „obligatorische Schlichtungen“ zwischen den Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerseite geben.


Mit diesen Maßnahmen schlägt Bayern gravierende Eingriffe in die Tarifpolitik der Gewerkschaften vor. Zum einen, weil die Schlichtung bislang nur auf freiwilliger Basis möglich ist und nun per Gesetz verordnet werden sollen. Zum anderen, weil über die Notdienstvereinbarung die Arbeitgeberseite einen Hebel in die Hand bekommen würde, Streiks zu verzögern oder zu blockieren. Es ist ein Eingriff in die Tarifautonomie und das gesetzlich garantierte Streikrecht. Damit hindert man vor allem die Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen eigenständig Entscheidungen über ihr weiteres Vorgehen in der Tarifrunde zu fällen. Damit wird Wirtschaftsdemokratie ganz wesentlich eingeschränkt.

Die Koalitionsfreiheit ist ein verfassungsrechtlich verbrieftes Grundrecht, das im Artikel 9 Absatz 3 GG genau geregelt ist: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“ Diese Aussage lässt eine Veränderung der bestehenden Regelungen - so wie von der bayerischen Staatsregierung gewollt - nicht zu.

Das Recht auf Streik ist ein wesentlicher Bestandteil der Umsetzung dieses Grundrechtes, ohne den Streik würde die Koalitionsfreiheit ins Leere laufen.
Das Menschenrecht und Doppelgrundrecht auf kollektive Organisation und Kollektivverhandlungen (in Deutschland „Tarifverhandlungen“) ist des Weiteren in der UN-Menschenrechtserklärung von 1946, in den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO C 87 und 98) wie auch in der EU-Grundrechtecharte und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert.

Das Streikrecht als wesentlicher Bestandteil der Koalitionsfreiheit ist auch im Art. 8 Absatz 1 d) der UN-Sozialcharta ausdrücklich verankert, „soweit es in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung ausgeübt wird.“ und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durch seine einschlägige Rechtsprechung  fixiert: „Aus diesem Kollektivrecht (Anmerkung: das Recht, Tarifverhandlungen mit den ArbeitgeberInnen führen zu können) muss auch ein Recht auf Streik folgen, da kollektive Arbeitnehmervereinigungen ohne ein Streikrecht keinerlei Möglichkeiten zur Verfügung stünden, ihre Forderungen durchzusetzen.“

Die bayerische Staatsregierung will damit massiv in dieses Grundrecht eingreifen.
Dabei kommt hier offenbar eine abgelegte Rechtsform aus der Zeit Weimarer Republik auf, die Zwangsschlichtung. Mit einem Zwang zur Schlichtung ohne Streik sowie mit der Verpflichtung zur Notdienstvereinbarung wird ein Macht- und Einflussgefälle zwischen den Sozialdialogpartnern geschaffen, das den lang erkämpften Rechten auf Koalitions- und Tarifverhandlungsfreiheit diametral entgegenläuft. Autonome Rechte der Gewerkschaften sollen von der Zustimmung der Arbeitgeberseite abhängig gemacht werden. Dabei wird jetzt schon mit so genannten Notdienstvereinbarungen, zum Beispiel in Krankenhäusern, verantwortungsbewusst umgegangen.

Für die tarifführenden Gewerkschaften ist das „plumpe Lobbypolitik für Konzerne“, die CSU verkaufe „dafür die Freiheit und die Interessen der Beschäftigten“, so Bayerns DGB-Chef Matthias Jena.

Die Kette scheint eine logische zu sein: Erst privatisiert der Staat wichtige Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge. Dann drängt man die Beschäftigten mit der Kostendiskussion aus bestehenden Tarifverträgen. Und schließlich will man diesen Beschäftigten auch noch das Recht zur Gegenwehr drastisch einschränken.
Gerade vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahrzehnten wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge vom Staat privatisiert wurden, ist es nicht hinnehmbar, dass nun Beschäftigten in diesen Bereichen das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen eingeschränkt werden sollen. Hier wiederholt sich erneut die Diskussion um Arbeitnehmerrecht, wie wir sie im vorigen Monat hier an gleicher Stelle geführt haben. Zur Erinnerung: Seit Anfang des Jahres läuft die aktive Umstrukturierung bei der Post AG, am Sitz jeder Niederlassung wurde eine sogenannte Delivery GmbH gegründet, wo Arbeitskräfte ausgelagert worden sind mit dem Ziel, zu Lasten der Beschäftigten die Unternehmensgewinne zu optimieren. Geködert wurde diese Verlagerung mit der Übernahme in unbefristete Verträge, allerdings perspektivisch mit 25-30% weniger Einkommen im Vergleich zu den Post-AG-Angestellten.

Der Streik ist in jeder Gewerkschaft das letzte Mittel zur Durchsetzung von Tarifinteressen. Jahrelang haben sich die Gewerkschaften auf die Gürtel-enger-schnallen-Politik eingelassen. Auch dadurch hinkt die Bezahlung in vielen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie z.B. in Kitas, Krankenhäuser, Feuerwehren, Polizei usw. der Lohnentwicklung hinterher.

Eine Beschlussfassung zum genannten Antrag im Bundesrat würde nur dazu führen, dass die Gewerkschaften und ihre Tarifauseinandersetzungsfähigkeit weiter geschwächt werden soll. Die tarifführenden Gewerkschaften würden nicht mehr selbständig, sondern nur mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgeberseite über den Umfang der Arbeitskampfmaßnahmen entscheiden können. Das hat nichts mehr mit Demokratie und selbständigen Entscheidungen der Arbeitnehmer zu tun. Da zitiere ich gern eine mir recht gut bekannte Gewerkschafterin: „Hände weg vom Streikrecht!“.

Wir fordern die Landesregierung daher auf, die Entschließung im Bundesrat abzulehnen. Dies wäre ein wichtiges politisches Signal im Hinblick auf die Zukunft des Streikrechtes und der Tarifautonomie sowie der Mitbestimmung und letztendlich Umsetzung der Wirtschaftsdemokratie in Unternehmen, gerade auch Sachsen-Anhalt.