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Dr. Frank Thiel zu TOP 06: Gute Arbeit- Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der Einkommen in Sachsen-Anhalt

Die SPD auf die Tagesordnung hat die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten erneut auf die Tagesordnung gesetzt, das ist gut so. Die Wirtschaftsentwicklung im Lande ist nichts Abstraktes oder Anonymes, diese wird von Menschen gestaltet, welche ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten Wissen und Können in diesen Prozess einbringen. Es ist auch kein neues Thema im Landtag, immer wieder wurde über Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten gesprochen, zum Thema Mindestlohn, zum Thema Mitbestimmung und erst gestern wieder zum Thema Tarifeinheit.

Deutschland hat endlich den Weg zur Einführung eines Mindestlohngesetzes gefunden. Wenn auch mit Ecken und Kanten, wurden doch Haltelinien eingebaut, wurde die Dumpingspirale nach unten abbremst und wo Existenzsicherung durch eigener Hände Arbeit eine neue Perspektive hat.  Bei aller Kritik an den Problemen, die mit dem Gesetz verbunden sind, sollte die Auseinandersetzung  um die künftige Entwicklung nicht vorrangig über die Nachweispflicht von Arbeitszeiten und wie kann ich den Mindestlohn am besten umgehen sondern vor allem darüber geführt werden, wie erzielen wir für alle Beschäftigten existenzsichernde und armutsfeste, einfach bessere Einkommen.

Vor kurzem veröffentlichte die  Presse Ergebnisse bei der Entwicklung der  Minijobs als Folge des Mindestlohnes in Deutschland. Bundesweit gingen diese Jobs um -3,5 % bisher zurück, in Sachsen-Anhalt am stärksten um -7,7 %. Gegenwärtig sind bei uns 96.000 Minijobber tätig, wir haben damit bundesweit aber auch die wenigsten pro 1.000 Einwohner. Die Entwicklungen sind unterschiedlich, in Industrie und Handel deutlich mehr als bei haushaltnahen Dienstleistungen und dem Gastgewerbe. Die Arbeit ist ja nicht weg, sie fällt nur nicht mehr in die Kategorie bis 450 Euro.

Dem Chef der Arbeitsagentur Sachsen-Anhalt /Thüringen Kay Senius ist nur zuzustimmen: Es findet eine Normalisierung der Arbeitsverhältnisse statt. Auch wenn die IHK Halle meint, Unternehmen wird damit die Flexibilität genommen, um Stoßzeiten zu bewältigen. Um Stoßzeiten abzufangen gibt es nach geltendem Arbeitsrecht noch genügend Möglichkeiten. Nur keine Bezahlung unter 8,50 Euro pro Stunde. Ist es „Gute Arbeit“, wenn ich auf Abruf meine „Ware Arbeitskraft“ zur Verfügung stellen muss? Wohl kaum.

Ernüchternd war auch die Zahl von 285.000 Beschäftigten, die vom Mindestlohn insgesamt profitieren. Ernüchternd deshalb, weil dieses Problem existenzsichernder und armutsfestere Einkommen etwa ein Viertel aller Beschäftigten in Sachsen-Anhalt betraf. Die lange Jahre betriebene Standortpolitik der Landesregierung mit der Werbung für weniger Tarifbindung und niedrigen Löhnen hat eine Wirkung entfacht, die kurzfristig kaum zu beseitigen ist.

Dazu kommen auch die Zahlen für prekäre Beschäftigung. 2013 betrug der Anteil der atypischen Beschäftigten in Sachsen-Anhalt 24,1 %, rechnet man noch die Teilzeitbeschäftigten über 20 Stunden dazu, sind es 34,4 % (absolut sind das 308.000 Beschäftigte in Sachsen-Anhalt à ein Drittel der abhängig Beschäftigten)

•    Im Vergleich 2000 betrug der Anteil der atypischen Beschäftigten 17,4% plus Teilzeitbeschäftigte über 20 Stunden (6,5%) ergibt 23,9%
•    Wir haben nach Mecklenburg-Vorpommern den zweithöchsten Wert beim Anteil der atypischen Beschäftigten
•    Mit Stand vom 30. Juni 2014 gab es in Sachsen-Anhalt 22.718 LeiharbeitnehmerInnen, was einem Anteil von 2,9 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten entspricht
•    Damit liegen wir im Mittelfeld der ostdeutschen Bundesländer (Sachsen 3,3 %, Thüringen 3,9 %, MV 1,8 %, Brandenburg 2,0 %)

Dazu kommt immer wieder die Frage: Ist Arbeit in Deutschland zu teuer? „Na klar“, höre ich schon wieder, „meine natürlich nicht, aber bei anderen“. Die Fakten sind jedoch eindeutig: Im Jahr 2014 zahlten die Arbeitgeber in Deutschland in der Privatwirtschaft auf 100 Euro Bruttoverdienst zusätzlich 28 Euro Lohnnebenkosten. Damit lagen laut den Statistikern die Lohnnebenkosten in Deutschland unter dem EU-Durchschnitt von 31 Euro. Im EU-weiten Vergleich befand sich Deutschland im Mittelfeld auf Rang 15. Und in den Ländern, die die Plätze 1-14 einnehmen, steht der wirtschaftliche Kollaps auch nicht bevor.

Postchef Frank Appel betonte erst kürzlich: Wir sind zu teuer, Arbeitskosten sind zu hoch Gleichzeitig verspricht er eine Gewinnzusage 3 Mrd. Euro für die Aktionäre Das ist das widersprüchliche in diesem System: Viele sollen für weniger Geld mehr Leistungen bringen, damit andere mit Geld ihr Geld vermehren.

Was versteht man eigentlich unter „Guter Arbeit“? Der DGB hat einen Index von 15 Indikatoren entwickelt, weil gute Arbeit nicht nur guter Lohn heißt. Dazu gehören unbefristete Arbeitsverträge, Gleiches Geld für gleiche Arbeit, auch zwischen den Geschlechtern, mit Mitbestimmung und Beteiligungsrechten am Wertschöpfungsprozess versehen, flexibel für Beschäftigte-nicht nur für Unternehmen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gerade weil Wissenschaft und Innovation in einer völlig neuen Qualität die  Produktivkraftentwicklung beeinflussen, ist soziale Sicherheit eine notwendige  Voraussetzung für die Bewältigung des sich rasant vollziehenden gesellschaftlichen Wandels, den die Wissensgesellschaft mit sich bringt.

Das betrifft beispielsweise die Anforderungen für ein höheres Maß an Flexibilität, an Mobilität, an Individualisierung oder an Kreativität. Die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft misst sich nicht an einem Weniger an sozialer Sicherheit, sondern im Gegenteil an einem Mehr an sozialer Sicherheit unter sich veränderten Bedingungen.
Doch wie sieht die Realität aus?

Stammbelegschaften werden mit Arbeitszeitverkürzungen, Werkverträgen und Leiharbeitern, Unternehmensschließungen u.a. unter Druck gesetzt. Unsicherheiten werden geschaffen, das die Beschäftigten dazu treibt entweder abzuducken oder wegzugehen. Das ist eines der zentralen wirtschaftspolitischen Probleme des Landes: gut ausgebildete Leute gehen weg, weil sie woanders bessere Arbeitsbedingungen haben.

Für ältere Arbeitnehmer in modernen Fertigungslinien wird es immer schwieriger, geeignete Arbeitsplätze zu finden, Leistungsdruck und Anforderungen werden immer höher.

Betriebsaufspaltungen finden statt um Mitbestimmung einzugrenzen, KMU-Status zu erhalten wegen Fördermittel oder um interne Unternehmen in einen inhouse- Wettbewerb zu drängen.

Der aktuelle DGB Index 2014 zeigt konkret 2 Fakten auf:
•    Fast 60% der Beschäftigten in D arbeiten länger als vereinbart
•    Fast 60% der Beschäftigten leisten unentgeltlich Überstunden

Die Arbeit hat sich verändert. Arbeitsbedingungen sind heute geprägt von Flexibilisierung, Digitalisierung und ständig neuen Leistungsanforderungen, mit zum Teil weitreichenden Die Folgen für die Beschäftigten: Arbeitsintensivierung, Zeitdruck, ständige Erreichbarkeit, Stress und Burn-out – Schlagwörter, die immer häufiger die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschreiben.

Deshalb ist Kollegen Steppuhn auch zuzustimmen, dass Beschäftigtenpolitik viel enger mit der Wirtschaftspolitik zu verknüpfen ist. Das betrifft nicht nur die inhaltliche Verzahnung, sondern in der Perspektive vielleicht auch die organisatorische.  Denn auf der einen Seite kann ich nicht nur über Wirtschaftswachstum reden, sondern muss gleichzeitig die Bedingungen beschreiben, unter denen es stattfindet. Gute Wirtschaftspolitik muss immer beide Seiten im Blick haben: diejenigen, die die Wertschöpfung organisieren und diejenigen, die sie leisten. Und Politik muss mit Widersprüchen dabei auch umgehen können.

Nicht vergessen sollten wir auch, dass gute Arbeit nicht nur Erwerbsarbeit bedeutet. Der Arbeitsbegriff ist unbedingt zu erweitern auf individuelle Tätigkeiten, die gesellschaftliche Relevanz haben, auf Familienarbeit und Kinderbetreuung, auf Pflege im persönlichen und familiären Umfeld, bei ehrenamtliche Arbeit in Vereinen und Organisationen oder kreativer Arbeit in Kunst und Kultur oder Wissenschaft und Bildung oder Sport. Ebenso gehören Arbeit für das Gemeinwesen oder öffentlich geförderte Beschäftigung dazu.

Deutschland 2015: Jobwunder, die Steuern sprudeln, die Wirtschaft boomt, es geht uns doch gut. Einige Beiträge in der Wirtschaftsdebatte der Mitteldeutschen Zeitung versuchen, diesen Eindruck zu vermitteln. Aber das Leben ist viel differenzierter und mit der Diskussion von Durchschnittswerten kommen wir auch nicht weiter.

All das sind Aufgaben, die vorrangig die Tarifpartner zu lösen haben, über deren Zustand und den Grad der Tarifbindung wir gerade gestern diskutiert haben.  Politik ist für den Zustand der Rahmenbedingungen verantwortlich, das heißt für entsprechende Gesetze und Verordnungen. Denn Kreativität auf ökonomischen, innovativen oder kulturellem Gebiet setzt ein besonderes Umfeld voraus, dass der anerkannte Regionalökonom Richard Florida (USA) in drei Teile gliedert: Talente, Technologie und Toleranz.  Standorte gewinnen an Innovationskraft und Dynamik, wenn kreatives Talent auf technologisches Wissen verbunden mit wirtschaftlicher Verwertung trifft.

Wir müssen die sich verändernde Arbeitswelt mit den dynamischen Lebensmodellen der Beschäftigten in Einklang bringen. Die damit verbundene Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer wieder neu zu diskutieren.

Wir müssen in einer von Renditezielen geprägten Arbeitswelt Beschäftigte vor zu hoher Belastung im Arbeitsprozess und unrealistischen Zielen schützen. Dazu gehören Regelungen zur Arbeitszeit,

Wir müssen gesundes Arbeiten bis zur Rente und nicht bis zum nächsten Geschäftsbericht sicherstellen. Dazu gehört beispielsweise ein Gesundheitsmanagement.

Wir in der Politik müssen das Bedürfnis der Beschäftigten nach einer humanen
Arbeitswelt in den Mittelpunkt stellen.
„Das muss drin sein“, oder?