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Dr. Frank Thiel zu TOP 04: Tarifautonomie stärken - Streikrecht verteidigen

Das Tarifeinheitsgesetz des Bundestages vom 22.Mai 2015 wird seinem Namen nicht gerecht. Weitere Zerschlagung von Gewerkschaften trifft es eher. Gewerkschaften sollen wieder zwangsvereinigt werden, während die Unternehmen weiter outsourcen und zergliedern, um genau das Gegenteil zu erreichen. Gewerkschaften, die nicht mehr handlungsfähig sind, die werden sich auflösen und die wenigsten Mitglieder werden sich einer tarifführenden Gewerkschaft anschließen. Dann so glaube ich, ist das wirkliche Ziel erreicht.

Die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer- ist im Grundgesetz der Bundesrepublik  Artikel 9  verfassungsrechtlich geschützt. Ich zitiere „Abs.3- Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig….“ Damit ist das Tarifeinheitsgesetz rechtswidrig, es ist eindeutig ein Eingriff der Politik in die Koalitionsfreiheit. Außerdem berührt die Nachweisführung, wie groß oder wie klein eine Gewerkschaft ist, eindeutig den Datenschutz.

Die Freigabe der Namen von Gewerkschaftsmitgliedern ist gesetzlich geschützt.  Ohne ausdrückliche Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers ist die Namensnennung unzulässig, weil die Gewerkschaftszugehörigkeit zu den besonders geschützten Daten eines Arbeitnehmers gehört. Das bedeutet, dass dem Arbeitgeber kein Fragerecht und dem Arbeitnehmer keine Offenbarungspflicht trifft. Auch eine notarielle Erklärung muss ohne Namensnennung auskommen. Es gibt dann auch keinen wirklichen Beweis der Größe einer Gewerkschaft.

Worum geht es wirklich?

Ja, die Tarifauseinandersetzungen haben in den vergangenen Monaten zugenommen.
Jeder der gut zu hört, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Beschäftigten sehr unzufrieden mit ihrer Einkommenssituation und ihren Arbeitsbedingungen sind.
Auch deshalb haben viele betroffene Eltern und Bahnfahrer Verständnis für diese Streiks. Sie sind zum Teil ja selbst in änderungswürdigen Arbeitsverhältnissen. Deshalb finde ich das Gejammer um die Nicht-Funktionsfähigkeit der Tarifeinheit  in Deutschland mehr als merkwürdig.

Die Ursache für die heutige Situation des Tarifgeschehens liegt in dem Bestreben der Arbeitgeber, die Ausgaben für Arbeitnehmer und deren Betriebsräte als Kostenfaktor ständig zu reduzieren. Während und nach Tarifabschlüssen wurde immer öfter mit der Verlagerung von Unternehmen gedroht und auch durchgeführt. Die vorrangige Aufgabe der Tarifautonomie ist darauf gerichtet, die Ausnutzung der Arbeitskraft zu unwürdigen Bedingungen und zu unzureichendem Lohn zu unterbinden. Das wollten die Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände systematisch verhindern. Deshalb beschlossen Arbeitgeberverbände für ihre Mitglieds- unternehmen, eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Obwohl diese Verbände Tarifpartner waren und sind.

Seit Mitte der 90iger Jahre gibt es das Bestreben der Arbeitgeber zum Abschluss von Tarifverträgen, die für eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern Tarifabschläge im Flächentarifvertrag möglich machten. Die Rechte der Gewerkschaften und ihrer Tarifpolitik wird seit Jahren von Bundespolitikern und Arbeitgeberverbänden angegriffen. Deshalb sehe ich das nun beschlossene Tarifeinheitsgesetz als erneuten Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften.

Die Streiksituation der GDL, die scheinbar dieses Gesetz notwendig gemacht hat, hat ihre Ursachen in dem ständigen Bestreben des Bahnvorstandes nach Reduzierung des Einflusses von Betriebsräten und Gewerkschaften in ihrem Unternehmen. Das ist typisch für viele Bereiche. Auch deshalb wurden größere Unternehmen zerlegt: ganze Werke, Unternehmensteile, Betriebe, Abteilungen, Bereiche, Forschung und Entwicklung u.a. ausgegliedert oder ins Ausland verlagert.

In Deutschland führte das zu enormen Personalabbau, Verkleinerung u. Reduzierung von Betriebsräten und Gewerkschaften. Die Angst der Arbeitnehmer wuchs, vielfältig wurden Abschlagslöhne, Zeitarbeit, Werkverträge, Scheinselbständigkeit und weitere Lohn- und einkommenssenkende Maßnahmen akzeptiert. Diese Angst führte auch dazu, dass die Streikbereitschaft sehr gering war, mit der Konsequenz, dass Entgelttarifverträge nicht mehr in der notwendigen Höhe abgeschlossen wurden.

Das führte letztendlich dazu, dass die Beschäftigten nach Möglichkeiten suchten, diesen Trend zu durchbrechen. Den Anfang machten u.a. die Mitglieder des Marburger Bundes für die Ärzte. Dann machten sich die  Lockführer aus der Tarifgemeinschaft selbständig. Aus ver.di die Flugkapitäne, das Sicherheitspersonal u.a., um mit ihren Möglichkeiten für bessere Einkommen zu streiten. Die gleichen Möglichkeiten hätten die vorherigen Tarifgemeinschaften aus meiner Sicht auch gehabt, haben sie aber nicht genutzt und verteidigt. Jetzt, wo das System für die Arbeitnehmer immer erfolgreicher wurde, kommt die SPD mit einem Gesetz, das die Gewerkschaften zwingen soll, dort weiter zu machen, wo sie nicht mehr wollten. Das Problem sind angeblich die konkurrierenden Gewerkschaften, gemeint ist, dass durch die Schlüsselposition von Spartengewerkschaften der Betriebsablauf so gestört wird, dass dieser zu besseren Tarifergebnissen führt.

Gewerkschaften wie die „christlichen“, die in der Vergangenheit für geringe Tarifverträge sorgten, waren bei Arbeitgebern immer gefragt. Aber nur so lange, bis die Spartengewerkschaften höhere Abschlüsse erreichten als die DGB Gewerkschaften.

So wurden Firmenveränderungen vom Handel in die Logistiksparte vorgenommen.

Erstes Beispiel: Otto Versand Haldensleben, vorher im Handelstarifvertrag und jetzt in Hermes Logistik, weil dieser Tarifvertrag billiger ist. Das, meine Damen und Herren, sind Unternehmensentscheidungen, die Arbeitnehmer nachdenken lassen.
Zweites Beispiel: Magdeburger Volksstimme – Ausgliederung der Druckerei bei laufendem Betrieb und Neueinstellung von Beschäftigung mit geringeren Löhnen,
Drittes Beispiel: Ausgliederung bei der DP AG in Delivery Logistik, befristete Arbeitnehmer wurden gelockt mit unbefristeten Arbeitsverträgen unter dem Posttarifvertrag.  

Das sind Aktionen, die hier in Sachsen-Anhalt stattfinden und die keiner sehen will.

Zur Art des Umgangs mit den Lockführern möchte ich noch ein paar Worte sagen. Einzelne Funktionäre zu beschimpfen und anzugreifen ist zwar schön für die Sündenbockfunktion, aber es ist falsch. Gewerkschaften handeln sehr demokratisch, soll heißen - ob gestreikt wird, wie lange, wann ein Streik fortgesetzt wird, wie hoch die Forderungen sind, welches Ergebnis akzeptiert wird, dass entscheiden die Mitglieder bzw. die aus den Unternehmen gewählten Tarifkommissionsmitglieder. Selbst wenn Kollege Weselsky nicht mehr gewollt hätte, dann hätte es einen anderen Verantwortlichen gegeben. Die Mitglieder bestimmen hier das Maß.

Tarifpolitik ist kein einfaches Geschäft. Es geht auch nicht nur um Einkommenserhöhungen sondern auch um eine systematische Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Das hohe Haus kann mit seiner Zustimmung zu diesem Antrag selbst zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der fast 1 Million Beschäftigten in Sachsen-Anhalt beitragen.
Eine starke Demokratie braucht ein starkes Streikrecht. Dass ausgerechnet die SPD ein Gesetz zur Schwächung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer beschließt, ist ein Zeichen für das Festhalten an der unsozialen Agenda-Politik. Statt tatsächlich die Tarifeinheit in den Unternehmen und die Mitbestimmung der Betriebsräte und Belegschaften zu fördern, soll ganz gezielt das Gegenteil erreicht werden. Die Arbeitgeberverbände und die Landesregierung fordern wir auf, ihren Worten endlich Taten folgen zu lassen und die Tarifbindung im Land zu stärken.