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Dr. Frank Thiel zu TOP 04: Digitalisierung – Herausforderungen und Chancen für Arbeit und Industrie 4.0

Wir wollen uns heute einem Thema zuwenden, dass gelegentlich in diversen Medienberichten oder in Fachkreisen – wie in der vorigen Woche am Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb  und -automatisierung IFF in Magdeburg  – abstrakt und konkret diskutiert wurde: Der Entwicklungsschub von Produktivkräften durch Digitalisierungsprozesse in der Volkswirtschaft.

War es zu Beginn eine relativ elitäre Diskussion auf der Bundesebene und in Fachverbänden, so beschreiben inzwischen Wissenschaftler, Politiker und Journalisten immer häufiger mögliche positive und negative Auswirkungen. Prof. Michael Schenk, Leiter vom Fraunhofer Institut Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in Magdeburg, erklärte bereits im Februar auf einer Tagung im Haus der Wirtschaft hier in Magdeburg: “Für den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt tun sich mit der Vernetzung von Produktionsabläufen der Industrie mit Informationstechnologie große Chancen auf. Die dürfen wir nicht liegen lassen. Wir haben leistungsfähige Wissenschaftseinrichtungen, die den Prozess aktiv mitgestalten können. Und wir haben die leistungsfähigen Industrie- und IT-Unternehmen, die hier Hand in Hand gehen können.“

Es sind also Prozesse im Gang, die jedoch nicht nur die großen, global agierenden Konzerne betreffen und um die wir uns auch keine besonders großen Sorgen in dieser Frage machen müssen. Sondern für uns ist die Fragestellung existenziell, inwieweit die einheimische kleinteilige Wirtschaftsstruktur vorausschauend auf diese Prozesse reagieren kann und worin der Ansatz für Politik in diesen komplexen Strukturen besteht.
Ohne Zweifel stellt die Digitalisierung eine Revolutionierung gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse dar. Sie hat heute schon wesentlich unsere Volkswirtschaft verändert, Wertschöpfungsketten grundlegend neu gestaltet und auf einer breiten Ebene auch Unternehmen in Sachsen-Anhalt beeinflusst.

Vor allem der Mittelstand in Sachsen-Anhalt steht vor großen Herausforderungen im Bereich der Umstellung der Produktion, der Energie- und Ressourceneffizienz, als Informations- und Kommunikationstechnologie-Nachfrager aber auch  IT-Anbieter.
Die Digitalisierung der Wirtschaft stellt eine Chance für einen leistungsfähigeren Produktions- und Innovationsstandort Sachsen-Anhalt dar, mit enormen Möglichkeiten im Bereich der Ressourcen- und Energieeffizienz, Investitionspotenzial für die Wirtschaft und einem hohen Potenzial für Innovationen. Hier gilt es anzusetzen.

Laut einer aktuellen Studie der Commerzbank von 2015 unter 4.000 Mittelständlern bundesweit erwartet ein Fünftel der befragten ostdeutschen Mittelständler, dass bisherige Geschäftsmodelle durch die digitale Entwicklung infrage gestellt werden. Ein Viertel der Befragten hat durchaus festgestellt, dass sich die Schlüsseltechnologien in ihren Branchen im Umbruch befinden, aber dass offenbar die eigene Befindlichkeit noch zu wenig berührt wird. Denn mehr als zwei Drittel sagen aus, dass dieses Thema bisher vernachlässigt wurde.

Dabei haben wir es im Wesentlichen mit  zwei unterschiedlichen Prozessen zu tun. Auf der einen Seite geht es um die Optimierung der organisatorischen Abläufe im Bereich des Service-Managements. Das betrifft Fragen der Kundenbetreuung bis hin zum Online-Wartungs-Service für bestimmte Produkte. Auf der anderen Seite stellt die wahrlich größere Herausforderung im gewerblichen Bereich die Neugestaltung der Wertschöpfungsketten dar. Produkt- und Servicevielfalt, differenziertere Kundenwünsche statt Massenproduktion, die direkte Kopplung von Entwicklung und Produktion in geschlossenen Kreisläufen sind Herausforderungen nicht erst in der Zukunft, sondern bereits jetzt. Neue Geschäftsmodelle halten zwar die befragten Mittelständler für denkbar, aber weiter ist man noch nicht gekommen.

Welche Schranken im Denken treten dabei auf? Das sind vorrangig natürlich der Bewertung von besseren Marktchancen, welche Produkte und Dienstleistungen werden künftig mehr und welche weniger nachgefragt. Weiterhin betrifft das Fragen der erforderlichen Investitionen. Wie können gerade kleine und mittelständische Unternehmen diese Herausforderung meistern? Wie können sie entsprechende Hard- und Softwareprodukte von anderen innovativen Unternehmen erwerben, um ihre eigenen Wertschöpfungsketten zu vertiefen?

Die erforderlichen Basistechnologien stehen schon heute in einer großen Anwendungsvielfalt zur Verfügung. Und vor allem die ganz entscheidende Frage, wie kann ich den Wettbewerb um die kreativen Köpfe gewinnen. Laut Landesregierung hat sich beispielsweise die Kreativwirtschaft in den letzten Jahren zu einer wichtigen Branche entwickelt, die sich auch durchaus mit etablierten Wirtschaftsbereichen messen lassen kann, hängt allerdings hinter der bundesdeutschen Entwicklung der Kreativwirtschaft hinterher. Positive Entwicklungszentren stellen in Sachsen-Anhalt die großen Städte Halle (Saale) und Magdeburg dar. Gerade Kreativität stellt besondere Ansprüche. Kreativität auf ökonomischen, technologischen-innovativen und künstlerischen-kulturellen Gebiet setzt ein besonderes Umfeld voraus, dass der anerkannte Regionalökonom Richard Florida (USA) in drei Teile gliedert: Talente, Technologie und Toleranz.  Standorte gewinnen an Innovationskraft und Dynamik, wenn kreatives Talent auf technologisches Wissen verbunden mit wirtschaftlicher Verwertung trifft.

Vor allem aber auch die Industrie in Sachsen-Anhalt könnte nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation aus dem Jahre 2014 von der Digitalisierung und der Vernetzung von Produktionsprozessen profitieren.
Die Nutzung technologischer Innovationen zur  Verbesserung bestehender Produktionsanlagen und -prozesse und die Erschließung neuer Geschäftsfelder und -modelle könnte eine Steigerung in der Effizienz und der Produktivität nach sich ziehen.  Allein die Bundesregierung will mehr als 200 Millionen Euro an Förderung bereitstellen. Allerdings haben da schon Unternehmen ihren Blick darauf geworfen, deren ureigenes Interesse darin bestehen sollte, aus eigener Kraft und ohne Subventionen innovative Prozesse in Gang zu setzen.

Allerdings stellt diese Digitalisierung gleichzeitig eine besondere Herausforderung für die Arbeitswelt und den Datenschutz dar, deren Prozess kritisch begleitet und gestaltet werden muss. Die Digitalisierung der Wirtschaft darf auch nicht einseitig aus dem Blickwinkel der Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden. Anpassungs- und Veränderungsprozesse im Unternehmen haben immer auch Auswirkungen auf deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. sind ohne diese gar nicht möglich.

Laut DGB kann die Digitalisierung von Arbeit einerseits zu mehr hochwertigen Arbeitsplätzen führen, die unter anderem dem Beschäftigten neue Handlungsspielräumen, mehr Beteiligung und Entfaltungsmöglichkeiten, hohe Eigenverantwortung, neuen Kooperationsformen und Kreativität bieten können. Digitales Arbeiten könnte zukünftig den Beschäftigten größere Freiheiten ermöglichen, die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Privat verbessern und die Beschäftigungsfähigkeit erhöhen. Andererseits gilt es auch, die Augen nicht vor den möglichen Risiken zu verschließen. So kann die Digitalisierung auch zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen, der Entwertung von Arbeit, neuen prekären Beschäftigungsformen sowie höheren neuen gesundheitlichen Belastungen führen. Auch ist der differenzierten sozialen Situation von Selbständigen besonders in diesem Bereich, aber auch insgesamt mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Digitalisierung führt damit auch unweigerlich zu einem hohen Anpassungs- und Innovationsdruck für Unternehmen und ihre Beschäftigten. Hier gilt es sowohl für Beschäftigte als auch Unternehmen die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um diesen Prozess zu nutzen und zu gestalten.

Durch die Digitalisierung ergeben sich neue Rechtsfragen, vor allem im Bereich Arbeitsrecht, Datensicherheit, Datenschutz, Urheberrecht und Vertragsrecht, die nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Vor allem die steigende Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, durch das Verschwimmen von Arbeits- und Freizeit, Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung und zunehmende Flexibilitätsanforderungen, bei ständiger Kontrolle führen in der Folge zu einer Zunahme von psychischer Erkrankungen.

Deshalb haben wir in unserem Antrag fünf Punkte formuliert, über die die Landesregierung den Landtag informieren sollte. Im Rahmen der Umsetzung der Regionalen Innovationsstrategie die Entwicklung von Anwendungen und Projekten im Bereich der „Digitalisierung der Wirtschaft- Wirtschaft 4.0“, vor allem im Teilbereich Energie- und Ressourceneffizienz aufzugreifen und dabei auch Maßnahmen der Daten- und IT-Sicherheit zu berücksichtigen. Bisher hat das in den Überlegungen zur regionalen Innovationsstrategie noch nicht die entscheidende Rolle gespielt. Und wir fordern dazu auf, im Bundesrat mit anderen Landesregierungen aktiv zu werden, um eine Anti-Stress-Verordnung gesetzlich einzuführen.

Und zugleich gilt es, auch die weiteren Rahmenbedingungen im Blick zu haben.
Die Digitalisierung von Wirtschaftsprozessen benötigt die entsprechende zukunftsfähige digitale Infrastruktur, die den rasant wachsenden Anforderungen an die Übertragungsraten des Breitbandes gerecht werden muss. Das derzeit vom Land festgelegte Ziel von flächendeckend 50 Mbit/s bis zum Jahr 2020 bleibt weit hinter den Anforderungen für eine Industrie 4.0 zurück.  Um alle Menschen zu erreichen, gehört ein flächendeckender glasfaserbasierter Breitbandausbau, wie die gesetzliche Sicherung der Netzneutralität und die Abschaffung der Störerhaftung zu einer Strategieplanung dazu.

Ein diskriminierungsfreier Zugang zum Netz und die diskriminierungsfreie Übertragung von Daten, eine Gleichbehandlung aller Daten unabhängig des Dienstes oder sonstiger Kriterien, ist gleichbedeutend mit uneingeschränktem Zugang zu Wissen und Information in unserer digitalen Gesellschaft. Die Freiheit des Netzes als Basis für soziale Teilhabeprozesse ist daher unbedingt sicherzustellen. Wir haben deshalb diesen Antrag gestellt, um die politische Debatte zu dieser neuen Herausforderung rechtzeitig anzustoßen. Politik sollte vorausschauend eigene Akzente setzen.