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Dr. Frank Thiel zu TOP 03: Solidarisch und entschlossen gegen Rassismus

Tröglitz, mein Nachbarort in meiner Heimatregion ist seit einiger Zeit deutschlandweit im Gespräch. Der Auslösepunkt ist Ihnen allen, denke ich mal, bekannt. Aber ein entscheidender Punkt wurde noch zu wenig diskutiert, nämlich das, was den Ortsbürgermeister bewegt hat. Warum ist es ihm nicht gelungen, eine schweigende Mehrheit dazu zu bringen, gegen Fremdenhass aufzutreten? Es gab seit November vorigen Jahres Initiativen, Unterstützungen vor Ort, eine Willkommenskultur zu entwickeln, aber es waren viel zu lange viel zu wenige, die sich daran beteiligt haben.

Und natürlich fehlte das Signal, seinem Nachbarn, seinem Vereinskameraden, seinem Arbeitskollegen zu signalisieren, ihm ins Gesicht zu sehen, der laut lärmend durch die Straße geht, und zu sagen: „So nicht!“ Hier ist politische Auseinandersetzung nicht anonym. Hier ist sie sehr konkret, weil man sich kennt. Das unterscheidet die Situation in solchen kleinen Orten durchaus von den größeren Demonstrationen in unseren Städten.

Man muss sich zwei Fragen stellen. Die erste Frage, die ich hier noch mal aufwerfen möchte, ist: Warum muss man eigentlich in unserer Gesellschaft so tief graben, um banale menschliche Grundzüge von Solidarität und Mitgefühl freizulegen? Das ist ein ernsthaftes Problem. Kollege Striegel sprach von Kälte; das hat sicherlich auch damit zu tun. Denn niemand flüchtet ohne Grund. Es gibt Angst, es wird aber auch mehr Mut geben, und das muss mit organisiert werden. Denn die Menschen flüchten, weil sie Hilfe brauchen.

Die zweite Frage ist - danach kann man über die Notwendigkeit sprechen -: Warum ist Migration, warum ist Zuwanderung für Sachsen -Anhalt so bedeutsam und so wichtig? Aber diese erste Frage sollte immer im Vordergrund stehen. Sie haben völlig Recht: Der anwachsende Rassismus hat auch Gegenbewegungen hervorgerufen. Das ist der durchaus positive Effekt. Aber sich in kleinen Orten öffentlich zu zeigen ist schwierig, vor allem dann, wenn man nicht Angst vor den Flüchtlingen hat, sondern vor den eigenen Nachbarn.  

Das wird weder durch Versammlungsrecht noch durch Erlasse und Gesetze geregelt. Denn der zerstochene Reifen, die zerschlagene Fensterscheibe, das Hakenkreuz an der Flüchtlingsunterkunft sind nicht während einer Versammlung passiert, sondern später in der Illegalität. Ich will das einmal so formulieren. Das ist das, was den Menschen vor Ort in Tröglitz Angst macht. Und ich glaube, da hat Tröglitz kein Alleinstellungsmerkmal. Das bewegt sicherlich viele Menschen in anderen Orten in unserem Land.

Ja, wir wollen eine Willkommenskultur, das ist sicherlich richtig. Aber ich stelle mir die Frage: Warum reichen unsere Programme eigentlich nicht aus? Es ist eine Menge gemacht worden in den letzten Jahren. Wir haben das Netzwerk für Demokratie und all diese Dinge. Wenn es aber dann einmal konkret wird, stellen wir auf einmal mit Entsetzen fest, irgendwo fehlt hier der Haken an der entsprechenden Stelle.

Am vergangenen Dienstag fand eine Beratung in Tröglitz statt. Auf einmal waren mehr als 60 Leute anwesend. Der Ministerpräsident hat teilgenommen, und es war sehr erfreulich festzustellen, dass es vor Ort eine ganze Menge von Ideen gab. Jetzt finden sich gewissermaßen die Menschen zusammen. Jetzt will man ein gemeinsames Signal setzen, um zu sagen: Willkommen, nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in Tröglitz. Alle waren aufgefordert, sich einzubringen. Es gab eine Menge von Vorschlägen, die da gekommen sind, angefangen bei einem Positionspapier, was man zur Einwohnerversammlung in der nächsten Woche machen würde. Die Kirchengemeinde hat Gesprächsangebote unterbreitet. Der Seniorenclub hat seine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Schulleiter haben über das Thema Integration der ausländischen Kinder gesprochen, weil es ein großes Problem ist.

Das habe ich auch in Tröglitz noch einmal gesagt: Man hat nicht nur Angst vor den Fremden, die zu uns kommen. Auch die Fremden haben vor uns Angst und davor, in Deutschland zu leben. Das darf man auch nicht vergessen. Landrat Ulrich hat tatsächlich vor Ort mit einer Menge von Akteuren gemeinsam versucht, die Dinge so auf den Weg zu bringen, dass sich da eine breite Willkommenskultur entwickeln kann. Ein Vorschlag, der gebracht worden ist, ist, einfach einmal in der tagtäglichen Begegnung ein Willkommenslächeln zu zeigen, wenn man auf einen ausländischen Mitbürger trifft. Das sind die vielen, vielen einfachen Dinge. Das ist angesprochen worden.

Mir hat am besten gefallen, was der Vorsitzende des Sportvereins in Tröglitz gesagt hat: Wir wollen eine Initiative starten, das ist im Vorstand so besprochen, und zwar ein 1 : 0 für das Willkommen organisieren. Das ist wirklich ein wichtiges Signal. Deswegen geht es in unserem Antrag nicht alleine um einen verbesserten Schutz für Ehrenamtliche, sondern es geht auch um das Engagement für mehr Zivilcourage. Da ist noch eine Menge zu tun. Wie gesagt, Herr Minister Stahlknecht, mit dem Versammlungsrecht alleine kann man das Problem nicht lösen. Hierbei müssen wir viel tiefgründiger anpacken.