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Dr. Frank Thiel zu TOP 03: Fördermittel sind keine Wahlkampfmittel

Mit unserem heutigen Antrag wollen wir unser Parlament nicht nur auf die Mittel und Methoden des laufenden Wahlkampfes einstellen, sondern auch den Versuch unternehmen, die viel zitierte Fairness auf den Prüfstand der Realität zu stellen.
Wahlkampfthemen auf parlamentarischen Weg aufzurufen, ist eigentlich verpönt, obwohl uns gemeinsam in den letzten Wochen immer wieder mal der Zwischenruf „Wahlkampf, Wahlkampf“ erreichte. Aber es ist nun eine unbestrittene Tatsache, dass wir mittendrin sind. Und gerade deshalb scheint es uns angebracht, diesen Antrag hier und heute zu diskutieren und auch darüber abzustimmen, ohne irgendwelche Ausschusssitzungen unnötig zu verlängern.

Was ist der Anlass? In den letzten Wochen und Monaten konnten wir feststellen, dass in den unterschiedlichsten Ministeriumsbereichen die Welle der Fördermittelbescheide im Anschwellen ist. Früher sagte man auch, beispielsweise im 13. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, es entsteht ein Stau. Nach wie vor häufen sich Beschwerden, dass auch bewilligte Bescheide, besonders dort, wo es Vereinbarungen gibt, ihren Weg zum Empfänger mit der Auszahlung der Gelder nicht finden. Muss man auf die gute Tante oder den guten Onkel Minister warten, damit zu einem geeigneten Termin in persönlicher Anwesenheit gewichtiger Personen und medienwirksam das Füllhorn ausgeschüttet werden kann?

Meine Kollegin Dr. Paschke hat in der letzten Landtagssitzung mit einer kleinen Anfrage, offensichtlich aber mit großer Wirkung, die Problemlösung angefragt.  Vom antwortgebenden Minister Bischof wurde umgehende Information zugesagt, auch die Weitergabe der durch die Ministerien aufgelisteten  Problemfälle. Das war am 16. Oktober 2015. Wir warten immer noch darauf. Umso empörender ist die Tatsache, dass bis heute bereits bestätigte Fördermittelzusagen aus fadenscheinigen Gründen zurückbehalten werden. Es lässt nur die Schlussfolgerung zu, sie sollen als Wahlkampfmittel unter Verletzung des Neutralitätsgebotes der Landesregierung in den letzten Wochen vor der Wahl eingesetzt werden. Wenn es auch vielfach einen Anspruch auf Fördermittel nicht gibt, so ist dieses Merkmal noch lange kein Freibrief, nach Gutdünken oder von besonderen Gunsterweisungen abhängig diese zu verteilen.

Weder das Grundgesetz noch die Verfassung unseres Landes verbieten Regierungshandeln in der Öffentlichkeit im zeitlichen Zusammenhang mit einem Termin zur Landtagswahl. Sie sehen also kein generelles Verbot vor.  Zur rechtlichen Bewertung von Aktivitäten eines Mitglieds der Landesregierung, die auf eine Außenwirkung gegenüber dem Bürger abzielen, muss daher die bundesverfassungsgerichtliche Grundsatzentscheidung von 1977 herangezogen werden. Diese lautet, dass es einer Regierung möglich sein muss, über ihre Entscheidungen und Maßnahmen zur Ermöglichung einer verantwortlichen Teilhabe des Bürgers an der politischen Willensbildung im Wege einer Öffentlichkeitsarbeit zu informieren. Nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr.

Den Gegenpol zu diesen Rechten bilden die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Schranken, nämlich das Neutralitätsgebot als Ausfluss des Demokratieprinzips einerseits sowie der Grundsatz der Chancengleichheit  andererseits. Insofern ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass es nicht Aufgabe der Regierung sein kann, in den Parteienwettbewerb und die Wahlen einzugreifen.

Es obliegt ausschließlich den Parteien, der Regierung für die kommende Legislaturperiode eine Basis zu schaffen. Die Regierung selbst hat diese Auseinandersetzung im Hinblick auf das strikte Verfassungsgebot der Neutralität und Nichtintervention nicht zu führen. Dem zuwiderlaufendes, auf Wahlbeeinflussung gerichtetes parteiisches Einwirken von Staatsorganen zugunsten oder zulasten am Wahlkampf beteiligter politischer Parteien oder Bewerber verletzt nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts das Schutzgut der Freiheit der Willensbildung des Volkes und damit das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz.

Dabei ist wichtig festzuhalten, dass die Landesregierung grundsätzlich in der gesamten Legislaturperiode dem Neutralitätsgebot unterliegt und nicht nur im Wahlkampf. Jedoch, umso näher ein Wahltermin rückt, umso enger ist dieses Neutralitätsgebot auszulegen.

Das Bundesverfassungsgericht bejahte in seinem Grundsatzurteil von 1977 die Frage, ob die Bundestagswahl 1976 durch die als Öffentlichkeitsarbeit bezeichnete Kampagne mit Anzeigen in Zeitungen und Bilanzbroschüren der damaligen Bundesregierung beeinflusst wurde. Gleichzeitig wurde durch das Gericht die überragende Wichtigkeit des im Grundgesetz verankerten Grundsatzes von freien und unabhängigen Wahlen für die Demokratie festgestellt. Die Wählerin und der Wähler sollten sich frei und offen und unbeeinflusst durch Staatsorgane ihre eigene Meinung bilden können.

Gleichfalls ergibt sich aus Art. 21 Absatz 1 GG der Anspruch auf Chancengleichheit aller demokratischen Parteien bezüglich der Rahmenbedingungen, Wahlwerbung zu betreiben. Laut einem Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes Brandenburg,
bedeutet dies, dass eine am Wahlkampf beteiligte politische Partei nicht
durch das Einwirken von Staatsorganen besser oder schlechter gestellt werden darf.

Wie bereits erwähnt, gelten sowohl das Neutralitätsgebot als auch das Gebot der Chancengleichheit für die gesamte Wahlperiode, allerdings ist laut dem genannten Gutachten aus Brandenburg mit Herannahen des Wahltermins von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der wahlbeeinflussenden Wirkung parteigreifender Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit auszugehen, an deren Neutralität dementsprechend zunehmend höhere Anforderungen zu stellen sind. Es ist bei uns und auch in anderen Bundesländern gelebte Praxis, den Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl als Vorwahlzeitraum zu betrachten und die 6 Wochen vor der Wahl als sogenannte „heiße Phase“ des Wahlkampfs.

Des Weiteren wurde durch verschiedene Landesverfassungsgerichtsurteile bspw. aus dem Saarland oder Bremen festgestellt, dass beim Begriff Öffentlichkeitsarbeit neben publizistischen Erzeugnissen auch regierungsamtlich organisierte, an die Öffentlichkeit gerichtete Veranstaltungen als Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen sind.

Gerade in den letzten Wochen hat sich wieder gezeigt, dass ein enormer Abflussstau bei den Europäischen Strukturfonds entstanden ist. Wie ein solcher Abfluss- oder Antragsstau von der Landesregierung in der Vergangenheit aufgelöst wurde, damit beschäftigt sich unter anderem ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss.

Meine Fraktion ist der Meinung, dass gerade vor dem Hintergrund zweier laufender Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu eventuellen Unkorrektheiten bei Fördermittelvergaben es dringend notwendig ist, auch nur den Anschein einer Einflussnahme durch die Landesregierung zu vermeiden, um keinen weiteren Imageschaden für das Land zu verursachen. So soll gerade die Landesregierung im Zeitraum von fünf Monaten vor der Wahl die öffentlichkeitswirksame Übergabe von Zuwendungsbescheiden, die Veröffentlichung von Bilanzbroschüren oder ähnlichen Publikationen unterlassen.

Deshalb haben wir in unserem Antrag vier Forderungen artikuliert, die der Landtag der Landesregierung als Verhaltenskodex für die Wahlkampfzeit auferlegen sollte. Das gilt nicht nur für die sogenannte heiße Phase von 6 Wochen vor Wahltermin, sondern auch für den Vorwahlkampf, der mit ca. 5 Monaten vor Wahltermin charakterisiert wird, also wir sind da schon mittendrin.

Erstens geht es darum, die Öffentlichkeitsarbeit auf informierende und neutrale Maßnahmen zu beschränken, sofern diese aus akuten Änderungen von Rechtslagen erforderlich sein sollten. Damit ist zu verstehen, dass vor allem die Darstellung der eigenen Erfolge, des Regierungshandelns in den letzten Jahren sowie auch die Charakterisierung von Vorhaben für die nächsten Jahre zu unterlassen ist. Das betrifft übrigens auch die Darstellungen der Aktivtäten der Landesregierung im Internet und auch in den sozialen Netzwerken.

Wir sind uns der Brisanz einer solchen Forderung schon bewusst, aber wir spüren die Neigung der Landesregierung sich durch Workshops, Image-Kampagnen und ähnlichen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit präsentieren zu wollen. Erinnert sei nur die unter der Leitung des Ministerpräsidenten vorgestern vorgestellte Kampagne „Karriere im eigenen Land“, wo es um die Suche nach Unternehmensnachfolgern ging. Gemeinsam mit den IHK und Handwerkskammern ging es darum, eine bereits seit fast 10 Jahren laufende richtige und gute Aktivität einen regierungsamtlichen Anstrich zu verpassen. Ein Teilnehmer bemerkte lakonisch auf die Frage, woher denn die plötzlich entdeckte direkte Kooperation der Kammern mit dem Ministerpräsidenten käme, er bringe schließlich das notwendige Geld dafür mit. Ein Schelm, wer Uneigennütziges vier Monate vor der Landtagswahl unterstellt.

Zweitens fordern wir die Landesregierung auf, die öffentlichkeitswirksame Übergabe von Bescheiden über die Bereitstellung von staatlichen Fördermitteln jeglicher Art durch Minister und Staatssekretäre sowie leitende Beamte im Beisein von Landtagsabgeordneten oder Bewerbern zur Landtagswahl einzustellen. Wir wissen um den Reiz, in den nächsten Monaten und Wochen Kommunen, Vereine, Verbände oder auch Unternehmen mit fest zugesagten Mitteln endlich versorgen zu können. Das stellt das Macher-Image heraus, zu zeigen, hier sind die richtigen Leute am Wirken.

Allerdings wird damit die Grenze im Hinblick auf das strikte Verfassungsgebot der Neutralität und Nichtintervention mehr als deutlich überschritten. Denn auf Wahlbeeinflussung gerichtetes parteiisches Einwirken von Staatsorganen zugunsten oder zulasten am Wahlkampf beteiligter politischer Parteien oder Bewerber verletzt nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts das Schutzgut der Freiheit der Willensbildung des Volkes und damit das Demokratieprinzip. Das muss in diesem Haus einmal deutlich gesagt werden.

Eine dritte Forderung betrifft die Unterlassung von Anzeigenschaltung oder Bezahlung von redaktionellen Beiträgen in regionalen und überregionalen Medien sowie die Gestaltung von Beilagen. Das gilt übrigens auch für Aktivitäten durch nachgeordnete und landeseigene Gesellschaften mit Mehrheitsbeteiligung. Auch wenn beispielsweise Medienpartnerschaften wie für Radio SAW in der Vergangenheit oder neuerdings mit Radio Brocken bei der Kampagne „Karriere im eigenen Land“ - gestartet vorgestern – und offenbar wieder von der Investitionsbank finanziert werden, damit sind die Grenzen im Wahlkampf eindeutig überschritten.

Allerdings meine Damen und Herren, vor allem von der Regierung, das soll nicht bedeuten, dass nun bis zum Wahltag überhaupt keine Fördermittelbescheide ausgegeben werden sollen. Deshalb unsere vierte Forderung in diesem Kontext, dass natürlich die Antragsverfahren zur Bereitstellung von Fördermitteln sowie die Übersendung von Zuwendungsbescheiden im normalen Verwaltungsverfahren zu realisieren sind. Schließlich geht es darum, den erforderlichen Abfluss der finanziellen Mittel entsprechend dem beschlossenen Landeshaushalt zu gewährleisten. Und den meisten Fördermittelempfängern ist  der wohlmeinende Händedruck, der Spatenstich oder Bandschnitt sicherlich egal, Hauptsache, das geplante Vorhaben kann umgesetzt werden. Es ist schließlich unser aller Steuergeld, auch das der Fördermittelempfänger.

Wir wissen, dass sind unbequeme Forderungen und sie tun richtig weh, weil in dieser Deutlichkeit sie bisher noch nicht formuliert worden sind. Aber wenn Chancengleichheit in der Überzeugungskraft politischer Programme gegenüber den Wählerinnen und Wählern gewährleistet werden soll, ist diese Form der Neutralität im Regierungshandeln einzufordern.

Es ist sicherlich nicht einfach, diese Forderungen zu kontrollieren. Und der Appell an einen solchen Codex könnte immer wieder verführerisch sein, ihn zu vergessen. Hier können wir nur den Landesrechnungshof und die Öffentlichkeit bitten, genauer hinzuschauen, dass der Landtagswahlkampf 2016 in Sachsen-Anhalt ein wirklich fairer ist. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.