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Dr. Frank Thiel zu TOP 02: TTIP: Beteiligung am öffentlichen Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission - Investor-State Dispute Settlement verhindern

In Fortsetzung unserer Diskussion vom März dieses Jahres möchten wir im Landtag die weitere vertiefte Debatte zum Freihandelsabkommen EU-USA anregen. Es ist ein Thema, dass gerade in der Gegenwart in der Öffentlichkeit ein breites Interesse findet, sowohl in den Talk-Runden europäischer Spitzenpolitiker als auch in den Satire-Shows im deutschen Fernsehen. Wie bereits im März festgestellt, hat die Europäische Kommission aufgrund der internationalen Proteste in den Verhandlungsverlauf  eine öffentliche Konsultationsmöglichkeit zum umstrittenen Investitionsschutzabkommen eröffnet.

Auch wenn sich Wirtschaftsminister Gabriel wundert, dass hunderttausende Unterschriften gegen etwas gesammelt worden sind, was es noch gar nicht gibt: wann soll man denn sonst seinen Protest artikulieren? Wenn das Abkommen ausgehandelt und beschlossen ist? Eine seltsame Vorstellung von öffentlichem Veto. Das ist so, als sollte man bei uns im Land, warten bis Grundschulen geschlossen sind oder der Schlachthof Bernburg gebaut ist, bevor man dagegen seine Unterschrift geben kann. Der Bürger ist halt mündiger als mancher Politiker glaubt.

Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass der Landtag ein klares Signal setzt, sich an diesen öffentlichen Diskussionen zu beteiligen und die Landesregierung aufzufordern, ihren Standpunkt jetzt offen und nicht abwartend darzulegen.

Es ist doch unbestritten, dass Investitionen in der Wirtschaft, egal ob von ausländischen oder inländischen Unternehmen Triebkraft für wirtschaftliches Wachstum sind. Das heißt aber dennoch nicht, dass Unternehmen im luftleeren Raum agieren und sich nicht an Rechtsordnungen zu halten hätten. Deshalb stellen wir in unserem ersten Antragspunkt fest, dieses Investor-State Dispute Settlement (ISDS) ursprünglich als Notinstrument eingeführt wurde, wenn in Ländern kein Rechtssystem mit unabhängigen Gerichten zur Verfügung stand oder keine Gesetze zum Schutz der Enteignung in Kraft waren. Der Landtag beurteilt die bestehenden Rechtssysteme in den OECD-Ländern durchweg als ausreichend, um im Konfliktfall die Rechte von ausländischen Investoren zu wahren und die notwendige Güterabwägung zwischen öffentlichem Interesse und Investoreninteresse vorzunehmen.

Und wir fordern zweitens in unserem Antrag, dass ausländischen Investoren andere Rechtswege eröffnet werden, als sie Investoren aus den EU-Staaten zur Verfügung stehen.

Auch deshalb lehnen wir ein Abkommen ab, das die Entscheidungs-, Organisations- und Selbstverwaltungshoheit der Parlamente der EU- Mitgliedstaaten, von Ländern (Regionen) und Kommunen, wie sie durch das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union gesichert ist, direkt oder indirekt einschränkt. Die Parlamente und Selbstverwaltungskörperschaften müssen ihre Rechte im Rahmen der Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaates auch in Zukunft wahrnehmen können.

In meiner Rede im März zum TTIP hatte ich die Fakten benannt: Bis Ende 2012 waren 514 Verfahren bekannt, in 60 % der Fälle wurden Staaten von drei Richtern zum Schadenersatz verklagt, in Millionenhöhe. 2013 sind weitere 58 Fälle hinzugekommen, der größte Teil nicht in den Ländern Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas, sondern es waren Klagen gegen Länder in der europäischen Union!
Aufgrund des Investitionsschutzregimes können Gaststaaten alleine durch die Androhung von Prozessen von staatlicher Regulierung abgehalten werden (“chilling effect”). Wird eine Klage anhängig, lassen sich Gaststaaten häufig auf einen Vergleich ein, der die Rücknahme der Regulierungen beinhaltet, aus Angst am Ende einen hohen Schadensersatz zahlen zu müssen. So können (transnationale) Unternehmen die Souveränität und demokratische Gestaltungsmacht ganzer Nationen beschränken.

Oder soll sich das bewahrheiten, was Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche in seinem Blog-Kommentar am 10. Mai 2014 schrieb: „Auch das Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen des Freihandels, das Investitionen vor willkürlichen Gesetzesänderungen schützen soll, bewahrt die Deutschen und ihre Direktinvestitionen von sagenhaften 1,196 Billionen Euro rund um den Globus vor dem Zugriff gieriger Politiker. Auch Deutschland hat vergessen, dass Investitionen, die auf Jahrzehnte angelegt sind, vor dem willkürlichen Zugriff der Politik geschützt werden müssen, weil Investoren eines brauchen: langfristig stabile Rahmenbedingungen.“

Politik also ist der einzig schuldige an wirtschaftlichen Miseren und entgangenen Gewinnen, gierige Politiker, eine interessante Wortwahl, um ein Abkommen zu begründen, dass Politiker auch noch absegnen sollen. Und gerade weil es um Klagen in Millionen bzw. Milliardenhöhen geht stellen wir in Punkt drei und vier unseres Antrages fest, dass der Landtag mit Sorge die möglichen haushälterischen Belastungen für EU, Bund und Länder sieht, die sich aus ISDS-Klagen ergeben könnten, insbesondere, da Schadensersatzzahlungen durch Kürzungen in anderen Ausgabenbereichen wie unter anderem der Strukturförderung zu kompensieren wären. Und zu betonen ist die Souveränität von Staaten und die Pflicht und Verantwortung ihrer demokratisch gewählten Regierungen und Parlamente, zum Wohle der Bevölkerung das Recht zur Gesetzgebung auszuüben.  „Gierige Politiker“, was müssen wir uns noch alles anhören!

Wenn man sich jedoch die bisherigen internationalen Praktiken anschaut, wird der Begriff „Gier“ vielleicht deutlicher definiert. Ein schwerwiegendes Problem sind zudem die intransparenten Streitschlichtungsmechanismen. Sie sind meist überteuert und garantieren keine richterliche Unabhängigkeit. Weder Parlamente noch Zivilgesellschaft erhalten in der Regel Informationen zu Prozess, Inhalt und Ergebnissen der Schiedsverfahren. Der Ausgang der Verfahren ist unvorhersehbar, da keine einheitliche Rechtsprechung vorliegt. Die Zusammensetzung der Gerichte erfolgt willkürlich. Darüber hinaus hat ein Staat nach einem getroffenen Urteil eines Schiedsgerichtes bisher keine Möglichkeit auf Berufung.

Insbesondere für Entwicklungsländer bedeuten die Klagen und oftmals damit einhergehenden Schadensersatzforderungen eine sehr hohe finanzielle Bürde.
Festgeschriebenen Schutzstandards für InvestorInnen sind meist sehr vage formuliert. Das führt dazu, dass der Auslegungsspielraum, den die Schiedsgerichte haben, sehr groß ist und die Entscheidung häufig zugunsten der Unternehmen fällt. Ein Beispiel hierfür liefern Enteignungsregeln in Investitionsabkommen, die eine Sozialbindung des Eigentums nicht kennen. Das hat zur Folge, dass Politikmaßnahmen im öffentlichen Interesse als schleichende Enteignung interpretiert werden können

Natürlich kann solchen Dingen durch nationale Gesetzgebungen vorgebeugt werden.
Menschenrechtsklauseln sowie Umwelt- und Sozialstandards müssten „universelle Güter“ werden, so dass sie den Schadensersatzforderungen von Investoren entgegenstehen. Dies ließe zu, dass der Staat bei einer Klage durch ein Unternehmen vor einem Gericht eigene Ansprüche z.B. wegen Verstößen gegen Menschenrechte vorbringen kann und das Schiedsgericht diese zwingend zu berücksichtigen hat.

Der nationale Rechtsweg muss grundsätzlich beschritten werden. Investoren können bei Unzumutbarkeit und Verfahrensverschleppung Ausnahmen beantragen, die langfristig von einem neu zu schaffenden internationalen Investitionsgericht überprüft werden.

Es müssen nicht nur Investorenrechte, sondern auch –pflichten in Investitionsschutzabkommen aufgenommen werden. So sollen Unternehmen von Staaten, Einzelpersonen oder Gruppen unter den gleichen Voraussetzungen vor Gerichten auf Schadensersatz verklagt werden können, wenn sie gegen im Abkommen verankerte Investorenpflichten oder international vereinbarte Menschenrechts-, Sozial- oder Umweltstandards verstoßen.
Die momentan sehr undurchsichtigen Schiedsgerichtsverfahren müssen transparenter werden. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, welche völkerrechtlichen Streitigkeiten zwischen Unternehmen und einem Staat bestehen und wie entschieden wird. So sollten unabhängig von dem Willen der Streitparteien alle relevanten Informationen, z.B. die Klageschrift unter Wahrung grundlegender Geschäftsgeheimnisse, der Verhandlungsstand, Gutachten und die Höhe der Schadensersatzforderungen veröffentlicht werden.

Die Durchsetzbarkeit der Höhe der Schadensersatzleistungen muss begrenzt werden, abhängig von der Wirtschaftskraft des Gaststaates.
Außerdem könnte man Investor-Staat-Klagen ganz aus internationalen Investitionsverträgen heraus nehmen. Von anerkannten Organisationen wie der UNCTAD wurden bereits Alternativen wie Mediation und Prävention von Streitfällen erarbeitet.

Nun wird man sagen, abwarten und Tee trinken, wird doch vielleicht nicht alles so heiß gegessen, wie das Hühnerfleisch, dass von den TTIP-Befürwortern in Chlorbrühe gekocht wird. Ergo, „Unsere Regierung passt schon auf.“
Hier die Fakten: mit Datum vom 16. April 2014 hat das Europäische Parlament  ein Sonderklagerecht für Investoren in EU-Abkommen ermöglicht. Damit wurde wenige Tage nach Eröffnung des Konsultationsverfahrens der Kommission gegen die Stimmen der Linksfraktionen und der Grünen eine Verordnung beschlossen, die das Verfahren bei künftigen Klagen von Konzernen gegen neue Gesetze der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten regelt. Somit wurden schon mal in der alten Besetzung bei den Mehrheiten Tatsachen geschaffen Diese neue Verordnung regelt, ob Mitgliedstaaten oder die Kommission in einem Verfahren als Beklagte auftreten und wer für die Kosten der Schadensersatzansprüche aufkommt. Sie gibt übrigens bereits jetzt schon der Kommission  das Recht, die Mitgliedsstaaten unter Umständen anzuweisen, einen Vergleich zu akzeptieren. Summa, summarum: die Kommission drängte noch vor den Europawahlen auf ein Ergebnis, da die Verordnung die Voraussetzung ist, um in aktuellen Verhandlungen über Freihandelsabkommen ein Investorenschutzkapitel mit ISDS festzuschreiben. Soviel zu den Wunschträumen: „Kommission und Regierungen werden das schon richten.“

Deshalb haben wir in Punkt 5 und 6 unseres Antrages einen klaren Auftrag an die Landesregierung formuliert, Handelsvereinbarungen mit solchen Investitionsschutzabkommen im Bundesrat abzulehnen und dieses auch im öffentlichen Konsultationsverfahren zu bekunden sowie den Landtag über ihre Stellungnahme dazu zu informieren.

Die Privatisierung rechtlicher Streitentscheidungen bei Gemeinwohlinteressen ist mit dem Rechtsstaatprinzip nicht vereinbar. Auch wird damit die Möglichkeit staatlicher Regulierung im Gemeinwohlinteresse eingeschränkt.
Und ich wiederhole meine Aussage zur generellen Kritik am geplanten Freihandelsabkommen EU-USA aus der letzten Landtagssitzung:
Wieso soll die Hauptfrage, wie wollen wir künftig leben, was wollen wir künftig konsumieren und unter welchen Bedingungen sollen unsere Produkte hergestellt werden, durch das TTIP nur noch auf die Definition marktfähiger Produkte und Dienstleistungen reduziert werden? Und das Investitionsschutzabkommen soll dazu die Begleitmusik spielen.

Deshalb bleibt für uns das Verhältnis zum TTIP und den dazugehörigen Verhandlungen eines der zentralen Themen für die Europawahl am 25. Mai dieses Jahres. Und wir wissen aus Erfahrung, es wird damit nicht beendet sein, im Gegenteil. Freuen Sie sich schon auf weitere Debatten zum Wohle des Landes Sachsen-Anhalt und seiner Bürgerinnen und Bürger. Zum vorliegenden Alternativantrag werde ich mich äußern, wenn ich die Argumente für den Text gehört habe, insbesondere was das unbegrenzte Vertrauen in die jetzige Bundesregierung betrifft.