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Henriette Quade zu TOP 3: Aktuelle Debatte

Sehr geehrte Damen und Herren,

was die extrem rechte AfD will, hat nicht nur mittlerweile auch der Verfassungsschutz verstanden es liegt auch auf der Hand: Die Spaltung der Gesellschaft, die rechtliche und gesellschaftliche Einteilung in ein völkisches „Die“ und „Wir“ und die Entrechtung von Geflüchteten und Asylsuchenden. Das wäre für sich genommen problematisch genug, weil rassistische Worte rassistische Taten befeuern, weil Menschenrechte teilbar gemacht werden sollen, weil es himmelschreiend ungerecht ist und zugleich kein einziges real existierendes gesellschaftliches Problem löst.

Das eigentliche Problem aber: Sie haben damit Erfolg.

Und ja, ich hätte nicht erwartet, dass in einer Regierung, in der SPD und Grüne Verantwortung tragen realisiert wird, was Seehofer nicht durchsetzen konnte, auch weil SPD und Grüne dagegen gehalten haben.  

Die von mir sehr geschätzte Kollegin Heide Richter Arijoki hat unlängst an dieser Stelle sehr zu Recht auf die historische Wurzeln und Begründungen des Grundrechtes auf Asyl hingewiesen [1]– das was ihre Bundesinnenministerin vorlegt und was offensichtlich auch diese Landesregierung mitträgt, wird dem was sie damals hier richtig festgestellt haben nicht ansatzweise gerecht:

Denn was der Gipfel hätte tun müssen, wurde nicht geleistet:

Eine stetige und verlässliche Übernahme der Kosten die in den Kommunen für Unterbringung und Integration entstehen durch den Bund,

ein Plan zur Überwindung des vielfachen Stillstands und des Chaos bei den Ausländerbehörden,

rechtssichere Entscheidungen des BAMF statt einer Fehlerquote von um die 30 % und 17-25 Millionen Steuergeld jährlich für verlorene Gerichtsprozesse,

einen Plan für soziales Wohnen und öffentlich geförderten und geschützten Wohnraum,

realistische und praktikable Strukturen für die Erstaufnahme von Menschen und belastbare Vorgaben und Unterstützung für Reserveplanungen,

Vorschläge für die Verbesserung des Schutzes Asylsuchender und Geflüchteter und eine solidarische und menschenrechtswahrende Verteilung in Europa

und endlich Perspektiven für die Menschen, die mit unterschiedlichen Aufenthaltsstatus im Land sind, nicht arbeiten dürfen und sich nicht integrieren sollen und es oft längst sind. Der allergrößte Teil der Geflüchteten ist schutzberechtigt und auch diejenigen, die keinen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, können nicht einfach abgeschoben werden

Was dringend nötig gewesen wäre, wären mehr Ministerpräsident:innen, die wie Bodo Ramelow, Humanität und Realismus miteinander verbinden und Menschen, die seit Jahren hier leben, die echte Chance zu einem Spurwechsel geben wollen. Was dringend nötig gewesen wäre, wäre eine Bundesregierung, die ihr Versprechen für einen progressiven Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik zu sorgen, auch hält.

Was sie geliefert hat und was der Gipfel, der Flüchtlingsgipfel heißt, aber an dem nicht ein Geflüchteter beteiligt war, geliefert hat, ist ein Paradigmenwechsel. Aber einer, der mit dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung nichts zu tun hat und der das ohnehin ausgehöhlte Grundrecht auf Asyl gänzlich in Frage stellt:

Und genau hier sind wir beim Erfolg der extremen Rechten. Denn was die Bundesregierung als Lösung für die hausgemachten Probleme bei Unterbringung, Behördenüberlastung und Finanzierungslücken verkauft, ist selbst Ausdruck des Rechtsrucks und befeuert ihn zugleich weiter. Die Pläne bedeuten:

Abschottung und Abwehr

die Exterritorialisierung des Flüchtlingsschutzes und

die massive Einschränkung des individuellen Rechtes auf Asyl durch Grenzverfahren, die mit Internierungs- und Haflagern einhergehen werden und durch die „Fiktion der Nichteinreise“

die pauschale Einstufung von weiteren Ländern als sogenannte sichere Herkunftsländer, wie z.B. Moldau und Georgien, wo Folter und Diskriminierung umfassend dokumentiert sind

innereuropäische Grenzkontrollen als Grundlage für Pushbacks – ohne Gerichtsentscheidung, ohne Beratung für die Betroffenen im Ermessen der Bundespolizei

Migrationspartnerschaften mit despotischen Regimen, damit man Menschen dorthin einfacher zurückschicken kann

All das könnten auch direkt aus dem Hause Seehofer kommen und entspricht den Kernforderungen der extremen Rechten.

Alle Erfahrung und auch Empirie in Sachen Migration zeigen: Restriktionen und Abschreckungen sorgen dafür, dass es Menschen schlechter geht. Sie sorgen nicht dafür, dass Menschen nicht fliehen. Wer will, dass weniger Menschen fliehen müssen, muss Fluchtursachen, wie z.B. den Klimawandel bekämpfen. Wer weniger Flucht will, muss dafür sorgen, dass Kriege wie der Putins gegen die Ukraine beendet werden. Wer weniger „irreguläre Migration“ und bessere Planbarkeit will, muss sichere Fluchtwege schaffen und Asylersuchen regulär möglich machen.

Der sogenannte Flüchtlingsgipfel hilft weder Kommunen, noch Betroffenen. Über 700 Jurist:innen und Anwält:innen appelieren angesichts dessen mit dem Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein an die Bundesregierung und die Gesetzgeber und fordern: „Diese Politik wird die Entrechtung und das Leid an den europäischen Außengrenzen eskalieren. Sie macht die Ausgrenzung von Geflüchteten in Deutschland und deren Inhaftierung und Abschiebung zu ihrem Markenkern. Statt ernsthaft Fluchtursachen zu bekämpfen, werden die Schutzsuchenden zum Problem erklärt. Statt an dieser Spirale mitzudrehen, muss dem rechten Diskurs eine Politik der Menschenrechte entgegensetzt werden.“ [2]

Es stünde Sachsen-Anhalt gut zu Gesicht, sich angesichts der zweifellos enormen Herausforderung vor denen insbesondere die Kommunen durch die eben nicht gelösten Aufgaben in Sachen Infrastruktur, Finanzierung und Integration stehen, ein Beispiel an Thüringen zu nehmen, das den Kommunen die fehlenden 30% der Kosten der Unterkunft für Ukrainerinnen und Ukrainer erstatten wird. Bodo Ramelow macht konkrete Vorschläge, die eigentlich die einer Koalition sein müssten, die sich Fortschrittskoalition nennt, wie z.B. einen einfachen Spurwechsel zwischen Asyl und Arbeitsmigration. Unser Ministerpräsident fabuliert lieber -die jüngste Geschichte bestenfalls vergessend- über den Zusammenhang von Härte staatlichen Vorgehens und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Zuwanderung und Migration und fordert die „härtere Gangart“.

Meine Damen und Herren, es gibt diesen Zusammenhang zwischen staatlichem Handeln und gesellschaftlicher Reaktion. Aber nicht so, wie der Ministerpräsident ihn behauptet.

Wir führen diese Debatte fast exakt 30 Jahre nach dem sogenannten „Asylkompromiss“ aus dem Jahr 1993.

30 Jahre Asylkompromiss sind auch 30 Jahre Erfahrung welche gesellschaftlichen Signale solche politischen Entscheidungen und Wortmeldungen senden –  wen sie stärken und wen sie schwächen.

Rassistischen Forderungen wird nicht der Wind aus den Segeln genommen, sie werden befeuert (– die sich wiederholenden und nur radikaler, nie humaner werdenden Anträge der AfD, die wir hier behandeln, sind stetiges Beispiel.) Weitere Grenzen verwischen – wenn ein hochrangiges Vorstandsmitglied einer christlichen Partei findet, die Menschenrechtskonvention sei nicht mehr zeitgemäß, fragt man sich nicht nur, wie das eigentlich vereinbar ist – es wird auch die Axt an fundamentale Menschenrechte gelegt und zugleich an zentrale Elemente des Rechtsstaates.

Die Aushöhlung und Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl vor 30 Jahren hat rassistische Mobilisierungen und Hetze nicht bekämpft, sondern verstärkt. 30 Jahre Asylkompromiss sind deshalb auch 30 Jahre Solingen, wo Neonazis das Haus der Familie Genc anzündeten, 5 Menschen ermordet wurden und 14 schwer verletzt überlebten.

Heiko Kauffmann, langjähriger Sprecher von Pro Asyl, schrieb dieser Tage:

„Die Folgen der Politik institutioneller Feindseligkeit und Ausgrenzung von Geflüchteten wirken bis heute nach. Wir finden sie nicht nur in verbrecherischen Morden und Anschlägen und in Diskriminierungen und alltäglichen Rassismus-Erfahrungen von Geflüchteten: Die Folgen dieser aktiv betriebenen und geduldeten Herabsetzung von Menschen zeigen sich ebenso in der permanenten »Auslagerung« und Abschiebung von Flüchtlingen oder im Verdrängen und der beschämenden, demaskierenden Gleichgültigkeit und Tatenlosigkeit gegenüber dem tausendfachen Leiden und Sterben von Menschen im Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas.“ und er schreibt außerdem : „Kein Satz bringt diesen Zusammenhang klarer und unmittelbarer zum Ausdruck als die Worte, die ich am Pfingstmontag 1993 auf dem Weg zum Haus der Familie Genç (an der Unteren Wernerstraße in Solingen) entlang einer Mauer aufgesprüht fand und die sich – mit dem Brandgeruch und dem Bild der Ruine des Hauses der Familie – für immer in mein Gedächtnis eingebrannt haben: ERST STIRBT DAS RECHT – DANN DER MENSCH!“ [3]

Dem stellen wir uns mit aller Kraft entgegen. Vielen Dank!

 

 


[1] www.landtag.sachsen-anhalt.de/plenarsitzungen/transkript

[2] www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/das-recht-auf-schutz-darf-nicht-abgeschafft-werden-949

[3] www.proasyl.de/news/erst-stirbt-das-recht-dann-der-mensch-30-jahre-nach-grundgesetzaenderung-solingen/