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„Weniger Bildung kann keine Zukunft für unser Land sein“

Interview zur Schulentwicklungsplanung mit unserem Bildungspolitiker Matthias Höhn

Nach den Plänen der Landesregierung droht mehreren Grundschulstandorten in Sachsen-Anhalt das Aus. Trotz Protesten von Eltern- und Bürgerinitiativen vor Ort und der wiederholten Forderung der Fraktion DIE LINKE, die Vorgaben zur Schulentwicklungsplanung auszusetzen, rückt die Koalition aus CDU und SPD nicht von ihrem Vorhaben ab. Wir sprachen mit unserem Bildungspolitiker Matthias Höhn über Hintergründe und Alternativen zum derzeitigen Kurs in der Schulentwicklungsplanung.


In den letzten 20 Jahren wurden immer wieder Schulen in Sachsen-Anhalt geschlossen, seit Anfang der 1990er jede zweite. Warum nun schon wieder?

Weil CDU und SPD die Zahl der Lehrkräfte im Land deutlich reduzieren wollen – insgesamt um etwa 2.000. Das geht nur, wenn man Schulen schließt. Allerdings „spart“ sie mit den jetzt gefährdeten Grundschulen maximal 200 Lehrerinnen und Lehrer.

Und die restlichen 1.800?

Das ist die große Frage, um die sich die Koalition seit Jahren drückt. Sie hat keinen Plan, wie sie dieses Ziel erreichen kann – oder sie verschweigt ihn tapfer. Aber es ist beschlossene Politik. Darum wird die Frage der Unterrichtsversorgung bzw. des zunehmenden Unterrichtsausfalls immer mehr ein zentrales Problem – auf das wir allerdings als Fraktion DIE LINKE seit Jahren hinweisen. Bisher ohne Erfolg. Bleiben CDU und SPD bei diesen Zahlen und wollen gleichzeitig massiven Unterrichtsausfall vermeiden, müssen entweder weitere Schulen geschlossen werden oder es muss einen drastischen Abbau von Bildungsangeboten an unseren Schulen geben. Das müssen wir verhindern. Wir wollen diesen Personalabbau stoppen. Weniger Bildung kann keine Zukunft für unser Land sein.

Mit den Schülerzahlen und der demografischen Entwicklung haben die Schulschließungen also nichts zu tun?

Nein. Bis mindestens 2020 bleiben die Schülerzahlen in Sachsen-Anhalt stabil, in den Grundschulen steigen sie sogar. Das ist der zentrale Unterschied zu den Jahren nach 1990 – da gab es einen massiven Einbruch der Schülerzahlen. Das ist jetzt erfreulicherweise nicht mehr so.

Die Fraktion DIE LINKE hat ein Moratorium gefordert. Warum?

Dieser Vorschlag liegt seit dem letzten Jahr auf dem Tisch des Landtages. Kostbare Zeit verstreicht seitdem. In vielen Regionen regt sich Widerstand gegen die Schließungspläne, mehrere Kreistage haben Resolutionen an das Land gerichtet, seine Pläne zu überdenken. Wir wollen ein Moratorium, also ein Aussetzen der Pläne, damit Zeit gewonnen wird, in der das Land mit den Beteiligten vor Ort ins Gespräch kommen und im Ergebnis dieser Diskussionen eine überarbeitete Verordnung vorlegen kann.

Wie reagiert die Koalition darauf?

CDU und SPD lehnen dies strikt ab. Sie wollen, dass die Verordnung der Landesregierung 1:1 umgesetzt wird. Und das sofort.

Aber in der CDU gab es jüngst Diskussionen über andere Modelle. Wie bewertest du das?

Es ist gut, dass in Teilen der Regierungsparteien Debatten stattfinden. Das ist ein Erfolg der Opposition – im Landtag und außerhalb. Allerdings sind diese Debatten ja schon wieder mit einem Basta der Koalitionsspitzen beendet worden. Jetzt gibt es vage Ankündigungen für die Zeit nach 2016, also nach der nächsten Landtagswahl. Das sind Versprechungen, die den Verantwortlichen vor Ort derzeit überhaupt nicht helfen. Es müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden.

Schulverbünde waren im Gespräch...

Ja. Bis 2005 waren Schulverbünde – also mehrere Schulstandorte werden organisatorisch zu einer Schule zusammengefasst – im Land möglich. Dann wurde diese Möglichkeit mit den Stimmen von CDU und FDP abgeschafft. Ich bin offen, über ihre Wiedereinführung zu sprechen. Allerdings: Dann müssen auch andere Dinge auf den Tisch. Bliebe es nämlich ansonsten bei den bisherigen Festlegungen der Landesregierung, beispielweise zum Einsatz des Lehrerpersonals, wären Schulverbünde nicht wirklich ein Ausweg. Es sei denn, man nähme erhebliche Qualitätsverluste in Kauf. Zwei kleine Schulen, die sich dann zu einer größeren zusammenschließen könnten, hätten dann nur noch halb so viele Lehrkräfte zur Verfügung wie bisher. Das würde den Schulalltag und die Qualität spürbar beeinflussen.

Klingt kompliziert. Wo ist der Ausweg?

Wir müssen an zwei zentralen Punkten ansetzen: erstens an der Personalpolitik des Landes und zweitens an der Überregulierung. CDU und SPD müssen endlich von ihren Plänen, weiter in Größenordnungen Personal abzubauen, abrücken. Wenn wir die Zahl der Lehrkräfte stabil halten, ist nicht jedes Problem gelöst, aber wir brauchten keine flächendeckenden Schulschließungen mehr. Jedes Jahr absolvieren bei uns gut qualifizierte, junge Leute das Lehramtsstudium. Aber dann stellen wir sie nicht bei uns ein, sondern schicken sie in andere Bundesländer – die längst die Zeichen der Zeit erkannt haben und zum Teil in Größenordnungen Lehrkräfte einstellen. Nur Sachsen-Anhalt nicht – das ist doch absurd.

Und was meinst du mit Überregulierung?

Die Vorgaben des Landes für die Schulnetzplanung der Landkreise sind ein sehr unflexibles und engmaschiges Netz an fixen Eckwerten – zu Schulgrößen, Anzahl der Klassenzüge pro Jahrgang, Mindestgrößen von Anfangsklassen etc. etc. Da ist wenig Raum für Lösungen, die auf die örtlichen Gegebenheiten Rücksicht nehmen könnten. Hier brauchen die Kommunen deutlich mehr Spielraum. Ein Weg wäre etwa, auf diese Überregulierung als Land zu verzichten und den Landkreisen stattdessen auf Grundlage ihrer jeweiligen Schülerzahlen einfach das notwendige Lehrerpersonal zur Verfügung zu stellen. Mit wie vielen Standorten der Kreis dann sein Schulnetz ausstattet, wäre allein seine Sache – solange er die Qualität vor Ort absichert.

Wie kann es jetzt konkret weitergehen?

Ich hoffe, dass der Druck vor Ort und im Landtag doch noch in letzter Minute dazu führt, dass die Abgeordneten von CDU und SPD ihre Meinung ändern. Tun sie das nicht sehr schnell, gibt es kaum noch eine Möglichkeit, die anstehenden Schließungen zu stoppen. Ohne politische Mehrheiten für einen Kurswechsel bei der Schulnetzentwicklung im Landtag geht das nicht – und die gibt es bisher nicht. So oder so will ich aber alle ermutigen, ihre Aktivitäten vor Ort nicht einschlafen zu lassen – der drohende Personalmangel wird sehr rasch auf alle Schulen durchschlagen. Hier brauchen wir als parlamentarische Opposition noch mehr als bisher die Unterstützung vor Ort. Hier ist noch Zeit, die Politik der Landesregierung zu korrigieren – aber eben auch nicht mehr sehr viel.