Menschen mit Behinderungen sind Trägerinnen und Träger von Menschenrechten
Nicole Anger, Sprecherin für Behindertenpolitik der Fraktion Die Linke im Landtag, betont in der Debatte um die Rechte von Behinderten im Landtag:
„Inklusion ist kein „Nice-to-Have“. Inklusion ist ein Menschenrecht. Ein Menschenrecht, das nicht verhandelbar ist und das uneingeschränkt umgesetzt werden muss. Doch wenn wir einen Blick auf die aktuelle Lage in unserem Land werfen, wird deutlich: Die Landesregierung als Team hat es nicht geschafft, dieses grundlegende Recht in die Tat umzusetzen. Inklusion wird immer wieder als Prüfauftrag behandelt – ohne klare Maßnahmen, ohne konkrete Zeitpläne, ohne echte Fortschritte. Dies zeigen die Antworten auf unsere Große Anfrage nur allzu deutlich. Das Land – Herr Ministerpräsident – war da schon mal weiter!
Hat der Landesaktionsplan 2013 noch konkrete Zahlen aufgeführt, wie u.a. der Ausbau des gemeinsamen Unterrichts gestaltet werden soll, so lässt der aktuelle Landesaktionsplan jegliche konkrete Zahl vermissen. Und schaut man dann in die Statistiken, dann wird schnell klar, warum. Nicht ein Ziel aus dem LAP 2013 wurde erreicht – im Gegenteil. Das Parallelsystem wurde noch verstärkt.
Die Zahl der Kinder an Förderschulen steigt, obwohl Inklusion das Ziel sein sollte. Schule muss ein Ort für alle Kinder sein – ein inklusiver Raum, der niemanden ausschließt. Dafür müssen wir endlich die Voraussetzungen schaffen, die seit Jahren versprochen, aber nie wirklich umgesetzt wurden. Barrierefreie Gebäude, ausreichend qualifiziertes Personal, Förderangebote im gemeinsamen Unterricht – das darf keine Utopie bleiben, sondern muss endlich Realität werden!
Die Zahl der Schüler:innen im gemeinsamen Unterricht sinkt. In den letzten fünf Jahren wurden 1.000 Kinder weniger inklusiv beschult. Die Landesregierung stellt zwar richtig fest, dass inklusive Bildungsangebote mehr sind als der gemeinsame Unterricht von Schüler:innen mit und ohne Förderbedarf. Aber wie das gelingen soll, darauf gibt sie keine Antwort. Stattdessen wird auf die „Durchlässigkeit zwischen den Schulformen“ verwiesen. Das Gegenteil ist aber Realität. Die Landesregierung tut alles, diese Durchlässigkeit zu verhindern.
Schon lange ist bekannt, dass die gesetzlich geforderte Beschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbehinderung in unserem Land nicht erreicht wird. Es ist ein Armutszeugnis, dass nun erst eine wissenschaftliche Untersuchung durch das Land erfolgen soll – finanziert aus der Ausgleichsabgabe, die Jahr für Jahr steigt. Es fehlt möglicherweise aber gar nicht an den konkreten Maßnahmen, sondern eher an einer klaren Strategie und dem Umsetzungswillen. Wie kommen wir darauf? Die Landesregierung selbst ist nicht in der Lage, die Quote in ihren eigenen Einrichtungen, in den Landesbehörden und nachgeordneten Bereichen zu erfüllen und beispielhaft voranzugehen. Vorbildwirkung sieht anders aus!
Barrierefreiheit bedeutet, dass alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, Zugang zu Gebäuden, Dienstleistungen und Informationen haben. Ich gehe davon aus, dass Sie alle diese Definition mit mir teilen. Und Inklusion funktioniert eben nicht ohne Barrierefreiheit. Denn wo Orte, Räume oder Kommunikationsmittel nicht barrierefrei sind, bleibt Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, an der Arbeitswelt und in der Freizeit verwehrt.
Nicht einmal jede dritte Praxis in unserem Land ist barrierefrei zugänglich. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen oder auch Eltern mit Kinderwagen tagtäglich vor unüberwindbaren Hürden stehen. Hürden, die ihnen den Zugang zu medizinischer Versorgung verwehren. Damit wird die freie Arztwahl konterkariert.
Doch damit nicht genug. Schauen wir auf das Thema Wohnen. Barrierefreier Wohnraum ist Mangelware. Doch eine konkrete Kenntnis darüber, wie viele barrierefreie Wohnungen es tatsächlich in den Landkreisen gibt, existiert nicht. Wie wollen Sie Inklusion vorantreiben, wenn Sie nicht einmal wissen, wo wir stehen? Die Landesregierung verweist in Antworten auf die Kommunen, hat sich aber trotz Fristverlängerung für die Antworten nicht die Mühe gemacht, die Kommunen einzubeziehen. Wenn dann Wohnungen barrierefrei saniert werden, sind sie danach oft so teuer, dass Menschen mit Behinderung oder kleiner Rente sie sich schlicht nicht leisten können. Barrierefreiheit darf kein Luxus sein. Wohnen ist ein Grundrecht, dass für viele Menschen in unserem Land nicht selbstbestimmt umsetzbar ist.
Auch beim ÖPNV stehen wir noch ganz am Anfang. Erinnern Sie sich noch an das Programm zur Barrierefreiheit aller Haltestellen bis 2022? Die Landesregierung spricht jetzt von einer ersten Erfassung des Zustandes der Barrierefreiheit an Haltestellen. Wir reden hier von einer Bestandsaufnahme – im Jahr 2025! Barrierefreiheit darf doch kein Zukunftsprojekt sein. Sie müsste längst Standard sein.
Die Landesregierung betont zu Recht, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) als politische Richtschnur für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen dient. Doch trotz dieser Bekenntnisse müssen wir leider feststellen, dass wir weit hinter den Anforderungen dieser Konvention zurückbleiben. Es ist völlig unverständlich, warum auch heute noch Menschen mit Behinderungen in vielen Bereichen des Lebens benachteiligt und ausgeschlossen werden.
Menschen mit Behinderungen sind Träger:innen von Menschenrechten. Diese gilt es, nicht nur anzuerkennen, sondern auch konsequent zu gewährleisten und zu schützen. Es kann und darf keine Ausreden geben, warum Inklusion nicht in allen Bereichen des Lebens uneingeschränkt umgesetzt wird. Die Umsetzung der UN BRK muss endlich zu einer praktischen, spürbaren Veränderung führen. Es darf keine weiteren Verzögerungen geben. Und: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Versprechen – ein Versprechen auf Teilhabe und Gleichberechtigung. Es wird Zeit, dass die Landesregierung endlich damit beginnt, dieses Versprechen einzulösen.“
Magdeburg, 13. Mai 2025